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Meta - Metapherntheorie

  • Anselm Haverkamp: Metapher. Die Ästhetik in der Rhetorik. Bilanz eines exemplarischen Begriffs. München: Wilhelm Fink 2007. 182 S. Kartoniert. EUR 19,90.
    ISBN: 978-3-7705-3751-8.
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Metapherntheorien

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Über Metapherntheorien wird seit längerem nur noch im Plural gesprochen. Die einzelne Beschreibung, das jeweils neue Erklärungsmodell situiert sich in einem dicht und dichter gewebten Netz des schon Beschriebenen und Erklärten. Diese Proliferation hat zur Folge, dass die einzelne Theorie ihrer Partialität immer schon eingedenk sein muss, will sie als ernsthaft wahrgenommen werden. Umfassendere Ansprüche lassen sich damit nur noch auf übergeordneter Ebene anbringen – dann, wenn nicht mehr über die Metapher selbst, sondern über das ihr zugeordnete theoretische und begriffliche Arsenal gesprochen wird. Hier hat das resümierende Denken inzwischen seinen Ort, sei es mit dem Wunsch nach Sammlung und Typologisierung wie in Bibliographien und Lexika 1 oder mit dem ambitionierten Ziel der Bilanzierung, nachzuvollziehen an Anselm Haverkamps jüngst erschienener Monographie Metapher. Die Ästhetik in der Rhetorik. Bilanz eines exemplarischen Begriffs.

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Anselm Haverkamps Bilanz

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Um es vorab zu sagen: Dieses Buch stellt besondere Anforderungen an seine Leser. Es bemüht sich nicht um Vermittlung, weder in den inhaltlichen Positionen noch im Formalen. Dies mag einer gedanklichen Summe angemessen sein, dem Lesefluss dient es nicht unbedingt.

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Der Band ist in zwei Teile gegliedert: Der erste – »Begriffsgeschichte und Metaphorologie« – beleuchtet in sieben Unterkapiteln jeweils einzelne Positionen zum Begriff der Metapher von der griechischen Antike bis in die späten 70er Jahre des 20. Jahrhunderts. Der zweite Teil trägt den Titel »Paläonym Metapher« und diskutiert in drei Unterkapiteln die metapherntheoretischen Aspekte der Performativität, der Wiederholung und der Ambiguität sowie abschließend das Konzept einer Metaphorologie zweiten Grades im Anschluss an Blumenberg. Ergänzt wird die Publikation durch eine Bibliographie, die ausgewählte Titel zur Metapherndiskussion zusammenstellt.

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Metapher und Begriffsgeschichte –
die Metapher als Paläonym

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Wie der Untertitel des Buches angibt, hat der Begriff Metapher für Haverkamp exemplarischen Wert. Als rhetorischer Terminus steht er für die »durchaus falsche Wahrnehmung, die mit der Rhetorik überwundene Episteme signalisiere in der Metapher ihr uneigentliches, nur mehr ästhetisches Fortwirken und in diesem einen unaufgeklärten Rest und Bedarf an Wissen« (S. 9). Dieses, wie Haverkamp es nennt, »ästhetische Missverständnis der Metapher« (ebd.) lässt den Terminus Metapher selbst zum Problem werden und mit ihm die Methode begriffsgeschichtlicher Zuordnung, die für seine inhaltliche Ausrichtung bestimmend ist. Entsprechend besteht das Ziel der Untersuchung darin, aus der Analyse des als problematisch gekennzeichneten Verhältnisses von Metapher und Begriffsgeschichte neue Einsichten für ein systematisches Verständnis der Metapher abzuleiten. Die Orientierung für dieses Verfahren stammt von Derrida, dessen strategisches Konzept des ›Paläonyms‹ Haverkamp für seine Dekonstruktion der Begriffsgeschichte übernimmt.

