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Moderne Zentren

  • Klaus Hurlebusch: Klopstock, Hamann und Herder als Wegbereiter autorzentrischen Schreibens. Ein philologischer Beitrag zur Charakterisierung der literarischen Moderne. (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 86) Tübingen: Max Niemeyer 2001. 117 S. Kartoniert. EUR 28,63.
    ISBN: 3-484-35086-5.
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Was steht im Zentrum der von Klaus Hurlebusch vorgelegten Studie? Sind es die im Titel genannten Klopstock, Hamann und Herder? Oder ist es der Weg, den sie bereitet haben sollen für spätere Autoren? Steht im Zentrum eine literaturgeschichtliche oder eine literaturtheoretische Argumentation? Oder beides? Wollte man bloß ein Zentrum annehmen, so könnte dort die These stehen, dass bereits bei Klopstock, Hamann und Herder im Zentrum ihres Schreibens der Autor und nicht bloß das Werk zu finden ist, was Hurlebusch als Charakterzug der Moderne auffasst.

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Was steht im Zentrum:
Autor oder Werk?

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Die Crux der Studie ist die Frage, in welchem Verhältnis das Schreiben in der Moderne zum Autor und zum Werk stehen. 1 Hurlebusch wird mit der Charakterisierung des modernen literarischen Schreibens als einem Schreiben, das sich nicht mehr (allein) von seiner Fokussierung auf ein Werk verstehen lässt, sicherlich auf breite Zustimmung stoßen. Schwieriger wird es allerdings, wenn er in der Moderne zugleich eine Schwerpunktverlagerung vom werkzentrischen zum autorzentrischen Schreiben postuliert.

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Bevor wir uns den Problemen dieses Postulats zuwenden, gilt es festzuhalten, dass es Hurlebusch, dem Leiter der Klopstock-Arbeitsstelle und Mitherausgeber der Hamburger Klopstock-Ausgabe, mit der Studie gelungen ist nachzuweisen, dass das Schreiben Klopstocks, Hamanns und Herders nicht in dem Maße auf ein Werk fixiert ist, wie es gemeinhin für Autoren jener Zeit angenommen wird. Hurlebusch geht indes noch einen Schritt weiter und behauptet, dass beim modernen Schreiben, als dessen Wegbereiter er Klopstock, Hamann und Herder ansieht, der Autor die zentrale Stellung des Werkes übernimmt. Bei dieser, wie Hurlebusch schreibt, »Verschiebung des Gewichts vom Werk auf den Autor« (S.14) sind Zweifel angebracht.

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Zweifelhafte Bevorzugung
des Autors

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Kehren die Probleme zwischen modernem Schreiben und Werk nicht wieder im Verhältnis von Schreiben und Autor? Ist es nicht ein und dieselbe Tendenz, die Tendenz zum Prozesshaften, Fragmentarischen, Unvollendeten, Kleinen oder Zerteilten, die nicht bloß das Werk aus dem Zentrum modernen Schreibens drängt, sonder auch den Autor? Bei Hurlebusch kann sich der Autor im Zentrum halten, weil er selbst als etwas Prozesshaftes, Unabgeschlossenes angesehen wird; das Werk als Statisches und Abgeschlossenes hingegen vermag dem Ansturm der Moderne nicht standzuhalten.

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Beide Charakterisierungen sind polemische Zuspitzungen, welche in der Studie den Grund legen für die Gegenüberstellung und Differenzierung von Autor und Werk. Dagegen ist einzuwenden, dass Autor und Werk in der Moderne derselben Dialektik unterliegen, die sie einerseits in ihrer Ganzheit und Abgeschlossenheit – denn auch die Vorstellung vom Autor als einer abgeschlossenen oder zumindest auf Vollendung ausgerichtet Entität ist zumindest diskutabel – gefährdet und die andererseits neue Formen von Autor und Werk generiert.

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Mag die Abgeschlossenheit dem Werk noch tiefer eingeprägt sein als dem Autor, so müssen wir doch mit Franz Kafkas Romanfragment Das Schloss oder Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften literarische Erzeugnisse annehmen, die trotz ihrer Unabgeschlossenheit mehr sind als bloß unvollendete Texte. Vielmehr sind es Texte oder eben Werke, welche die Vollendbarkeit von Texten oder Werken grundsätzlich in Frage stellen.

