IASLonline

Die Wiener Genesis revisited

  • Barbara Zimmermann: Die Wiener Genesis im Rahmen der antiken Buchmalerei. Ikonographie, Darstellung, Illustrationsverfahren und Aussageintention. (Spätantike - frühes Christentum - Byzanz: Reihe B, Studien und Perspektiven 13) Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert 2003. 336 S. 92 s/w, 8 farb. Abb. Gebunden. EUR (D) 49,00.
    ISBN: 3-89500-319-0.
[1] 

Bereits der Untertitel macht deutlich, dass das Buch aus einer Dissertation, also aus einer akademischen Fingerübung herausgewachsen ist. Natürlich, die Erwartungen sind hoch gesteckt: Ist es möglich, neue Erkenntnisse aus dem sattsam bekannten Meisterwerk der spätantiken Buchmalerei, der Wiener Genesis, zu gewinnen? Zählt die Handschrift zu den vielen Werken, welche man zu kennen meint, die aber mehr Rätsel in sich bergen als Antworten und Lösungen? Im Untertitel scheint die Autorin, von sich aus schon den ersten Rückzieher vollzogen zu haben und dem eigenen grossen Wurf der Analyse der Wiener Genesis »im Rahmen der antiken Buchmalerei« zu misstrauen.

[2] 

Die Forschungsgeschichte

[3] 

Wer sich in die antike Buchmalerei einführen lassen will, der greife zu diesem Buch. Die Darstellung der Forschungsgeschichte wird klar ausgebreitet (S. 54–59), verbunden mit einem überaus hilfreichen »Überblick über die antike Buchmalerei« (S. 9–53), darin auch eingeschlossen »die mittelalterlichen Bibelhandschriften, deren Archetyp in der Spätantike vermutet wird« (S. 47–50). Dieses Unterkapitel greift etwas zu kurz, oder anders ausgedrückt, die Überschrift kommt etwas zu großspurig daher; das Thema würde ja ein eigenes, mehrbändiges Buch füllen. Gerne folgt man den Ausführungen der Autorin, wie sie Forschung und Mythos der Wiener Schule auseinander hält. Wer den Duft einer der Wiener Schulen geschnuppert hat, weiß, was dies bedeutet.

[4] 

Der Beschreibung der Handschrift und der Miniaturen wird unendlich viel Raum gewährt (S. 60–185), wogegen die »Auswertung« (S. 186–219) knapp ausfällt. Die Schatten der Connoisseurship fallen auf die »Überlegungen zu den Malerhänden«, als ob wir in der Lage wären, die Malerhände zu unterscheiden; klar gibt es die krassen Unterschiede, die schon vom Kolorit her ins Auge fallen, aber selbst dies: Dürfen wir daraus Schlüsse ziehen? Immerhin, die Autorin reduziert die bisher eruierten elf Maler auf deren sechs und schränkt ein: »Allerdings lässt […] der konkrete erhaltene Befund […] keine sichere Aussage zu, und die Grenze der sinnvollen Annäherung scheint damit erreicht« (S. 223), womit der letzte Abschnitt dieser Besprechung bereits vorweggenommen ist. Den Kapiteln »Der Entstehungsprozess« und »Ergebnis« sei hier am Schluss besonderes Augenmerk gewidmet. Sinnvollerweise wird nur eine knappe Bibliographie angefügt, welche die wichtigsten Autoren aus der unendlichen Flut herausschält, mit einer Ausnahme: Auch wenn die Langhausmosaiken von Santa Maria Maggiore in Rom als die einzige Parallele zur Darstellungsweise in der Wiener Genesis herangezogen werden (S. 231), bleibt eine forschungsgeschichtlich relevante Arbeit unerwähnt, diejenige von Karl Schefold aus dem Jahr 1939. 1 Seine Folgerungen sind heute zwar nicht mehr haltbar, doch seine Sichtweise hatte der Forschung wesentliche Impulse verliehen.

[5] 

Purpur

[6] 

Dass Purpur nicht einfach Purpur ist, also nicht aus dem Saft der Purpurschnecke gewonnen wurde, vermutete schon Otto Mazal, und Robert Fuchs vermochte bisher noch in keiner Handschrift den echten Purpur zu entdecken. Darum geht es aber auch gar nicht, sondern darum, dass man den Eindruck von Purpur vermitteln wollte, dieser Farbe von höchster Repräsentation, dem byzantinischen kaiserlichen Hof vorbehalten. Die Autorin gibt sich sicher, oder vielleicht zu sicher? »Aus paläographischen Gründen ist […] die östliche Herkunft der Handschriftengruppe gesichert […] aus dem syro-palästinensischen Raum […]. Auch die Datierung in das 6. Jh. n.Chr. gilt heute als gesichert« (S. 66). Die Datierung trifft sicherlich zu, der Lokalisierung möchte man gerne auch zustimmen, wie wir es für den Purpurpsalter, Zentralbibliothek Zürich, RP 1, auch tun, doch weshalb sind wir da so sicher? 2

[7] 

