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Zisterzienserinnen in Norddeutschland um 1500

  • Eva Schlotheuber: Klostereintritt und Bildung. Die Lebenswelt der Nonnen im späten Mittelalter. Mit einer Edition des »Konventstagebuchs« einer Zisterzienserin von Heilig-Kreuz bei Braunschweig (1484-1507). (Spätmittelalter und Reformation 24) Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 2004. IX, 612 S. Leinen. EUR (D) 119,00.
    ISBN: 3-16-148263-8.
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Die vorliegende Arbeit verdanke »ihr Entstehen einer kleinen, eher unscheinbaren Handschrift mit Aufzeichnungen einer Nonne über ihr Leben im Zisterzienserinnenkloster Heilig-Kreuz bei Braunschweig« (S. V), durch die sich sowohl die Alltagswelt einer Zisterzienserin im ausgehenden Mittelalter als auch eine Reihe damit verbundener Fragen an den heutigen Leser eröffne, wie die Autorin eingangs ihrer Untersuchung bemerkt. Die Handschrift (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. 1159 Novi; 239 foll.) einer leider nicht genau zu identifizierenden Nonne umfasst den Zeitraum von vor 1484 bis vermutlich 1507, als die Schreiberin wie auch zwei Drittel des Konvents an der Pest verstorben sein dürften (S. 313), und bildet den Ausgangspunkt einer umfassenden Studie zur »Lebenswelt der Nonnen im späten Mittelalter« vorwiegend im norddeutschen Raum, die im Sommersemester 2002 an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Habilitationsschrift angenommen wurde.

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Diese Spanne – von der Studie über ein einzelnes Kloster zum Blick auf eine ganze Region und hin zu einer Untersuchung über die Gestalt der geistlichen Welt in Frauenklöstern des Spätmittelalters – kennzeichnet die gesamte Arbeit. Vermeint man nach Kenntnisnahme des Klappentitels bei einem Blick auf die Kapitelgliederung (»Geschichte des Kreuzklosters« [S. 8–103], »Der Weg ins Kloster« [S. 104–296], »Resümee« [S. 297–312], »Das Konventstagebuch« [S. 313–478], »Prosopographie des Kreuzklosters von der Mitte des 15. Jahrhundert bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts« [S. 479–526]) eine Konzentration auf das Heilig-Kreuz-Kloster zu erkennen, erfährt dieser Ersteindruck in der Folge bei eingehender Lektüre eine umfassende Wendung.

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Abzüglich des prosopographischen »Anhangs« zerfällt die Arbeit in zwei große Hauptteile: einen untersuchend-auswertenden ersten und einen editorischen zweiten Teil.

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Da die Edition nahezu alle Partien des ersten Teils grundiert, soll sie an den Anfang der Besprechung gestellt sein.

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Das »Konventstagebuch« einer Zisterzienserin

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E. Schlotheuber bringt eine Handschrift zur Edition, die von ihr als »Konventstagebuch« (TB) bezeichnet wird, da sie darin weder ein frühes Selbstzeugnis einer Konventualin erkennen noch den Charakter einer Chronik ausmachen kann. Weil die Schreiberin aus einer »Wir-Perspektive« und in ihr eher ungewohnter lateinischer Sprache auf die Ereignisse innerhalb der Gemeinschaft blicke, versuche sie zwar für sich selbst, »eine möglichst ausgewogene und damit zugleich etwas distanzierte Haltung vor allem bei Konflikten innerhalb des Konvents zu finden« (S. 327, aber auch schon S. 313 »Resümee«), trotzdem stehe aber der Aspekt der innerkonventualen Schriftlichkeit im Vordergrund, der der Gemeinschaft zur Organisation und Selbstvergewisserung diente.

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Zur Bezeichnung »Konventstagebuch« gelangt die Autorin im Vergleich mit ähnlichem Quellenmaterial anderer norddeutscher Klöster, das jedoch eher von Amtsträgerinnen innerhalb der Gemeinschaft verfasst wurde. Da die Schreiberin des Klosters Heilig-Kreuz mit einiger Sicherheit kein höheres Amt innerhalb ihrer Gemeinschaft bekleidete, sie zudem auch bei weitem nicht über alle und v.a. wichtigen Ereignisse inner- und außerhalb ihres sozialen Umfeldes unterrichtet war, scheint ihrer Tätigkeit dennoch eine gewisse Eigeninitiative zu Grunde gelegen zu haben, die möglicherweise von »offizieller« Seite aus zwar toleriert, nicht aber angeregt war.

