IASLonline

Mosaiksteine einer Kulturgeschichte spätmittelalterlicher Frauenklöster

  • Falk Eisermann / Eva Schlotheuber / Volker Honemann (Hg.): Studien und Texte zur literarischen und materiellen Kultur der Frauenklöster im späten Mittelalter. Ergebnisse eines Arbeitsgesprächs in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, 24.-26. Febr. 1999. (Studies in Medieval and Reformation Thought 99) Leiden / Boston: Brill 2004. xviii, 414 S. 53 s/w Abb. Hardback. EUR 147,00.
    ISBN: 90-04-13862-5.
[1] 

Der Kulturgeschichte mittelalterlicher Frauenklöster, bis vor zehn Jahren noch eher ein marginales Feld mediävistischer Forschung, wird zunehmende Aufmerksamkeit zuteil, wie sich an zahlreichen Neuerscheinungen zum Thema sowie an verschiedenen Forschungs- und Ausstellungsprojekten nachvollziehen lässt. Der vorliegende Sammelband geht auf ein Arbeitsgespräch zurück, das bereits 1999 in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel stattfand, und er zeichnet sich durch eine konzise Fragestellung und hervorragende, neue Quellen präsentierende Beiträge aus. Das umfangreiche Buch ist sorgfältig redigiert und durch ein ausführliches Personen-, Orts- und Sachregister gut erschlossen.

[2] 

Die Erschließung
von unbekanntem Material

[3] 

Nicht das Leben und Wirken herausragender religiöser Frauen soll dargestellt werden, vielmehr der »kulturelle Alltag der Nonnengemeinschaften in seiner Besonderheit« (S. xiii). Die erhaltene wie die rekonstruierbare materielle und literarische Überlieferung von Frauengemeinschaften ist das verbindende Thema der vorliegenden elf Beiträge aus verschiedenen mediävistischen Disziplinen. Topografisch geht es, von einer Ausnahme abgesehen, um das Gebiet des mittelalterlichen deutschen Reiches; die Zeitspanne reicht von circa 1350 bis zur Reformation. Die Beiträge lassen sich im Wesentlichen zu drei Kernbereichen gruppieren:

[4] 

• die Kirche, die Klosteranlage und die Klausur als Lebensraum der Nonnen,

[5] 

• normative wie pragmatische Schriftquellen zum inneren wie äußeren Leben der Gemeinschaften und

[6] 

• die Zusammensetzung der Bibliotheken.

[7] 

Jeffrey F. Hamburgers einleitender Artikel mit dem programmatischen Titel »Am Anfang war das Bild: Kunst und Frauenspiritualität im Spätmittelalter« (S. 1–43) analysiert aus kunsthistorischer Perspektive die Bedeutung der Bilder für die Spiritualität der Nonnen und charakterisiert wesentliche Rahmenbedingungen wie die »cura monialium«, die priesterliche Seelsorge für die Klosterfrauen oder die ambivalente Einschätzung der Körperlichkeit als weibliche Schwäche wie unabdingbare Voraussetzung für die Inkarnation Christi gleichermaßen. 1 Es ist der einzige Artikel, der überblicksartig aufgebaut ist – bei den anderen Beiträgen steht jeweils ein konkretes Fallbeispiel im Vordergrund, seien es die Visitationsverordnungen in Lincoln im zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts (Annette Kern-Stähler, S. 103–118), die Augustiner-Chorfrauen von Inzigkofen und deren Bemühen, aus geschenkten und gekauften Holzschnitten zusammenhängende Illustrationsfolgen für die von ihnen kopierten Texte zu schaffen (Peter Schmidt, S. 243–284) oder die Bücherbeschaffung und der Bücheraustausch im Nürnberger Katharinenkloster vor und nach der Reform von 1428 (Werner Williams-Krapp, S. 311–329).

[8] 

Die Erschließung von bislang unbekanntem Material – neue archäologische Befunde, nicht edierte Texte oder weitgehend unbekannte Buch- und Bildbestände – ist ein wesentliches Anliegen dieser Publikation und macht sie zu einer Fundgrube neuer Ergebnisse. So geht Margit Mersch am Beispiel des Ostflügels des bauarchäologisch untersuchten Zisterzienserinnenklosters Brenkhausen (Westfalen) der Frage nach, wie in Frauenzisterzen die Konventsgebäude angeordnet waren und welcher Einfluss dem für zisterziensische Männerklöster entwickelten »Idealplan« einer Klosteranlage zukam (S. 45–102). Bemerkenswert ist hierbei, dass die Kirche und der Ostflügel der Klausur in der Formensprache und der Raumstruktur der burgundischen Zisterzienserklöster errichtet wurde und dem architektonischen Ausdruck einer Ordenszugehörigkeit gegenüber einer schlichten, auf die Frauen als Benutzerinnen abgestimmten Funktionalität Priorität eingeräumt wurde (S. 101 f.)

