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Verlegerische Monopole und Lektüreverknappung

  • William St. Clair: The Reading Nation in the Romantic Period. Cambridge: Cambridge University Press 2004. 796 S. Hardback. GBP 90,00.
    ISBN: 0-521-81006-X.
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Legenden der
englischen Buchhandelsgeschichte

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Zum festen Bestandteil einer Geschichte des englischen Buchhandels gehört seit langem die These der sog. whiggistischen Geschichtsschreibung, der zufolge die Nichterneuerung des Zensurgesetzes im Jahre 1695 zu einem Anstieg der Buchproduktion und letztlich zur Emanzipation der bürgerlichen Gesellschaft geführt habe. Die These St. Clairs lautet: mit dem Rückzug des Staates aus der Reglementierung der Buchproduktion beginne eine »high monopoly period«, d.h. ein Preiskartell mächtiger Londoner Verlagsbuchhändler, das noch für die Physiognomie der »reading nation« während der Zeit der Romantik (1790 bis 1830) und die verzögerte Breitenrezeption der Romantiker im 19. Jahrhundert verantwortlich sei.

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Bis vor kurzem gehörte auch die These vom gleichbleibenden Volumen der Buchproduktion zwischen 1660 und der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum festen Bestand statistisch argumentierender Buchhistoriker: Nach einem leichten Aufschwung um 1750 sei es erst zu Beginn des neuen Jahrhunderts zu einer signifikanten Beschleunigung gekommen. 1 Das jedenfalls lag der Argumentation Marjorie Plants zugrunde, 2 die sich wiederum auf Charles Knights Shadows of the Old Booksellers (1865) stützte. Der utilitaristische Verleger des Penny Magazine (1832–1845) Knight hatte seine Statistik, das muss man wissen, bereits im einleitend-programmatischen Aufsatz seiner neuen Zeitschrift The Printing Machine: A Review for the Many (No. 1, 15 Februar 1834), »The Market of Literature«, vorgelegt und die Auffassung vertreten, allein die Verbilligung von Druckerzeugnissen könne die Volksbildung vorantreiben und gesellschaftlich-ökonomischen Fortschritt bringen. Er musste also daran interessiert sein, den Zusammenhang mit Zahlen zu belegen. Mit der Erstellung des Eighteenth Century Short Title Catalogue 3 wird jedoch deutlich, dass man leicht in unwegsames Gelände gerät und in die Fallen ideologischer Vorentscheidungen tappt. St. Clair scheint da vorsichtiger zu sein: in seiner wirtschaftspolitischen Argumentation bringt die Abschaffung des »ewigen Verlagsrechts« im Jahr 1774 juristische und ökonomische Veränderungen mit sich, die sich in entscheidender Weise auf dem Buchmarkt niedergeschlagen. 4

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Um noch einmal auf Knight zurückzukommen: Bezeichnenderweise erwähnt der Klassiker der anglo-amerikanischen Buchforschung, Richard Altick, Knights Angaben mit keinem Wort, obwohl er den Artikel aus The Printing Maschine kennt. 5 Dafür liefert er im Appendix B seiner Darstellung, die sich immerhin fast zu einem Viertel mit der Zeit vor 1800 beschäftigt, detaillierte Angaben über »Bestseller« (Nonce Literature, Fiction, Poetry, Textbooks, Reference Works etc.), sowie im Appendix C Angaben über Auflagenhöhen von Periodika und Zeitungen. Wie er in der Einleitung zu dieser kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs begonnenen Studie bemerkt, geht es ihm um den Stellenwert des Lesens in einer industriellen und zunehmend demokratisierten Gesellschaft. Ohne irgendwie durch den Pessimismus der Frankfurter Schule und das im nordamerikanischen Kontext entwickelte Konzept der Kulturindustrie tangiert zu sein, ist für Altick das 19. Jahrhundert der signifikante Modellfall, so dass er die Untersuchung mit der Hoffnung abschließt, man könne in der Geschichte des common reader Hinweise finden »to the fuller and wiser use of the printed word in the democratic society of the future« (S. 376). So erstaunt es nicht, dass Altick den viktorianischen Verleger Charles Knight als »the very symbol of the cheap-book movement« bezeichnet. 6

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St. Clairs Fragestellung

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St. Clair argumentiert von der Basis wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen, die das Verlagsgewerbe monopolistisch für sich genutzt habe. Also geht er den Folgen der bereits im 16. Jahrhundert begonnenen wirtschaftlichen Konzentration im Hinblick auf Preispolitik und beschränkten Zugang für einkommensschwache Lesergruppen (er spricht insgesamt von »constituencies«, d.h. Wählerschaft, Kundenkreis) mit einem für Geisteswissenschaftler vielleicht irritierenden Nachdruck nach.

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Vorher ist noch ein Blick auf den von St. Clair eigentlich nicht zur Kenntnis genommenen Forschungsbeitrag Jon P. Klanchers notwendig. Auch Klancher will mit The Making of English Reading Audiences, 1790–1832 (1987) die Struktur der »reading nation in the Romantic period« untersuchen. Aber seine diskurshistorische Studie geht von der Annahme aus, der Kampf gesellschaftlicher Gruppen um die Bedeutung von Zeichen und Diskursen seit der Französischen Revolution habe zu einer Fragmentierung der Leserschaft geführt. Diese habe wiederum die Autoren der Zeit dazu veranlasst, sich vornehmlich in den um 1800 gegründeten neuen Periodika um spezifische Lesergruppen zu kümmern, sie ästhetisch-ideologisch zu organisieren. Es sind dies die Leser der Mittelklasse, die politisch Radikalen bzw. die »Massen«. St Clair beschäftigt sich dagegen fast ausschließlich mit dem Buch, geht nur hin und wieder auf Periodika ein. Allerdings scheint es mir angesichts der in der Romantikforschung nie bestrittenen Rückkopplungseffekte zwischen den Printmedien notwendig, die Physiognomie von Lesern aus dem Zusammenwirken von Bildung und Alphabetisierung sowie der Geschichte des Buches und anderer Medien zu ermitteln, so wie Altick das bereits getan hatte.

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Trotz dieser Einschränkung ist die argumentative Leistung und der Materialreichtum St. Clairs erstaunlich, zumal er in mehr als 20 Tabellen im Text und einem ca. 270 Seiten umfassenden Anhang aus zahlreichen verstreuten Quellen (u.a. Verlagsarchiven) ein unterschiedlichste Aspekte des Literaturmarktes betreffendes Zahlenwerk zusammengetragen hat. Dennoch bleiben notwendigerweise immer noch einige sachliche Lücken – u.a. nicht zur Kenntnis genommene Forschungsliteratur, Ungenauigkeiten und unpräzise Dokumentationen – sowie methodologische Schwachstellen.

