IASLonline

Die Kosten der Moderne

Der homo oeconomicus in der europäischen Literatur

  • Bernd Blaschke: Der homo oeconomicus und sein Kredit bei Musil, Joyce, Svevo, Unamuno und Céline. München: Wilhelm Fink 2004. 412 S. Kartoniert. EUR (D) 52,00.
    ISBN: 3-7705-3882-X.
[1] 

Zur Einführung / Gang der Untersuchung

[2] 

Die hier anzuzeigende Dissertation ist unter der Betreuung Gert Mattenklotts an der FU Berlin entstanden. Sie befasst sich mit »Figurationen des Ökonomischen« (S. 11) in fünf exemplarischen Werken der literarischen Moderne, die sie »gründlich, textnah und ausführlich zu dokumentieren« (S. 12) verspricht: Miguel de Unamunos La Niebla, James Joyces Ulysses, Italo Svevos La Coscienza di Zeno, Robert Musils Mann ohne Eigenschaften sowie Louis-Ferdinand Célines Voyage au bout de la nuit. Die Leitthese seiner Untersuchung solcher »Inszenierungen der Ökonomie« ist also bewusst eher undeutlich formuliert, um sich Optionen offen zu halten: bei einem solch umfassenden Thema erscheint das auch als durchaus sinnvoll.

[3] 

Der Studie zugrunde liegt Jochen Hörischs Theoriegeschichte der modernen Leitmedien, nach der Geld in der Form des stets »prekären, instabilen Kredits das metaphysisch-religiöse Credo beerbt« (S. 13), um dann seinerseits im 20. Jahrhundert seine Funktion als Leitmedium an die elektronischen Medien abzugeben. 1

[4] 

Der Verfasser nimmt zunächst eine umfangreiche »Inventur« des Forschungsstand ›Literatur und Ökonomie‹ vor, die in dieser Vollständigkeit bisher noch nicht geleistet worden ist, sich in einzelnen Punkten allerdings schon auf Vorläufer berufen kann. 2 Für die Literaturwissenschaft wohl am wirksamsten, das wird auch bei Blaschke wieder deutlich, waren zweifellos Marc Shells Arbeiten The Economy of Literature (1978) und Money, language, and thought. Literary and philosophic economies from the medieval to the modern era (1993). Obwohl ihnen nahezu jeder Autor, auch Blaschke, immer wieder seine Referenz erweist, bilden sie allerdings weniger ein Organon für weitere Untersuchungen als vielmehr gelegentlich halsbrecherische intellektuelle Vexierspiele 3 , die man nur entweder akzeptieren oder anlehnen kann.

[5] 

In einem eigenen Kapitel gibt der Autor einen, eher knappen, Überblick über den Forschungsstand, was eine in den USA seit längerem diskutierte Frage angeht: inwiefern nämlich nationalökonomische Texte selbst literarischen Mustern gehorchen und welche Konsequenzen das für ihren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit hat (S. 386 ff.).

[6] 

Eine Studie zu Ökonomie und Literatur (nicht nur in der Moderne) kann kaum ohne eine anthropologische Basis auskommen, denn die Literatur hat auch im nur wirtschaftenden stets den ›ganzen Menschen‹ im Blick. Als Leitparadigma hat Blaschke daher den »homo oeconomicus« gewählt, also das Modell eines stets und in allen Lebenslagen rational und auf die Maximierung des Eigenwohls bedachten Wesens. Dieses Modell entwickelt Blaschke solide aus der einschlägigen neueren Monographie von Gebhard Kirchgässner 4 und der älteren, doch einflussreichen Arbeit von Alfred Fey 5 .

