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Peter Rühmkorf

Bibliographie zum 75. Geburtstag

  • Wolfgang Rasch: Bibliographie Peter Rühmkorf (1951-2004). 2 Bände. Band 1: Primärliteratur, Band 2: Sekundärliteratur. (Bibliographien zur deutschen Literaturgeschichte 13) Bielefeld: Aisthesis 2004. 814 S. Paperback. EUR (D) 98,00.
    ISBN: 3-89528-476-9.
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Rühmkorf systematisch erfasst

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Als Grass, Enzensberger und Rühmkorf in diesem Frühjahr nach über 38 Jahren eine gemeinsame Lesung veranstalteten, haben sie ihre Gleichwertigkeit untereinander wohl auch deswegen betont, um die Vergleichssituation auf der Bühne nicht in echte Konkurrenz umzumünzen. Man präsentierte sich als vielstimmiges Dreigestirn einer Generation. Aber nur Rühmkorf hätte das Motto der Veranstaltung liefern können: Einmalig wie wir alle 1 .

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Solche gelungenen Wiedergeburten haben einen versöhnlichen Bezug, die Zeitgenossenschaft eben, profaner: das Alter. Rühmkorfs eigener 75. Geburtstag war im letzten Jahr Anlass für Vieles, das sich wie Blumen um ein Denkmal rankt: Eine große Lebensausstellung der Stadt Hamburg, eine Neuauflage der expressionistischen Gedichte, einen Rückblick in Form einer Bild-Biographie und der mit Spannung erwartete zweite Band seines Tagebuchs Tabu.

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Es hat aber auch ein 1997 begonnenes Projekt seinen Abschluss gefunden, dessen Ergebnis für die Rühmkorf-Forschung basal ist. Wolfgang Rasch hat eine vollständige Bibliographie vorgelegt, die verlässlich handhabbar und problemlos erweiterbar ist. Er hat damit der Forschung zu Rühmkorf jene notwendige und nachhaltige Grundlage gegeben, an der es bisher mangelte. Ein unscheinbares, sehr aufwändiges und vor allem zukunftsträchtiges Geburtstagsgeschenk.

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Schriftsteller und Germanist

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Eine Bibliographie schafft Überblick und Distanz zu einem Werk, macht Präferenzen, Gewichtungen, Zusammenhänge augenfällig. Eine Bibliographie am lebenden Autor hat sicherlich noch zusätzliche, ganz eigene Implikationen. Dazu kommt noch, dass im Falle Rühmkorfs der bibliographierte Autor auch selbst Germanist ist.

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Zwar hatten seine »schlechten Beziehungen zum Autoritätspersonal der Universität« 2 in den fünfziger Jahren dazu geführt, der Wissenschaft als Institution den Rücken zu kehren. Aber natürlich hat er die Germanistik in »eigener Facon« weiterbetrieben. 3 Und damit wiederum mag zu tun haben, dass die Germanistik auch ein wenig zurückhadert. Oder wie sollte man sich erklären, dass Rühmkorfs eigene Beiträge zur Germanistik die Menge an selbständigen Forschungsarbeiten nach wie vor übersteigt, wie Raschs Bibliographie neuerlich vor Augen führt? 4

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An mangelndem Interesse kann das kaum liegen. Kaum ein Preis von Rang, der Rühmkorf nicht verliehen wurde, und sogar die Institution selbst ist sich Rühmkorfs germanistischer Leistungen zweimal in Form von Ehrenpromotionen bewusst geworden. 5 Bei solchen Gelegenheiten werden dann gern sein Witz, seine selbstreflexive Höhe, seine ›verzwickte‹ Poetik, seine wenig trivialen literarhistorischen Bezüge, etc. etc. hervorgehoben – allein es fehlt an wissenschaftlicher Beschäftigung mit diesen Qualitäten. Natürlich liefert gerade dieser Autor eine stichhaltige Selbstinterpretation immer schon mit. Und eine rein nachvollziehende Beschreibung von germanistischer Seite scheitert gern daran, dass Rühmkorf es meist schon einmal besser gesagt hat. Jedenfalls tut sich die Germanistik bis heute mit eigenen Interpretationsansätzen bei diesem Autor schwer. Also: »Außer der Liebe nichts, was [ihm] beikommt?«

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Bibliographie und Bibliograph

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Wolfgang Raschs zweibändige, über 800 Seiten starke Bibliographie ist jedenfalls widerspruchslos von Geneigtheit gegenüber dem Autor wie von systematischer Eigenständigkeit gekennzeichnet. Rasch kann als Rühmkorf-Kenner und als versierter und unerschrockener Bibliograph gelten: Er hat nicht nur den zweiten Band der Rühmkorf-Werkausgabe Die Jahre, die Ihr kennt herausgegeben und kritisch kommentiert, 6 sondern auch das enorme Werk Karl Gutzkows zuletzt bibliographisch bewältigt. 7

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Nun ist Rühmkorfs Werk zwar nicht vergleichbar ausufernd, aber gekennzeichnet von erheblicher Streubreite, was Textsorten wie Publikationswege und –medien angeht. Zwar hatte Edith Ihekweazu in aller Vorläufigkeit bereits 1984 eine Rühmkorf-Bibliographie vorgelegt und mit einem wichtigen Essay zu Rühmkorfs ›Verzwickter Harmonielehre‹ versehen. Aber Wolfgang Rasch hat sich entschlossen, diese Bibliographie nicht nur inhaltlich zu ergänzen, sondern vor allem systematisch zu erweitern – was bedeutete, fast noch einmal von vorn anfangen zu müssen.