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Ihre Herkunft bleibt insgesamt unklar. Sie wird zwar als aus Patrizierschichten stammend bezeichnet (S. 311), habe aber anscheinend weder zum Braunschweiger Patriziat noch zum norddeutschen Niederadel besonderen Zugang gehabt (S. 314). So beschreibt sie vor allem den innerklösterlichen Alltag, aber durchaus auch »herausragende Ereignisse wie die Zeit des Exils in der Stadt Braunschweig während einer Fehde im Jahr 1492 (…) oder den feierlichen Empfang des päpstlichen Legaten Raimund Peraudi im Februar 1503 in der Stadt« (S. 6) aus einem begrenzten Erfahrungshorizont heraus, da »sie und ihre Mitschwestern Ende des 15. Jahrhunderts (…) offensichtlich in strenger Klausur lebten.« (S. 314; S. 68 werden jedoch deutliche Verstöße der Nonnen gegen die Einhaltung der Klausur beschrieben, die der Hildesheimer Bischof anprangerte).

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Das eingeschränkte Blickfeld der Autorin der Handschrift sowie die wenig entwickelten Lateinkenntnisse dieser Nonne waren bei der Auswertung ihres »TB« zu berücksichtigen und stellten sicher eine Herausforderung dar, doch eröffneten sie auch einen ungewöhnlich intensiven und eher seltenen Blick auf die konventsinternen Geschehnisse, was den Wert dieser Quelle ausmacht.

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Dem eigentlichen Text (S. 342–478) geht neben der Klärung der Frage nach der Gattungszugehörigkeit selbstverständlich eine historisch-kritische sowie eine editorische Einleitung voraus. Der Text wird durch weitere, unedierte Quellen zur Geschichte des Kreuzklosters – Urkunden, ein Rechnungsbuch (1490–1506), zwei weitere in Verbindung zum Heilig-Kreuz-Kloster stehende Handschriften des 15. Jahrhunderts und darüber hinausgreifendes gedrucktes Material umfassend kommentiert.

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Die Gründungslegende des Kreuzklosters

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Steht das »Konventstagebuch« zeitlich am Ende der Geschichte der Zisterze, die 1567 in ein evangelisches Damenstift umgewandelt wurde, liegt dem ersten Kapitel ebenfalls ein jedoch wesentlich kürzerer Quellentext zu Grunde, der die Gründungslegende des Klosters zum Inhalt hat und bisher in keiner modernen Edition vorliegt, was nunmehr auf den S. 9f. nachgeholt wird. Auch hierbei handelt sich um einen Text des 15. Jahrhundert, der in einem Kopialbuch des Kreuzklosters aus dem 15. Jahrhundert überliefert, aber unter Heranziehung von durch H. Patze gebotenen Parallelbeispielen in das 14. Jahrhundert zurückdatiert wird 1 . »Die Gründungslegende« (S. 8–10) und »Der historische Hintergrund« (S. 11–44) dienen der Kennzeichnung des Klosters als »Sühnegründung« eines bestimmten Familienkreises, der der Zisterze auch über Jahrhunderte eng verbunden blieb (S. 43).

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Zur Stellung des Frauenklosters im Zisterzienserorden

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Mit dem folgenden Teilkapitel »Der monastische Kontext« (S. 45–103) nähert sich die Autorin ihrem eigentlichen Schwerpunkt: Der Frage nach der konkreten Gestaltung des geistlichen Lebens der Frauen, was auch die Stellung des Klosters innerhalb des Zisterzienserorden bzw. die Anbindung an diesen umfasst. Für diese Bereiche wird das »Konventstagebuch« umfassend, wie auch weiteres Quellenmaterial zu Heilig-Kreuz und v.a. der Klöster Ebsdorf, Lüne (Benediktinerinnen), Riddagshausen (Männerzisterze), Wienhausen und Wöltingerode begleitend ausgewertet sowie zahlreiche Vorarbeiten herangezogen, die weit über den norddeutschen Raum hinausführen. Dabei wird die Braunschweiger Zisterze mit den Aussagen des TB als zwar dem Orden nicht inkorporiertes, von diesem aber »als Mitglied (…) anerkanntes« Kloster (S. 45–58) gekennzeichnet, das besonders enge Beziehungen zu dem nahe gelegenen zisterziensischen Männerkloster Riddagshausen unterhielt, wie sich dem Bericht über die Weitergabe des dem Orden ausgestellten Jubiläumsablass an die Nonnen durch einen Riddagshausener Mönch entnehmen lässt (S. 51–54, TB fol. 138r - 142v).

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Obwohl solche lokalen »Anerkennungen« in der Praxis durchaus üblich gewesen zu sein scheinen, wie auch die Entsendung von Beichtvätern belegt, muss hier allerdings gefragt werden, ob der Terminus »Mitglied« (des Ordens) nicht ein zu hohes institutionelles Maß an ordensinterner Akzeptanz suggeriert, dem von offizieller Seite gerade seit der Mitte des 13. Jahrhundert entgegengewirkt wurde, als die Zahl der weiblichen Klöster in einem Maße anstieg, das selbst bei einem Wohlwollen gegenüber weiblichem Zisterziensertum die Möglichkeiten des Ordens weit überstiegen haben dürfte. Im alltäglichen Umgang der Klöster auf regionaler bzw. lokaler Ebene ist freilich den Braunschweiger Nonnen auch aus ihrem nicht-inkorporierten Status kein Schaden erwachsen, wie die Anwesenheit Riddagshausener Äbte und Mönche bei entsprechenden Äbtissinnenwahlen oder Profeß in Heilig-Kreuz belegt (S. 55 f., TB fol. 1v, 53r, 10v u.ö.).