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Der Einschnitt des Jahres 1774

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Altick, dessen Studie St. Clair ohne Zögern als »an excellent and pioneering work on which I have frequently drawn and which can still be warmly recommended« (S. 9) bezeichnet, hatte seine »Chronology of the Mass Reading Public« (Appendix A) mit dem Jahre 1774 beginnen lassen, als eine Mehrheit im House of Lords im Rechtsstreit zwischen den Verlegern Donaldson (Edinburgh) und Beckett (London) das Urteil des vorinstanzlichen Court of Chancery aufhob und das Konzept des auch in Deutschland zur gleichen Zeit umkämpften ewigen Verlagsrechts für erledigt erklärte. Damit war der Weg frei für die Verbilligung von Texten und eine nun einsetzende »explosion of reading«. Diese Explosion muss man jedoch, so St. Clair, in den historischen Kontext seit dem 16. Jahrhundert einordnen. Nur so lässt sich zeigen, welche Art von Literatur wem zugänglich war und in welcher Situation sich die Leser der Periode der Romantik und des gesamten 19. Jahrhunderts befanden. Der Titel des Buches, in dem es gelegentlich auch um die »echten« Romantiker geht, weckt vielleicht doch falsche Erwartungen, zumal weniger der Leser selbst als der durch die Verleger regulierte Zugang zu Lesestoffen im Zentrum der Argumentation steht.

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Um die Vorgeschichte der Entscheidung von 1774 und damit auch deren Folgen aufzuzeigen, geht St. Clair in den Kapiteln 3, 4 und 5 ausführlich auf den Zusammenhang zwischen der staatlichen Regulierung und Überwachung des Drucks, dem seit 1556 bestehenden Lizensierungs- und Registrierungsmonopol der Stationers’ Company (der Buchhandels- und Verlegerorganisation) und dem Konzept des in Analogie zu privatrechtlichen Eigentumsbegriffen als »intellectual property« bezeichneten immateriellen Verlags- bzw. Autoreneigentums ein. St. Clair ist sicherlich der erste, der die monopolistischen Praktiken der Stationers’ Company in dieser Deutlichkeit aufdeckt und die Folgen für eine Geschichte des Lesens aufzeigt. Den Verlagsbuchhändlern scheint es, wenn man St. Clair folgt, auf lange Zeit hin gelungen zu sein, den gesamten englischen Buchdruck zu kontrollieren, und zwar bis hin zur Unterdrückung von Anthologien (Boykott selbst von Einzelzitaten) und Kurzfassungen von Büchern. 7 Die Texte, für die sie die Rechte besaßen, konnten deshalb über einen sehr langen Zeitraum kostengünstig weiter vermarktet werden, obwohl sie (etwa im Falle von Schulbüchern) wegen ihres teilweise obsoleten Charakters ein nicht mehr aktuelles Bild vom agrarisch-ländlichen England vermittelten.

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Dass die Verlagsbuchhändler mit ihren Kartellbestrebungen Erfolg hatten, obwohl sie dem Raubdruck der irischen und schottischen Kollegen oft nur wenig entgegensetzen konnten, stimmt sicherlich. Im Detail sind jedoch Fragen angebracht. So weist St. Clair in einer Fußnote auf die Probleme des renommierten Verlegers Robert Dodsley hin, der im Falle seiner Collection of Old Plays (1743) um die Freigabe durch der Rechteinhaber kämpfen musste (S. 123, Anm. 4). Bedauerlicherweise geht er nicht auf Dodsleys ebenso wichtige Anthologie A Collection of Poems by Several Hands (1748, drei Bände; 1758, sechs Bände) ein, in der ca. 130 Autoren des 17. und 18. Jahrhunderts vertreten sind (u.a. Collins, Garrick, Gray, Johnson, Lady Montague, Pope, Shenstone, Thomson). Donald D. Eddy hatte bereits vermutet, Dodsleys unausgewogene Auswahl habe mit den Verlagsrechten zu tun gehabt. 8 St. Clairs Belege sind im Großen und Ganzen überzeugend; jetzt müsste man das auch im Hinblick auf Dodsleys geschmacksgeschichtlich wichtige Sammlung abklären.

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Andererseits widersprechen St. Clairs Aussagen über die Verhinderung von Anthologien Alticks Befunden über die zahlreichen »Blütenlesen« für den Schulgebrauch. 9 Inwieweit die verlagsrechtlichen Beschränkungen auch auf den Zugang einfacher Leser zu Lesestoffen Einfluss hatten, etwa Chapbooks, wäre zu überdenken. Pat Rogers hat in seiner Studie zu den Kürzungen von Klassikern des 18. Jahrhunderts auf derartige Rechtsstreitigkeiten hingewiesen. 10 Andererseits konnte Erhard Dahl in seiner Studie zu den in Zeitungen erschienenen Nachdrucken von Defoes Robinson Crusoe, 11 den gekürzten Buchfassungen und den seit Mitte des Jahrhunderts publizierten Chapbook-Versionen nachweisen, dass die Verleger billiger Versionen durchaus die Lücken des Gesetzes von 1710 (Zeitungen und Periodika waren ausgenommen) auszunutzen und sich mit ihren Buchproduktionen zu behaupten wussten. 12 Der Bestand der Robert White Collection (University Library, Newcastle upon Tyne) zeigt im übrigen, dass die Verleger von billiger Literatur eine hohe Anzahl von populären Anthologien zu publizieren in der Lage waren. 13

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Einen Aspekt der Verlagsproduktion lässt St. Clair gänzlich außer Acht: die umfangreiche Kriminalliteratur, die in besonderem Maße durch Nachdruck und Piraterie gekennzeichnet ist. Es handelt sich dabei u.a. um die Ordinary’s Accounts (Berichte der Gefängnisgeistlichen von Newgate), die regelmäßig erscheinenden halboffiziellen Old Bailey Proceedings, die Select Trials, den Bloody Register, die diversen Newgate Calendars oder die Einzelpublikationen zu Prozessberichten. 14 Die Buchforschung hat auf diesem Gebiet noch einiges zu tun, müsste aber auf jeden Fall die von St. Clair zu Tage geförderten Ergebnisse einbeziehen.

