Stefanie Arend

Tragik weiblicher Stellvertretung




  • Peter-André Alt: Der Tod der Königin. Frauenopfer und politische Souveränität im Trauerspiel des 17. Jahrhunderts. (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 30 (264)) Berlin, New York: Walter de Gruyter 2004. X, 261 S. 17 s/w Abb. Gebunden. EUR 98,00.
    ISBN: 3-11-018117-7.


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›Was stirbt‹, so fragt Peter-André Alt, ›im Trauerspiel der Frühen Neuzeit, wenn die Königin stirbt?‹ Oder, so könnte man auch fragen: ›Wer regiert, wenn die Königin regiert?‹ Was sind die Spezifika weiblicher Regentschaft in den drei Stadien des Werdens, Herrschens und Vergehens? Den Analysen einschlägiger Dramentexte von Gryphius, Hallmann, Lohenstein, Weise und Haugwitz, durchsetzt mit interessanten Blicken auf die bildende Kunst, ist eine kulturgeschichtliche Betrachtung der politischen Theologie des Mittelalters vorangestellt. Diese wird zum Ausgangspunkt der Frage nach der Funktion der Herrscherin im Drama der Frühen Neuzeit. 1

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Ideengeschichtliche Vorannahmen

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Einleitend werden zunächst die ideengeschichtlichen Voraussetzungen erklärt, durch die bereits im Mittelalter männliches und weibliches Herrschertum unterschieden war. Gestützt auf Quellen unter anderen von Tertullian aus dem Frühen Christentum (De resurrectio carnis) und Augustinus (De civitate dei), von Simon de Tournai (Disputationes), Henry of Bracton (De legibus et consuetudinibus Angliae) und Thomas von Aquin (Summa Theologica) aus dem 12. und 13. Jahrhundert und von Jean Bodin (Six livres de la république) und Hobbes (Leviathan) aus dem 16. und 17. Jahrhunderts wird der Bogen geschlagen vom Frühen Christentum bis in die Frühe Neuzeit und die für das Trauerspiel des 17. Jahrhunderts maßgebliche politische Theologie mit ihren Differenzen zwischen männlicher und weiblicher Herrschaft herausgefiltert, unterfüttert mit kulturwissenschaftlichen Untersuchungen, wobei Ernst H. Kantorowicz’ Die zwei Körper des Königs eine besondere Rolle spielt.

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Sodann zeigt Alt, daß besonders in England und Frankreich Totenfeiern und Begräbnisinszenierungen die Identität des natürlichen und politischen Körpers des männlichen Herrschers beweisen, da trotz des toten natürlichen Leibes das Kontinuum der politischen Macht symbolisch gesichert bleibt. Dies ergibt sich durch die Auffassung des Herrschertums als Gottesgnadentum und durch die spätmittelalterliche Christologie: Herrscher sein bedeutet, »das Mysterium der zwei Körper Christi« (S. 9) zu wiederholen, die Imitatio Christi gleichsam natürlich zu leisten. Wie der Körper Christi fleischlicher Leib ist und zugleich die Kirche, den Bund der Gläubigen symbolisiert, so ist der frühneuzeitliche Herrscher natürlicher Leib und symbolisiert zugleich das politische Königtum, die Institution mitsamt ihren Untertanen. Der König ist zwar Herrscher, der sterblich ist, aber aufgrund seiner Funktion als Repräsentationsfigur des Staates zugleich unvergänglich. Alt betont, daß die Unterscheidung zwischen »Natur und Institution« aufgehoben sei, was »für das Staatsdenken des Abendlandes eine gänzlich neue Qualität bedeutete« (S. 12), insofern nämlich auch »jenseits seiner organischen Physis« der Herrscher seine Macht »naturrechtlich« fundieren kann (S. 15). 2 Im Zentrum steht der Umstand, daß eben nur dem männlichen Herrscher als Stellvertreter Christi diese besondere Doppelleibigkeit zukommt, die die Kontinuität und Ewigkeit der Macht auch bei seinem Ableben verbürgt.

