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Theatrum eruditorum

Zum ersten Band von Herbert Jaumanns
Handbuch Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit

  • Herbert Jaumann: Handbuch Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit. Band 1: Bio-bibliographisches Repertorium. Berlin, New York: Walter de Gruyter 2004. XVI, 721 S. Gebunden. EUR 158,00.
    ISBN: 3-11-016069-2.
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Prolog

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Der Anspruch des Handbuchs Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit verschlägt dem Interessierten den Atem: ein bio-bibliographisches Repertorium in einem Band, zu einer Makroepoche, dann auch noch in europäischen Ausmaßen und das alles von einem einzigen Autor. Ein solches Buch zwingt zur Ehrfurcht vor dem gewaltigen Zettelkasten, der da geplündert wurde, aber auch zur distanzierten Betrachtung ob des Selbstbewusstseins, das sich hinter diesem Anspruch verbirgt.

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Das Personal

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Mit ›Frühe Neuzeit‹ meint Jaumann den Zeitraum etwa zwischen dem 15. und der Mitte des 18. Jahrhunderts, 1 wobei herausragende Persönlichkeiten der Renaissance aus dem 14. Jahrhundert mitaufgenommen sind. So findet sich ein Eintrag etwa zu Petrarca (1304–1374), während der ein knappes halbes Jahrhundert zuvor geborene Dante (1265–1321) dann doch fehlt. Problematischer verhält es sich mit der ›Aufklärung‹ als begrenzender Epoche. Hier hat Jaumann nicht alle Autoren verzeichnet, die er hätte aufnehmen können, wenn er sich strikt etwa am Geburtsdatum orientiert hätte. So sind zwar d’Alembert (1717–1783), Diderot (1713–1784), Lessing (1729–1781) oder Mendelssohn (1729–1786) eingetragen, nicht aber der vor diesen geborene und gestorbene Rousseau (1712–1778). Dass dagegen der 1724 geborene Kant (gest. 1804) nicht erwähnt wird, lässt sich inhaltlich ja durchaus rechtfertigen: Wer greift schon zu einem Handbuch Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit, um sich über ihn zu erkundigen? Gleichzeitig gilt diese Einschränkung aber auch für die zuvor genannten Aufklärer, so dass eine Beschränkung auf die Frühaufklärung vielleicht angeraten gewesen wäre.

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Doch ist es müßig, an den zeitlichen Rändern eines solchen Unterfangens kleinkariert zu zupfen. Das Werk liefert für die Kernzeit des 15.–17. Jahrhunderts einen hervorragenden Überblick zu allen wichtigen europäischen Gelehrten und scheut sich auch nicht vor präzisen Festlegungen: »Ein Gelehrter ist eine Person, die in der Regel Institutionen des gelehrten Unterrichts durchlaufen hat und anschließend bestimmte Berufs- und Einflusspositionen einnimmt (oder einnehmen könnte) und mit bedeutenden Schriften hervorgetreten ist.« (S. VIII) Im Zentrum stehen Personen aus Süd-, Mittel- und Westeuropa, ergänzt um einige Einträge zu skandinavischen, slawischen und ungarischen Gelehrten.

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Auch im Hinblick auf das wissenschaftliche Betätigungsfeld dieser Menschen hat es sich Jaumann nicht einfach gemacht. Er begrenzt sich nicht auf die ›Wort-Gelehrten‹ aus Theologie, Rhetorik, Philosophie und Geschichte – die freilich deutlich überwiegen –, sondern führt ebenso Juristen, Mediziner, Mathematiker und Astronomen an. Dagegen verzichtet er auf Einträge zu Persönlichkeiten, die ausschließlich durch literarische oder kunstbildende Werke hervorgetreten sind. Zwar ist es eine Binsenweisheit, dass die Literatur und die bildenden Künste der Frühen Neuzeit grundlegend auf einem gelehrten Fundament ruhten, doch macht das nach Meinung Jaumanns die Schriftsteller und Künstler noch nicht zu Gelehrten. Er misst jenen lediglich »eine marginale Rolle« (S. IX) zu, was zu einer dem Werk zugute kommenden Konzentration führt.

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Die einzelnen Artikel sind folgendermaßen aufgebaut: Eröffnet wird der Eintrag mit einer Namenszeile mit Angaben zum Geburtsdatum und -ort sowie zu Namensvarianten und Pseudonymen. Darauf folgt ein prägnantes Biogramm meist im Umfang einer Spalte, dort liefert Jaumann eine knappe, werkorientierte Charakteristik. Anschließend steht die Nennung der zentralen Werke, wichtiger und gut zugänglicher Editionen und abschließend einschlägiger Literaturangaben. Die Einzeleinträge leisten damit eine zuverlässige erste Orientierung, können aber nicht die präzise Auskunft einer kritischen Bibliographie ersetzen.

