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Medientechnik und Wissensformation

Ein historisches Modell zur Rolle der magia optica in der Frühen Neuzeit

  • Nicole Gronemeyer: Optische Magie. Zur Geschichte der visuellen Medien in der Frühen Neuzeit. Bielefeld: transcript 2004. 242 S. Kartoniert. EUR (D) 25,80.
    ISBN: 3-89942-240-6.
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Magie und Medien

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Nicole Gronemeyers Dissertation zur optischen Magie kann als weiterer Beitrag dazu gelesen werden, diese Wissensform einer verzerrenden Vereinnahmung zu entziehen. Denn oft tendierten Darstellungen dazu, die barocken Kuriositätenkabinette lediglich wiederzubeleben, damit an Sensationslust oder nostalgisches Sammlertum zu appellieren und in den naturmagischen Strömungen allenfalls eine befremdliche Aberration in der Fortschrittsgeschichte rationalistischer Weltbegegnung zu sehen. 1 Beide begrifflichen Komponenten des Titels, Magie wie Optik, eröffnen für das 17. Jahrhundert jeweils ein denkbar expansives kultur-, medien- und wissenschaftshistorisches Terrain, wenn man etwa die Konsequenzen optischer Wissensinnovation (Sehtheorie, Teleskop, Brechungsgesetz) für das frühneuzeitliche (Selbst)Verständnis oder die im Begriff der ›Magie‹ aufgehobenen Bedeutungsdimensionen von Theologie, Aberglauben, theatralen Illusionen und Naturphilosophie berücksichtigt.

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Einschränkend bezeichnet der Terminus magia optica in der frühen Neuzeit die überwiegend von Jesuiten getragene, auf der magischen Wissenschaft der Renaissance basierende Theorie und Praxis optischer Medien, die Gronemeyer als Beitrag zu einer »Geschichte der visuellen Medien in der Frühen Neuzeit« (Untertitel) untersucht. Im Blickpunkt stehen entsprechende Traktate (Della Porta, Schott), optische Instrumente und Artefakte (von Anamorphosen bis zur Laterna magica) sowie soziale und ästhetische Kontexte der künstlichen bzw. optischen Magie des ausgehenden 16. und des 17. Jahrhunderts. Mit dem Barock rückt dabei ein epochaler »Kristallisationspunkt« ins Zentrum der Betrachtung: »Für diese Epoche ist kennzeichnend, daß sich im Schnittpunkt von Kunst, Religion, Naturwissenschaft und Technik ein neuer Umgang mit optischen Erscheinungen entwickelt hat, dessen stark inszenatorischer Charakter hier ein frühes ›Multimediazeitalter‹ aufscheinen läßt« (S. 8). Diese Etikettierung bedeutet jedoch gerade nicht, daß die Verfasserin sich zu einer verlockenden, aber anachronistischen Stilisierung der barocken Medienkonfigurationen zu Präfigurationen eines digitalen Zeitalters hinreißen läßt. 2 Vielmehr will sie an der Historizität des Visuellen kulturspezifische Prägungen der Frühen Neuzeit aufscheinen lassen.

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Mediengeschichte
und Medienkulturwissenschaft

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Prominente Erklärungsmuster betrachten die Zentralperspektive emphatisch als leitendes Dispositiv des neuzeitlichen Sehens, das auch maßgeblich für die Konzeption bzw. die Wahrnehmungskonstellationen optischer Medien sei. Gronemeyer dagegen spezifiziert und differenziert die Generalisierungen dieses wahrnehmungshistorischen Modells anhand der Medien- und Erkenntnisformen der magia optica.