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Anders die Königin: Diese kann die Kontinuität der politischen Macht nicht gewährleisten. Ihr Körper ist nicht zugleich sterblich und ewiger Aufbewahrungsort der Institution der Macht. Ihre Funktion besteht darin, durch ihre Zeugungskraft für Kontinuität zu sorgen. Ist die Königin als Frau schon in der Theologie der Schöpfung von Rechtswegen dem Mann nachgestellt, so auch im Krönungszeremoniell: Die Königin erhält die Krone erst nach dem König oder bisweilen gar nicht. Sie trägt nicht jene »unsichtbare Krone« (S. 23) der Macht, welche die Fortdauer der Institution auch in ihrem Ableben verbürgt, sondern nur die sichtbare, die Schönheit und Reichtum symbolisiert. Daß die Königin bei ihrem Sterben eben nicht den Körper der Institution weiter fortdauern läßt, beweist auch die Tatsache, daß der Sarg der Könige häufig durch ein Bildnis oder eine ganze nachgebildete Figur geschmückt, eine solche effigies dem der Königin meist nicht beigegeben ist. Insgesamt stellt, dies ist festzuhalten, der Körper der weiblichen Regentin »nach zeitgenössischem Rechtsdenken keine Hülle für eine von ihm beherbergte Institution dar« (S. 26). Der Körper der Königin ist ein rein funktionaler Körper, der für männliche Nachkommenschaft zu sorgen hat und dadurch die dynastische Kontinuität sichert; er ist aber ebenso wie derjenige der anderen Untertanen dem doppelten Körper des Königs »einverleibt« (S. 29).

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Beispiele aus der Realgeschichte unterstreichen diese Unterordnung der Königin: Auch eine durch die Umstände notwendige Allein-Herrschaft der Frau wurde mehr oder weniger immer als ein vorübergehender provisorischer Zustand aufgefaßt, mit Abschattierungen in den einzelnen europäischen Ländern, wie Alt anhand einiger Beispiele herausstreicht, wobei in kleineren deutschen Fürstenstaaten ein weibliches Interregnum rechtlich konsequent ausgeschlossen wurde (S. 32). In Frankreich bildet Katharina von Medici einen besonderen Fall, da sie zwar offiziell immer nur als Stellvertreterin ihrer nicht handlungsfähigen Söhne galt, jedoch selbstbewußt und geschickt ihr Amt ausfüllte. Elisabeth I. von England konnte ohne Einschränkung rechtlich die Herrschaft ausüben, stand jedoch immer unter dem Druck, die Ehe zu schließen und Nachkommen zu gebären. Immer ist implizit der leibliche Körper letztlich nur »ein Surrogat für die Präsenz des abwesenden alten oder des noch nicht handlungsfähigen neuen Königs« (S. 38), was späterhin die Dramenanalysen belegen werden.

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Auch ein Ausflug in die bildende Kunst – als Beispiel dient der Medici-Zyklus von Peter Paul Rubens – sucht diese These zu stützen (vgl. S. 42–45). Durch Mythisierungen, Allegorien und eine Überfülle sinnlicher Reize inszeniert und fingiert die Hofmalerei der Frühen Neuzeit eine Machtfülle weiblicher Herrschaft, die jedoch rechtlich nicht vorhanden ist. Daß die Macht bloße Fiktion ist, vermögen Details nur vage anzudeuten, während die Literatur hier deutlicher werden kann: Während die bildende Kunst durch den Mythos »verhüllt, enthüllt« (S. 46) das Drama durch das geschichtliche Exemplum die Wahrheit der weiblichen Herrschaft, ihre Fragilität und ihren Ausnahmezustand. Die Dramenanalysen gehen der Frage auf den Grund, inwiefern die Königinnen unter dem theatralischen Diktat des Imaginären und in ihrer Rolle als Opfer die politische Theologie zunächst variantenreich zementieren und schließlich in Frage stellen.

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Im Zeichen der Tugend

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Das erste dramenanalytische Kapitel »Die Königin als Märtyrerin« stellt mit Blick auf Gryphius’ Catharina von Georgien (1657) und Johann Christian Hallmanns Mariamne (1670) die weiblichen Figuren als ›Märtyrerinnen‹ ins Zentrum, eine Definition, die heute nicht unangefochten ist.

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Im Sinne der oben skizzierten Theorie erscheint Catharina exemplarisch als bloße Stellvertreterin in einer dynastischen Abfolge von Herrschern, da sie auch während ihrer Gefangenschaft den Platz für ihren Sohn freihält (S. 63). Ihre Tugend, die sich darin äußert, daß sie den Verführungen des Chachs widersteht, steht im Zeichen dieser als unverletzlich angesehenen Herrschaftsabfolge (S. 68). Auf der Folter opfert sie ihren natürlichen Leib für ihren Sohn, durch dessen Körper dann erst das Königtum auch als Institution fortleben kann. Die unanfechtbare Tugend Catharinas offenbart sich in ihrer stellvertretenden Position, die sie bis zum Ende aufrechterhalten kann, was auch ihre abschließende Erscheinung als ›Ewigkeit‹ betont, die der Prolog bereits andeutet. Als eine Kontrastfigur zu Catharina sieht Alt etwa den Herrscher Leo Armenius in Gryphius’ gleichnamigen Drama (1656). Leo Armenius fällt einer Verschwörung zum Opfer. Sein toter Körper versinnbildliche eine zu Lebzeiten illegitime Herrschaft (S. 81). 3