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Eckdaten der Bibliographie

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Der bibliographische Berichtszeitraum reicht von Rühmkorfs Erstveröffentlichung im April 1951 bis zum Mai 2004. Die von Rasch erfassten Archivalien umfassen neben circa 220 Kisten Material in Rühmkorfs Haus auch einen Großteil des Vorlasses, den der Autor bereits in den 80er Jahren zur wissenschaftlichen Erforschung an das Literaturarchiv Marbach gegeben hatte.

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Die beiden Bände der Bibliographie verzeichnen insgesamt etwa 4250 Titel, wovon 1850 auf Texte Rühmkorfs und 2400 auf Sekundärtexte entfallen. An Primärliteratur wurden neben selbständig erschienenen Titeln sämtliche Zeitungs- und Zeitschriftenartikel (ca. 680 Einzelveröffentlichungen), sowie Beiträge in Sammelbänden, Tondokumente, Rundfunksendungen und Filme miterfasst.

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Dazwischen existieren interessante Quersortierungen, wie z.B. Übersetzungen durch Peter Rühmkorf und Publikationen im Ausland oder Briefe von und an Peter Rühmkorf. Noch speziellere Zusammenhänge erschließen sich mühelos mit Hilfe des Werk-, Gedichte- und beide Bände umfassenden Personenregisters.

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Der Band zur Sekundärliteratur umfasst neben Monographien, Beiträge zu Rühmkorf in Sammelbänden, Zeitschriften und Tageszeitungen. Er verzeichnet auch Preise und andere Ehrungen Rühmkorfs mitsamt den dazugehörigen Publikationen. Auffallend, dass die Rezensionen zu Lesungen und Auftritten (Kap. 14) mit ca. 700 Beiträgen einen beinah ebenso großen Umfang einnehmen wie Rezensionen zu Werken Rühmkorfs. Diesem erheblichen Gewicht der Lesungen nachkommend hat Rasch über die reine Bibliographie hinaus auch Materialien wie Ankündigungen, Plakate, Einladungen etc. zu Auftritten Rühmkorfs ausgewertet und daraus eine beeindruckend umfangreiche Veranstaltungschronologie erstellt.

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Zum Signaturensystem

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Wie für seine Gutzkow-Bibliographie verwendet Rasch auch für Rühmkorfs vielseitiges und verstreutes Werk ein Kennzahlensystem, das sich bereits bei dem »Verzettler« Arno Schmidt bewährt hat 8 und größtmögliche Transparenz und Erweiterbarkeit bietet. Rasch setzt dieses System bei Rühmkorf äußerst akribisch an. Dass der Inhalt einzelner Buchtitel in Kennzahlen verzeichnet wird, bedeutet bei Lyrikbänden, dass jedes einzelne Gedicht innerhalb einer Veröffentlichung beziffert ist. Dadurch, dass Rasch die Kennziffern desselben Gedichts in anderen Publikationen jeweils direkt annotiert, lassen sich Veröffentlichungswege und -häufigkeit auf dieser Mikroebene mühelos durch die Jahre hindurch verfolgen.

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Zusammenfassung

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Der Bibliographie gilt strenggenommen nur das publizierte Wort. Auf dieser Ebene ist sie unbestechlicher Spiegel eines Gesamtwerks, ein objektiver Katalog als Grundlage für die wissenschaftliche Monographie.

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Raschs Bibliographie leistet dies vorbildlich. Seine Entscheidung, eine systematische Aufarbeitung des Gesamtwerks zu unternehmen, stellt die geforderte Transparenz her und löst so die Möglichkeit zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung ein, die sich schon Ihekweazu gewünscht hatte.

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Zudem geht Rasch über den rein bibliographischen Ansatz hinaus, wenn er Vorgetragenes berücksichtigt und noch einmal gesondert würdigt. Damit wird er der Praxis eines Autors gerecht, der sich mehr als andere Zeitgenossen als fahrender Sänger auf den Markt gestellt wissen wollte und dort bis heute vom Publikum gehalten wird.



Anmerkungen

Peter Rühmkorf: Einmalig wie wir alle. Reinbek bei Hamburg 1989, S. 150–156.   zurück
Peter Rühmkorf: Die Jahre die Ihr kennt. Anfälle und Erinnerungen, Werke 2 herausgegeben von Wolfgang Rasch. Reinbek bei Hamburg 1999, S. 163.   zurück
Edith Ihekweazu: Peter Rühmkorf. Bibliografie. Essay zur Poetik. Frankfurt a. M., Bern, New York 1984, S. 1.   zurück
Wolfgang Rasch: Bibliographie Peter Rühmkorf: (1951–2004). Band 2: Sekundärliteratur. Bielefeld 2004, S. 9 ff.    zurück
Rühmkorf erhielt die Ehrendoktorwürde an den Universitäten Gießen (1989) und Göttingen (1999).   zurück
Vgl. Fußnote 1.   zurück
Wolfgang Rasch: Bibliographie Karl Gutzkow: 1829–1880. 1. Teilband: Primärliteratur. 2. Teilband: Sekundärliteratur. Bielefeld 1998. (rezensiert bei IASLonline).   zurück
Vgl. ebenda.   zurück