[9] 

Texte aus süddeutschen
Frauenkonventen bis um 1400

[10] 

Falk Eisermann ediert einen längeren, an eine Zisterzienserin gerichteten deutschen Sendbrief mit dem Incipit »Carissima soror Agnes« (S. 119–168), eine um 1400 von einem unbekannten Dominikaner wohl im Südwesten des Reiches verfasste Übersetzung und Erläuterung der 1369 erlassenen Konstitution Papst Urbans V. gegen die Simonie, die im Kontext der spätmittelalterlichen Kirchenreform vielfach rezipiert wurde. Sie vermittelt ein anschauliches Bild vom inneren Leben der Frauengemeinschaften, schildert die Eintrittsriten, die Aufgaben innerhalb des Konventes, die Vorschriften zu Kleidung, Speisen und Privateigentum sowie den Zusammenhang von Askese, Devotion und Visionen.

[11] 

Hans-Jochen Schiewer wendet sich der volkssprachlichen Handschriftenüberlieferung des Dominikanerinnenklosters St. Katharinenthal (Kanton Thurgau, Schweiz) zu und versucht, mittels einer minutiösen Sammlung aller deutschsprachigen Fragmente und Rezeptionsspuren im Überlieferungsbestand des 15. Jahrhunderts eine »bibliothèque imaginaire« für das 14. Jahrhundert zu rekonstruieren und damit die erstaunliche Überlieferungslücke in der materiellen Kultur dieses Konvents zu schließen, von dessen großer Bedeutung zu Beginn des 14. Jahrhunderts zahlreiche illuminierte Liturgica und berühmte Bildwerke, aber kaum eine zeitgenössische volkssprachliche Handschrift zeugen.

[12] 

Norddeutsche Frauengemeinschaften
in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts

[13] 

Während sich diese beiden Artikel mit der Situation im Südwesten des Reiches befassen, so gewinnen im Kontrast dazu aus den Beiträgen von Honemann und Schlotheuber die norddeutschen Frauenkonvente des 15. Jahrhunderts ein schärferes Profil.

[14] 

Volker Honemann ediert eine im Münsteraner Fraterhaus im zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts geschriebene niederdeutsche Drittordensregel für Tertiarinnen (Münster, Domarchiv, Hs. 13) (S. 223–242) und weist darauf hin, dass sich die Überlieferungssituation geistlicher Literatur in Nord- und Westdeutschland gegenüber der starken Vernetzung in Süddeutschland durch eine viel stärkere Isolation kennzeichne. Umgekehrt aber spielte lateinische Bildung und lateinische Textüberlieferung gerade in den der Klosterreform gegenüber aufgeschlossenen norddeutschen Konventen eine viel größere Rolle als im Süden. Dies belegt Eva Schlotheuber anhand der Ebstorfer Klosterbibliothek und einer ebenso präzisen wie anschaulichen Erörterung der dortigen Handschriftenüberlieferung, die unter anderem Notizen und Hefte der Klosterschülerinnen mit kleinen lateinischen »Übungsaufsätzen« zu verschiedensten Aspekten des klösterlichen Alltags enthält (S. 169–222).

[15] 

Übergreifende Fragestellungen

[16] 

Die beiden letzten Beiträge erweitern den zeitlichen Rahmen: Wolfgang Branis stellt wichtige und teilweise noch unbearbeitete Quellen zur Reformationsgeschichte der Heideklöster im ehemaligen Fürstentum Lüneburg vor (S. 357–398), und Marius Winzeler präsentiert die mittelalterlichen Handschriften der Zisterzienserinnenabtei St. Marienstern in der Oberlausitz, welche bekanntlich bis heute Teil einer funktionierenden klösterlichen Bibliothek sind (S. 331–356). Aufschlussreich sind hierbei die Kontinuitäten in Bezug auf die unterschiedlichen Aufbewahrungsorte der Buchbestände im Kloster und im Hinblick auf den individuellen Buchbesitz der Äbtissin wie der Klosterschwestern von der Barockzeit bis in die Gegenwart – Kontinuitäten, die Rückschlüsse auf die mittelalterliche Situation begründet erscheinen lassen.

