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Schwankroman revisited

  • Johannes Melters: »ein frölich gemüt zu machen in schweren zeiten ...«. Der Schwankroman in Mittelalter und Früher Neuzeit. (Philologische Studien und Quellen 185) Berlin: Erich Schmidt 2004. 313 S. 28 Abb. Kartoniert. EUR (D) 39,80.
    ISBN: 3-503-07908-4.
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1957 hatte Hanns Fischer in seinem kleinen Beitrag zu des Strickers Der Pfaffe Amîs den Begriff ›Schwankroman‹ als Gattungsbezeichnung für diejenigen Schwanksammlungen vorgeschlagen, die einen einheitlichen Helden und ein biographisch geordnetes Erzählgerüst aufwiesen, und somit den älteren Begriff ›Narrenbücher‹ (Bobertag) durch einen glücklicheren substituiert. Der Amîs erschien in diesem Licht als Prototyp der Gattung, der je nach Beobachter zwischen sieben und zehn über das gesamte Spätmittelalter bis zum Lalebuch verteilte Texte zuzurechnen sind: Frankfurters Geschicht des Pfaffen vom Kalenberg, die deutschen Bearbeitungen des Dialogs von Salomon und Markolf, der niederdeutsche Bruoder Ruosche, Neithart Fuchs, sodann Ulenspiegel, Peter Leu, Krügers Hans Clawert und Büttners Claus Narr. Die Gattungsbezeichnung setzte sich gegen Widerstände langsam durch, vor allem auf Grund von Werner Röckes grundlegender Monographie Die Freude am Bösen. Studien zu einer Poetik des deutschen Schwankromans im Spätmittelalter (1987).

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An dieser Stelle setzt die Duisburger Dissertation von Johannes Melters ein. Ausgehend von der These, die Gattungsbezeichnung sei noch nicht genügend gefestigt, mithin umstritten, unternimmt er den Versuch, den Schwankroman als »planvoll gefügtes Erzählganzes« zu bestätigen und zu plausibilisieren. Dies geschieht von der Warte bislang unberücksichtigt gebliebener Ansätze her: intertextuelle Bezüge sowie mediengeschichtliche und rezeptionsästhetische Gesichtspunkte bestimmen die Untersuchung.

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Inhalt

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Die Monographie gliedert sich in sechs Kapitel: nach einer kurzen Einleitung und einem Forschungsüberblick (I und II) folgen vier größere Teile, die sich paarweise gruppieren. Zwei Kapitel (III und IV) beziehen sich auf Gattungsfragen im engeren Sinn und beleuchten theoretische und mediengeschichtliche Fragestellungen (»Gattung als ästhetisch-kommunikative Vermittlungsform«), die dann in Fallstudien an den Einzeltexten bearbeitet werden (»Gattungssignale und Systemreferenz des Schwankromans«); zwei weitere Kapitel beschäftigen sich mit gattungsexternen, kulturgeschichtlichen Problemen (V: »Die Gesichter des Helden« und VI: »Schwankroman und Narrendiskurs«). Ein kurzes Resümee und ein Literatur- und Abbildungsverzeichnis beschließen den Band.

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Ziele

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Wer eine Arbeit zum Schwankroman als Gattung vorlegt, muss sich daran messen lassen, was er im Vergleich zu Röckes Standardwerk an Neuem und Anderem zu bieten hat. Melters geht dabei eine riskante Gratwanderung ein: einerseits ist er gezwungen, Fischers und Röckes These von der Zugehörigkeit der besprochenen Texte zur Gattung ›Schwankroman‹ zu bestätigen und zu erhärten, andererseits muss er sich von beiden in wichtigen Punkten distanzieren, um nicht den Sinn des gesamten Unternehmens zu gefährden. 1

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Die Arbeit setzt sich in diesem Zusammenhang zwei Ziele: eine Forderung Rüdiger Schnells einlösend will sie einerseits Texte wie das Eulenspiegel-Buch »stärker in der Gattungstradition der Schwankliteratur [...] betrachten« (S. 17) und andererseits die bis heute für komische Literatur des Mittelalters geläufige Dichotomie von utilitas und delectatio aufbrechen, indem sie zu belegen versucht, dass der Schwankroman ein Beispiel für delectatio ohne utilitas ist. Dazu dient die Hauptthese des Buches, die Gattung habe vor allem erheiternde und unterhaltende Zwecke erfüllt und sei der Komik verpflichtet. 2 »Gattung« erscheint in diesem Licht als »ästhetisch-kommunikative Vermittlungsform«.