[7] 

Nun handelt kein Mensch, auch und gerade in der Wirtschaft nicht, ausschließlich nüchtern-rational. Daher stellt der Verfasser dem homo oeconomicus eine weitere Kategorie an die Seite, die die Charaktere des modernen Romans ebenso prägt: der Kredit (S. 25 ff.). »Kredit« wird hier in einem sehr umfassenden Sinn verstanden, nämlich als »grundlegende Beziehung des Glaubens, der Akkreditierung, die nicht nur als Zeit- und Zeichenstruktur moderner Wirtschaft fundamental ist« (S. 24). Ein Modell, das Blaschke auch erzähltheoretisch fruchtbar zu machen sucht, geht doch ›die Moderne‹ von einem traditionellen Modell der Repräsentation im Verhältnis 1:1 über, etwa in der Person des unzuverlässigen Erzählers oder auch der abstrakten Malerei. 6

[8] 

Zu fragen wäre nun, wie sich das zentrale Paradigma der Studie, nämlich das Modell des »homo oeconomicus«, der aber andererseits auch der produktiven Verausgabung fähig sein soll, in der konkreten Textarbeit bewährt. Als Nicht-Romanist möchte ich das im Folgenden besonders an den Kapiteln zu Joyce und Musil besprechen (die auch die beiden umfangreichsten der ganzen Arbeit sind) und Céline nur kurz erwähnen.

[9] 

Pfennigökonomien und Grenzkosten:
die Paradigmen Joyce und Musil

[10] 

Beim Ulysses konzentriert sich Blaschke auf das vorletzte, das sogenannte ›Katechismus‹-Kapitel, das wie kein anderes des Buches dem Gedanken einer ›Fundamentalinventur‹ verpflichtet ist. Bloom ist Anzeigen-Aquisiteur, ein Beruf, der nach Blaschke die Abkehr von einer kreislaufförmigen, nicht verschwendenden Ökonomie der viktorianischen Zeit hin zu einer konsumorientierten, von Marketingstrategien geprägten Ökonomie des 20. Jahrhunderts versinnbildlicht. Was das Ökonomische angeht, so ist Bloom überwiegend mit den normalen täglichen Ausgaben befasst, deren Zusammenstellung in einem budgetären Rahmen am Anfang des ›Katechismus‹-Kapitels steht.

[11] 

Dem gegenüber steht Blooms Traum vom eigenen Haus, das allerdings unrealistisch viel Geld verschlingen würde, so dass Joyce seinen Helden sogleich in allerlei Metamorphosen zeitgenössischer Finanzmagnaten erscheinen lässt: »[...] Blum Pasha, Rothschild, Guggenheim, Hirsch, Montefiore, Morgan, Rockefeller [...]«(U 17.1746, zit. nach Blaschke, S. 150). In diesen Omnipotenzphantasien, die Bloom sich vorgaukelt und die letztlich zu einem erholsamen Schlaf führen sollen, sieht Blaschke, nach Ansicht des Rezensenten etwas übertrieben, ihre »sublime Relativierung« durch »Re-Inskription in die bescheidene Ökonomik des körperlichen Energie-Haushalts!« (S. 151). Obwohl Bloom durch den Besitz von Sparguthaben und Wertpapieren finanziell relativ gesichert ist, beschwört der Erzähler gleichwohl die Folgen des Ruins für Bloom. Im Unterschied zu Homers Odysseus würde Bloom im Falle einer Rache an seinem Nebenbuhler Blazes Boylan nicht auf Gewalt setzen (etwas, was Joyce selbst immer schon an Odysseus irritiert hatte), sondern auf kalkuliert juristische Mittel (S. 154). Wie sehr Bloom auch an der Kontrolle kleinerer Geldbeträge interessiert ist, zeigt sich daran, dass er Stephen nicht die genaue Summe zurückgibt, die er von dem Betrunkenen in Verwahrung genommen hat, sondern sie um einen Penny aufrundet und Stephen so ein Geschenk macht. Stephen dagegen ist an ökonomischen Fragen im engeren Sinne gar nicht interessiert. Wo das Geld herkommt, interessiert ihn nicht: »Doesn’t matter a rambling damn« (U 15.3616, zit. nach Blaschke, S. 157 bzw. S. 181 ff.). Der Erzähler schließlich stellt Blooms Einladung an Stephen, doch die ganze Nacht in seinem Haus zu verbringen, als ein für beide Seiten vorteilhaftes Geschäft dar.