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Die Metapher als Paläonym – nach Derrida richtet sich damit die Aufmerksamkeit auf die Schwellen und Brüche, die dadurch entstehen, dass ein eingebürgerter Terminus auf neue Sachverhalte übertragen wird, auch auf solche, die seinem angestammten Bedeutungsfeld kaum entsprechen. Die Kontinuität in der Verwendung des ›Namens‹ geht also einher mit einer Diskontinuität in seinem sachlichen Verständnis. Die Metapher, so Haverkamp (und so auch Derrida) sei hierfür der exemplarische Fall:

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Die strategische Bedeutung alter Namen an der Stelle neuer Begriffe – und das heißt zunächst nur: zur Markierung dieser Stelle – ist an keiner Stelle offensichtlicher als der der Metapher, die selbst benannt ist nach ihrem Eintreten an die Stelle eines Ausdrucks, von dem man sich anders keinen Begriff machen kann oder will. (S. 117)
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Auf die folgenden drei Vorkommensweisen metaphorischer Rede wendet Haverkamp die paläonymische Lesart an: (1) die Metapher auf Textebene – meint, ein Text lässt sich insgesamt als Metapher lesen – mit Quintilian verstanden als metaphora continua und dem umfassenderen Begriff der Allegorie zugeordnet, (2) die Metapher als Redefigur, das heißt, als isolierbare syntaktische Einheit innerhalb eines umfassenderen Textganzen sowie (3) die Metapher als Denkmodell oder als theorieleitende Vorstellung.

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Aspekte der systematischen
Beschreibung von Metaphern

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In der Beschreibung ganzer literarischer Texte, so Haverkamps Auffassung, verliere der Begriff der Metapher seine Trennschärfe. Es sei vielmehr sinnvoll, die metaphora continua dem Bereich der Allegorie zuzuordnen, womit – ganz im Einklang mit Quintilian und allen, die sich nachfolgend auf ihn beziehen – eine deutliche Grenzziehung zwischen beiden Tropen vorgenommen ist. Quintilian, nicht Aristoteles, ist auch Haverkamps erste Referenz für die inhaltliche Bestimmung der Einzelmetapher, verstanden als »Figur der Übertragung«. Der Begriff Figur, wie er in der Institutio oratoria auf die Metapher angewandt wird, hat für Haverkamp entscheidenden Wert. Er erlaubt es, in der Metapher eine syntaktische Einheit zu sehen, eine Kombination von Wörtern, die durch den ungewohnten bzw. unerwartet engen Zusammenschluss neue Bedeutungen oder Bedeutungsschattierungen erhalten. Damit ist den gängigen Klassifikationen der Metapher als Einzelwort-Tropus oder als Figur der Ersetzung begegnet – beides freilich vielfach kritisierte und inzwischen überlebte Positionen, die sich aus der verkürzten Wahrnehmung der antiken und übrigens auch der aristotelischen Quellen herleiten. 2

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Wiederholung

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Haverkamps Schwerpunkt liegt denn auch nicht auf Fragen der Wortsemantik und des Literalsinns, sondern auf der Bedeutungskonstitution durch die (oder besser: in der) Metapher. In diesem Zusammenhang wichtig sind ihm die Aspekte der Wiederholung und der Performativität. Die Wiederholung, so sieht es der Autor, entspricht dem »tiefer liegende[n] Bewegungsmoment« der Metapher (S. 121). Einmal, weil sich die Übertragung, die zwischen den Gliedern des metaphorischen Ausdrucks (die Terminologie ist hier uneinheitlich, am bekanntesten sind wohl die Bezeichnungen focus und frame) statt hat, als eine reflexive und damit auch als eine wiederholte begreifen lässt. Zum anderen, weil es die Wiederholung ist, die eine Metapher im Lexikon der Sprache verankert oder in der continuatio zur Allegorie bzw. zur Ironie ausweitet. So wäre, nach Haverkamps Vorschlag, das Modell der Übertragung durch eines der Wiederholung zu ersetzen. Dafür spricht, dass mit der Wiederholung die der Metapher eigene Historizität erfasst wird, »die grundsätzliche historische ›Verborgenheit‹ ihrer Leistung und Wirkung« (S. 119). Jedoch ist hier genau zu differenzieren, denn während ein Ausdruck in der Übertragung (respektive Wiederholung) erst zu Metapher wird, kann die Wiederholung, verstanden als auf Dauer gestellte Übertragung, die Metapher eben auch zum Verschwinden bringen – dann, wenn sie den Ausdruck lexikalisiert, sei es als Katachrese oder als usuelle sprachliche Wendung. Entsprechend hat der Begriff der Wiederholung in Bezug auf die Metapher einen zweischneidigen Wert. Das hindert aber keineswegs daran, ihn vertiefend zum bekannten Übertragungsmodell hinzuzuziehen, zumal er in der Interpretation durch die Psychoanalyse oder in der Ausweitung durch Blumenbergs Theorie der Unbegrifflichkeit vielfältige Anknüpfungsmöglichkeiten bietet. Ersetzen aber kann er das alte Modell nicht.