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Sie entwirft in einem verheißungsvollen Auftakt ihren Frage- und Theoriehorizont aus Entwicklungslinien in der Erforschung von visuellen Medien. Ältere Darstellungen geben sich überwiegend als Einzelmediengeschichte, die optische Instrumente als Stationen einer »Vorgeschichte des Films« diesem dominanten Medium der Moderne finalistisch zu- bzw. unterordnen. Aufgebrochen werde eine solche Betrachtungsweise durch kontextualisierende Ansätze, etwa Jean-Louis Baudrys Apparatustheorie, die Medien unter den Begriffen der apparativen Anordnung und des Dispositivs bestimmt: Das Dispositiv der Projektions- und Rezeptionssituation des Kinos fungiert als Ort psychologischer Bedeutungseinschreibungen: auf der Folie illusionistischer Projektionstechnologie bilden sich unbewußte Imaginations- bzw. Triebstrukturen ab. An der Filmkamera manifestiert sich die Vermittlung zwischen Welt, Bild und Betrachterposition nach den Gesetzen des zentralperspektivischen Blickregimes. Diese und ähnliche Theorien lenken den Blick auf die diskursive Bedeutungsaufladung oder -generierung technischer Apparate. Anknüpfen können hier Annahmen einer kulturellen Hegemonie bestimmter Anordnungen in historischer Abfolge, deren Herrschaftstechnologien durch gesellschaftliche Interessen- und Machtstrukturen determiniert werden. Andererseits gewinne in diesem Kontext auch der Gedanke an Bedeutung, daß menschliche Wahrnehmungsroutinen sowie die Betrachterposition durch Apparate und Rezeptionsanordnungen nicht vorrangig nachgebildet, sondern »durch mediale Anforderungen überformt« (S. 18) werden, so daß an den Apparaten die Wahrnehmungsgesetze und die Geschichte des Betrachtersubjekts ablesbar werden.

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Neben Baudrys Ansatz widmet Gronemeyer jenen Arbeiten besondere Aufmerksamkeit, die im Zeichen des pictorial turns eine kulturhistorisch geweitete Ausdifferenzierung der Wahrnehmungsmodelle vorangetrieben haben. Dazu zählt Svetlana Alpers bildwissenschaftliche These zum 17. Jahrhundert, nach der das ›interesselose‹ Netzhautbild mit der Beschreibungskunst der Holländer, der gerahmte Fensterblick der zentralperspektivischen Geometrie mit dem Zug gewollter Konstruktion in der Malerei des Südens korreliert. Solch dichotomischer Modellbildung folgen Norman Bryson mit der Opposition von gaze und glance oder Martin Jay mit der Unterscheidung konkurrierender scopic regimes bzw. visueller Kulturen und Subkulturen, jeweils markiert durch die dominante cartesische Zentralperspektive, empirisch-photographisches Sehen oder multiperspektivische, anamorphotische Spiegelungen. Bei Jonathan Crary wird die Camera obscura, das zentralperspektivisch organisierte Substitut des Auges, zur erkenntnistheoretischen Metapher für ein distanziertes autonomes Betrachtersubjekt, das in Dissoziation zwischen Innen und Außen die vor ihm liegende Welt objektiv-rational ordne. Erst im 19. Jahrhundert löse das stereoskopische Sehen als neuer subjektgeschichtlicher Indikator dieses Leitmodell ab.

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Angelehnt an diese Theoreme lassen sich bei Gronemeyer folgende Koordinaten ausmachen: Der Betrachter ist nicht einfach determiniert durch ein Medium, sondern »vielmehr geformt durch ein komplexes Feld von gesellschaftlichen Praktiken und Institutionen sowie durch technische und wissenschaftliche Entwicklungen, die erst eine Geschichte der Wahrnehmung ermöglichen [...].«(S. 30) Visualität stellt sich damit als kulturell bestimmender und bestimmter Bedeutungskomplex dar, und Medien besitzen entsprechend eine »plurale Identität« (Crary), da sie in ein »Gefüge« von Sinnbezügen zwischen Kunst, Religion, Naturwissenschaft, Technik, Unterhaltung, Ästhetik implementiert sind (S. 32). Über die Analyse der Apparate, Medien, Bildillustration hinaus sollen vor allem die schriftlichen Quellen erschlossen und in eine Mediengeschichte integriert werden, deren partielle Defizite im Umgang mit den Textzeugnissen moniert werden. Als allgemeines Fundament kann die Erkenntnis einer historischen Konstruiertheit des Sehens gelten, woraus die Notwendigkeit einer weiteren Differenzierung der historischen Evolutionen jenseits finalistischer Mediengeschichtsschreibung abgeleitet wird. In dieser Intention orientiert sich die Verfasserin an den historiographischen Figuren des Bruches, der Überschneidung, des Übergangs, des Unzeitgemäßen, des Transitorischen.