[12] 

Nach diesen einleitenden Aufführungen widmet der Verfasser nun jeder der drei Hauptfiguren ein eigenes Kapiteln: Bloom, dessen Vater in Konkurs und Selbstmord endete, Blooms Verhältnis zur katholischen Kirche (S. 169 ff.), der er ihre allzu diesseitige Ökonomie übel nimmt; der non-homo oeconomicus Stephen und schließlich Mollys eigentümlichem Schwanken zwischen kleinlichen Pfennigfuchsereien einerseits und göttinnengleicher Großzügigkeit nicht nur in monetären Dingen.

[13] 

Insgesamt wird deutlich, wie sehr ökonomische Fragen den Roman bis in die kleinsten Verästelungen von Struktur, Inhalt und besonders der Figurenkonstellation prägen. Gerade in der Fülle der behandelten Textstellen aber verzettelt sich auch Blaschke immer mehr in den übertragenen Untersuchungskategorien von ›Tausch‹ und ›Gabe‹: hier wäre weniger mehr gewesen.

[14] 

Im Musil-Kapitel gelingen dem Verfasser die vielleicht interessantesten Einsichten, nach Ansicht des Rezensenten so weitreichend, dass sie eine Beschränkung der Arbeit auf Musil hätten gerechtfertigt erscheinen lassen. Es wird deutlich, wie sehr Musils Roman, noch mehr als Ulysses, von fundamental ökonomisch geprägtem Gedankengut geprägt ist, nicht nur in den im engeren Sinne nationalönomisch-politischen Diskursen, sondern gerade auch in den Beziehungen zwischen den Geschlechtern, den philosophischen Abschnitten und in den Diskursen zu Religion und Mystik.

[15] 

Im Rekurs auf andere Texte und Aufzeichnungen Musils gelingt dem Verfasser der Nachweis, wie sehr sich Musil des Nebeneinanders von »Kalkül und Leidenschaft« (um Joseph Vogl zu zitieren) in der Moderne bewusst war und wie er den Wechselwirkungen zwischen Geld und dem Menschen der Moderne nicht nur in seinem großen Romanprojekt, sondern auch in einer Vielzahl von kleineren Schriften immer wieder nachspürte.

[16] 

Musil entwirft nach Blaschke eine »duale Kulturtheorie«, die auf einer grundsätzlich »pessimistischen Anthropologie« (S. 277) beruhe. Sie betrachtet den Menschen als ein rein auf den Eigennutz fixiertes Wesen. Die Weltgeschichte ›spekuliert‹ dabei entweder mit Ideen (Musil nennt das »hausse«) oder mit List und Gewalt (für Musil die »baisse«: S. 413, zit. nach Blaschke, S. 279). Der Roman wendet sich ausdrücklich gegen die Vermischung von materiellen und geistigen Dingen:

[17] 
Auf diese Welt hat eine Schwankung des Baumwollpreises, eine Senkung des Mehlpreises mehr Einfluß als eine Idee. U.[lrich] widerstreitet dem nicht. Er ist nur gegen die Vermengung. (1886, zit. nach Blaschke, S. 278)
[18] 

Bereits von Anders, einer frühen Ausprägung Ulrichs, heißt es, dass er den »Tatsachensinn« besaß und deswegen die »Hartgeldseele eines Kaufmanns« höher schätzte als die des »großen zeitgenössischen Lyrikers Friedel Feuermaul« (1989, zit. nach Blaschke, S. 276). Analog dazu erscheint auch, wie Blaschke ausführt, der nüchterne homo oeconomicus Fischel, verglichen mit Arnheim, als positivere Figur, eben weil Arnheim ständig Baumwoll- bzw. Mehlpreise und Ideen miteinander vermischt. Beide Figuren, Fischel und Arnheim, unterzieht Blaschke jeweils eindringlichen Analysen.