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Im Gegensatz zur Catharina bleibt die Stellung von Hallmanns Mariamne uneindeutig, da sie keine Stellvertreterin einer Dynastie darstellt, sondern dem grausamen Despotismus ihres Gemahl und Königs Herodes zum Opfer fällt, weil sie unschuldig des Ehebruchs angeklagt wird. Ihr Tod ist jedoch auf andere Weise wiederum Zeichen eines männlichen uneingeschränkten Despotentums, dessen Geschichtsmächtigkeit gegenüber das Weibliche als absolut unterlegen dargestellt wird.

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Im Zeichen der Geschichte

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Das Kapitel »Die Königin im Krieg« widmet sich den komplexen weiblichen Figuren der Afrikanischen Trauerspiele Lohensteins, Cleopatra und Sophonisbe. Der Zugang zur Cleopatra (hier wird die Erstfassung von 1661 zugrunde gelegt) wird über das simulierte Sterben gesucht, durch das die Königin Antonius in den Selbstmord treibt. Durch diesen »zweiten Körper der theatralischen Täuschung« läßt Cleopatra sichtbar werden, »daß die Simulation zu den Geschäftsgrundlagen ihres politischen Handelns gehört« (S. 104). Das Imaginäre erweist sich in der Verdoppelung der Täuschung als Grundprinzip des theatralischen Genres an sich. Gleichzeitig verweist es direkt auf die Funktion des tatsächlichen Todes der ägyptischen Herrscherin am Ende. Indem Oktavian dieser ein Erinnerungsbild errichten will, streicht er noch einmal den bloß imaginären Charakter ihrer Herrschaft heraus, die schließlich zugrunde gehen muß unter dem Diktat eines männlichen Potentaten, der im politischen Prudentismus noch versierter agiert als die an sich schon staatskluge Cleopatra. Oktavian verklärt Cleopatras »politische Ohnmacht durch die Mittel der Kunst« (S. 110). Insofern ist selbst die ägyptische Königin, als klug herrschende weibliche Figur par excellence, eine bloße Stellvertreterin für eine männlich dominierte Dynastie.

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Die Figur der Sophonisbe (1666) stellt Alt als eine Kontrastfigur zu Cleopatra dar, da sie wie Medea im Affekt der Verzweiflung handelt, sogar zunächst ihre Kinder tötet und damit ihr eigenes Königtum auslöscht, die Dynastie zerstört. Aber auch hier zeigt sich in einem größeren geschichtlichen Rahmen zwar nicht sie als Person, jedoch ihre Dynastie gewissermaßen stellvertretend für eine finalistische Geschichtsordnung – wie übrigens ebenfalls in der Cleopatra, bedenkt man den Schlußreyen. Da nämlich Sophonisbe noch einer anderen paganen und mythischen Ordnung einer archaischen Kultur angehört, deren Opferrituale sie und ihre Kinder in den Tod treibt, bedeutet ihre Selbstauslöschung, wie auch diejenige Cleopatras, den Triumph der römischen Zivilisation, teleologisch vorbestimmt und verankert in der Idee der translatio imperii, verkörpert durch den römischen Feldherrn Scipio.

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Im Zeichen des Triebes

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Das Kapitel »Die Königin unter dem Gesetz der Natur« verfolgt Spuren der politischen Theologie zunächst unter anderem in Christians Weises Trauerspiel Der gestuerzte Marggraf von Ancre (1681). Das Stück thematisiert die Position der Maria von Medici, die wiederum als Stellvertreterin ihres noch minderjährigen Sohnes Ludwig regiert. Die Besonderheit liegt darin, daß Maria von Medici ihre Rolle nicht pflichtgemäß ausführt, nicht wahrhaft stellvertretend handelt, sondern fast unmerklich an ihre Stelle ihren bevorzugten Berater Concini rücken läßt. Diese Pflichtvergessenheit und Fragilität, ausgelöst durch die auch von Erotik bestimmte Bindung an den Marquis von Ancre, hat schließlich zur Folge, daß ihr erst sechzehnjähriger Sohn Ludwig Concini ermorden und seine Mutter in die Verbannung schicken läßt. Das Stück zeigt durch diesen Fall, daß das Interregnum allein von der Königin ausgeführt werden darf, weil die Herrschaft dann in Gefahr gerät, wenn sie ihre Souveränität nicht pflichtgemäß einsetzt, sondern ihre Befugnisse delegiert. Es unterstreicht damit die Rolle der weiblichen Herrscherin als Stellvertreterin, betont aber auch die Fragilität weiblichen Herrschertums.