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Problematische Gattungsfragen

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Die für die Legitimation des Buches axiomatische Annahme, die Gattungsbezeichnung ›Schwankroman‹ habe sich »noch nicht wirklich im gesamten Diskurs des Faches [...] etablieren können« (S. 11) erscheint zumindest gewagt – nicht nur vor dem Hintergrund der breiten Aufnahme des Begriffs und seiner Etablierung in Handbüchern und Lexika. 3 Etwas später gibt der Verfasser allerdings im Gegensatz zu der in der Einleitung formulierten Annahme zu, dass »sich die Bezeichnung ›Schwankroman‹ in der Forschung durchgesetzt hat«. Nun bemängelt er jedoch, »dass es den Verfassern der Handbücher einige Probleme bereitet, den Gattungsbegriff in eine stringente Gattungsgeschichte zu überführen, bzw. dem Gattungsbegriff einen einheitlichen Kanon zuzuschreiben« (S. 36).

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Wer sich je mit Gattungstheorie auseinandergesetzt hat, weiß, dass dieses Postulat einer »stringenten Gattungsgeschichte« und des »einheitlichen Kanons« ein Hirngespinst jener Philologen ist, die ihren wissenschaftlichen Auftrag darin sehen, eine Textreihe vollständig, gründlich, akkurat und für alle Zeiten miteinander zu vertäuen. 4 Auch bei den homogensten Verhältnissen und der überzeugendsten Gattungstheorie wird es immer Texte geben, die etwas abseits stehen, die nicht ganz, aber doch dazugehören, auf die die meisten der Gattungsmerkmale, aber nicht alle, zutreffen. Die Literaturwissenschaft hat sich seit etwa dreißig Jahren daran gewöhnt, mit diesen ›unreinen‹ Verhältnissen zu leben, Gattungsüberschreitungen zu tolerieren, einmal aufgestellte Genretheoreme wieder in Frage zu stellen und zu relativieren. 5 Nicht anders verhält es sich auch beim Schwankroman, den Strohschneider in Anlehnung an Derridas Loi du Genre als »Kontamination« von Schwank und Roman gleichermaßen beschreibt: 6 auch hier sind die (mehr oder weniger) zugehörigen Texte formal und inhaltlich durchaus heterogen.

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Die vorliegende Untersuchung jedoch scheint mit ihrer selbst gestellten Forderung der stringenten Gattungsgeschichte das bereits erreichte Niveau der Problematisierung des Schwankromans wieder zu verlassen. Rasch wird dem Leser deutlich, dass sich der Verfasser nicht sehr lange mit neueren gattungstheoretischen- und poetologischen Forschungen aufgehalten hat. Dementsprechend schwammig erscheint auch sein Postulat von der Gattung als ästhetisch-kommunikativer Vermittlungsform. Was damit gemeint ist, wird auf der kaum mehr als eine Seite umfassenden Erläuterung nur schwer erkennbar: anhand von intertextuellen Verweisen will er zeigen, dass eine Art unausgesprochenes Gattungsbewusstsein 7 vorhanden war, welches die Texte unabhängig von formalen und inhaltlichen Kriterien aneinander bindet und sie im »literarischen Leben des Spätmittelalters« verortet. (S. 47)

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Melters stellt sich die Gattung ›Schwankroman‹ als ein rein historisches, an den historischen Rezipienten geknüpftes Phänomen vor 8 (was angesichts der späten Begriffsbildung und der Veränderlichkeit von Gattungsbestimmungen unzureichend ist). Er stützt sich dabei auf Bollenbecks Eulenspiegel-Untersuchung (eine Arbeit, die mehr als in einem Aspekt problematisch ist) und auf einen einzigen theoretischen Text: Hempfers Gattungstheorie von 1973. 9 Neuere Arbeiten hat er nicht zur Kenntnis genommen, obwohl das erklärte Ziel seiner Arbeit eine Diskussion der Gattungspoetik des Schwankromans und ihre Neubestimmung ist.