[19] 

Dass Musil mit der Grenznutzentheorie vertraut war, vermag Blaschke sowohl an Passagen aus dem »Mann ohne Eigenschaften« als auch an Musils Rezension »Wertphilosophie eines Outsiders« zu belegen, in dem der Autor (wohl auch von Ernst Machs Philosophie) Inspiriertes zum Menschen als Individuum einerseits und zu seiner Stellung in der Gesellschaft andererseits formuliert (wegen seiner Bedeutung für das Musilsche Werk sei es hier in voller Länge wiedergegeben):

[20] 
Angebot und Nachfrage, Mehrwert, Grenznutzen, Tausch, Rentabilitätsprinzip u.dgl. lassen sich heute nicht nur auf materielle Güter, sondern zufolge unserer sozialen Verhältnisse, die jeden Menschen aufs engste mit der Wirtschaft verflechten, zwanglos auch auf die seelischen und »hohen« Güter, auf Liebe, Moral, Ideale, Kunst usw. anwenden. Auch diese sind Werte, die privat und öffentlich bewirtschaftet werden, und es ist die Grenze schwer anzugeben, jenseits deren ein Menscheninneres nicht auf die Wirtschaft horcht, sondern noch auf sein sokratisches Daimonion. (zit. nach Blaschke, S. 281, Fn. 16)
[21] 

Hier leistet Blaschke nun auch eine Vermittlung zwischen literarischem und nationalökonomischem Diskurs (S. 281 f.), 7 die man sich, in Anbetracht der Fülle des Materials, noch ausführlicher gewünscht hätte.

[22] 

Es ist erstaunlich, dass Blaschke bei der Analyse von Célines Reise ans Ende der Nacht wesentlich weniger Gehaltvolles zutage fördert, und man fragt sich, warum das wohl so ist. Denn natürlich ist der Roman von Anklagen gegen alle Formen der modernen Ökonomie geradezu imprägniert, sind Ausfälle gegen die zeitgenössische Wirtschaft, das Bürgertum und die Gesellschaft auf nahezu jeder Seite präsent.

[23] 

Den Hauptgrund dafür benennt Blaschke aber vielleicht schon selbst: Bardamu, Hauptfigur und Ich-Erzähler des Romans, ist eben kein homo oeconomicus und die »Differenz zwischen Arm und Reich, die den Roman strukturiert« (S. 345) scheint, jedenfalls für den Analyserahmen von Blaschkes Studie, weniger herzugeben, als die differenzierteren ›Ökonomien‹ bei Joyce und Musil – was natürlich über den literarischen Werk des Textes an sich gar nichts besagt.

[24] 

Eine Untersuchung der Texte vor dem jeweils zeitgenössischen akademischen (und vielleicht auch außerakademischen 8 ) wirtschaftswissenschaftlichem Diskurs findet, entgegen der Ankündigung des Verfassers, nur im Fall Musil statt. Das entsprechende Kapitel der Arbeit, das wohl den theoretischen Rahmen setzen sollte und das überschrieben ist mit »Wirtschaftswissenschaftliches Denken 1900–1933, Geschichte der Doktrinen«, ist in keiner Weise adäquat und schon gar keine Geschichte der Doktrinen – was sich auf nur dreieinhalb Seiten auch nur schwer verwirklichen ließe.

[25] 

Um ein solches Vorhaben zu verwirklichen, wären auch enorme Studien und ein ebensolches Kombinationspotential erforderlich. Denn die Situation in den einzelnen Ländern stellt sich doch recht unterschiedlich dar. Während etwa das Spanien Unamunos zur wirtschaftswissenschaftlichen Theoriebildung so gut wie nichts beigetragen hat, war in den anderen Ländern die Moderne auch und gerade auf nationalökonomischem Gebiet mit sehr wirkungsmächtigen Paradigmen bereits in vollem Gange. Für Österreich wäre etwa Carl Menger mit der Grenznutzentheorie zu erwähnen, die über die Traditionslinie Mises – Hayek – Rothbard nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur in den USA sehr erfolgreich war; in England wirkten Jevons und Stanley, in Frankreich Persönlichkeiten wie Leon Walras und Charles Gide, in Italien Vilfredo Pareto. Vor dem Hintergrund dieser Differenzen scheint der Fokus dieser Studie für eine Dissertation doch nicht scharf genug eingestellt zu sein.