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Als vergleichbare Figur wird Lohensteins Agrippina im gleichnamigen Trauerspiel (1665) betrachtet. Diese wird noch in weitaus höherem Grade Opfer ihrer eigenen Triebhaftigkeit. Hatte sie aus Herrschsucht bereits ihren eigenen Ehemann ermorden lassen, so entwickelt das legendäre inzestuöse Verhältnis zu Nero sich zu einem den Status quo massiv gefährdenden Manöver. Die Auslöschung Agrippinas, die zu mächtig geworden war, »soll den politischen Körper Neros vom Diktat einer weiblichen Macht befreien, die nach dem Verständnis des 17. Jahrhunderts als Prinzip des Gebärens an den Rand der souveränen Herrschaft vordringen, niemals aber deren innere Grenzmarkierungen überschreiten darf« (S. 145). Wollte Nero mit der Ermordung der eigenen Mutter seine Souveränität zementieren, hat er doch dem Trieb und dem Grausamen weiterhin Raum gegeben, wie die Geschichte bewiesen hat. 4 Mit Agrippina vergleichbar ist die Figur der Kiosem in Lohensteins Ibraim Sultan (1673), die am Ende das Opfer ihrer eigenen durch Gewalt errichteten Strukturen wird.

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Schließlich thematisiert Hallmanns Catharina (1684) das Schicksal der Katharina von Aragon, die von ihrem Gemahl Heinrich VIII., der eine neue Ehe mit Anne Boleyn einging, entmachtet wurde. Offizieller Grund für Katharinas Entmachtung war, daß sie keinen Thronfolger gebären konnte. Hallmanns Stück ergreift Katharinas Partei, indem es als eigentlichen Grund für ihre Entmachtung Heinrichs Wollust erkennt. Es desavouiert Katharinas Absetzung und die offizielle Idee, daß nur eine gebärfähige Regentin ein Recht auf die offizielle Stellvertretung der Monarchie hat, als Schein. Offiziell wird die Scheidung biopolitisch begründet, in Wahrheit jedoch steht sie unter dem Diktat des diesmal männlichen Triebes.

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Im Zeichen des Scheins

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Das letzte dramenanalytische Kapitel »Die Königin im Reich des Scheins« betrachtet die Figuren der englischen Königinnen Elisabeth I. und Maria Stuart besonders in Dramen Riemers und Haugwitz’. Alt zeigt zunächst, wie in England Literatur und bildende Kunst den problematischen Status Elisabeth I. zu verklären suchen. Sie ist als weibliche Regentin deshalb besonders interessant, da sie zunächst nach der Hinrichtung ihrer Mutter Anne Boleyn (1536) von ihrem Vater Heinrich VIII. für illegitim erklärt und 1544 durch einen Parlamentsbeschluß zur Thronfolge zugelassen wurde, schließlich durch ihren beständigen Eheverzicht die Erbfolge und die Dynastie wissentlich gefährdete. Insofern war sie, wie Alt belegt, von Anfang an daran interessiert, durch politische Rhetorik und durch Taten ihrer Herrschaft nicht den Charakter eines Interregnums zu verleihen. Dafür dienten auch Selbstinszenierungen in der bildenden Kunst, die den Eindruck einer ihr Land liebenden Gemahlin erweckten und ihre mütterlichen Eigenschaften hervorkehrten (vgl. S. 176 f.).

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Ebensolche Bemühungen sind in der literarischen Produktion, in der Panegyrik, aber auch in Maskenzügen und in Balletten zu beobachten. Schließlich wird ein »mehrgeschlechtliches Profil« inszeniert (S. 180), eine »Amazone mit männlich-weiblichen Zügen« (S. 181). Ein Schein der Androgynie wird hergestellt, der ihre Macht erst ermöglicht. Entsprechend und mit dem Ziel mythischer Verklärung allegorisieren zeitgenössische Porträts sowie Shakespeares Stück Henry VIII (1612 / 13) Elisabeth I. als jungfräuliche Phönix-Gestalt, die ohne männliche Hilfe weiter für Erbfolge sorgen wird (vgl. S. 184 f.). Diese »mythische Glorifizierung gerät zum Versuch, den natürlichen durch den institutionellen Körper zu ergänzen und dem Leib eine Dauer zu implantieren, die ihn gegen juristische wie biologische Anfechtungen gleichermaßen immunisiert« (S. 187).