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Mit dem ersten Kapitel ist der Verfasserin eine inspirierende Hinführung gelungen. Angesichts der Vielfalt medienorientierter Forschungsansätze skizziert Gronemeyer anhand einer exemplarischen Auswahl maßgebliche Positionen und eröffnet einen tragfähigen Fragen- und Theoriehorizont. Legt man gängige Definitionen zugrunde, so hat man ihr Projekt wohl einer ›Kulturgeschichte der Medien‹ zuzuordnen, 3 die auf den Konzepten des pictorial turns und der Mediendispositive aufbaut, ohne das Bedeutungspotential von Medien im Sinne eines technokratischen Medienapriori 4 oder der Medientheorie als »diensthabende[r] Fundamentaltheorie« 5 übermäßig zu verabsolutieren.

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Wissen(schaft)shistorische Dimensionierung
der Magie

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Für die Fokussierung auf das Transitorische ›zwischen den Epochen‹ (s.o.) steht Michel Foucaults epistemologische Geschichtsdeutung Pate. Seine Epochenkonstruktion proklamiert zwar eine Zäsur zwischen der Episteme der Ähnlichkeit (Renaissance) und der Episteme der reinen Repräsentation, zeigt sich aber sensibel für bestimmte Phänomene des Übergangs. Die von Foucault eruierte Episteme der Ähnlichkeit speist sich wesentlich aus den Begründungsfiguren der magia naturalis und des benachbarten Hermetismus oder Neuplatonismus: Signaturen, Korrespondenzen, Analogie- und Kettenbildungen zwischen Dingen und Dingen bzw. Zeichen und Dingen bestimmen die Formation des Wissens. Demgegenüber wird die Epoche der Repräsentation durch eine berechenbare, rationale Ordnung nach den Kriterien des objektiven analytischen Vergleichs, der Kausalität, der Differenz und Identität (Descartes) bestimmt, die das Denken in naturmagischen Universalzusammenhängen als antiquiert erscheinen läßt.

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Hier macht Foucault eine Phase des Übergangs und der Ablösung aus, eine Krise der Ähnlichkeiten. Diese bilden nicht mehr die vorherrschende Form des Wissens, sondern den Ort der Konfusion, der Gefahr von Irrtum und Täuschung. Das Zeitalter der Ähnlichkeiten schließt sich allmählich ab, an der Oberfläche bleiben seine Figuren aber verifizierbar als theatrale Sinnestäuschungen und verdoppelte Illusionen, durch Metaphern, Vergleiche und Allegorien (S. 43 f.). Wichtigste Ausdrucksform der »gesteigerte[n] Faszination am Illusionären« neben dem Theater – so Gronemeyer – »stellt die optische Magie dar, die, entstanden aus der natürlichen Magie, die ›deformierte Erinnerung‹ an das Weltbild der Renaissance in sich trägt« (S. 44).

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Gronemeyer legt die Systemstelle der magia optica bereits hier fest. Sie erscheint als Filiation der künstlichen Magie (magia artificialis) im Zeitalter der Übergangskrise, und diese wiederum als Weiterentwicklung der natürlichen Magie (magia naturalis) der Renaissance. Die naturphilosophische Erkenntnisform der magia naturalis basiert auf einer von natürlichen, unsichtbaren Schöpfungskräften durchwalteten Weltordnung, die der Naturphilosoph bzw. ›Magier‹ manipuliert, lesbar macht und erklärt. In der magia artificialis wird darüber hinaus die sichtbare Erzeugung von Wunderbarem künstlich-mechanisch aufgerüstet (z.B. durch optische Instrumente).