[26] 

Fazit und Ausblick

[27] 

Jede Arbeit zum Themenbereich »Geld und Literatur« sieht sich großen Schwierigkeiten gegenüber. Gibt es doch praktisch keine menschliche Handlung, auch nicht die anscheinend altruistischste, die nicht als irgendwie ›ökonomisch‹ geprägt interpretiert werden könnte. Das Wissen darum setzt sich im 19. Jahrhundert allmählich durch. So lässt sich etwa Max Stirners Der Einzige und sein Eigentum von 1845 auch und gerade als ökonomischer Traktat lesen: das Eigentum ist hier zugleich juristischer Begriff und Bezeichnung für die höchste Stufe der Individualität. Später wird Nietzsche in der Genealogie der Moral ökonomisches Denken und Handeln als den Beginn des menschlichen Handelns überhaupt verstehen:

[28] 
Preise machen, Werthe abmessen, Äquivalente ausdenken, tauschen – das hat in einem solchen Maasse das allererste Denken des Menschen präoccupirt, dass es in einem gewissen Sinne das Denken ist [...]. 9
[29] 

Für Freud, der als junger Mann John Stuart Mills ökonomische Schriften übersetzt hatte, bezeichnet das »Ökonomische« in einem ähnlich umfassenden Sinne alles,

[30] 
was sich auf die Hypothese bezieht, daß die psychischen Vorgänge im Umlauf und in der Verteilung einer meßbaren Energie (Triebenergie) bestehen, die erhöht oder verringert werden und anderen Energien äquivalent sein kann. 10
[31] 

Blaschke erkennt richtig, dass ein motiv- bzw. themengeschichtlicher Ansatz älterer Provenienz für eine Arbeit zu diesem Thema nicht ausreicht, also eine Beschränkung auf Texte, die sich im engeren Sinne auf Geld beziehen. Ebenfalls mit Recht wird ausgeführt, dass es auch nicht ausreiche, lediglich eine ökonomische Theorie, etwa die marxistische, auf die Texte zu übertragen. Angebracht wäre eher eine Art ›literarische Anthropologie‹ des modernen wirtschaftenden Menschen, wie sie schon in der (deutschen und europäischen) Aufklärung und Romantik immer wieder vorgenommen wurde. Diese Anthropologie hätte dann auch dem von Georg Simmel (und dann wieder von Luhmann aufgegriffenen) formulierten Paradoxon Rechnung zu tragen, dass nämlich die Moderne einerseits aus hochgradig individualisierten Individuen besteht, die aber andererseits in einer, alle früheren Gesellschaftsformen weit überschreitenden Weise, mit einer Unmenge anderer Individuen zwangsläufig verbunden sind – die Rede von der ›Massengesellschaft‹ greift also viel zu kurz.

[32] 

Der Wert der Arbeit wird allerdings nicht unbeträchtlich gemindert durch sprachlich-stilistische Eigenheiten, die dem Leser immer wieder Kopfschütteln abnötigen: da wird »systematisch beforscht« (S. 29), werden auch einmal »Überlegungen [...] aus dem Rahmen der Studie evakuiert« (S. 31). Immer wieder macht sich auch eine bei längerer Lektüre doch recht enervierende Vorliebe des Verfassers für die Diskussion erzähltheroretischer Fragen in ökonomischen Ausdrücken bemerkbar. Den Abriss der Forschungslage »Inventur« zu nennen, mag ja noch angehen (»Akkreditierung« und »Diskreditierung« des Erzählers, vgl. auch das Kapitel zur Sprache im »Ulysses«, S. 205 ff.). Aber wenn dann später Erzähler »akkreditiert« werden oder wenn Musil angeblich »Modellierungen des homo oeconomicus als rationaler Aktanten akkreditierte« (S. 271) – dann kann das kaum noch eine heuristische Bedeutung entfalten.

[33] 

Bescheidenheit ist überhaupt die Sache des Autors nicht und mit Bekenntnissen geizt er nicht: so hält er selbst seine Textauswahl für »perfekt« (S. 30), ja seine Studie »hat ein Herz für Banker und Kaufleute« (S. 302) und Marc Shell selbst hat ihm 1996 Diverses »erzählt« (S. 64, Fn. 90). Wir erfahren auch, dass sich seine Sympathien für Botho Strauss »in engen Grenzen halten« (S. 60, Fn. 202). Auch ist Dankbarkeit gegenüber Anregern und Lehrern eine schöne Sache. Die dürfte aber dezenter ausfallen als in der Fn. 43 auf S. 16, in der sich Blaschke bei Jochen Hörisch, dem nach Ansicht des Verfassers überhaupt »anregendsten ökonomistischen Geisteswissenschaftler« (S. 84) für ein positives Gutachten bedankt, das zur »generösen Studienstiftungs-Finanzierung dieser Arbeit beitrug.« 11