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Zu den verlagsrechtlich geschützten Texten gehörten auch Balladen. Es mag zwar stimmen, dass der sog. Ballad Stock auf die gleiche Weise wie Bücher im eigentlichen Sinne dem Monopol unterlag (vgl. S. 58 und 500) und dass das Ballad Warehouse am Aldermary Churchyard den Bestand an traditionellen Balladendrucken kommerziell verwaltete (S. 340). Man muss auf der anderen Seite aber davon ausgehen, dass es daneben nicht lizensierte Blätter gab, die etwa von einem anonymem Autor im Jahre 1714 als »[t]he greatest Mischief« bezeichnet wurden: »their being nois’d about the Streets [is] the quickest and surest way Sedition has to take«. 15 In zahllosen Fällen wurden Balladensänger gerichtlich belangt, und 1738/39 heißt in einer Notiz in den State Papers:

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Ballads and other nonsensical papers are publisht tending to feed the distempered humour of many of the Mobb against the Government; [...] The Authors, Printers and Publishers of those Papers are generally [...] persons not worth the Notice of the Government or the Expence and Trouble of a Prosecution in the usual Forms, yet as their Practice is very mischievous it would be very much for the publick Service that some Method of Punishment should be thought of to deterr them from it. 16
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Diese Form der mündlich verbreiteten, aber gedruckt vertriebenen Straßenballade war Bestandteil einer »oral political culture [...] almost impossible to control«, 17 weder von der Regierung noch von den großen Verlegern.

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Intellectual Property:
Das Copyright-Gesetz von 1710

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Ohne weiter auf St. Clairs zuweilen etwas zu detaillierte Darstellung der Vorgeschichte einzugehen, muss man noch einmal auf den Zusammenhang zwischen der Nicht-Erneuerung des bis 1695 gültigen (Vor-)Zensurgesetzes und den Folgen für die Verleger hinweisen, die den wirtschaftlichen Schaden durch Raubdruck reklamierten. Der unter Königin Anne 1710 verabschiedete »Act for the Encouragement of Learning, by vesting the Copies of printed Books in the Authors, or Purchasers, of such Copies, during the Times therein mentioned« brachte für die monopolistischen Verleger erstmals entscheidende Beschränkungen – allerdings nur auf dem Papier.

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Das Gesetz betraf zunächst einmal, was bei St. Clair nicht deutlich wird (weil ihn dieser Aspekt nicht interessiert), nicht den Autor als geistigen Urheber eines Werkes, obwohl bereits seit einiger Zeit manch einer die kommerzielle Beteiligung am Verkaufserlös einforderte, sondern die Verleger. 18 Das Gesetz zielte wesentlich darauf ab, die Monopolstellung mächtiger Verleger zu schwächen, und zwar zum einen durch die Einschränkung des generellen Lizensierungsmonopols der Stationers’ Company, zum zweiten durch Einschränkung der Rechte von Verlegern bzw. Anteilseignern an Werken, die nach dem common law auf unbestimmte Zeit galten. Neu war, dass von jetzt ab für bereits publizierte Titel eine Schutzfrist von 21, für neue von 28 Jahren gelten sollte, ehe der Druck (»public domain«) für jedermann erlaubt war. Damit waren jedoch Konflikte vorprogrammiert.

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Tatsächlich versuchten die als »Conger« bekannten restriktiv-exklusiven Kartelle sowohl mit dem Mittel der Parlamentspetition als auch mit gerichtlichen Klagen ihre Positionen durchzusetzen, um sich effektiv gegen Raubdruckkonkurrenz (inländische wie auch irische und schottische, S. 104 ff.) wehren zu können und, das Statut von 1710 unterlaufend, für sich ein »ewiges Verlagsrecht« zu reklamieren. Mit der Entscheidung des Oberhauses im Rechtsstreit zwischen dem schottischen Verleger Donaldson und den Londoner Verlegern (Beckett und Geschäftspartner) wird das »ewige Verlagsrechts« 1774 für nichtig erklärt.

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Es wird allerdings nicht hinreichend deutlich (S. 107–112), wie diese Öffnung im Sinne eines »free trade« zu erklären ist. St. Clair betont einerseits den Konservativismus der Richter des Court of Chancery und der im House of Lords zur Stellungnahme aufgerufenen Kollegen, spricht dann aber relativ unpräzise von »wider considerations« des gesamten Oberhauses (S. 111). In der Parlamentsdebatte wurden unterschiedliche Rechtspositionen vertreten, zudem gab es persönliche Animositäten zwischen den »gutachtenden« Richtern. John F. Whichers Resumée: »when we ask what doctrine, precisely, the lords preferred to that which they thus cast aside, Clio (that coy muse) simply shrugs«. 19 Andererseits gab es zweifellos wirtschaftliche Argumentationen: Lord Camden etwa kritisierte das Monopol des Buchhändlerkartells und sprach von »[a] most iniquitous oppressions [...] to the disgrace of printing«. 20 Wie lässt sich das in die wirtschaftspolitischen Orientierungen der englischen Elite einordnen? Gelegentlich macht St. Clair Aufklärungsideen, insbesondere Adam Smiths Absage an Monopole (S. 436), für die Trendwende verantwortlich, ohne jedoch generelle wirtschaftspolitische Tendenzen zu benennen. 21

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Verlegerisches Monopol
und Beendigung des Monopols

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St. Clair kommt es jedoch vor allem auf die ökonomischen Begleiterscheinungen an. Bis 1774 profitierten vor allem wenige Monopolisten, die mit ihnen zusammenarbeitenden Produktionsbetriebe und einige Autoren von den hohen Bücherpreisen, den Formaten (Produktion vorwiegend von schweren und teuren Folio- und Quartformaten; kein Nachdruck in Periodika; kaum books in parts) und der Praxis, nicht verkaufte Exemplare nicht einfach an den Remainder-Buchhandel weiterzugehen, sondern einfach zu vernichten (S. 99). Schließlich ist auch der Widerstand gegen technologische Neuerungen deutlich (das Stereotypieverfahren wurde erst verspätet nach 1800 eingeführt). Wenn man das Festhalten am alten Kanon und speziell an den alten Schulbüchern hinzunimmt, zeichnet sich das Bild einer durch die Buchproduzenten zu verantwortenden kulturellen Rückständigkeit ab, mit den entsprechenden Folgen für die Orientierungen und Mentalitäten der Bücherleser (S. 101).