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Gattung als intertextuelles Zusammenspiel

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Anhand von gattungsinternen intertextuellen Bezügen, aber auch von über die Gattung hinausgehenden »Einschreibungen ... zentraler (mentalitäts-geschichtlicher) ›Figuren‹ in den Schwankroman« (S. 54) als Instrumentarium sollen die Texte untersucht werden. Daraus ergibt sich folgende »Reformulierung« des Gattungsbegriffs:

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Die Gattung des Schwankromans steht in einem Spannungsverhältnis zwischen Homogenität des Erzählten verbürgender romanhafter Struktur und heterogener Episodenstruktur, die auf unterschiedlichste Prätexte außerhalb der Gattung verweist. Die heterogene Episodenstruktur weist über die Gattung hinaus, ist zugleich aber auch konstitutiv für den Schwankroman. (S. 55)
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Hier werden mehrere unvollständige Voraussetzungen postuliert: nicht allein die romanhafte Struktur ist es, die die Homogenität des Erzählten garantiert, sondern vor allem der einheitliche Schwankheld (Fischers erstes Formkriterium), und nicht allein die Episodenstruktur verweist auf außerhalb der Gattung Liegendes, sondern gerade auch Strukturmerkmale wie Listhandeln und Komik (Fischers drittes Formkriterium). Stattdessen kommt das Proprium der Gattung hier nicht zum Vorschein, es könnte sich bei solch generellen Annahmen auch um andere episodenhafte narrative Formen, wie etwa die Bekennerlegende oder den Schelmenroman handeln. Darüber hinaus bietet die Definition nichts von dem, was der Verfasser eigentlich will, nämlich »gattungsmäßige Ähnlichkeiten [...] aus dem intertextuellen Zusammenspiel einzelner Texte« erkennen. (S. 69) Dass dies jedoch methodisch wenig durchdacht ist, ergibt sich schon aus den zuvor genannten Aporien der Gattungspoetologie, sowie aus der stets wechselnden »Instanz« der Genrebildung und der damit zusammenhängenden Schwierigkeit, das Gattungsbewusstsein bei den frühneuzeitlichen Rezipienten dingfest zu machen – erst auf Seite 264 fällt ein Satz, der an den Anfang gehört hätte: es sind »überhaupt keine zeitgenössischen Äußerungen zur Gattung festzustellen«.

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Wenn Melters die Gattung als »Kommunikationsform« festschreibt, dann kommunizieren bei ihm nur die Texte im Blick des Beobachters, nicht aber die Rezipienten dieser Texte. Dazu gehört auch, dass der Begriff der Wiedererkennung, der im Zentrum der rezeptionsästhetischen Gattungstheorien steht, nicht ein einziges Mal auftaucht. Es ist aber auch nicht so, dass der Autor ihn absichtlich und aus Gründen vermeidet, auch darüber findet sich nichts. Solche Unbedarftheit wird dann ärgerlich, wenn aus den handbuchartigen, allzu einfachen Aussagen Thesen gestrickt werden, mit denen dann die Texte traktiert werden.

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Mediengeschichte und Schwankroman

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Was die mediengeschichtlichen Aspekte der Gattung angeht, scheint der Verfasser am ehesten sicheren Boden unter den Füßen zu haben. 10 Gestützt auf Giesecke, Eisenstein und Chrisman macht er die Bedeutung typographischer Phänomene wie Titelblätter, Vorworte und weiterer Paratexte auch für den Schwankroman plausibel und bestimmt sie in ihrer normierenden und »uniformierenden« Funktion als maßgebliche Faktoren intertextueller Kommunikation und somit als gattungsprägend. Allerdings schätzt er die medialen Bedingungen als so wichtig und stark ein, dass er aus ihnen den Unterhaltungswert des Schwankromans ableiten will.