[34] 

Der Spaß hört allerdings auf, wenn zur Charakterisierung der Haltung Leopold Blooms dem Geld gegenüber die Äußerung »Lieber totsein als wie ohne Geld« eines der Gladbecker Geiselgangster von »ca. 1990« und das dann auch noch so ganz nebenbei »aus dem Gedächtnis zitiert« wird (beide Zitate S. 153, Fn. 25): eine (dazu völlig unnötige) Geschmacklosigkeit, die sich kein Autor erlauben und die kein Lektor übersehen sollte! 12

[35] 

Auch sollte man eine Internetquelle nicht nach dem Namen der Hauptdomäne zitieren (15, Fn. 14), sondern mit ihrer speziellen URL und unter Angabe des Datums, wann diese Seite zuletzt besucht wurde.

[36] 

Insgesamt lässt einen die Arbeit Blaschkes mit der Überzeugung zurück, dass der beste literaturwissenschaftliche Zugang zu dieser hochkomplexen (da praktisch alle Bereich menschlichen Wirkens einschließende) Materie ein diskursanalytischer 13 bzw. ein vom New Historicism geprägter 14 sein dürfte. Auch Niklas Luhmanns Auffassung des Geldes als eines ›symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums‹, dem er leider, im Unterschied zu Macht, Vertrauen und Liebe, keine eigene Studie gewidmet hat, harrt noch der literaturwissenschaftlichen Auswertung. Allen diesen Zugängen gemeinsam ist die Möglichkeit einer Re-Kontextualisierung des Texte auf einer anthropologisch-historischen Basis. Ergänzt werden müsste sie allerdings um eine Narratologie, die die künstlerischen Mittel angemessen würdigt, die eingesetzt werden, um die besonderen Sensibilitäten der Autoren und der Charaktere im Umgang mit Geld zu erhellen. Und schließlich wäre es auch erfreulich, wenn sich die Wirtschaftswissenschaften entsprechenden kulturwissenschaftlichen Fragestellungen noch mehr öffnen würden: sie wären mit Sicherheit heilsame Korrektive gegen allzu selbstverliebte theoretischen Sandkastenspiele!