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Schließlich diskutiert Alt das eher negative Bild der englischen Königin in deutschsprachigen Dramen, die sich mit der Leidensgeschichte der Maria Stuart beschäftigen, wie Johannes Riemers Von hohen Vermaehlungen und Von Staats-Eifer (1681) und August Adolph von Haugwitz Maria Stuarda (1683). In Riemers Stücken wird die vor dem Hintergrund der Stellvertreterinnen-Idee zweifelhafte Herrschaft Elisabeth I. hervorgehoben, die, ohne reale Machtbefugnisse zu besitzen, die Hinrichtung Maria Stuarts befiehlt, um ihre Position zu sichern: »Riemers Elisabeth ist eine moralisch und politisch agierende Königin ohne wahre Amtswürde« (S. 193). Ihre Schwäche noch zu unterstreichen, wird hingegen Maria Stuart als unschuldiges Opfer und als Märtyrerin stilisiert. Haugwitz geht in der Negativzeichnung der Elisabeth noch weiter, wenn er sie als gefangen und abhängig von ihren sie umgebenden Beratern, zudem als unsicher und eitel darstellt. Ein neuer Aspekt tritt nun hinzu: Dem Souverän kommt zwar offiziell noch die Macht zu, jedoch halten sich die wahren Entscheidungsträger unsichtbar in den Räumen der administrativen Gewalt auf.

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Mit Hilfe von Begriffen aus Luhmanns Gesellschaftstheorie öffnet Alts Studie sich nun ein wenig der in der Forschung virulenten Frage, auf welche Weise die Literatur frühneuzeitliche Modernisierungsprozesse verhandelt, die dem Mittelalter und seiner politischen Theologie fremd waren. Ein Rätesystem »differenzierte sich so aus«, daß der Souverän nurmehr »die Funktion einer öffentlich wahrnehmbaren Symbolisierung staatlicher Herrschaft« übernimmt (S. 207). Dies ist in den Trauerspielen mit einer »Dezentrierung weiblicher Herrschaft« verbunden (S. 209). Bemerkenswert ist die Tatsache, daß ein genereller Prozeß dieser Distribution der Macht künstlich und den historischen Quellen teils widersprechend als negatives Moment beziehungsweise Resultat weiblicher, eben ungenügender Herrschaft gezeichnet wird. Da Elisabeth etwa bei Haugwitz deutlich als schwache Königin erscheint, zudem als politisch illegitim, scheint auch »die politische Theologie des Mittelalters [...] ihre funktionale Evidenz als krisenresistentes Erklärungsmuster für die Garantie monarchischer Würde eingebüßt« zu haben (S. 212), was jedoch nicht zufällig am Beispiel einer weiblichen Regentin vorgeführt wird. Diese ist de facto entmachtet, hat ihre Macht an die Berater abgegeben, wo sie arkan und unsichtbar geworden ist. Die Monarchin agiert nun endgültig nur noch zum Schein.

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Fazit

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Alts Studie demonstriert an zentralen literarischen Beispielen, mit Seitenblicken auf die bildende Kunst, wie im Trauerspiel der Frühen Neuzeit die weibliche Regentin immer mehr zu einem Opfer für die Institution des Königtums beziehungsweise am Ende für die sich herausbildenden administrativen Strukturen wird. Deutlich wird die oftmals labile Stellvertreterposition der Königin, deren Macht variantenreich bestritten wird. Alt macht sich dabei weitestgehend von den derzeit geführten Forschungsdiskussionen frei, die Fragen zu beantworten suchen nach dem Verhältnis zwischen Religion und Politik in den Trauerspielen oder zwischen traditionellem und modernem oder antik und christlich-(neu)stoischem Gedankengut ebenso wie nach konfessionellen Diskursen, etwa nach der Bedeutung der Lutherischen Theologie, besonders in den Gryphius-Dramen. 5

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Auch wenn die Frage nach dem spezifisch Tragischen der dargestellten Problematik mithin etwas offen bleibt, handelt es sich um eine gut lesbare und in ihrer Diktion und ihrem Ziel klar verfaßte Studie, die interessante neue Aspekte der Figur der weiblichen Regentin im frühneuzeitlichen Drama beleuchtet und zum Weiterforschen anregt.