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Die ausführlichen Erläuterungen zur Charakteristik der »natürlichen Magie als Erkenntnisform der Renaissance« (S. 45 ff.) orientieren sich exemplarisch an Marsilio Ficino, Agrippa von Nettesheim und den Kraftfeldern des Neuplatonismus oder Hermetismus. Sie gipfeln in den Argumenten von Frances Yates, 6 mit denen Gronemeyer die eminente Rolle der Magie für den Umbruch der scientific revolution profiliert: Als Wendepunkt markiere die Neudatierung des ›Corpus Hermeticum‹ durch Isaac Casaubon 1614 den allmählichen Niedergang des Neuplatonismus. Dabei seien phasenweise Überlagerungen zwischen neuer und alter Wissenschaft festzustellen. Die Praktiken der Magie bereiteten den Boden für Neues, indem sie den Blick auf die Natur, die Wirkungen verborgener Gesetze und deren Handhabung lenkten. (S. 57)

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An einigen exponierten Kennzeichen rekonstruiert die Gronemeyer, auf welche Weise die künstliche Magie mit der neuen Philosophie Francis Bacons eine definierbare Schnittmenge bilde: Beide fassen die Naturforschung unter die Metapher der Jagd (nach Neuem und Verborgenem in der Natur). Das neue Naturverhältnis funktionalisiert die aktive Erkundung verborgener Ursachen durch Experiment und Instrument, so daß der künstlich-technische den natürlich-sinnenhaften Erfahrungsmodus überbietet. Zwar erweise sich Bacons methodische Fundierung im Rückblick gegenüber der effektorientierten Magie als überlegen, aber auch die künstliche Magie verändere das Verständnis der ›geheimen‹ Naturkräfte, die nun verstärkt als mechanisch-technisches Funktionsprinzip begriffen werden. Die »Hervorbringung von Artefakten mit der Hilfe von Instrumenten und mathematischen Verfahren« verschränke die künstliche Magie mit der neuen Wissenschaft – die »Verzerrung« und illusionistische Art der »Manipulation natürlicher Vorgänge« und das Spiel mit »der Erfahrung vom Verlust der Gewißheit sinnlicher Wahrnehmung« hebe sie wesentlich davon ab (S. 72).

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Mit der historisch-epistemologischen Klassifizierung der Magie geht im methodischen Ansatz eine Akzentverschiebung vom medialen Dispositiv zum historischen Apriori einher. Einerseits bettet Gronemeyer die magischen Wissensformen nun in ein schlüssiges und plausibel erarbeitetes Geschichtskonstrukt ein, aber andererseits positioniert sie die magia optica damit schon a priori an einer festen Systemstelle und relativiert so die Möglichkeiten, die einer offeneren Betrachtungsweise der Texte und Medien als Signifikanten kultureller Bedeutungen, Gefüge und Ordnungen freigestanden wären, wie es das erste Kapitel ja nahegelegt hatte. Die Materialanalyse erliegt in der Folge der Absorptionskraft einflußreicher wissens- und wissenschaftshistorischer Thesen und Modelle (Foucault, Yates). Was als heuristisches Raster gedacht war, entpuppt sich als Korsett, in das die folgenden Interpretationen allzu widerstandslos eingepaßt werden. Während vor dem Hintergrund der Yates-These in der Forschung die Aufgabe formuliert wird, »nachdrücklicher [...] nach den jeweils historisch konkreten Ausformungen und Sinngehalten des Hermetismus zu fragen, nicht zuletzt, um im Ergebnis die bekannten meta- und makrohistorischen Konzepte und Paradigmen erneut zu reflektieren«, 7 bleibt hier viel von der Chance ungenutzt, aus medienanalytischer Perspektive zur weiteren Binnendifferenzierung der magischen Wissenschaft in der Frühen Neuzeit beizutragen. Für die Relationierung von magischer und neuer Wissenschaft erweist sich das historiographische Modell der Beschreibung von Überschneidungen und Übergängen allerdings als gewinnbringend und bewegt sich auf der Höhe wissenschaftshistorischer Ansätze, die eine komplexe Durchdringung der Wissensformen jenseits fester »Demarkationslinien« konstatieren. 8