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Der Schauplatz

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Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit – der Titel ist gerade in seiner Schlichtheit gut gewählt; jeder Hinweis auf den geographischen Raum wäre einer Tautologie gleichgekommen. Eben weil die Res publica litteraria europäisch situiert und lateinisch verfasst war, beschränkt sich Jaumann nicht auf den deutschsprachigen Raum oder auf das Reich, sondern liefert ein breites Panorama unterschiedlichster Interessen und gelehrter Felder. Dabei versteht er unter Gelehrtenkultur »nicht nur die intellektuelle und theoretische, sondern auch die soziale und materielle Kultur […], in der der gelehrte Autor lebt und für die er schreibt.« (S. VIII) Dass diese Situierung nicht immer unproblematisch ist, zeigt sich besonders bei katholischen Gelehrten.

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Jaumann selbst hat vor einiger Zeit die Frage aufgeworfen, ob es eine katholische Gelehrtenrepublik gab. 2 Die Frage verweist besonders auf die nachreformatorischen Jahrzehnte und die der Konfessionalisierung. Jaumann hat sich entschieden, umfangreich katholische Gelehrte zu verzeichnen, von denen teilweise bis heute ein vermeintlich ›ungelehrtes‹ Bild gezeichnet wird, wie etwa von Johannes Cochlaeus (1479–1552), Hieronymus Emser (1478–1527) und Georg Witzel (1501–1573). Dabei scheut er sich auch nicht, einem Theologen wie dem Jesuiten Georg Scherer (1540–1605) einen Eintrag zu widmen. Denn obwohl dieser keine einzige lateinische Schrift verfasst hat, war er doch in die Gelehrtenkultur römisch-jesuitischer Prägung integriert, so dass er gewissermaßen eine Randfigur ist, die aber gerade die Vielfalt der Gelehrsamkeit besonders veranschaulicht. Damit entspricht eine Figur wie Scherer weit eindeutiger der für die Gelehrtenkultur typischen ›übernationalen‹ 3 Disposition als zahlreiche deutsche Barock-Dichter, die manch ein Germanist vielleicht von seinem Kollegen Jaumann erwartet hat. Gerade sie aber fehlen, wenn sie nicht eindeutig in der Gelehrtenkultur verankert sind wie die Späthumanisten Georg Michael Lingelsheim (1556–1636) oder Martin Opitz (1597–1639).

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Das Schauspiel

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Zum Ereignis wird dieses Buch nicht durch seine Einzeleinträge, sondern erst im Nebeneinander oftmals ganz unterschiedlicher Persönlichkeiten und Interessen. Vielfach sind es eben die überraschenden Lebensläufe und Einzelschicksale, die durch das knappe Biogramm durchschimmern und den Leser faszinieren. Beispielsweise ist einigen der vorgestellten Gelehrten gemeinsam, dass sich ihre übernationale Gelehrtheit in einer beeindruckenden Unabhängigkeit von den konfessionellen Zwängen ihrer Zeit äußert. Sie bekennen sich zwar in aller Regel zu einer Konfession, einige aber konvertieren später. Doch ist gerade die Konversion letztlich durch die Verankerung des Konvertierten in der Res publica litteraria nicht unbedingt als Bekenntnis zu deuten, sondern als Ausdruck eines ›überkonfessionellen‹ Denkens. Oder aber das Bekenntnis zum angenommenen Glauben schlägt in einen konfessionalistischen Rigorismus um.

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Es steht zu erwarten, dass dieses faszinierende Nebeneinander ganz unterschiedlicher gelehrter Lebenswege, Entwürfe und Interessen noch bereichert wird, wenn Jaumann den zweiten Band seines Handbuchs vorlegt. Es wird ein Glossar der Grundbegriffe der Gelehrtenkultur liefern.

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Epilog

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Das Buch gehört zweifellos nicht nur in jede einschlägige öffentliche Bibliothek, sondern in die Privatbibliotheken jener Menschen, die immer noch mehr über die Frühe Neuzeit erfahren möchten – freilich, und das ist sehr zu bedauern, wird es sich dort nicht immer einfinden. Dagegen spricht der stolze Preis. Trotzdem wird dieses Buch viele Nutzer finden ‑ und es bleibt ihm zu wünschen, dass es auch Leser findet. Anerkennung schulden freilich beide, Nutzer wie Leser, Herbert Jaumann für die Bereitschaft, sein Wissen derart kompakt aufzubereiten und zusammenzutragen.



Anmerkungen

Vgl. auch Herbert Jaumann: Frühe Neuzeit. In: Klaus Weimar: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 1. Berlin, New York 1997, S. 632–636.   zurück
Vgl. Herbert Jaumann: Gibt es eine katholische Respublica litteraria? Zum problematischen Konzept der Gelehrtenrepublik in der frühen Neuzeit. In: Ders.: Kaspar Schoppe (1576–1649). Philologe im Dienste der Gegenreformation. Frankfurt/M.: Klostermann 1998 (= Zeitsprünge 2 [1998], Heft 3/4), S. 360‑379.   zurück
Vgl. im hier anzuzeigenden Buch S. VIII: »Die Gelehrtenkultur ist den sich in eben der Frühen Neuzeit bildenden Nationalkulturen in Europa gemeinsam. Dieser interkulturelle Horizont wird auch im Autorenband des Handbuchs explizit präsent gehalten; denn die frühneuzeitliche Kultur ist in erster Linie pränational, und international in diesem, nicht im heutigen Sinne; und in diesem Sinn ist sie so übernational, wie sie in Europa seither nie wieder gewesen ist […].«   zurück