[17] 

Solche begründeten Rückschlüsse und präzisen Vergleiche zu ermöglichen, scheint mir, über den die Einzelfälle betreffenden Erkenntniszuwachs hinaus, einer der wichtigsten Aspekte der vorliegenden Publikation zu sein. An der präzisen Analyse eines konkreten Einzelfalles schärft sich der Blick für die Bandbreite der historischen »Realität« in den untersuchten Frauengemeinschaften, und mittels der so gewonnenen Erkenntnisse lassen sich Hypothesen formulieren, wie zahlreiche überlieferungsbedingte Lücken zu schließen sein könnten. So erfahren wir im Beitrag von Brandis beispielsweise, mit welcher bemerkenswerten Kombination von Flexibilität und Konsequenz die Nonnen von Kloster Lüne ab 1528 auf die ihnen aufgezwungen Reformationsbemühungen von Herzog Ernst reagierten: Während ein evangelischer Prediger vor dem Herzog in der Kirche predigte, schlossen die Schwestern die Türen, zogen sich für ihre Gebete ins Kapitelhaus zurück und ließen sich am Marienaltar im Kreuzgang von ihrem Beichtvater die Kommunion reichen; noch zwei Jahre später hielten sie, trotz fehlendem Priester, am Ablauf der katholischen Messe fest und übersprangen einfach diejenigen Gesänge, die zu singen diesem zustand. – Gerade an diesem Beispiel lässt sich besonders deutlich erkennen, wie weit »Realität« und »Norm« auseinander klaffen können und wie einfallsreich die Nonnen versuchten, ihren oft stark begrenzten Handlungsspielraum auszuloten.

[18] 

Aus dieser Perspektive erweist sich der von den Herausgebern gewählte methodische Ansatz, einen Schwerpunkt auf die Erschließung von neuem Material und auf die Analyse von Einzelbeispielen zu legen, als äußerst fruchtbar. Viele der Beiträge entstanden im Rahmen von größeren Forschungsvorhaben, was sich in der Dichte und Aussagekraft der Texte spiegelt. 2 Wenn auch nicht explizit thematisiert, so ergeben sich doch immer wieder übergeordnete Fragestellungen, die die Lektüre dieses verschiedenen Themen und Orten gewidmeten Bandes so anregend machen: diejenige nach den unterschiedlichen Bildungs- und Überlieferungstraditionen in süddeutschen und norddeutschen Frauenklöstern etwa, nach der Verbindlichkeit und dem Vorbild-Charakter von Ordensidealen der Männerklöster für Frauengemeinschaften oder, allgemeiner formuliert, danach, ob und auf welche Weise modifiziert unsere vorwiegend an der Ordensgeschichte und den Männerklöstern entwickelten analytischen Kategorien auf Frauenkonvente, deren Eingliederung in die mittelalterlichen Ordensverbände keineswegs selbstverständlich war, überhaupt anzuwenden sind. – Zu überprüfen, welche kulturellen Muster sich beim Zusammensetzen dieser einzelnen Mosaiksteine ergeben, ist ein spannendes und längst noch nicht abgeschlossenes Unterfangen.



Anmerkungen

Vgl. dazu auch Jeffrey F. Hamburger: The Visual and the Visionary. Art and Female Spirituality in Late Medieval Germany. New York 1998, speziell S. 13–34.   zurück
Einige dieser Arbeiten sind unterdessen in eigenen Buchpublikationen veröffentlicht; siehe z.B. Annette Kern-Stähler: A Room of One’s Own. Reale und mentale Innenräume weiblicher Selbstbestimmung im spätmittelalterlichen England (Tradition – Reform – Innovation. Studien zur Modernität des Mittelalters 3) Frankfurt / M. u.a. 2002 (zugl. Bonn, Diss. 2000); Eva Schlotheuber: Klostereintritt und Bildung. Die Lebenswelt der Nonnen im späten Mittelalter. Mit einer Edition des ›Konventstagebuchs‹ einer Zisterzienserin von Heilig-Kreuz bei Braunschweig (1484–1507) (Spätmittelalter und Reformation, Neue Reihe 24) Tübingen 2004; Peter Schmidt: Gedruckte Bilder in handgeschriebenen Büchern. Zum Gebrauch von Druckgraphik im 15. Jahrhundert (Pictura et Poesis 16) Köln / Weimar / Wien 2003.   zurück