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Performativität

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Verknüpft mit dem Wiederholungsmoment der Metapher ist der Aspekt ihrer Performativität. Hier geht es um die Konstitution der metaphorischen Bedeutung, die sich laut Haverkamp erst mit dem Gebrauch vollzieht, den Wörtern also nicht von vornherein eigen ist. Spätestens seit Wittgenstein ist dieser Punkt für die Sprachanalyse zentral, mit Blick auf die Metapher hat ihn maßgeblich Max Black thematisiert. Haverkamp zitiert in diesem Zusammenhang jedoch eine andere Quelle, einen Aufsatz von Hans Lipps, der 1934 in der Deutschen Vierteljahrsschrift erschien. 3 Lipps erklärt »den Gebrauch von Metaphern zum unhintergehbaren, ›ursprünglichen‹ Muster ›sprachlicher Bedeutung‹« (S. 111). Dabei sei keine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen den Metapherngliedern anzunehmen, auch keine Übertragung, sondern eine »strenge Identität der Bedeutung« (S. 113). Diese, so lässt sich erklärend hinzufügen, wird in der Metapher durch die Identifizierung zweier Sachverhalte hergestellt, deren verbindende Elemente durch den Rezipienten erst aufgesucht und miteinander korreliert werden müssen. Die »Bedeutung vollzieht sich allererst in der Aufnahme eines konkreten Zusammenhangs« (S. 112), schreibt Lipps und betont damit nicht nur den performativen Charakter sprachlicher Bedeutungsgebung, sondern auch ihren Ursprung in Akten des Erkennens. Im Rahmen einer kognitiven Semantik sollte der Untersuchung metaphorischer Rede demnach eine besondere Rolle zukommen, wobei freilich zu berücksichtigen wäre, dass Metaphern Satzcharakter besitzen und eng an ihren sprachlichen Kontext gebunden sind. Haverkamp belässt es an dieser Stelle aber dabei, die Defizite in der linguistischen Forschung zu benennen (vgl. S. 70), weiterführende Überlegungen stellt er nicht an.

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Ambiguität

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Haverkamps Arbeit am »Paläonym Metapher« bleibt an der Grenzlinie von Systematik und Historie, indem sie den Aspekten der Wiederholung und Performanz einen weiteren hinzufügt, der für die Linguistik gleichwohl von einiger Bedeutung ist: der Aspekt der Ambiguität. Haverkamp bezieht sich in diesem Zusammenhang auf Empsons einflussreiche Studie Seven Types of Ambiguity (1930) – eine »radikal neue Grundlage« für die Theorie der Metapher (S. 68), wie er konstatiert. Mit Empson sieht Haverkamp die Metapher als einen Typus von Mehrdeutigkeit in der alltäglichen Sprache verankert, und zwar wiederum als Satzfigur, womit auch von dieser Seite dem klassischen Substitutionsmodell der Boden entzogen ist.

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Ambiguität ist die generative Voraussetzung für das, was lexikalisch als konventionalisierte Metapher erscheint, als spezielle Form eines ›Benennungsmodus‹ aber nicht in der Möglichkeit der individuellen ›Wortwahl‹ erschöpft ist, sondern ›eine Folge verschobener Syntax‹ ist.(S. 72)
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Damit zeigt sich Ambiguität als Phänomen am Schnittpunkt von syntagmatischer und paradigmatischer Sprachbetrachtung, beruht sie im Fall der Metapher doch auf der syntaktischen Verknüpfung von Wörtern, rekurriert in deren aktueller Verwendung aber auf die »indirekt mit-verwirklichten Möglichkeiten des Lexikons« (S. 72), also auf die assoziativen Beziehungen, die zwischen den Wörtern bestehen. Interessant werden diese Überlegungen wieder insofern, als sie von der metaphorischen Rede aus auf die Konstitution sprachlicher Bedeutung insgesamt zu beziehen sind. Ein virulenter Punkt, was bei Haverkamp auch dadurch kenntlich wird, dass seine Darstellung in diesem Zusammenhang von dem abstrahierend-theoriegeleiteten Gestus abweicht, der ansonsten weite Teile des Buches bestimmt.