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Vorzüge des
emphatischen Autorbegriffs

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Der emphatische Begriff des Autors, den Hurlebusch vertritt, hat jenseits der kritischen Einwände zwei Vorzüge, die nicht unerwähnt bleiben sollten:

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1. Seine Thesen zum Autor sind Provokation sowohl für den Teil der Literaturwissenschaft, die den Autor als wichtige Bezugsgröße ihrer Arbeit weitgehend verabschiedet hat, als auch für jene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die recht unreflektiert Autor, Werk und Text in ihren Untersuchungen amalgamieren. Die Provokation könnte im besten Falle eine durchaus Erfolg versprechende Diskussion über die Rolle und den Begriff des Autors im Schreiben der Moderne initiieren.

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2. Hurlebusch verbindet mit dem autorzentrischen Schreiben wie auch mit den literaturwissenschaftlichen Untersuchungen, die den Spuren jenes Schreibens nachforschen, eine Hinwendung zu den Handschriften, die dem aktuellen Stand editionsphilologischer Überlegungen entspricht. Er verbindet also die Privilegierung der Wiedergabe von Faksimiles bzw. der textgenetischen Transkription, die sich nicht der Illusion hingeben, letztgültigen Aufschluss über den Entstehungsprozess geben zu können, mit einer Hinwendung zur »ursprüngliche[n] textgenetische[n] Wahrnehmung des Autors« (S. 72 f.). Mit gleichem Recht könnte indes in dem Zusammenhang von einer Hinwendung zum bloßen Text gesprochen werden, ohne besondere Bevorzugung von Werk oder Autor.

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Dialektik zwischen Autor
und Werk

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Trotz einer gewissen Tendenz zur verabsolutierenden Gegenüberstellung von Werk und Autor vermag Hurlebusch durchaus einige dialektische Verästelungen des ambivalenten Verhältnisses von Autor und Werk nachzuzeichnen, ohne indes die Bevorzugung der autorzentrischen Betrachtungsweise aufzugeben. So schreibt er:

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Die beiden Wege schöpferischen Schreibens bestanden und bestehen nicht einfach nebeneinander; in den Köpfen der Autoren sind sie spannungsvoll als alternative Verhaltensmöglichkeiten aufeinander bezogen. (S. 42)
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Die Bevorzugung des Autors in Zweifel ziehend, ließe sich die Frage anschließen, ob der spannungsvolle Bezug »in den Köpfen der Autoren« nicht ebenso im Text, der Handschrift oder dem Werk – wie ab- oder unabgeschlossen es auch sein mag – zu finden ist.

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Das Katastrophale im Verhältnis von Werk und Autor, dass sie sich gegenseitig bedingen – was ist ein Werk ohne Autor, was ein Autor ohne Werk? – und daher beim schreibenden Einholen ihrer Voraussetzungen beständig mit der eigenen Grundlosigkeit konfrontiert werden, ist ein wichtiges Thema in den literaturtheoretischen Überlegungen Maurice Blanchots, der in der Studie unerwähnt bleibt. 2 Dabei hätte es durchaus fruchtbar sein können, mit Blanchot die paradoxalen Konsequenzen auszuloten, wenn. ein »starker Werkwille«, wie Hurlebusch schreibt, »häufig mit einem starken Wunsch nach Prominenz und Repräsentanz verbunden« ist (S. 42).

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Leise und laute Lektüre

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Als ein Exkurs zum zentralen Abschnitt über die Wegbereiter der modernen autorbezüglichen Poesie (S. 12–20) versteht sich der gesamte 2. Teil der Arbeit mit seiner Untersuchung zum Verhältnis von »lautem Lesen« und »stiller Lektüre«. In diesem Abschnitt wird weitgehend deskriptiv das Verhältnis mehrerer Autoren zur Dichterlesung dargestellt: von Friedrich Klopstock über Franz Werfel und Stefan Zweig bis hin zu Peter Rühmkorf und Ernst Jandl. Hurlebusch ist daran gelegen zu zeigen, dass trotz des Triumphzuges der »stillen Lektüre« das »laute Lesen« auch in der Moderne eine wichtige und zu wenig gewürdigte Rolle einnimmt. Sofort einsichtig ist, dass bei einer Dichterlesung der Autor präsenter ist als bei der stillen Lektüre. Die Erfahrung der Literatur bei einer Lesung ist eine andere, oder, wie Hurlebusch schreibt:

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Im lauten Lesen kommen sinnliche und soziale Erlebniskräfte zur Entfaltung, die unter der Vorherrschaft der kognitiven Einstellung in der stillen Lektüre unwirksam bleiben. (S. 89)
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Zu fragen ist einerseits, inwiefern ein solcherart verstandener Autorbezug tatsächlich kennzeichnend für die Moderne und nicht vielmehr ein unter der Ägide der stillen Lektüre vernachlässigtes Phänomen der Erfahrung von Literatur ist. Andererseits wird nicht ganz klar, wie sich dieses Phänomen in den Kontext des modernen Schreibens und seines Verhältnisses zu Autor und Werk einfügt. Hier zeigt sich eine gewisse Unstimmigkeit im Verhältnis von Teil und Ganzem, die auch bei einigen Zitaten zu bemerken ist. So ist der »Sprachkult des Autors«, den Hurlebusch im Stück die humanisten von Ernst Jandl zu entdecken vermeint, nicht bloß »mimisch verfremdet«, sondern es handelt sich vielmehr um den Sprachkult der aufs Korn genommenen, sich zu »Humanisten« aufspielenden »Deutschtümler«, die mit dem Autor nicht allzu viel gemein haben.

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Zu Laut und Inszenierung

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Mag von Hurlebusch im zweiten Teil auch nicht hinreichend geklärt werden, welche Relevanz das »laute Lesen« für die Beschäftigung mit literarischen Texten hat, so wirft er damit doch einige noch zu klärende Fragen in der Literaturwissenschaft auf. Da wäre zum einen das Verhältnis von Literatur und Inszenierung. Welches inszenatorische Potential ist der grundsätzlich auf Offenheit gerichteten Literatur inhärent und welche Rolle spielt dabei die Inszenierung des Autors?

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Zum anderen stellt sich damit die ewigjunge Frage nach dem Verhältnis von Laut und Bedeutung. Welche Folgen hat eine besondere Beachtung des expressiven Ausdrucksmoments von Literatur und Sprache bei einer auf Sinnkonstitution gerichteten Deutung? Hier wäre indes ein Moment von Sprache angesprochen, das nicht an das »laute Lesen« oder die Präsentation eines Textes durch eine Dichterlesung gebunden ist, höchstens dadurch illustriert wird. Mit der Illustration wiederum wäre man zurück bei der Frage nach der Inszenierung, bei der das Verhältnis von lautem Lesen im Gegensatz zur »stillen Lektüre« eine wichtige Rolle spielen könnte.

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Fazit

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Das Dreiecksverhältnis von Schreiben, Werk und Autor, wie Hurlebusch es darstellt, ist und bleibt problematisch und vermag nicht vorbehaltlos zu überzeugen. Positiv hervorzuheben ist demgegenüber das Thetische in seiner Studie, insofern es ein kommunikatives ist. Die Studie liest sich als Beitrag einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung über die Rolle des Autors im Schreiben der Moderne, die noch zu führen wäre. Zweifelsohne besteht die Gefahr zwischen den Stühlen aufgerieben zu werden, denn von Seiten einer Literaturwissenschaft, die den Autor fokussiert, verstört Hurlebuschs Eintreten für das Unfertige, Unabgeschlossene, für den Text oder die Handschrift, die nicht von einem Werkzusammenhang her gedacht werden. Von Seiten der Textphilologie, die dieses Engagement mit Hurlebusch teilt, verstört sein Plädoyer für eine autorzentrische Perspektive. Zu wünschen wäre von allen Seiten ein besonnener Umgang, der Hurlebuschs Thesen nicht nutzt, um durch deren Widerlegung die eigene Position zu zementieren, sondern um bestimmte Selbstverständlichkeiten in der Arbeit zu hinterfragen. Selbstverständlich ist weder die literaturwissenschaftliche Praxis im Allgemeinen, noch im Besonderen die Bestimmung dessen, was Zentren des modernen Schreibens sein könnten.



Anmerkungen

Hurlebusch hat zu diesem Thema bereits einen überaus lesenswerten Artikel verfasst, der zudem einen guten Überblick über die Geschichte der Editionsphilologie gibt (Vgl. Klaus Hurlebusch: Den Autor besser verstehen: aus seiner Arbeitsweise. Prolegomenon zu einer Hermeneutik textgenetischen Schreibens. In: Hans Zeller / Gunter Martens (Hg.): Textgenetische Edition (Beiheft zu editio 10) Tübingen: Niemeyer 1998, S. 7–51).   zurück
Einige Essays von Maurice Blanchot sind auf Deutsch auf mehrere Sammelbände verteilt veröffentlicht. Für das angesprochene Thema ließe sich die wichtige Abhandlung »Die Literatur und das Recht auf den Tod« von 1947 anführen (Vgl. Maurice Blanchot: Von Kafka zu Kafka (übersetzt von Elsbeth Dangel; das 1. Kapitel wurde von Clemens-Carl Härle übersetzt, dessen Übersetzung überarbeitet wurde). Frankfurt / M.: Fischer 1993, S. 11–54).   zurück