Dr. Stefanie Arend
Friedrich-Alexander Universität Erlangen
Institut für Germanistik
Bismarckstraße 1B
DE - 91054 Erlangen

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Ins Netz gestellt am 09.11.2004

IASLonline ISSN 1612-0442

Diese Rezension wurde betreut von unserem Fachreferenten Prof. Dr. Dietmar Till. Sie finden den Text auch angezeigt im Portal Lirez – Literaturwissenschaftliche Rezensionen.

Redaktionell betreut wurde diese Rezension von Julia Ebeling.

Empfohlene Zitierweise:

Stefanie Arend: Tragik weiblicher Stellvertretung. (Rezension über: Peter-André Alt: Der Tod der Königin. Frauenopfer und politische Souveränität im Trauerspiel des 17. Jahrhunderts. Berlin, New York: Walter de Gruyter 2004.)
In: IASLonline [09.11.2004]
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Anmerkungen

Den Anschluß der Frühen Neuzeit an die Ideengeschichte des Mittelalters sucht der Verfasser auch bereits in seiner Studie Begriffsbilder (1995). Selbstverständlich ist dies jedoch nicht, da seit längerem in der Barockforschung, mindestens seit Harald Steinhagens Untersuchung Wirklichkeit und Handeln im barocken Drama. Historisch-ästhetische Studien zum Trauerspiel des Andreas Gryphius (1977), eine Diskussion um das Verhältnis zwischen traditionellem und modernem bzw. aufklärerischem Denken im Spiegel der barocken Tragödie geführt wird. Vgl. auch bereits Conrad Wiedemann: Barocksprache, Systemdenken, Staatsmentalität. Perspektiven der Forschung nach Barners »Barockrhetorik«. In: Internationaler Arbeitskreis für Deutsche Barockliteratur: Vorträge und Berichte (Dokumente des Internationalen Arbeitskreises für deutsche Barockliteratur I) 2. Aufl. Hamburg 1976, S. 21–51, hier S. 34. Den Anschluß an die Moderne unter einem semiologischen Aspekt sucht heute etwa dezidiert die Monographie von Nikola Kaminski Andreas Gryphius (1998).   zurück
Hilfreich wäre hier eine Klärung der Begriffe ›Naturrecht‹ bzw. ›Natur‹ und ›Natürlichkeit‹. Vgl. dazu Stefanie Arend: Rastlose Weltgestaltung. Senecaische Kulturkritik in den Tragödien Gryphius’ und Lohensteins (Frühe Neuzeit Bd. 81) Tübingen: Niemeyer 2003, S. 41–51.   zurück
Es ist jedoch die Frage, ob Catharina eine solch vorbildliche Königin zu ihren Herrschaftszeiten war. Auch sie war, ähnlich wie Leo, eine unerbittliche, vor Grausamkeiten nicht zurückschreckende Herrscherin, wie ihr langer Geschichtsbericht an die Hand gibt. Vgl. dazu schon Marian Szyrocki: Andreas Gryphius. Sein Leben und Werk. Tübingen 1964, S. 87; Peter J. Brenner: Der Tod des Märtyrers. »Macht« und »Moral« in den Trauerspielen des Andreas Gryphius. In: Deutsche Vierteljahrsschrift 62 (1988), S. 246–265, hier S. 257 f., sowie Lothar Bornscheuer: Diskurs-Synkretismus im Zerfall der politischen Theologie. Zur Tragödienpoetik der Gryphschen Trauerspiele. In: Hans Feger (Hg.): Studien zur Literatur des 17. Jahrhunderts. Gedenkschrift für Gerhard Spellerberg (1937–1996) (Chloe 27) Amsterdam-Atlanta 1997, S. 489–529, hier S. 506.   zurück
Der Sinn dieser Figur als eines Exempels der Grausamkeit und generell die Wahl des Stoffes sind auch vor dem Hintergrund der Diskussion um das antik-christlich motivierte Ideal des sanftmütigen Fürsten unter dem Primat der clementia zu sehen, die durch die frühneuzeitlichen Fürstenspiegel, den modernen Prudentismusgedanken und im Rekurs auf Senecas De clementia wieder auflebte.   zurück
Diese wird besonders in den Beiträgen des Sammelbandes Text und Konfession. Neue Studien zu Andreas Gryphius (1999) diskutiert.   zurück