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Gemäß diesen Vorgaben werden nun im vierten Kapitel die Texte anhand von Titeln und Untertiteln, Prologen, Epilogen und Erzählerkommentaren analysiert (S. 72–104). In diesen Textteilen tauchen deutliche »Gattungssignale« und »Markierungen intertextueller Bezüge« auf. So sind Neithart Fuchs und Peter Leu jeweils als »der ander Kalenberger« gekennzeichnet worden, und auch Ulenspiegel wirkte stilbildend für spätere Romane des 16. Jahrhunderts. Daraus schließt Melters auf »ein dichtes Netz intertextueller Bezüge« zwischen den zur Gattung gehörigen Texten, so dass »die Romane textontologisch sehr wohl als eine literarische Gruppe aufzufassen sind« (S. 104), auch wenn er den Amîs und den Markolf ausnehmen muss. Mit diesem Befund kann als gefestigt vorgezeigt werden, was zuvor noch als labil und umstritten ausgegeben worden war.

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Interessant ist bei der Analyse, dass die häufig auftauchende Formel »kurtzweilig (zu) lesen« für Melters nicht nur werbestrategisch zu verstehen ist, sondern als genuiner Hinweis auf die Zugehörigkeit des Schwankromans zur »Unterhaltungsliteratur« in der frühen Neuzeit (»Paradigma der bloßen Unterhaltung«, S. 89) gewertet werden muss. Das »kurztweilig lesen« macht auch den Amîs schließlich zum Schwankroman, da er 1482 nicht mehr als satirischer, sondern als unterhaltsamer Text rezipiert wurde. So wenig neu das ist, so karg bleibt auch die Erläuterung dessen, was der Verfasser unter »Unterhaltung« versteht. Er scheint sie als (rezeptionsästhetische) Klammer für den Schwankroman anzusehen, eine Interpretation, die der Kategorie Unterhaltung – als delectatio – und somit wichtiger Funktion von Literatur allgemein sicherlich nicht gerecht wird (so kann unterhalten, was nicht als Unterhaltung konzipiert wurde, und belehren, was unterhalten soll). 11 Dahinter steht die Annahme, der Schwankroman sei die erste moderne Textgattung, bei der die Horaz’sche Dichotomie des prodesse et delectare auseinandergebrochen sei.

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Die anschließende Untersuchung der Illustrationen ist jedoch originell und ergibt einige interessante Befunde: einerseits verstärken die Bilder die Bedeutung des Schwankhelden, indem sie ihn in wechselnden Handlungsvollzügen immer wieder zeigen, wodurch ein kohärenter romanhafter Ablauf erzeugt wird, andererseits unterstützen sie auch die Episodenstruktur und somit das selektive Lesen. Spätestens an diesem Punkt ist Melters zu den strukturellen Merkmalen Fischers zurückgekehrt.

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Der polymorphe Schwankheld

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Das ändert sich auch im gesamten V. Teil nicht mehr, in dem unter dem Titel »Die Gesichter des Helden« außerhalb des Schwankromans liegende Charakteristika der Protagonisten behandelt werden. Dabei hat der Verfasser an Figuren außerhalb der Schwankromane gedacht, die jedoch in einer Art Wittgensteinscher ›Familienähnlichkeit‹ zu den Schwankhelden stehen: Hofnarren, betrügerische Außenseiter, Weise und Mahner, um »die ›Gesichter des Helden‹ vor einem intertextuellen Hintergrund zur Genüge beleuchten zu können«, wie es auf S. 169 heißt. Die Arbeit hat ihre ursprüngliche Fragestellung nun weit hinter sich gelassen und läuft im Versuch, den Texten verschiedene Aktionstypen zu unterlegen, auseinander. So erscheinen Claus Narr und Hans Clawert, Ulenspiegel und Markolf (aber nicht Neithart Fuchs und der Kalenberger!) als Hofnarren, Amîs, Clawert, Leu und wieder Ulenspiegel als »betrügerische Außenseiter«, Ulenspiegel und Rausch als Teufel, Neidhart Fuchs als Bauernfeind usw. Das ganze Kapitel zeigt nichts anderes als die bereits bekannte »Vielschichtigkeit« des Schwankhelden und trägt zur Gattungsfrage rein gar nichts bei. Die Ausführungen basieren auf bekannten typologischen Mustern und referieren notdürftig den Forschungsstand, wobei auch hier wiederum neuere Arbeiten fehlen. 12