Anmerkungen

Vgl. dazu nur Jochen Hörisch: Gott, Geld, Medien. Studien zu den Medien, die die Welt im Innersten zusammenhalten. Frankfurt/M. 2004. Dass im strengen Sinne von einer Ablösung nicht gesprochen werden kann, dass vielmehr Religion und Ökonomie im 20. Jahrhundert ganz neue überraschende Verbindungen, sozusagen zum Wohle beider, eingehen, zeigen etwa die Ausführungen bei Friedrich Wilhelm Graf: Die Wiederkehr der Götter. Religion in der modernen Kultur. München: Beck 2004, bes. S. 19 ff. (»Religiöser Pluralismus im Marktmodell«), S. 58 (über die strukturellen Zusammenhänge zwischen Kapitalismus und Religion, »Credo und Kredit, Sündenschuld und Bankschulden, Gotteslehre und Geldtheorie«) sowie S. 179 ff. (»Gottes Stimme auf globalen Märkten«). Sehr pointiert und ebenfalls aus theologischer Sicht: Douglas S. Meeks: God the Economist. The Doctrine of God and Political Economy. Minneapolis: Augsburg Fortress 1989. Statt wie Hörisch von einer Ablösung der Hostie durch das Geld zu sprechen oder wie Kenneth Burke vom Geld als einem »god term«, muss wohl eher konstatiert werden, dass der alte, kultisch geprägte Zusammenhang zwischen Ökonomie und Religion in immer wieder neuen Variationen weiterlebt.   zurück
Besonders zu erwähnen wäre hier neben der in Anm. 3 genannten Arbeit von Achermann das 1996 erschienene Buch von Enrik Lauer zu Goethes literarischem Monetarismus mit außerordentlich gehaltvollen Ausführungen zu Geldtheoretikern von Simmel bis Luhmann – hinter denen allerdings der ›anwendungsbezogene‹ Teil zu Goethe deutlich zurückbleibt. Vgl. Enrik Lauer: Literarischer Monetarismus. Studien zur Homologie von Sinn und Geld bei Goethe, Goux, Sohn-Rethel, Simmel und Luhmann. St. Ingbert: Röhrig Universitätsverlag 1996.   zurück
Hier hat Blaschke die sehr gelungene Diskussion der Thesen Shells bei Eric Achermann: Worte und Werte. Geld und Sprache bei Gottfried Wilhelm Leibniz, Johann Georg Hamann und Adam Müller. Tübingen: Niemeyer 1997, S. 43–46 übersehen. Die Arbeit erscheint allerdings im Literaturverzeichnis.   zurück
Gebhard Kirchgässner: Homo Oeconomicus. Das ökonomische Modell individuellen Verhaltens und seine Anwendungen in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. 2., überarbeitete Auflage. Tübingen: Mohr Siebeck 2000.   zurück
Vgl. zum homo oeconomicus auch die Ausführungen bei Karl Homann und Andreas Suchanek: Ökonomik. Eine Einführung. Tübingen: Mohr Siebeck 2000, bes. S. 414 ff.   zurück
Niklas Luhmann hatte bereits darauf hingewiesen, dass die »bürgerliche Gesellschaft den alten wahrheitsaffinen Techne-Begriff der Kunst aufgeben und den heute verbindlichen ›ästhetischen‹ Kunstbegriff ausbilden musste, als parallel zur Kunst Geld eine größere und eigenständige Bedeutung gewann.« Vgl. N. L.: Knappheit, Geld und die bürgerliche Gesellschaft. In: Jahrbuch für Sozialwissenschaft. Bd. 23 (1972), S. 187–210, hier S. 197.   zurück
Dem Einfluss der Grenznutzenlehre etwa auf Wittgenstein widmet sich die im Erscheinen begriffene Studie von Roderick T. Long: Wittgenstein, Austrian Economics, and the Logic of Action: Praxeological Investigations. London: Routledge.   zurück
Allerdings wohl überwiegend im anglo-amerikanischen Kulturkreis. Vgl. dazu Persönlichkeiten wie Ezra Pound oder auch Ayn Rand, die beide versucht haben, ökonomisches Denken im Sinne einer wirklichen umfassend verstandenen ›politischen Ökonomie‹ wieder ›unter die Leute zu bringen‹: Pound besonders in The ABC of Economics (zuerst erschienen 1934, bis heute bei New Directions lieferbar), Ayn Rand ihre Philosophie des »Objektivismus«, unter wirtschaftswissenschaftlichem Gesichtspunkt eine Apologie der uneingeschränkten Marktwirtschaft, in dem in den USA sehr weit verbreiteten und einflussreichen Roman Atlas Shrugged (zuerst erschienen 1957). Vgl. dazu auch die Homepage des Ayn-Rand-Instituts: http://www.aynrand.org/site/PageServer [16.05.2006].   zurück
Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe. Bd. 5. München: dtv 1980, S. 306.   zurück
10 
So der Eintrag »Ökonomisch« bei Laplanche / Pontalis: Wörterbuch der Psychoanalyse, Frankfurt/M. 1999, S. 357 f. Von den bekannten Gold=Kot-Gleichungen sei hier einmal abgesehen.   zurück
11 
Vgl. auch die Hörisch gewidmete, zwischen Anerkennung und Kritik chargierende Fn. 43, S. 169 f.   zurück
12 
Der Verfasser bringt sogar noch die Clinton / Lewinsky-Affaire unter (S. 156, Fn. 31)!   zurück
13 
Vgl. dazu beispielhaft die Studie von Joseph Vogl: Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen. München: diaphanes 2002.   zurück
14 
Vgl. etwa die auch von Blaschke eingehend gewürdigte Arbeit von Walter Benn Michaels: The Gold Standard and the Logic of Naturalism. Berkeley et al: University of California Press 1987.   zurück