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St. Clair konstruiert einen stringenten Zusammenhang:

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To trace readership, we need to trace access. To trace access, we need to trace price. To trace price, we need to trace intellectual property, and to trace intellectual property, we need to trace the changing relationship between the book industry and the state (S. 42).
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Zum einen, so argumentiert St. Clair, bringt die Abschaffung des »ewigen Verlagsrechts« seit den achtziger Jahren des 18. Jahrhundert eine »explosion of reading« (Kapitel 6). Er belegt das auch überzeugend in Appendix 6 (S. 525–550) mit einer Liste neuer, zunehmend billigerer Anthologien und Serien (Bells The Poets of Great Britain, 1776–82; 109 Bände, zum Preis von 1s.6d.; Harrisons Novelists Magazine, ab 1779; Chalmers’ The Works of the English Poets from Chaucer to Cowper, 1810; Limberds British Novelists, 1823 ff. und andere). Allerdings handelt es sich dabei um einen »alten Kanon«, »the first formal canon of poetry in English to be made widely and cheaply available, the most stable, the most frequently reprinted, and the longest lived« (S. 128; Kap. 7). Es sind die Autoren, die das »alte« England repräsentieren: »The publishers of the old-canon lists, whether mainstream or newly joining outsiders, not only ignored the discoveries of the Enlightenment, but offered a Counter-Enlightenment to readers who knew nothing of the Enlightenment« (S. 134). St. Clair geht es also nicht nur um die ökonomischen Aspekte, sondern auch um die Folgen von Monopol, hohen Preisen und der Verfügbarkeit billiger, aber »alter« Texte für die Mentalität des Lesers der Zeit der Romantik.

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Das Lesepublikum

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Zu den Folgen der Monopolisierung gehört das, was St. Clair als »Tranchierung« der in unterschiedlichem Maße Kaufkraft besitzenden Lesergruppen bezeichnet. Die Verfügbarkeit von neuen Büchern war durch die Hochpreispolitik der Produzenten stark eingeschränkt – diese These ist einleuchtend. Zweifel ist jedoch angebracht, ob St. Clairs Aussagen über die Alphabetisierung und die Lesefähigkeit im 18. Jahrhundert so stimmen. Alticks Überblick ging sinnvollerweise u.a. von der Differenzierung von Stadt und Land, working people und middle ranks aus. 22 Offensichtlich rekrutierte sich der »neue« Leser der Zeit nach 1774 aus den middle ranks, so dass etwa Dr. Johnsons Meinung, »[g]eneral literature now pervades the nation through all ist ranks«, 23 einzuschränken ist. Während Altick starke Zweifel an der Beobachtung des Remainder-Buchhändlers Lackington hat, »all ranks and degrees now READ«, 24 kommentiert St. Clair diesen Satz nicht weiter, weil er seine These vom Aufschwung nach 1774 stützt.

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Andererseits belässt es St. Clair mit einem nichtssagenden Hinweis auf David Vincents Literacy and Popular Culture, England, 1750–1914 (1989), 25 ohne die ältere Studie von Lawrence Stone oder die Forschungsergebnisse Roger S. Schofields zur Kenntnis zu nehmen, die bei aller methodischen Problematik ein differenziertes Bild vom Anstieg des Lesefähigkeit zeichnen. 26

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Auf jeden Fall scheint es mir aber wenig sinnvoll, sich bei der Frage nach der Lesefähigkeit und dem Umfang des Lesepublikums lediglich auf die Verfügbarkeit von Büchern zu beschränken. Denn Zeitungen waren in coffee houses verfügbar, 27 in Leihbüchereien bekam man Lesestoff, 28 und Periodika wie Spectator und Tatler lieferten entsprechendes. Schließlich weisen auch die zahlreichen Magazine, die seit Mitte des Jahrhunderts auf den Markt kamen und die selbst wieder ihre Leser zum Schreiben animierten, 29 auf eine eher kontinuierlich wachsende Leserschaft hin. In diesem Zusammenhang muss man auch Robert D. Mayo hinweisen, der für den Zeitraum von 1740–1815 ca. 900 Periodika ausgewertet und in 238 solcher Publikationen immerhin 1375 Erzählungen und Romane mit mehr als 5000 Wörtern Umfang gefunden hat. 30 Gelesen wurden solche Publikationen sicherlich von denen, die St. Clairs Argumentationen zufolge von teureren Büchern abgeschnitten waren: aber man kann doch wohl nicht bezweifeln, dass sie gelesen haben.

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Im übrigen spricht St. Clair zuweilen von einem »huge, previously suppressed, demand for reading« (S. 115), ohne klar zu sagen, was er mit »suppressed demand« meint. Wie kam eine solche Nachfrage zustande, wenn Schul- und Bildungseinrichtungen die Alphabetisierung angeblich nicht vorantrieben (S. 86)? Wenn St. Clair von der »Unterdrückung« des Lesens spricht, so muss man das natürlich auf einzelne Gattungen oder Medien beziehen. Man kann durchaus von verschiedenen Phasen der Leser- und Lesekritik etwa im Hinblick auf Romane oder andere fiktionale Texte sprechen. So resultiert die Tendenz, das moralisch-didaktische Element des Lesens besonders herauszustellen, zunächst aus den Vorbehalten der Dissenter, aus ihren Zeit- und Mußekonzepten. Andererseits gibt es von Seiten der über Landbesitz oder vergleichbare Einkünfte verfügenden, nicht körperlich arbeitenden Elite ökonomisch-politische Vorbehalte gegenüber dem Lesen der arbeitenden Schichten, die etwa Soame Jenyns zufolge (1757), unerwünschterweise zum Lesen und Denken animiert würden. 31 Wäre ein Pflüger, so fragt George Hadley im Jahre 1788, zur Lektüre der »renowned history of Tom Hickathrift, Jack the Giant-Killer, or the Seven Wise Men« imstande, wäre er dann noch gewillt, »to whistle up one furrow and down another, from dawn in the morning, to the setting of the sun?« 32

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Aber erst mit der Französischen Revolution wird für die kulturelle Elite der Zusammenhang zwischen Lesefähigkeit und politischem Umsturz offensichtlich. Hannah More etwa konzipiert ihre billigen Cheap Repository Tracts als politische Waffe, »to improve the habits and raise the principles of the common people [...] to abate their relish for those corrupt and inflammatory publications which the consequences of the French Revolution have been so fatally pouring in upon us«. 33 Noch 1807 werden Fragen von Alphabetisierung und Lesefähigkeit im House of Commons kontrovers diskutiert; um David Giddies zu zitieren:

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[...] giving education to the labouring classes of the poor, [...] would, in effect, be found to be prejudicial to their morals and happiness; it would teach them to despise their lot in life, instead of making them good servants in agriculture, and other laborious employments, to which their rank in society had destined them; instead of teaching them subordination, it would render them factious and refractory [...]; it would enable them to read seditious pamphlets, vicious books, and publications against Christianity; it would render them insolent to their superiors; and, in a few years, the result would be that the legislature would find it necessary to direct the strong arm of power towards them, and to furnish the executive magistrates with much more vigorous laws than were now in force. 34
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Subtilere Ausgrenzungen nicht erwünschter Lektüre kann man dann auch in Londoner lokalen statistischen Erhebungen finden, die St. Clair leider nicht berücksichtigt. 35