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Magische Optik im Text

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In der Folge stehen vor allem zwei Werke im Zentrum: Giambattista Della Portas Magia naturalis von 1589 in deutscher Übersetzung (Nürnberg 1680) und Gaspar Schotts Magia optica, ein Teil seiner Magia universalis naturae et artis (Würzburg 1657 / 58), ebenfalls in deutscher Übersetzung (Bamberg 1671) Andere bedeutende jesuitische Beiträge, etwa Mario Bettinis voluminöser Traktat zur mathematischen Optik von 1642 und Athanasius Kirchers populäre Ars magna lucis et umbrae (Rom 1646, Amsterdam 1671) werden zwar in einer Kurzcharakteristik gestreift, aber Schotts Werk als kompilatorischer Höhepunkt der optischen Magie klassifiziert. Schott jedoch als reinen Adepten Kirchers zu behandeln bzw. Kirchers Positionen über Schotts Magia zu erschließen erscheint insofern problematisch, als der Schüler den ontologischen und epistemologischen Aufwand Kirchers (neuplatonische Lichtmystik und Trinitätslehre, Kombinatorik und Topik Ramon Lulls) ja weitgehend reduziert bzw. tilgt und damit die ideengeschichtlich relevante Stoßrichtung des Textes entscheidend modifiziert. Im Hinblick auf die epistemologische Fragestellung vermißt man jedenfalls eine genauere direkte Auseinandersetzung mit der einflußreichen Ars magna lucis und den Forschungsarbeiten zu Kircher.

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Die Rekapitulation allgemeinerer Merkmale der Magie aus dem theoretischen Vorspann der Magia naturalis Della Portas (1535–1615) ergibt gegenüber den vorigen Kapiteln nichts wesentlich Neues. Mit dem 17. Buch, das die Magia naturalis der Optik widmet, nimmt die Verfasserin nun die magische Optik konzentrierter in den Blick. Della Porta steckt das strukturelle und inhaltliche Territorium für zahlreiche nachfolgende Traktate ab. Er geht dabei zwar auf die Sehtheorie und mathematische Grundlagen der Optik ein, im Vordergrund stehen jedoch theatrale Versuchsanordnungen der Spiegelkunst oder mit der Camera obscura. Optische Instrumente betrachte Della Porta vor allem als Aufführungsmedien, die ein irritierendes Schau-Spiel mit der visuellen Wahrnehmungswelt veranstalten. Seine Popularität beruhe entsprechend auf der »effektvollen Inszenierung von künstlichen Wundern«, die unterhalten und erstaunen, aber auch belehren. Das Ziel der Jagd nach Geheimnissen und Wundern sei demnach nicht ausschließlich die Befriedigung von Sensationslust, nicht nur »die Präsentation simpler Tricks, sondern die Demonstration von Naturgesetzen« in einem »Programm der unterhaltsamen Bildung [...], das sich die Neugierde des Publikums zur Wissensvermittlung zunutze machte« (S. 104).

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Elementarer als für Della Porta sei für Gaspar Schott (1608–1666) die umsichtige Abgrenzung der natürlichen und künstlichen von der dämonischen Magie durch ein rationales Fundament: die »sichtbaren Effekte« der Experimente müssen »berechenbar, erzeugbar, nachprüfbar« sein. Die Bedeutung optischer Erfahrung und Demonstration liege dabei nicht allein im wundersamen Effekt, sondern im kausalen Rückverweis auf die Ursachen (S. 114).

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Gegenüber Della Porta erscheint das Repertoire optischer Medien progressiv erweitert. Hinzu kommen vor allem Teleskop und Mikroskop, raffiniertere Spiegelkabinette oder Vorläuferkonstruktionen der Laterna magica, wobei die technisierte magia optica weiterhin das unterhaltsame illusorische Spiel gegenüber der empirischen Realitätsanschauung favorisiere. Das Interesse perspektivischer Kunstübungen gelte vor allem den den »Extremen« (S. 117), z.B. den Anamorphosen, der Erzeugung künstlicher Landschaften durch das Teleskop oder Kirchers ›Metaphernmaschine‹, die das Spiegelporträt des Betrachters mehrfach verwandelt.

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Die Apparaturen irritieren das Vertrauen des Betrachters in die Identität von Wahrnehmung, Bild und Wirklichkeit, denn die visuellen Impressionen oszillieren »zwischen Schein und Realität« (S. 130). Mit der ästhetischen Überformung der Optik verfolge Schott aber ebenfalls keinen bloßen Unterhaltungszweck, sondern funktionalisiere das Täuschungsspiel wissensdidaktisch: »Erst das Staunen und die Neugier entfacht seiner Meinung nach die Wissensbegierde« (S. 115). Schott »stellt am deutlichsten das vor, was für die künstliche Magie kennzeichnend ist, die Nutzung von Artefakten zur Präsentation von geheimnisvollen, aber auf Naturgesetzen beruhenden Effekten« (S. 135). Denn die Basis des optischen Illusionismus – die Anatomie des Auges, die Empfangstheorie des Sehens und das geometrische System der Zentralperspektive wie der Reflektionsgesetze werden in grundlegenden physiologischen oder technisch-mathematischen Erläuterungen eingeführt, um dann über die Artefakte visualisiert zu werden. Es handele sich also immer noch um »Studien in Form einer kunstvollenWissenschaft [...], bei der die theoretischen Grundlagen des Wissensgebietes über deren Ausformung zu Kunstübungen demonstriert wurden« (S. 155).