Die Miniaturen

[8] 

Der Hauptteil des Buches ist der vergleichenden Beschreibung der Miniaturen gewidmet. Die eigentliche Beschreibung im wörtlichen Sinn wirkt ausufernd, zumal auf verschiedene Faksimile-Ausgaben verwiesen werden kann; auch im Buch selbst sind einige, gut gelungene, Farbtafeln beigefügt (über den Wert der schwarzweißen Abbildungen lässt sich streiten). Bild für Bild wird nach dem gleichen Schema analysiert, was das Buch vom Lesebuch zum Nachschlagewerk mutiert, sicherlich eine mögliche Methode, doch verbaute sich die Autorin so die Chance, alle ihre vielfältigen Erkenntnisse geschlossen zu präsentieren. Das starre Schema – Text (Mazal folgend), Bild, Deutungen, Vergleiche, Resultate – erweist sich als starres Prokrustesbett von rein akademischem Wert; man wünschte sich, die Autorin würde ein zweites Buch verfassen, in einem gut lesbaren Fließtext, welcher sich auf die vorliegende Arbeit stützen kann.

[9] 

Auswertung, Ergebnis

[10] 

Die Wiener Genesis hat kein Nachleben in mittelalterlichen Zyklen gefunden (S. 187). Die Autorin betont noch einmal die Eigenständigkeit des Wiener Zyklus, vor allem weil die Bilder in engem Bezug zum – abgekürzten, redigierten – Bibeltext stehen. Im Unterschied dazu ist die Josefsgeschichte fast ungekürzt geschrieben, was einen anderen Bildrhythmus ergibt. Zimmermann kritisiert die Herleitung von einem Archetyp in Form eines illustrierten Rotulus mit Wurzeln in der jüdischen Bildtradition (S. 193). Gerade hier wäre der Ansatz Schefolds mit seiner Herleitung von einer griechischen Bilderbuchrolle aus der Zeit der ersten vermuteten hellenistischen Septuaginta-Illustrationen hilfreich gewesen (s. Anm. 1). Beim Vergleich der illustrierten Purpurhandschriften wird deutlich, dass die Langhausmosaiken von S. Maria Maggiore die nächste Parallele bilden (S. 212–217 unter der Rubrik »4.4.2.b. [sic!] Die Darstellungsweise der Langhausmosaike von S. Maria Maggiore«). Dies erstaunt, da ja die stadtrömische Autorschaft der Mosaiken und des Vergilius Vaticanus (Cod. Vat. Lat. 3225) nicht wegdiskutiert werden kann. Es kommt dazu, dass zwei Jahrhunderte die beiden Zyklen voneinander trennen.

[11] 

Noch erstaunlicher fällt das Resultat in die Augen, dass die Wiener Genesis jede theologische Aussage vermeidet – oder doch in sich stimmig, wenn man sie als weltlichen, als kaiserlichen Auftrag taxiert. Etwas zu beiläufig wird dies auch von S. Maria Maggiore behauptet: »Die dort erzählte Bildergeschichte kommt gänzlich ohne Text aus. Ihre Einzelbilder entbehren – bis auf wenige Ausnahmen […] – ebenfalls der theologischen Bedeutungsebene« (S. 219). Die »Ausnahmen« – Abraham und Melchisedek, der Durchzug durch das Rote Meer, aber auch die Szene in Jericho mit Rahab und andere sind so außerordentlich signifikant in ihrer Bildsprache wie in ihrem liturgischen Ort in der Kirche, dass der Vergleich mit dem Wiener Zyklus auf einen kleinen, unbedeutenden gemeinsamen Nenner schrumpft.

[12] 

Die allerletzte Schlussfolgerung Zimmermanns vermag zu gefallen, dass man nur nach einem Archetypus eines spätantiken Bibelzyklus suchen kann, wenn man alle Medien – Mosaiken an Wänden und auf Böden, Triumphsäulen, Buchrollen, Codices, Wandmalereien (wohl auch Schnitzereien und Glasmalereien) – als Quellen berücksichtigt. »Die Buchmalerei, speziell die in der Spätantike aufkommenden Prachtcodices, konnten alle Mittel der Darstellung nutzen und adaptieren, und damit war der Bild- und Buchgestaltung formal kaum Grenzen gesetzt« (S. 236), treffend und anschaulich formuliert. In diesem Stil geschrieben, wünschte man sich das magistrale, auf die vorliegende Publikation aufbauende, Buch von Barbara Zimmermann.

[13] 

Nach wie vor, auch nach der Lektüre dieses Buches, lässt sich der einen entscheidenden Tatsache nicht widersprechen: Wir wissen, dass wir nichts, oder doch nur sehr wenig wissen.



Anmerkungen

Karl Schefold, Altchristliche Bilderzyklen: Bassussarkophag und Santa Maria Maggiore. In: Rivista die Acrheologia Cristiana 16, 1939, S. 289–316.   zurück
Edoardo Crisci und Christoph Eggenberger bereiten eine Publikation zu RP 1 vor.   zurück