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Ein bayerisches Raritätenkabinett

  • Johann Baptist Fickler: Das Inventar der Münchner herzoglichen Kunstkammer von 1598. Editionsband: Transkription der Inventarhandschrift cgm 2133. Hg. von Peter Diemer in Zusammenarbeit mit Elke Bujok und Dorothea Diemer. (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Abhandlungen, Neue Folge 125) München: C. H. Beck 2004. 319 S. 41 Abb. Kartoniert. EUR (D) 90,00.
    ISBN: 3-7696-0120-3.
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Mit dem Terminus ›Kunstkammer‹ oder auch ›Wunderkammer‹ wird eine Sammlungsform der frühen Neuzeit, genauer des 16. bis 18. Jahrhunderts, bezeichnet, die den modernen Museen vorangeht. Neben Kunstwerken vereinigten die Kunstkammern Kuriositäten und Merkwürdigkeiten aller Art. Träger dieser Sammlungsform waren große Höfe, wo die Kunstkammer vor allem auch der Repräsentation diente, weiter Adlige, Patrizier, Gelehrte und Künstler. Als wichtigste historische Kunstkammern gelten die Sammlungen von Erzherzog Ferdinand II. von Tirol auf Schloß Ambras und von Kaiser Rudolf II. in seiner Prager Residenz.

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Die vorliegende Publikation bietet die Edition des Inventars der Münchner herzoglichen Kunstkammer aus dem Jahr 1598, das in zwei Handschriften vorliegt, Cgm 2133 und Cgm 2134 der Bayerischen Staatsbibliothek München. Diese Kunstkammer wurde von Herzog Albrecht V. von Bayern (reg. 1550–1579) eingerichtet. Erste Entfremdungen gehen auf seinen Enkel Herzog Maximilian I. (reg. 1598–1651) zurück, der ab 1607 aus der Kunstkammer Gemälde für seine Kammergalerie entnahm. 1632 wurde München dann durch schwedische Truppen geplündert. Heute befindet sich nur noch ein kleiner Teil der im Inventar von 1598 verzeichneten Objekte in München selbst.

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Auftraggeber des Inventars war Maximilian I., der die Verzeichnung der Kunstkammer einen Tag nach der Abdankung seines Vaters Wilhelm V. (reg. 1579–1598) am 4. Februar 1598 anordnete. Inventarisierungen dieser Art stehen häufig in Zusammenhang mit einem Regierungswechsel. In diesem Fall kam erschwerend die prekäre finanzielle Lage Bayerns hinzu, das kurz vor dem Staatsbankrott stand.

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Mit der Inventarisierung wurde der Hofbedienstete Johann Baptist Fickler beauftragt, der 1533/34 in Backnang geboren worden war und ab 1551 in Ingolstadt Artes und Jura studierte. 1559 trat er in die Dienste des Erzbischofs von Salzburg, promovierte 1565 in Bologna zum Doktor beider Rechte und wechselte 1588 nach München. Hier unterrichtete Fickler Maximilian I., war Hofrat und geistlicher Rat und starb im Jahr 1610. Maximilian beauftragte mithin eine Person mit der Inventarisierung, mit der ihn ein Vertrauensverhältnis verband. Zudem mußte sein bejahrter Lehrer vor dem Hintergrund der angespannten Finanzlage versorgt werden. Da es sich bei einem solchen Inventar um ein Rechtsdokument handelt, war Fickler als Jurist die geeignete Person für die Erarbeitung. Auf der fachlichen Seite kam ihm seine private Beschäftigung mit antiker Numismatik zugute.

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Die handschriftlichen Inventare

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Das von Fickler aufgenommene Inventar verzeichnet in der endgültigen Fassung 3407 Nummern ausschließlich der Münzen, die im Anschluß an die eigentliche Kunstkammer in vier Bänden erheblich ausführlicher katalogisiert wurden (Cgm 1599–1602). Die Erstfassung des Inventars liegt in der Handschrift Cgm 2134 vor, die Fickler nach der Beauftragung bis zum Frühwinter desselben Jahres einem Schreiber diktierte. Der Inhalt der Kunstkammer wurde in insgesamt fünf Rundgängen erfaßt, die jeweils im Norden begannen und dann im Uhrzeigersinn fortschritten. Der Binnengliederung der Verzeichnung dienen Einrichtungsgegenstände oder architektonische Elemente des Raumes (z.B. An dem Pfeiler des 5. Fensters).