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Ambiguität und Paradoxie

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Der Reiz des Ambiguitätsbegriffes liegt für Haverkamp offensichtlich darin, dass er in Bezug auf die Metapher Grammatik und Poetologie verknüpft. Er macht den Reichtum an Aussagevarianten darstellbar, der nicht im sprachlichen Lexikon manifest wird und der gerade prägnante, ausdrucksstarke Metaphern kennzeichnet. Von der Sprachentwicklung her betrachtet, liegt die Ambiguität vor der Kristallisation in feste Bedeutungen; sie kennzeichnet »Latenzen der sprachlichen Materie, bevor sie zu Bedeutung gerinnen« (S. 72). Die Ambiguität kann der Lexikalisierung aber auch dauerhaft entgegenwirken – dann, wenn die der Metapher inhärente Paradoxie, der Widerspruch zwischen den Einzelwörtern, keine Kodifizierung in einer Bedeutung zulässt, wie es zum Beispiel bei absoluten Metaphern der Fall ist.

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Da sie die Bedeutungsvielfalt komplexer sprachlicher Einheiten zu beschreiben sucht, stellt der logische Widerspruch zwischen den Metapherngliedern für Empsons Ambiguität keine Schwierigkeit dar, er ist vielmehr eine Ermöglichungsbedingung poetischen Ausdrucks. In dieser Hinsicht ist das Ambiguitätskonzept all den Theorien überlegen, die in der Paradoxie der Metapher lediglich einen logischen Gegensatz zu erkennen vermögen und damit ein Ähnlichkeitsverhältnis zwischen den Metapherngliedern nahe legen. Ambiguität als Beschreibungsmodus für die »Latenzen der sprachlichen Materie«, die vor der konkreten Bezeichnung liegen, unterläuft aber auch die hergebrachte Trennung von Metapher und Begriff. Haverkamp zitiert in diesem Zusammenhang Manfred Frank:

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Die Metapher ist nun nicht mehr jener kleine Umweg, den der Begriff über die Anschauung nimmt, um sich vorstellig zu werden, also auch nicht die uneigentliche (von einer Axiologie des Ähnlichen gebändigte) Repräsentanz des Nicht-Sinnlichen, sondern dessen ursprüngliche und erst im Gebrauch, also post festum intersubjektiv schematisierte Seinsweise. 4
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Metaphorologie zweiten Grades und die
»Sprachsituation« der Moderne

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Hier schließt die dritte Ebene der Haverkamp’schen Untersuchung an, und zwar mit dem Entwurf einer Metaphorologie zweiten Grades, der die Lektüre Empsons mit der Blumenbergs verbindet. Die Überlegungen zum Ambiguitätsbegriff, die Haverkamp vorab entfaltet hatte, werden nun auf Blumenbergs Metaphorologie und auf seine Theorie der Unbegrifflichkeit übertragen. Der Gewinn dieser Synopse ist nicht unzweifelhaft, in erster Linie liegt er wohl in einer Ausweitung der Begriffe Ambiguität und Unbegrifflichkeit.

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Es geht Haverkamp darum, die Grundlagen einer Metaphorologie neu zu bestimmen, womit sich auch ihr Gegenstand und ihr Bezugsrahmen verändern. Maßgeblich hierfür ist die Diagnose der »Sprachsituation« der Moderne – ein Terminus, den er wiederum von Blumenberg übernimmt. Mit »Sprachsituation« bezeichnet Haverkamp die »Vorgaben der Sagbarkeit« einer Epoche (S. 161). In der archäologischen Bildlichkeit, die der Autor verwendet, könnte man auch sagen: die lebensweltlich verankerte Schicht des Unbegrifflichen, auf der alle Theorie aufruht, und die deshalb im Rahmen einer Archäologie der Begriffe wie auch einer Systematik der Begriffsbildungen zu untersuchen ist (vgl. S. 162). Diese Untersuchung ist Aufgabe der Metaphorologie zweiten Grades; Ambiguität als prinzipielle Unbestimmtheit zeichnet die »Sprachsituation« aus, mit der sie sich in der Moderne konfrontiert sieht. »Empsons Seven Types of Ambiguity handeln von einem neuen Sprachzustand, einem von Empson dem Englischen nach Shakespeare abgerungenen […]›uncertainty principle‹«. (S. 126) In dekonstruktivistischer Manier wird dieses Prinzip von Haverkamp absolut gesetzt: Der gegenwärtige Sprachstand ist der einer »linguistischen Zertrümmerung« (S. 128), der weder einen Literalsinn kennt noch eine fixierbare Bedeutung und in »einer totalen, in der Totalität unerhörte Latenzen aufreißenden Verunsicherung des semantisch Gegebenen endet« (S. 130).