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So nahe das Heilig-Kreuz-Kloster den umliegenden Zisterzienserklöstern in dieser Hinsicht also gestanden haben mag, so weit entfernt war man dem entgegen den Reformbestrebungen des 15. Jahrhunderts. Auch dies lässt sich dem TB entnehmen, allerdings eher dem Schweigen dieser Quelle gegenüber solchen Versuchen oder bspw. der festgehaltenen Verwunderung über ein Vier-Augen-Gespräch zwischen der Derneburger und Wöltingerode Äbtissin, die in die Reformbestrebungen der Zeit eingebunden waren, ohne dass die gastgebende Äbtissin des Kreuzkloster hinzugezogen worden war (S. 100, TB fol. 44v-45r). Die Gründe für die Nichtteilnahme an der Reformbewegung, die sehr wohl andere norddeutsche (Zisterzienserinnen-)Klöster erfasste, mit denen Heilig-Kreuz in Verbindung stand (S. 58–103), werden im Widerstand des mit dem Konvent familiär verbundenen Braunschweiger Rates in Abwehr von Eingriffsmöglichkeiten des Hildesheimer Bischofs und einer drohenden Reorganisation der Klostergüter gesehen. Aber auch Widerstand aus dem eigenen Konvent heraus lässt sich dem TB entnehmen (S. 82, fol. 13r). Insgesamt ist es dennoch auch im Kreuzkloster in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu einer »Reform« gekommen, die möglicherweise »intern« durch den Abt von Riddagshausen geleitet wurde (S. 59–61, 76 f.) und ihren Niederschlag in den Aufzeichnungen der Nonne des Kreuzklosters findet.

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Aufnahme und Ausbildung der Nonnen

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Das umfangreichste Kapitel der vorliegenden Arbeit ist das »Der Weg ins Kloster« bezeichnete (S. 104–296). Ausführlich werden hier die Wege der Mädchen in reformierte und unreformierte Klöster erörtert. Wiederum bildet (weiteres) Quellenmaterial die Basis der Schilderung der Aufnahmeriten in dem durch die Bursfelder Kongregation reformierten Benediktinerinnenkloster Lüne: das Amtsbuch der Sacrista, die Lüner Chronik und die für den Lüner Konvent zusammengestellten Reformstatuten (S. 121–127). Die so gezeigten Etappen der Aufnahme eines Mädchens ins Kloster werden dem Beispiel des Kreuz-Klosters mit dessen lang tradierter Praxis der Oblation gegenübergestellt. Eine Mittlerstellung zwischen beiden Positionen wird mit der Erörterung der Questio de puellis offendis aus dem reformierten Zisterzienserinnenkloster Wienhausen geboten (S. 259–263).

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Jeweils in eigenen Unterkapiteln schließt sich daran die detailreiche Darstellung der Einkleidung, des Noviziats, der Schulbildung, Profeß und der Nonnenkrönung an.

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Darauf aufbauend widmet sich E. Schlotheuber mit der Frage nach den sprachlichen Fähigkeiten der Nonnen einem weiteren Themenkreis, der bisher für Frauenkonvente nur wenig bearbeitet wurde bzw. mangels aussagekräftigen Quellenmaterials bearbeitet werden konnte. Da die Mädchen im Gegensatz zu ihren Altersgenossen bei ihrem Eintritt in ein Kloster kaum oder keinerlei Bildung besaßen, oblag dem jeweiligen Konvent deren Bildung. Dass hier gerade Reformkonvente intensiv wirkten, wird am Beispiel des »Reformberichtes« des Klosters Ebsdorf dargelegt, in dem die Schülerinnen weit über rudimentäre Lese- und Schreibfähigkeiten hinaus in der lateinischen Sprache zu einem analytischen Sprachverständnis geführt wurden. Zudem thematisiert die Autorin die auffallend abnehmende Latinität innerhalb der Frauenklöster von Nord nach Süd, für die sie als Begründung eine fest verbundene religiöse Bewegung in Süd-Deutschland und am Niederrhein anbietet, die einen selbständigen Ausdruck in der Muttersprache mit sich gebracht, aber den Norden nicht in größeren Ausmaßen ergriffen habe.

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Eine dem Resümee mit 72 namentlich ermittelten und alphabetisch geordneten Personen von der Mitte des 15. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts folgende Ämter- und Personenliste des Kreuzklosters, ein Abbildungsteil, Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein leider nicht immer zuverlässiges Register schließen eine Arbeit ab, die ganz nebenbei beweist, dass umfangreiches und durchdringendes Quellenstudium nicht nur zu hochinteressanter, sondern auch zu angenehmer Lektüre führen kann.

 
 

Anmerkungen

Patze, Hans, Klostergründung und Klosterchronik, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 113 (1977) S. 109.   zurück