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Die ausgebliebene
Vermarktung der Romantiker

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Angesichts der erst im Laufe des 19. Jahrhunderts erfolgten Institutionalisierung der Romantiker sollte man sich an Marilyn Butlers Mahnung erinnern: »Romanticism, in the full rich sense in which we know it, is a posthumous movement«. 36 St. Clair beschränkt sich in seiner Argumentation auf den Kanon der großen Romantiker von Wordsworth bis Shelley. Bemerkenswert ist, dass die während der Romantik-Periode geschriebenen Bücher aufgrund einer Verlängerung der Schutzfristen erst während der mitt- bzw. spätviktorianischen Jahrzehnte einer größeren Leserschaft in billigen Ausgaben zugänglich wurden (S. 121). So erschienen zwar Sammlungen älterer Autoren in billigen Sammelausgaben, aber es handelte sich dabei um den »alten Kanon«, mit Hilfe dessen junge Leser an die Literatur herangeführt wurden.

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Die Romantiker waren davon ausgeschlossen (S. 127), zumal sich die Verleger nicht um deren literarische Produktionen kümmerten (S. 159). Longmans und Constables Ablehnungsargumente sprechen eine deutliche Sprache (S. 159, 160). Autoren mussten sich den Vorstellungen der Verleger hinsichtlich Sprache, Moral, Länge, Format etc. anpassen. Erst wenn sich wie im Falle von Scott oder Byron Verkaufserfolge abzeichneten, investierte man. Wenn einem Verleger wie Murray jährlich ca. 700 Lyrik-Manuskripte vorgelegt wurden (S. 159), fragt man sich allerdings, ob er die Qualitäten eines Wordsworth, Coleridge, Keats oder Shelley zu erkennen in der Lage war. Jedenfalls ist die gut belegte These von der verzögerten Breitenrezeption der Romantiker ein literarhistorisch wichtiges Ergebnis der Studie. Was ist aber St. Clairs Verständnis von Romantik?

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Natürlich besteht wortgeschichtlich, wie St. Clairs Kapitel 12 suggeriert, ein Zusammenhang zwischen den Begriffen roma(u)nt / romance und dem im 17. Jahrhundert auftauchenden Adjektiv romantic. Das letztere bezeichnete zunächst das Unglaubwürdige und gegen die Vernunft Verstoßende der mittelalterlichen und elisabethanischen Versromanzen. Noch Thomas Wartons History of English Poetry (1774) enthält ein Kapitel über »The Origin of Romantic Fiction in Europe«. 37 Andererseits gibt es schon bei Congreve eine deutliche, in Clara Reeves The Progress of Romance (1785) wieder aufgelegte Differenzierung zwischen dem realistischen Roman (novel) und der idealisierend-phantastischen romance. Demgegenüber wird der Begriff des Romantischen in England wie auch auf dem Kontinent (Friedrich Schlegel, Charles Nodier) zur Kennzeichnung eines innovatorischen Stils und einer neuen Geisteshaltung verwendet. Es ist deshalb unerklärlich, dass St. Clair ernsthaft meint, das Attribut »romantisch« sei ein Bestandteil des Titels von Southeys Thalaba: A Rhythmical Romance (S. 211). Ein Blick in die literaturwissenschaftliche Forschung hätte im übrigen gezeigt, dass »Romantik« bzw. »romantisch« in der Vergangenheit gelegentlich mit Konzepten wie Imagination, Symbol, Mythos und organischer Natur assoziiert wurde. 38

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Kurz gesagt: St. Clair geht zwar vom kanonisierten Romantikerkonzept aus, kann jedoch nicht eigentlich zeigen, worin sich diese später kanonisierten Autoren von den vielen anderen unterschieden. Aussagen wie »Many dozen of romantic poems were published in the romantic period« (S. 214) oder »Of the many hundreds of books of verse by men and women published on commission, and printed and distributed in the provinces, there was scarcely a romantic poem among them« (S. 215), klingen denn doch recht banal, zumal St. Clairs einziges Kriterium die Präferenz für exotische Schausplätze zu sein scheint.

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Es gibt weitere Fragezeichen. Dass der Begriff tale synomym mit romance verwendet wurde, muss bezweifelt werden. 39 Und aus einer Bibliographie wie Jacksons Romantic Poetry by Women. A Bibliography, 1770–1835 (1993) Kriterien für die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Romantikern herauszufiltern, muss man als oberflächlich bezeichnen. Es wäre sinnvoller gewesen, etwa die literaturwissenschaftlichen Ergebnisse von Curran, Mellor, Feldman / Kelley, Armstrong / Blain, Behrendt oder Mee zu konsultieren, um nur einige Titel zu nennen. 40

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Der Marktwert der Romantiker

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Zweifellos stimmen St. Clairs Zahlen: einige Romantiker wie Scott oder Byron waren äußerst erfolgreich, Shelley und Keats hatten das Nachsehen, wie detailliert gezeigt wird. Allerdings sollte man William Blake, wie St. Clair das auch tut, ausklammern und im übrigen Zusammenhang mit dem innovativen printmaker, den einige Viktorianer als pictor ignotus bezeichneten, nicht unbedingt von »Büchern« sprechen. Das ist ein Begriff, der die Möglichkeit einer Buchvermarktung wie im Falle von Shelley, Keats und anderen suggeriert (S. 219). Blake wurde auch nicht von den Präraffaeliten (also um 1850!) im späten 19. Jahrhundert wieder entdeckt (S. 581): der entscheidende Durchbruch kam erst mit der kommentierten Ausgabe von J. E. Ellis und W. B. Yeats (1893). 41

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Ein eindrucksvolles Beispiel für die restriktive verlegerische Preispolitik ist der 1816 von der achtzehnjährigen Mary Godwin (der späteren Mary Shelley) geschriebene und von P. B. Shelley mit einem Vorwort versehene Roman Frankenstein, or the Modern Prometheus (vgl. Kap. 18). Zum Zeitpunkt, da Shelley seine eigene Werke wie Queen Mab und Alastor lediglich auf Kommissionsbasis hatte drucken lassen können, lehnten die Verleger auch Frankenstein erst einmal ab. St. Clair führt das richtig auf die »self-censuring doubts about its subject matter« (S. 359, vgl. die Reaktionen S. 360) zurück. Schließlich erschien der Roman als three-decker und anonym beim Remainder-Buchhändler Lackington: 500 Exemplare, ein Drittel des Erlöses für die Autorin, zwei Drittel für den Verleger. Trotzdem war Mary Shelley bald kommerziell weit erfolgreicher als ihr Ehemann (vgl. Appendix 9, S. 644 ff. zu den verschiedenen Ausgaben). 42 Da sich St. Clair aber im wesentlichen mit der verlegerischen Preispolitik beschäftigt, geht er nur am Rande auf das Phänomen des literarischen Erfolgs ein. Er diskutiert die multiplikatorischen Bühnenfassungen, kann jedoch von seiner verlagsökonomischen Basis aus die bis heute andauernde Wirkung nicht eigentlich erklären.