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Ein Beispiel: auf S. 180 ff. erzählt Melters die Historie 24 des Eulenspiegelbuches vom Wettstreit des Protagonisten mit dem Hofnarren des Königs von Polen nach. An die Wiedergabe schließt sich folgender Kommentar an: »Skatologischer Witz durchzieht die Texte wie ein roter Faden, Kot stellt die – wenn man so will –›wirksamste Waffe‹ unserer Schwankhelden dar.« Schon der nächste Satz leitet über: »Aber nicht nur in Schwankromanen findet man Skatologisches. Die mittelalterliche Literatur ist voll von skatologischen Scherzen.« Hier wird nochmals das oberflächliche und wenig differenzierende Vorgehen des Autors deutlich: Themen werden angesprochen, doch fehlt es weitgehend an analytischer Durchdringung des Materials. Obschon Melters die Studie von Röcke sehr gut gelesen hat (was die zahlreichen kritischen Abgrenzungen zu ihr zeigen), erwähnt er dessen ausführliche und überzeugende Behandlung der Skatologie im Ulenspiegel im Kapitel »Formen der Körpersprache im ›Ulenspiegel‹« hier nicht. Röcke war dabei auf medizinisch-kosmologische Verweisungsbereiche der Körperauffassung, der Kotmantik, der Heilung aber auch der frühneuzeitlichen Kalkulation um Gewinn (Mittel der List) usw. eingegangen. 13

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»Schwankroman und Narrendiskurs«

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Auch das letzte Kapitel »Schwankroman und Narrendiskurs« liegt weit von den Ausgangsfragen zum Schwankroman entfernt. Was als Bearbeitung der Kontexte angedacht war, manifestiert sich als in seiner Funktion unklares und in seiner Zusammenstellung beliebiges Potpourri der materialreichen und sehr unterschiedlich ausgefächerten Narrenthematik des 16. Jahrhunderts: Foucaults medizinhistorischer Diskurs vom Wahnsinn (folie) wird kurzgeschlossen mit Sebastian Brants moraltheologischer Narrenrede sowie der komisch-obszönen Narrenfigur in Farce und Fastnachtspiel und des Dedekindschen Grobianus. Dass diese Texte das Bild des Narren ganz unterschiedlich inszenieren und benutzen, wird nicht gezeigt, sondern Grenzen werden im Dienste vordergründiger Austauschbeziehungen zum Schwankroman verwischt. Damit werden die anfänglichen Thesen und Fragen zum Schwankroman kaum geschärft: So ist etwa das Ergebnis einer sechsseitigen Besprechung von Brants Narrenschiff, dass satirischer und unterhaltender Narrendiskurs zwar zu trennen seien, aber dennoch viele Berührungspunkte hätten.

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Zusammenfassung

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Die zentrale Aufgabe einer neuen Studie zum Schwankroman bestand angesichts der historischen und quantitativen Limits der Gattung in einer originellen Fragestellung und einer neuen methodischen Herangehensweise an das Material, die sich zu bisherigen Arbeiten deutlich abgrenzt. Die vorliegende Studie formuliert diese Aufgabe jedoch unzureichend und zu wenig reflektiert, was ihrer Lösung durchaus abträglich ist. Dafür hätte es in jedem Fall einer eingehenden Problematisierung des Gattungsbegriffs bedurft, sowie einer Schärfung des Instrumentariums an den zahlreichen theoretischen Studien zu gattungspoetologischen Fragen in den letzten zwanzig Jahren, um die eigene Begrifflichkeit zu klären und historisch einzuordnen, ihren logischen Status und ihren argumentativen Gehalt zu erläutern.

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Die Studie von Johannes Melters geht stattdessen von sehr einfachen Überlegungen zur Gattung aus, die weder dem Forschungsstand noch dem Thema angemessen sind. Obschon es seit einiger Zeit in der Literaturwissenschaft Konsens ist, dass es keine neutrale Benennung essentialistischer Bestimmungen der Gattung geben kann, verfährt Melters genau so: er nimmt eine Gattungsdefinition auf der Basis historischer Kommunikationsgefüge vor, ohne einen einzigen Beleg dafür anzubringen. Weder wird dadurch das zum Schwankroman gehörige Textkorpus neu zugeschnitten, noch entstehen durch die Untersuchungen neue Ergebnisse zum Wandel seiner spezifischen Merkmale. Einzige Ausnahme: Melters kann anhand von Vorreden und Autorkommentaren zeigen, dass einige Einzeltexte miteinander durch intertextuelle Verweise verbunden sind, und dass diese Verweise medienspezifischen Charakter besitzen. Daran kann die These erhärtet werden, dass der frühneuzeitliche Schwankroman die mittelalterliche Dichotomie von delectatio und utilitas zugunsten der ersteren im Rezeptionsparadigma »Unterhaltung« auflöst, doch diese These wird in den letzten beiden Teilen leider nicht weiter verfolgt.