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Zugleich aber gehe die Magia-Literatur ein Bündnis mit der Texttradition der Secreta-Literatur ein und stehe damit – wie bei Della Porta deutlich wird – auch im Umfeld rezepthafter, handwerklich wie medizinisch geprägter Wissens- und Experimentekompendien. Da unter dem Druck des dämonologischen Vorwurfs der Begründungszusammenhang der neuplatonischen natürlichen Magie prekär werde, komme langfristig ein Prozeß der Enttheoretisierung von magischer Literatur in Gang. 9 Eine »starke Trivialisierung« bei »gleicher inhaltlicher Ausrichtung« (S. 136) konstatiert Gronemeyer bei Schriften, die sie den sogenannten Récréations mathématique zurechnet, wobei Georg Philipp Harsdörffers spielerisch-didaktisches Bildungskonzept in den Mathematisch-philosophischen Erquickstunden (3 Bde., 1636–53) eine Position zwischen naturwissenschaftlicher Magie und ›trivialer‹ aufgeklärter Unterhaltung einnehme. Weniger Wissenschaftler als »Dolmetscher« von »abstrakten mathematischen Gesetzlichkeiten« (S. 142 f.), stelle er sein Werk nur noch lose in den Kontext des naturphilosophischen Diskurses und der magischen Ergründung von Geheimnissen. Zunehmend ersetze der spielerische Anleitungscharakters die ausführlichen theoretischen Erläuterung und der unterhaltsame, dem ›aufgeklärten Bewußtsein‹ offen einsehbare den geheimnisvollen, ästhetisch und allegorisch überformten Effekt.

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Magische Optik im Kontext

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Über die textuelle Darstellung hinaus analysiert Gronemeyer Gesetzmäßigkeiten und Inszenierungsformen konkreter optisch-technischer Medien, um sie dann in kulturhistorische Kontexte zu stellen. Einbezogen werden zudem Beispiele aus der illusionistischen bzw. anamorphotischen Malerei. Hier überwiegt die deskriptive Darstellung technischer Funktionen und visueller Wirkungen von Anamorphosen, Spiegelkabinetten oder der Laterna magica, deren soziopsychologische bzw. soziokulturelle Deutung sich im Anschluß an die Forschungen von Jurgis Baltrusaitis auf Leitbegriffe wie theatrale Durchdringung von Illusion und Realität, Zerlegung von Wirklichkeiten, und Transfiguration von Welten, Dezentralisierung des Ich, Phantasie und Phantastik zuspitzt und dabei einmal mehr die Auflösung der konventionellen zentralperspektivischen Beziehung zwischen Bild, Gegenstand und Betrachter feststellt. Mit Christine Buci-Glucksmann ist von einem »anamorphotischen Blick der barocken Ästhetik« (S. 171) zu sprechen, mit Jurgis Baltrusaitis von einer Nähe zum cartesianischen Zweifel am Sichtbaren (S. 172).

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Im wesentlichen erschöpft sich die Bezugnahme auf soziokulturelle Kontexte dann in flankierenden Zusammenfassungen zum jesuitischen Bildungsprogramm der Gegenreformation, d.h. zur Rolle von Bildern, Visualität und Imagination in der Glaubenspropaganda, den Exerzitien Loyolas und im Schultheater, bzw. zu Norbert Elias’ Thesen über die Ambivalenz von Affekt- bzw. Sinneskontrolle und visuell vermittelter Präsentations- und Affektlust im höfischen Umfeld des werdenden Absolutismus. Eine Verknüpfung mit den Text- und Einzelmedienanalysen gelingt hier nur auf basaler Ebene, aufgrund der Fokussierung auf die sicher korrekten, aber zu allgemein gehaltenen Thesen zur ästhetischen Illusionierung des Auges. Die ›Gespinste der Ähnlichkeit‹ (Foucault)