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Gibt es eine Freiheit des Lesens?

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Grundsätzlich muss man fragen: wie lässt sich der (immer noch mäßige) Erfolg von Frankenstein bei einem St. Clairs Meinung nach von den Verlegern rückständig gehaltenen Lesepublikum erklären? Weshalb wuchsen Autoren wie Scott, Wordsworth, Coleridge, Keats oder Shelley zwar mit den alten Lesestoffen auf, entwickelten aber trotz der verlegerischen Restriktionen innovatorische Stile und zivilisationskritische Fragestellungen (man denke nur an Wordsworths Vorwort zu den Lyrical Ballads von 1800)?

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St. Clair zufolge besitzt ein Leser zwar generell die Freiheit »to choose which texts to read and which passages to give attention to, to skip, to argue, to resist, to read against the grain, to be influenced by irrelevancies, to be careless, to misunderstand, to be distracted, to slip into dreams, to disagree but to continue reading, to stop reading at any time, and to conclude that the reading had been a waste of time« (S. 5). Wie sich aber die »Autonomie des Lesers« angesichts der Verlegerdiktate realisieren läßt, und zwar zu spezifischen historischen Zeitpunkten, diese Frage bleibt unbeantwortet. Und das, obwohl zu Beginn von Kapitel 20 die Frage steht: »How did the reading of books lead to change?« Im folgenden geht es jedoch nicht etwa um Phänomene wie kulturelle Hegemonien, Klassenkämpfe, Generationenkonflikte oder dergleichen, sondern um Fragen wie: wo und wie wurde gelesen (draußen oder im Hause), wie stand es um die Gedächtnisleistungen, in welchen Dokumenten berichten Leser über individuelle Leseresultate, wie stand es um Lesegesellschaften und Leihbüchereien?

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Eine Möglichkeit, mehr zu erfahren, seien, so St. Clair, die Zielvorstellungen der Romantiker (S. 401 ff.). Als Beispiele führt er eine Bemerkung Scotts an, von der er aber nicht mehr weiß, wo er sie gelesen hat (S. 401, Anm. 44), sowie die gemeinromantische, aber den Schaffensprozeß betreffende Metapher von der Windharfe bzw. Shelleys Vorstellung von der poetisch-politischen Wirkung seiner Verse in der revolutionären »Ode to the West Wind« (S. 402). Abgesehen davon, dass es sich lediglich um zwei in diesem Zusammenhang vielleicht nicht unbedingt repräsentative Belege handelt, kann man kaum von abstrahierbaren sozio-kulturellen, möglicherweise empirischen Rezeptions- oder Wirkungsmodellen sprechen. Es handelt sich vielmehr um Aussagen, die aus dem spezifischen Diskurszusammenhang um 1800 zu verstehen sind und aus dem europäischen Modernisierungkontext heraus relativiert werden müssten. 43

[49] 

Methodologisch fragwürdig ist auch der Rest des Kapitels über »Reading, reception, and dissemination«. Leser der Romantik und der viktorianischen Zeit seien an der Frage nach den Wirkungen des Lesens interessiert gewesen. St. Clair listet Beispiele von Lesern und Lesereaktionen aus fiktionalen Texten nicht nur etwa Jane Austens auf, sondern auch späterer Romanautoren wie George Eliot, Elizabeth Gaskell oder Marie Corelli, ohne auf den Gedanken zu kommen, dass uns Stephen Daedalus’ Lobpreis Byrons (S. 411) kaum Erwartungshorizonte und Rezeptionshaltungen der Romantik zu erhellen in der Lage ist.

[50] 

Man erwartet gespannt die Ergebnisse des letzten Kapitels zur »political economy of reading«. Wie nicht anders zu erwarten, präsentiert St. Clair als Ergebnis »a clear consequential link between the governing intellectual property structures on the one hand and the provision of texts, the supply of books, prices, access, and reading on the other« (S. 443). Ohne Zweifel muss auch der textorientierte Literaturwissenschaftler diese Zusammenhänge in höherem Maße berücksichtigen, als es bisher in der Regel der Fall war. Es mag allerdings bei manch einem Kopfschütteln hervorrufen, wenn St. Clair vorschlägt, Tendenzen in der Verlagswirtschaft mit solchen der pharmazeutischen Industrie zu vergleichen (S. 445 f.). Auch wenn er zum Schluss die Vorzüge von Robert Darntons bzw. Thomas Adams’ und Nicolas Barkers diesbezüglichen Modelle hervorhebt und seinerseits einen kombiniert kommerziell-politischen Ansatz favorisiert, bleibt die Frage nach der breiteren sozio-kulturellen Basis von Leserorientierungen doch unbeantwortet. Diese resultieren jedoch nicht allein aus den Möglichkeiten des durch Verleger regulierten Zugangs zum Buch, sondern aus auch aus der »Institutionalisierung im Bereich der ideologischen Praktiken, die den betroffenen Subjekten nahelegen, wie Werke und Gattungen zu verstehen und zu gebrauchen sind«. 44