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Meta-Theorie und Meta-Methodik

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Damit sind die rhetorischen Begriffe von Allegorie und Metapher obsolet geworden, an ihre Stelle tritt das umfassende Prinzip der Ambiguität, weshalb auch Haverkamps Metaphorologie im Wortsinne keine mehr ist: Sie zielt nicht auf die Aufdeckung von Hintergrundmetaphern oder die Aushebung spezieller Metaphernvorkommen, denn »mit der Symptomatik durchschaubarer, lebensweltlich beziehungsreicher Metaphern« kann diese Meta-Theorie nicht mehr rechnen (S. 155). Entsprechend ist die Rede von einer abgeleiteten, einer »Metaphorologie zweiten Grades«, die Haverkamp folgendermaßen definiert: »Sie ist eine (meta-) rhetorische Methode, die den Begriff der Metapher philosophisch – epistemologisch, ästhetisch, theoretisch – in Anwendung bringt.« (S. 161) In ihren Anwendungsgebieten: der Philosophie, Philologie und Geschichtswissenschaft, dient sie der historischen Selbstvergewisserung und der weitergehenden Reflexion. Eine Meta-Theorie und Meta-Methodik also, »die es mit dem Inventar von Rhetorik und Kritik in seiner ganzen Breite aufnimmt« (S. 162), und die ausgerichtet ist auf die methodisch-sprachliche Analyse der Disziplinen, die einmal unter dem Begriff der Geisteswissenschaften firmierten. Gegenstand dieser Analyse sind die

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unterschiedlichen Syndrome der sprachlichen Komplexion von Wörtern in ihrer lexikalischen Situiertheit zwischen Katachrese und Metapher, Formel und Begriff, und dies nicht isoliert, sondern in ihrem paradigmatischen Vorkommen in Syntagmen [sic!], deren grammatische oder aber auch un- oder anagrammatische Ausprägung mitzudenken und mitzudokumentieren ist. (S. 162)
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Metaphorologie versus Begriffsgeschichte

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Ein Unternehmen wie das Historische Wörterbuch der Philosophie, als dessen konzeptioneller Beitrag Blumenbergs Paradigmen zu einer Metaphorologie (1960) einmal gedacht war, wäre damit laut Haverkamp nicht nur ersetzt, sondern bereits in seinem Ansatz revidiert. 5 Mit der »›gefährlichen‹ supplementären Logik metaphorologischer Analysen« (S. 163), inspiriert durch Blumenberg und Derrida, ist Haverkamps Position gegenüber der Begriffsgeschichte abgesteckt. Deren »Bilanz«, so schreibt Haverkamp zu Beginn seines Buches,

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gehört gegengelesen, um gegen den Strich der im Spiel befindlichen begrifflichen Teleologien die Unschärfen zu bemerken und zu markieren: als Marken vor der Begrifflichkeit, Marken eines Im-Begriff-Seins oder Vor-jedem- oder Gegen-jeden-Begriff-Seins, womöglich sogar noch eines im Prozeß des Markierens Befangen- oder Widerständig-Seins. (S. 11)
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Was aber unter diesen »Marken« zu verstehen ist, wird nicht dargelegt, wie letztlich auch das Verhältnis von Metapher und Begriff in Haverkamps Untersuchung problematisch bleibt. Einerseits immer schon metaphorisch unterlaufen und durch das Derridasche Konzept des Paläonyms mühsam ersetzt, lebt das Begriffliche als Negativfolie in Haverkamps Argumentation dennoch fort. Es gerät zu einem inhaltsleeren Funktionswert, der je nach Stoßrichtung der Argumentation für obsolet erklärt, dann aber als unerlässlicher Gegenpol zu den eigenen inhaltlichen und methodischen Positionen auch wieder zu neuem Leben erweckt wird. Ähnlich verhält es sich mit Haverkamps Position gegenüber der Begriffsgeschichte an sich; an der oben zitierten Forderung, deren »Bilanz gehöre gegengelesen«, wird sich daher nicht nur seine Bilanz, sondern vor allem das skizzierte Projekt einer Metaphorologie zweiten Grades messen lassen müssen.