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[...] wurden zu einem Spiegelbild des gesellschaftlichen Wandels, der dadurch gekennzeichnet war, daß sich die wahren Verhältnisse nicht mehr in den Erscheinungen manifestierten. Die Verwischung der Grenze zwischen Illusion und Realität in den Demonstrationen der optischen Magie führte dem Betrachter den illusionären Charakter der Realität immer wieder vor Augen. (S. 196)
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Fazit

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Ein Manko der vorliegenden Arbeit liegt darin, daß sie nach dem Durchgang durch die textuellen und medialen Quellen lediglich ihre Eingangsthese beinahe unverändert zu rekapitulieren weiß:

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In dem Spiel mit dem Augenschein, der stetigen Transformation des Sichtbaren und der Verschleierung der Grenze zwischen Realität und Illusion waren die Formen der optischen Magie zugleich Täuschung und Ent-täuschung, da sie zeigten, daß der Glaube an die Erkennbarkeit der Wirklichkeit illusionär geworden war. Sie wurden dadurch zu einem Phänomen des Übergangs von der episteme der Ähnlichkeit zum klassischen Zeitalter der Repräsentation. Erst in späteren Zeiten, als die Erinnerung an ein vergangenes Weltbild verblaßt und der Verlust nicht mehr spürbar war, blieben die Illusionierungen der optischen Magie als hohle Formen des Zeitvertreibs zurück. (S. 196 f.)
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Gronemeyer verleiht den ›vorgeschalteten‹ Theoremen anhand ihres dokumentarischen Materials weitere Substanz und geht so konform mit anderen mediengeschichtlichen Betrachtungen, die auf ähnliche Weise die Laterna magica oder Kirchers ›Metaphernmaschine‹ mit Foucaults Befund in enge Verbindung gebracht haben. 10 Jedoch bleibt aufgrund der vorrangig deduktiven Applikation auf die Quellen ein Rückkoppelungseffekt aus. Im wesentlichen sind es dann doch die Phänomene des Spiels mit Realität und Illusion, auf die die Lektüre auch unter Bezugnahme auf Richard Alewyn (›Welttheater‹) und Gustav René Hocke (›Manierismus‹) zusteuert. Zweifellos gelingt damit die intendierte Ausdifferenzierung des zentralperspektivischen Paradigmas, aber angesichts des epistemologischen Anspruchs wäre in den Einzelanalysen die Semiotik der visuellen Medien, als vermittelnde Regulative zwischen Betrachter und Welt wie als Zeichen in einem kulturellen Gefüge, wohl stärker zu betonen gewesen.

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Abgesehen davon bietet die Arbeit aber ein diskutables medienhistorisches Modell, das eine von unzählig möglichen Schneisen durch ein facettenreiches Gebiet schlägt. Wenn Werner Faulstich den virulenten Dilettantismusvorwurf beklagt, dem sich der Versuch einer ›Medienkulturwissenschaft‹ häufig zu stellen habe, 11 dann vermeidet Gronemeyer solche Anfechtungen auf zweierlei Weise: Erstens durch die Basisarbeit an Quellen, die sie zum Teil in umfassenden Zitaten dankenswerterweise erst zugänglich macht, und zweitens durch den Rückgriff auf kanonisch gewordene Werke und Thesen der Forschung, eine Strategie, die dann zu Lasten einer innovativeren Auseinandersetzung mit den Forschungsthesen geht. So erhält man letztlich einen modellhaft zugeschnittenen, dadurch aber griffigen, luziden und diskutablen Zugang zur optischen Magie, der deren kulturgeschichtlich bedeutsame Problemstruktur und ihre Relevanz für die Wissensformation der Frühen Neuzeit vermitteln kann.