Anmerkungen

So noch Thilo von Bremen: Lord Byron als Erfolgsautor. Leser und Literaturmarkt im frühen 19. Jahrhundert. Wiesbaden: Athenaion 1977, S. 121.   zurück
Marjorie Plant: The English Book Trade. An Economic History of the Making and Sale of Books. London: Allen & Unwin 1939, 3. Aufl. 1974. Bedauerlicherweise übergeht St. Clair John Feather: A History of British Publishing. London: Routledge 1988. Jon P. Klancher: The Making of English Reading Audiences, 1790–1832. Madison, Wisc.: The University of Wisconsin Press 1987, wird zwar gelegentlich in einer Fußnote erwähnt (S. 186, Anm. 2), aber die zentralen Thesen werden nicht diskutiert. Der Hinweis auf Thomas J. McCarthy: Relationships of Sympathy. The Writer and the Reader in British Romanticism. Aldershot: Scolar Press 1997, fehlt ebenso wie der auf H. J. Jackson: Marginalia. Readers Writing in Books. Harvard, MA: Yale University Press 2001.   zurück
C. J. Mitchell: Provincial Printing in Eighteenth-Century Britain. In: Publishing History 21 (1987), S. 5–24.   zurück
St. Clair berücksichtigt allerdings nicht die Arbeiten von Jim Mitchell: The Spread and Fluctuation of Eighteenth-Century Printing. In: Studies in Voltaire and the Eighteenth Century, 230 (1985), S. 305–321; Jim Mitchell: Provincial Printing in Eighteenth-Century Britain; sowie Giles Barber: Books from the Old World and for the New. The British International Trade in Books in the Eighteenth Century. In: Studies in Voltaire and the Eighteenth Century, 151 (1976).    zurück
Richard Altick: The English Common Reader. A Social History of the Mass Reading Public 1800–1900. Chicago: Chicago University Press 1957.   zurück
Altick: English Common Reader, S. 281.   zurück
Vgl. jedoch Altick, English Common Reader, S. 36 f., zu den gekürzten Fassungen von Bunyans The Pilgrim’s Progress, Miltons Paradise Lost und Youngs Night Thoughts.    zurück
Vgl. Donald D. Eddy: Dodsley’s Collection of Poems by Several Hands (Six Volumes), 1758 Index of Authors. In: Papers of the Bibliographical Society of America, 60 (1966), S. 9–30. Zu Dodsley vgl. neuerdings Harry M. Solomon: The Rise of Robert Dodsley. Creating the New Age of Print. Carbondale, Ill.: Southern Illinois University Press 1996.   zurück
Altick, English Common Reader, S. 43.   zurück
10 
Auch Pat Rogers erwähnt in seinem Überblick einen einschlägigen Rechtsstreit: Classics and Chapbooks. In: Isabel Rivers (Hg.), Books and their Readers in Eighteenth-Century England. New York: St. Martin’s Press 1982, S. 27–45.    zurück
11 
Nach Recherchen von R.M. Wiles: Serial Publication in England before 1750. Cambridge: Cambridge University Press 1957, gab es in diesem Zeitraum ca. 300 derartige Fortsetzungswerke.   zurück
12 
Vgl. Erhard Dahl: Die Kürzungen des Robinson Crusoe in England zwischen 1719 und 1819. Frankfurt: Lang 1977.   zurück
13 
Popular Literature in Eighteenth and Nineteenth Century Britain. The Robert White Collection of Chapbooks from the University Library, Newcastle upon Tyne. A Listing and Guide to the Harvester Microform Collection. Brighton: Harvester Press Microform Publications 1985.   zurück
14 
Vgl. die Bibliographie in Lincoln B. Faller: Turned to Account. The Forms and Functions of Criminal Biography in late Seventeenth- and early Eighteenth-Century England. Cambridge: Cambridge University Press 1987, S. 287–334; British Trials 1660–1900 (Microfiche-ed.) Cambridge: Chadwyck-Healey 1993; The Proceedings of the Old Bailey London 1674 to 1834-online, Version 4.0. December 2004: http://www.oldbaileyonline.org/; Nick Groom (Hg.): The Bloody Register [1764]. 4 vols. London / New York: Routledge 1999. Vgl. Michael Harris: Trials and Criminal Biographies. A Case Study in Distribution. In: Robin Myers / Michael Harris (Hg.): Sale and Distribution of Books from 1700. Oxford: Oxford Polytechnic Press, 1982, S. 1–36.   zurück
15 
Vgl. Paula McDowell: The Women of Grub Street. Press, Politics, and Gender in the London Literary Marketplace. Oxford: Clarendon Press 1998, S. 83.    zurück
16 
Herbert M. Atherton: Political Prints in the Age of Hogarth. A Study of the Ideographic Representation of Politics. Oxford: Clarendon Press 1974, S. 75.   zurück
17 
McDowell: Women of Grub Street, S. 83.   zurück
18 
Vgl. Lyman Ray Patterson: Copyright in Historical Perspective. Nashville: Vanderbilt University Press 1968, S. 145; sowie Brean S. Hammond: Professional Imaginative Writing in England, 1670–1740. Hackney for Bread. Oxford: Clarendon Press 1997.   zurück
19 
John F. Whicher: The Ghost of Donaldson v. Beckett. In: Bulletin of the Copyright Society of the U.S.A., 9 (1961–62), S. 102–151 und 194–229, hier S. 126, zit. in Mark Rose: Authors and Owners. The Invention of Copyright. Cambridge, Mass.: Harvard University Press 1993, S. 103, Anm. 7.   zurück
20 
Zit. in Patterson: Copyright, S. 179; Vgl. auch Rose: Authors and Owners, S. 97–103, sowie die zahlreichen detaillierten Arbeiten des Buchwissenschaftlers John Feather u.a.: The Book Trade in Politics. The Making of the Copyright Act of 1710. In: Publishing History, 8 (1980), S. 19–44, sowie: From Censorship to Copyright. Aspects of the Government’s Role in the English Book Trade 1695–1775. In: Kenneth E. Carpenter (Hg.): Books and Society in History. New York: Bowker 1983, S. 173–198.   zurück
21 
Vgl. das Stichwort Monopol in: Adam Smith: Der Wohlstand der Nationen. Aus dem Englischen [...] von Horst Claus Recktenwald. München: dtv 1978, sowie Istvan Hont / Michael Ignatieff (Hg.): Wealth and Virtue: The Shaping of Political Economy in the Scottish Englightenment. Cambridge: Cambridge University Press 1983.   zurück
22 
Altick: English Common Reader, S. 30–49.   zurück
23 
Ebd., S. 41.   zurück
24 
Ebd., S. 39; auch St. Clair, S. 118.   zurück
25 
Vgl. St. Clair, S. 86, Anm. 11, wo lediglich kurz auf das 19. Jahrhundert Bezug genommen wird.   zurück
26 
Lawrence Stone: Literacy and Education in England, 1640–1900. In: Past and Present, No. 42 (1969), S. 69–139; Roger S. Schofield: Dimensions of Illiteracy in England 1750–1850. In: Harvey J. Graff (Hg.): Literacy and Social Development in the West. A Reader. Cambridge: Cambridge University Press 1981, S. 201–213.   zurück
27 
Von St. Clair nur beiläufig erwähnt, S. 239.   zurück