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Grund für die Mängel der Studie ist weitgehend die Tatsache, dass hier allzu leichtfertig mit dem Verhältnis von Theorie und ihrer Anwendung auf das Material umgegangen wird. Denn die theoretischen Abschnitte der Studie zur Gattungspoetologie, Rezeptionsästhetik, Intertextualität haben kaum analytische Kraft, da sie meist aus unterkomplexen und im Allgemeinen verbleibenden seitenlangen Referaten von Handbuchwissen bestehen, ohne zunächst auf die Fragestellungen der Studie bezogen zu sein. Daher kommt es nicht zu einer echten analytischen Durchdringung der behandelten Texte. Es bleibt bei der eher blassen summarischen Darstellung des bisherigen Forschungsstandes, ohne bestimmte Positionen ganz zu verwerfen oder zu favorisieren. Auch verzichtet Melters allzu oft darauf, im Bezug zum Forschungsdiskurs eigene Thesen zu formulieren und zu belegen, sondern stützt sich weitgehend auf bereits Gesagtes. Diese Unentschlossenheit der Vorgehensweise wirkt sich dann negativ aus, wenn es darum geht, einer stringenten Argumentationslogik zu folgen.

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Leider müssen auch zahlreiche Auslassungen und Umgehungen moniert werden: so werden beispielsweise die schwankhafte Komik oder das Lachen als Phänomen völlig ausgeklammert, obschon gerade Letzteres die schlüssigste Klammer für die »Widersprüchlichkeit« oder »Heterogenität« der Schwankhelden hätte abgeben können. 14 In diesem Zusammenhang ist es auch bedauerlich, dass die den Schwankromanen am nächsten stehenden Texte, die Schwanksammlungen des 16. Jahrhunderts (Schimpf und Ernst, Gartengesellschaft, Wegkürtzer, Rollwagenbüchlein, Katzipori usw.) kaum in den Blick geraten: sie »mussten weitestgehend unbestimmt bleiben.« (S. 273).

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Einige Teile der Arbeit sind trotz alledem durchaus anregend: die Bestätigung der Gattung ›Schwankroman‹ über mediengeschichtliche Analyseverfahren (Typographische Präsentation und Illustrationen) und intertextuelle Verweise (»Gattungssignale«), sowie einzelne Abschnitte des fünften und sechsten Kapitels (etwa die Zusammenfassung von Herman Pleijs niederländischen Arbeiten zur Blauwen Schuit). Ob sie jedoch ausreichen, um der Studie ein Profil zu geben, das in der Forschung Bestand haben wird, mag bezweifelt werden.