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Nach der Ersterfassung wurde Cgm 2134 korrigiert, redaktionell und inhaltlich überarbeitet und um Nachträge vermehrt, die sich zum Teil auf Einlegezetteln finden. Wohl im Jahr 1600 stellte ein zum Teil auch inhaltlich eingreifender, unbekannter Schreiber auf dieser Basis Cgm 2133 her, die für den Hof bestimmte Reinschrift. Ficklers Handexemplar Cgm 2134 kam mit seinem Nachlaß als Schenkung seiner Witwe in das Münchener Jesuitenkolleg und von dort zwischen 1758 und 1773 ebenfalls an die Hofbibliothek. Das ursprüngliche Hofexemplar Cgm 2133 war zwar nie ganz unbekannt, zeigt aber nur geringe Nutzungsspuren.

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Die Edition transkribiert den Text der Reinschrift des Münchner Kunstkammerinventars in Cgm 2133 (Sigle A) unter stillschweigender Auflösung eindeutiger Abkürzungen. Im Falle von Fehlern in A oder ungewöhnlichen Schreibungen wurde auch die Erstfassung Cgm 2134 (Sigle B) herangezogen. Da der Schreiber von Cgm 2133 mit den Graphien seiner Vorlage sehr frei umging, wurde auf den Abdruck der Mehrzahl der Varianten von Cgm 2134 verzichtet, da sie inhaltlich belanglos sind. Die Zählung der Objekte beider Inventare weicht als Folge der redaktionellen Überarbeitungen voneinander ab. Die Edition führt beide Zählungen auf, da jede schon in der wissenschaftlichen Literatur Verwendung gefunden hat.

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Das Sammlungsgut

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Das Inventar läßt erkennen, daß der Inhalt der Kunstkammer nach Sachgruppen aufgestellt oder aufgehängt gewesen ist. Den Anfang machen Handschriften, Drucke und Kupferstiche. Gemälde waren in der Münchner Kammer in großer Anzahl vertreten (z.B. Nr. 3125: Otthainrich Pfalzgrafe bey Rhein). Üblicherweise finden sich in Sammlungen dieser Art Naturalia (z.B. Nr. 1108: Mehr ein zan von einem in Hollandt außgeworffnen Möhrvisch, von der fraw Gravin Margreth von Arnburg den 19. Aprillis Anno 1578 uberschickht), Bodenfunde aus römischer Zeit (z.B. Nr. 2293: Ein großer eysener lorbercranz, welcher zu Liechtenberg am Lech im Erdrich gefunden worden) oder Seltenheiten aus fernen Ländern (z.B. Nr. 1709: Ein buech das hinden und vornen aufgeht, mit allerlay Indianischen figurn, der Hyerogliphischen schrifft nit ungleich). Zu den Kuriositäten gehören beispielsweise kursorisch benannte Überreste eines Schloßbrandes (Nr. 1987: Ligt ein schubladn voll, allerlay angebrennter schriftten, so aus der Prunst in dem Fuggerischen Schloß Tauffkhirchen hergebracht worden). Basis für die Verzeichnung der einzelnen Objekte waren offensichtlich häufig die beigefügten Beschriftungen oder auch Schenkungsvermerke. Im Gegensatz zu seiner Münzkatalogisierung beschränkte sich Fickler hier ganz auf die äußere Erscheinung und verzichtete überwiegend auf eine tiefergehende Einordnung. Die Edition wird erschlossen durch einen etwa 80-seitigen Index verborum, der den Textbestand von Cgm 2133 in leicht normalisierter Form verzeichnet. Den Abschluß bilden 41 Schwarzweißabbildungen, die in erster Linie einzelne Seiten aus den Inventaren Cgm 2133 und 2134 reproduzieren.

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Fazit

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Mit der Edition des Münchner Kunstkammerinventars von 1598 wird eine überaus wertvolle (kunst-)historische Quelle zugänglich gemacht. Sie läßt die Fülle der von Albrecht V. von Bayern angelegten Sammlungen erkennen, bevor sie in den Wirren des Dreißigjährigen Kriegs wieder zerstreut worden sind. Wie auch andere fürstliche Sammlungen des 16. Jahrhunderts ihrer Art war sie enzyklopädisch ausgerichtet und diente als Sammelbecken des Landes und darüber hinaus für alles, was in irgendeiner Weise kunstreich oder merkwürdig gewesen ist. Die Verschiedenheit des als bewahrens- und zeigenswert Angesehenen läßt vor allem der Index verborum erkennen, der eine Orientierung im Verzeichnis ermöglicht und gleichzeitig wertvolles Wortmaterial liefert. Das angezeigte Inventar soll laut Vorwort in absehbarer Zeit durch einen kommentierten Katalog der Inventarnummern ergänzt werden.