28 
Die Untersuchung von Devendra Varma: The Evergreen Tree of Diabolical Knowledge, Washington: Consortium Press 1972, ist St. Clair nicht bekannt. Varma bringt im Anhang zeitgenössische Ausstattungsvorschläge für Leihbüchereien. Zu einer detaillierten lokalen Studie vgl. auch Jan Fergus: Eighteenth-Century Readers in Provincial England. The Customers of Samuel Clay’s Circulating Library and Bookshop in Warwick, 1770–72. In: Papers of the Bibliographical Society of America, 78 (1984), S. 155–213.    zurück
29 
Vgl. Robert D. Mayo: The English Novel in the Magazines, 1740–1815. Evanston, Ill.: Northwestern University Press, 1962, S. 306 ff.    zurück
30 
Vgl. Mayo: S. 432. Vgl. auch Jan Fergus: Women, Class, and the Growth of Magazine Readership in the Provinces, 1746–1780. In: Studies in 18th Century Culture, 16 (1986), S. 41–56.   zurück
31 
Vgl. Uwe Böker: The Education of the Lower Orders 1700 to 1850. Ridicule, Control, Investigation. In: Jürgen Klein (Hg.): State, Science, and Modernization in England. From the Renaissance to the Present Time. Hildesheim: Olms 1994, S. 287–320. Vgl. auch Altick: English Common Reader, S. 32, und St. Clair, S. 109.   zurück
32 
Zit. in Victor E. Neuburg: Popular Education in Eighteenth Century England. London: The Woburn Press 1971, S. 4. Vgl. St. Clair, S. 109–110.   zurück
33 
Zit. in: Hymns in Prose for Children by Anna Laetitia Barbauld and Cheap Repository Tracts by Hannah More. With a Preface by James Silverman. New York: Garland Reprints 1977, S. iv.   zurück
34 
Vgl. Patricia Hollis (Hg.): Class and Conflict in Nineteenth-Century England 1815–1850. London: Routledge & Kegan Paul 1973, S. 332; Harold Silver: The Concept of Popular Education. A Study of Ideas and Social Movements in the Early Nineteenth Century. London: Methuen 1965, S. 23.   zurück
35 
Vgl. die Angaben über den Bestand in Leihbüchereien dreier Londoner Bezirke, in: Third Report of a Committee of the Statistical Society of London appointed to enquire into the State of Education in Westminster. In: Journal of the Statistical Society of London, 1 (1838), S. 447–492, vgl. die Tabelle S. 485; Scott steht an der Spitze, die drei letzten Kategorien lauten: »Novels of the lowest character [...] containing no good, probably nothing decidedly bad«, »Miscellaneous Old Books, Newgate Calendars, etc.«, und schließlich (nach »Lord Byron’s Works [...]«), »Books decidedly bad«.   zurück
36 
Marilyn Butler: Romantics, Rebels and Reactionaries. English Literature and its Background 1760–1830. Oxford: Oxford University Press 1983, S. 2.   zurück
37 
Vgl. Logan Pearsall Smith: Four Words. Romantic, Originality, Creative, Genius. Oxford: Clarendon Press 1924; René Wellek: A History of Modern Criticism 1750–1950. New Haven, Conn.: Yale University Press 1986, s.v. Index.    zurück
38 
Die These, die genannten vier Begriffe kennzeichneten das Romantische, stammt von René Wellek: The Concept of Romanticism in Literary History. In: Comparative Literature, 1 (1949), S. 1–23 und 147–172. Vgl. zur älteren Forschung M.H. Abrams: The Mirror and the Lamp. Romantic Theory and the Critical Tradition. Oxford: Oxford University Press 1953; zur neueren Arbeiten Marilyn Butler: Romantics, Rebels and Reactionaries. In: Stuart Curran (Hg.): The Cambridge Companion to British Romanticism. Cambridge: Cambridge University Press 1993; John Mee: Romanticism, Enthusiasm and Regulation. Poetics and the Policing of Culture in the Romantic Period. Oxford: Oxford University Press 2003.    zurück
39 
Vgl. Uwe Böker: Zu Produktionsbedingungen, Verbreitungsformen und Leserschaft der Kurzgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. In: Arno Löffler / Eberhard Späth (Hg.): Geschichte der englischen Kurzgeschichte. Tübingen / Basel: Francke 2005, S. 23–43, hier S. 27 f.    zurück
40 
Stuart Curran: Women Readers, Women Writers. In: S. C.: Cambridge Companion to British Romanticism; Anne K. Mellor: Romanticism and Gender. New York: Routledge 1993; Paula R. Feldman / Theresa M. Kelley (Hg.): Romantic Woman Writers. Voices and Countervoices. Hanover, NH: University Press of New England 1995; Stephen C. Behrendt: British Woman Poets and the Reverberations of Radicalism in the 1790s. In: Stephen C. Behrendt (Hg.): Romanticism, Radicalism, and the Press. Detroit: Wayne State University Press 1997, S. 83–102; Isobel Armstrong / Virginia Blain (Hg.): Women’s Poetry in the Englightenment. The Making of a Canon 1730–1820. Basingstoke: Macmillan 1999; Mee, Romanticism, Enthusiasm and Regulation.   zurück
41 
Vgl. Uwe Böker: Die Anfänge der europäischen Blake-Rezeption. In: arcadia 16 (1981), S. 266–83.   zurück
42 
Nicht Appendix 7, wie S. 360, Anm. 17, angegeben. Auch anderswo sind St. Clairs Belege unpräzise: vgl. S. 362, wo er hinsichtlich verlegerischer Praktiken pauschal ohne genauere Angaben auf Royal A. Gettmann (nicht Gettman!) verweist: A Victorian Publisher. A Study of the Bentley Papers. Cambridge: University Press 1960; wahrscheinlich bezieht er sich hier auf S. 48–49; vgl. auch S. 361, Anm. 21, und den Hinweis auf Mary Shelleys Frankenstein; die entsprechenden Informationen sind bei Gettmann nicht zu finden. Weitere dürftige Angaben: S. 196, Anm. 52, Select Committee, ohne Seitenangabe: vgl. dazu aber Christopher Skelton-Foord: To Buy or to Borrow? Circulating Libraries and Novel Reading in Britain, 1778–1828. In: Library Review, 47 (1998), S. 348–354 (»Books are a luxury, and the purchase of them has been confined to fewer people. In general, those who would be disposed to purchase books, have not the means of so doing, and are obliged to be frugal«; S. 352); S. 346, Anm. 34, zitiert St. Clair ohne Zeilenangabe aus einer der Versionen von Wordsworths The Prelude (hier: Version von 1850, Book V, 341–346); S. 330, Anm. 90, ungenauer Hinweis auf die Quarterly Review vom August 1834; S. 319, Anm. 58: »Reported in Carlile’s publications«, aber wo genau?; das Hannah More-Zitat S. 288, Anm. 71: es fehlt die Quellenangabe.    zurück
43 
Vgl. Clifford Siskin: The Historicity of Romantic Discourse. New York: Oxford University Press 1988.    zurück
44 
Vgl. Peter Uwe Hohendahl: Literarischer Kultur im Zeitalter des Liberalismus 1830–1870, München: Beck 1985, S. 40.   zurück