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Fazit

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Wer den ersten der drei Titel des Buches ernst nimmt, wird enttäuscht sein: In Haverkamps Monographie geht es kaum um das Phänomen Metapher an sich. Interessant ist die Figur vor allem als Gegenstand von Begriffsbildungen und Begriffsgeschichte, also in vermittelter Form. Hier zielt Haverkamp auf einen methodischen Neuansatz, für den er das von Derrida entwickelte Konzept des Paläonyms übernimmt. »Paläonym« meint dabei, dass ein »alter Name« für einen neuen Begriff verwendet wird. Die Bezeichnung also bleibt konstant, während sich ihre Bedeutung verschiebt. Diese Verschiebungen will die paläonymische Lesart aufdecken – bei Haverkamp richtet sie sich auf die begrifflichen Kontexte, die dem Namen »Metapher« in seiner über 2000jährigen Geschichte beigegeben wurden.

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Man mag die hier vorgenommene Trennung von Begriff und Sache bezweifeln, mehr noch die Implikation eines »ursprünglichen Namens«, die mit dem Konzept des Paläonyms einhergeht; problematisch an Haverkamps Untersuchung erscheint aber vor allem der methodische Anspruch, mit der Strategie paläonymen Lesens die Begriffsgeschichte als Deformationsgeschichte insgesamt zu erledigen. Wenn der zweite Teil des Buches die Metapher nicht mehr als Begriff, sondern als Paläonym systematisch zu beschreiben sucht, lässt sich dahinter nicht viel mehr entdecken als eine neue Etikettierung. Auch die dargestellten Aspekte der Performativität, der Wiederholung und der Ambiguität sind schon andernorts auf die Metapher bezogen worden; hier liefert Haverkamps Bilanz lediglich eine neue Anordnung für bereits Bekanntes. Der Entwurf einer Metaphorologie zweiten Grades schließlich, mit dem das Buch endet, ist so vage, in seiner Zielsetzung aber zugleich so ambitioniert, dass auch er vor allem Zweifel hervorruft und die skeptische Frage nach der Möglichkeit metaphorologischer Analysen in Anbetracht umfassender Ambiguität und sprachlicher Latenz, wie sie Haverkamp konstatiert.

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Das größte Problem der Untersuchung aber liegt in ihrer Darstellungsweise. Der Leser sieht sich mit einer abstrakten, oft sperrigen Diktion konfrontiert, die auf erklärende Zusätze ebenso verzichtet wie auf Beispiele. Ein Buch offenbar, dass mehr der Selbstverständigung dient als der transparenten Diskussion der Sache. Ob das der Faszination am Phänomen Metapher tatsächlich entgegenkommt, bleibt aus meiner Sicht zu fragen.

 
 

Anmerkungen

Stellvertretend: Jean-Pierre van Noppen / Edith Hols (comps.): Metaphor II: A Classified Bibliography of Publications from 1985–1990. Amsterdam/Philadelphia 1991 (Amsterdam Studies in the Theory and History of Linguistic Science. Series V. Vol. 20).; Bibliography of Metaphor and Metonymy (METBIB). Hrsg. von Sabine De Knop, René Dirven, Carlos Inchaurralde, Rainer Schulze. Internationale Spezialbibliographie mit Titelnachweisen zur uneigentlich-figürlichen Sprachverwendung. URL: http://www.digento.de/titel/103025.html (13.09.2007).; Eckard Rolf: Metaphertheorien. Typologie, Darstellung, Bibliographie. Berlin; New York 2005.    zurück
Vgl. hierzu: Ekkehard Eggs: Artikel »Metapher«. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 5. Hrsg. von Gert Ueding. Tübingen 2001, Sp. 1103–1183, besonders Sp. 1103 f.   zurück
Hans Lipps: Metaphern. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 12 (1934), S. 352–363.   zurück
Manfred Frank: »Die Aufhebung der Anschauung im Spiel der Metapher«. In: Neue Hefte für Philosophie 18 / 19 (1980), S. 58–78, hier S. 68.   zurück
Haverkamp folgt damit der negativen Bilanz der Begriffsgeschichte, die Hans Ulrich Gumbrecht in Dimensionen und Grenzen der Begriffsgeschichte formuliert. Für beide Autoren hat sich die Begriffsgeschichte historisch erledigt, an ihre Stelle tritt das vage skizzierte Projekt einer Metaphorologie. Vgl. Hans Ulrich Gumbrecht: Dimensionen und Grenzen der Begriffsgeschichte. München 2006.   zurück