Anmerkungen

Röcke hatte die »ästhetischen und historischen Veränderungen« als Maßstab für seine Analyse genommen, und die gemeinsamen formalen und inhaltlichen Merkmale in der Formulierung der »Darstellung und Abschwächung des ›Gemeinen und Niedrigen‹« bestimmt (S. 275).   zurück
Melters spricht in diesem Zusammenhang auch vom »Paradigma der bloßen Unterhaltung« (S. 89) als einer rezeptionsästhetischen Kategorie, ohne jedoch genauer auszuführen, in welcher Weise sich die Ablösung der topischen Nützlichkeitsfunktion von Literatur beim Publikum vollzieht.    zurück
RL (Fricke / Grubmüller / Müller / Weimar) Bd. 3 1999, Sp. 410 ff; LexMA VII, Sp. 1616–19; Grundkurs Literaturgeschichte (Hg. Frey / Raitz / Seitz) Bd. 3 1980, S. 92–113; Lit. Lex. (Hg. Brunner / Moritz) 1993, S. 306 f.; Dt. Lit. Eine Sozialgesch. (Hg. Bennewitz / Müller) 1991, S. 180–95; Umso problematischer wird Melters’ Einschätzung, wenn er behauptet, der Begriff »Volksbuch« sei heute anerkannter als »Schwankroman«.   zurück
So ist seit längerem klar, dass nicht nur die Gattungen selbst, sondern auch die Kategorien des Sprechens über Gattungen ständiger Veränderung unterworfen und somit historisch sind. Mit der Evolution von Gattungen ereignet sich auch die Evolution von Gattungskonzeptionen, wobei sich beide Prozesse gegenseitig bedingen.    zurück
So wurde für Gattungen die Möglichkeit immer wieder neuer Grenzziehungen erkannt, sodass Bachtins »hybride Gattung« fast zur Regel wird. Vgl. Gérard Genette: Genres types, modes. In: Poétique 47 (1977), S. 389–421.   zurück
Peter Strohschneider: Schwank und Schwankzyklus. Weltordnung und Erzählordnung im ›Pfaffen vom Kalenberg‹ und im ›Neithart Fuchs‹. In: Klaus Grubmüller u.a. (Hg.): Kleinere Erzählformen im Mittelalter. Paderborn 1988, S. 152; Jacques Derrida: La loi du genre. In: Glyph 7 (1980), S. 176–201. Derrida hatte formuliert, dass die Regeln einer Gattung immer schon einer anderen Gattung angehören und sie somit in einer »Art von Teilnahme ohne Dazugehörigkeit« kontaminieren.   zurück
Genette hat in seinen Arbeiten seit 1977 versucht, eine flexible Taxonomie von Kategorien zu schaffen, durch deren Kombination sich literarische Gattungen identifizieren lassen. Dabei ist der Begriff des Gattungsbewusstseins wichtig. Doch diesen Begriff benutzt Melters nicht, obwohl es ihm erklärtermaßen um Kommunikationsstrukturen zwischen Text und historischen Rezipienten geht. Erst Veränderungen in der Konfiguration des Gattungsbewusstseins entscheiden darüber, wie sich das Bündel ihrer Merkmale verteilen und welche Merkmale es im System gewinnen wird.    zurück
Was sich später bestätigen wird: es ist von einer »Gattungserwartung des zu rekonstruierenden realen Lesers auszugehen«. S. 104.   zurück
Georg Bollenbeck: Till Eulenspiegel. Der dauerhafte Schwankheld. Zum Verhältnis von Produktions- und Rezeptionsgeschichte. Stuttgart 1985; Klaus W. Hempfer: Gattungstheorie. Information und Synthese. München 1973.   zurück
10 
Den Buchdruck als prägenden Gestaltungsfaktor für das Eulenspiegel-Buch hatte Schulz-Grobert bereits ausführlich untersucht, und somit Jan-Dirk Müllers (1985) Forderung von der Verbindung buchgeschichtlicher und literaturwissenschaftlicher Fragestellungen eingelöst. Vgl. ebd. S. 26 ff.   zurück
11 
Vgl. dazu den Art. »Unterhaltung« von Markus Fauser im RL Bd. 3 Sp. 729 ff.    zurück
12 
Das ausführlichste Muster bei Melters ist der Hofnarr, wobei sich der Autor auf die Studien von Lever und Mezger bezieht. Neuere Arbeiten zum Hofnarren (etwa Hans Rudolf Velten: Komische Körper. Zur Funktion von Hofnarren und zur Dramaturgie des Lachens im Spätmittelalter. Zeitschrift für Germanistik N.F. Jg. XI (2001) H. 2, S. 292–317; Beatrice K. Otto: Fools are Everywhere. The Court Jester Around the World. Chicago / London 2001; oder aus historischer Sicht Edgar Barwig / Ralf Schmitz: Narren – Geisteskranke und Hofleute. In: Bernd-Ulrich Hergemöller (Hg.): Randgruppen der spätmittelalterlichen Gesellschaft. Ein Hand- und Studienbuch. 2. Aufl. Warendorf 1994, S. 220–252) kommen nicht in den Blick.   zurück
13 
Vgl. Röcke S. 245 ff.   zurück
14 
Vgl. dazu die Arbeiten zum Verhältnis von performativen und textuellen Formen der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Lachkultur im Sfb 447: Kulturen des Performativenl, Berlin, veröff. in ZfG NF. XI (2001) u. Paragrana 10.1 (2001).    zurück