Anmerkungen

Daß die Geschichte der Diskreditierung Kirchers und anderer ›magischer Wissenschaftler‹ als ›trickreiche Scharlatane‹ bereits im 17. Jahrhundert mit der Durchsetzung der neuen Wissenschaft einsetzt und erst mit den Thesen von Frances A. Yates eine allmähliche Revision erfährt, hat unter anderem Paula Findlen dargestellt. Vgl. Paula Findlen: The Janus Faces of Science in the Seventeenth Century: Athanasius Kircher and Isaac Newton. In: Margaret J. Osler (Hg.): Rethinking the Scientific Revolution. Cambridge 2000, S. 212–246, hier S. 221–227.    zurück
So etwa, im Hinblick auf Athanasius Kirchers Wissenspraxis, Werner Künzel und Peter Bexte: Allwissen und Absturz. Der Ursprung des Computers. Frankfurt / M. / Leipzig 1993, S. 10.   zurück
Vgl. neuerdings Christa Karpenstein-Eßbach: Einführung in die Kulturwisenschaft der Medien, Paderborn 2004: »Die kulturwissenschaftliche Perspektive ist bezogen auf die vielfältigen Implikationen und Folgen, die für eine Kultur mit ihren Medien einhergehen. Sie sieht die Welt- und Selbstverhältnisse des Menschen, kulturelle Praktiken, ästhetische Symbolisierungsleistungen und geistige Tätigkeiten eingelagert in mediale Bedingungen, die an deren Formierung beteiligt sind. Medien sind in diesem Verständnis sehr viel mehr als Instrumente für Kommunikationen: sie sind Ermöglichungen und Bestimmungsfaktoren kultureller Praxen« (S. 8).   zurück
Vgl. Friedrich Kittler: Optische Medien. Berliner Vorlesung 1999. Berlin 2002, S. 22 ff.   zurück
Jochen Hörisch: Vom Sinn zu den Sinnen. Zum Verhältnis von Literatur und neuen Medien. In: Peter Wiesinger (Hg.): Akten des X. Internationalen Germanistenkongresses Wien 2000, Bd. 1 (Jahrbuch für Internationale Germanistik, Reihe A, Bd. 53) Bern u.a. 2002, S. 113–128, hier S. 125.   zurück
Frances A. Yates: Giordano Bruno and the Hermetic Tradition. London 1964.   zurück
Anne-Charlott Trepp: Hermetismus oder zur Pluralisierung von Religiositäts- und Wissensformen in der Frühen Neuzeit. Einleitende Bemerkungen. In: Ann-Charlott Trepp / Hartmut Lehmann (Hg.): Antike Weisheit und kulturelle Praxis. Hermetismus in der Frühen Neuzeit. Göttingen 2001, S. 8–15, hier S. 9.   zurück
Vgl. Christoph Meinel: Okkulte und exakte Wissenschaften. In: August Buck (Hg.): Die okkulten Wissenschaften in der Renaissance (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 12) Wiesbaden 1992, S. 21–43, hier S. 42 f.   zurück
In weiten Passagen folgt die Verfasserin hier William Eamon: Science and the Secrets of Nature. Books of Secrets in Medieval and Early Modern Culture. Princeton 1994, und etwas kritischer auch Barbara M. Stafford: Kunstvolle Wissenschaft. Aufklärung, Unterhaltung und der Niedergang der visuellen Bildung. Amsterdam / Dresden 1998.   zurück
10 
Vgl. Klaus Bartels: Proto-kinematische Effekte der Laterna magica in Literatur und Theater des achtzehnten Jahrhunderts. In: Harro Segeberg (Hg.): Die Mobilisierung des Sehens. Zur Vor- und Frühgeschichte des Films in Literatur und Kunst. Mediengeschichte des Films, Bd. 1. München 1996, S. 113–147, hier S. 126 ff.; Ulrike Hick: Geschichte der optischen Medien. München 1999, S. 104 ff.; Peter-André Alt: Die Träume der Imagination. Zur Rolle der Einbildungskraft in der deutschen Literatur des 17. Jahrhunderts. In: Text und Kritik 154 (2002), S. 35–50, hier S. 44–48.   zurück
11 
Vgl. Werner Faulstich: Kulturwissenschaft als Metawissenschaft. Zur Pragmatik einer neuen Disziplin. In: Thomas Düllo u.a. (Hg.): Kursbuch Kulturwissenschaft (Forum Kultur Bd. 1) Münster 2000, S. 133–140.   zurück