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Mediale Bluttaten

Jochen Vogts Medien Morde zeigen, dass wir zurecht Krimis mögen, in jeder Façon: Wir lernen etwas über uns selbst

  • Jochen Vogt (Hg.): Medien Morde. Krimis - intermedial. München: Wilhelm Fink 2004. 270 S. 30 s/w Abb. Kartoniert. EUR (D) 27,90.
    ISBN: 3-7705-4034-4.
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35 Jahre Tatort

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Es gibt wohl keinen besseren Zeitpunkt als gerade jetzt einen Band zur medialen Bluttat vorzulegen: Der 600. deutsche Tatort wurde im Juni 2005 gesendet, und damit ein beispielloser TV-Erfolg in die öffentliche Aufmerksamkeit gerückt – zum wiederholten Male im Übrigen, denn bereits die vorherigen runden Sendejubiläen hatten schon die volle Aufmerksamkeit von Kritik und Publikum. Seit 1970 senden die ARD und ihre Rundfunkanstalten Tatorte und stifteten damit eines jener Alltagsrituale, das Herausgeber und Beiträger des Bandes nicht müde werden zu beschwören. Und in der Tat hat sich beinahe alles in den vergangenen Jahrzehnten in der deutschen Medienlandschaft geändert, nur die beiden Erfolgsformate der ARD, die Tagesschau und der Tatort sind Garanten für eine Beständigkeit und Verlässlichkeit, an denen die moderne Welt zum Beginn des 21. Jahrhunderts so arm geworden zu sein scheint. Bis in das Design des Formats Tatort: Das Tatort-Jingle wird seit Anfang an unverändert eingesetzt und hat damit mühelos alle Moden, Stilwandel und Retromoden überlebt. Und das soll wohl auch so bleiben. Keine Chance also auch fürderhin auf Sonntagstelefonate zwischen 20.15 Uhr und 21.45 Uhr, zumindest an den Tatort-Sendetagen. Das verbindet selbst zerstrittene Familien. 1

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Das Krimi-Genre feiert heute in allen medialen Verwertungen große Erfolge. Während etwa der ewige Konkurrent Science-Fiction derzeit beinahe völlig auf das große Kinoformat beschränkt ist, 2 gibt es Krimis ebenso in der Literatur wie als Fernseh- und Kinofilme, sie werden als Comics verarbeitet, 3 als Hörspiel (immer noch erfolgreich) 4 und nicht zuletzt als Spiel (generell gespiegelt durch spezielle Produktionen für den Kinder- und Jugendbereich oder für den schulischen Einsatz). 5 Und überall finden sie großen Zuspruch. Die Gründe dafür sind zahlreich.

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Erkenntnismittel Krimi

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Für Bertolt Brecht war der Kriminalroman eines der wichtigsten Erkenntnismittel, weshalb man sich durchaus darüber streiten kann, ob er mehr von ihrer Lektüre oder von der des Marxschen Kapital beeinflusst worden ist. Brechts Denkformel von der Durchdringung gesellschaftlicher Normalität und Kriminalität, die nicht zuletzt den Plot der Dreigroschenoper (1928) bestimmte, ist ein durchgängiges Muster im heutigen Kriminalgenre, wird aber gelegentlich sogar zu einer Art »modernen Bürgerkrieg« gesteigert, wie Michael Rohrwasser 6 im Kontext der amerikanischen TV-Serie Die Sopranos betont, die in Deutschland kaum Zuspruch fand (S. 160).

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Rohrwasser begründet den Misserfolg der Sopranos ausführlich, ohne zu verhehlen, dass er dem Gesellschafts-, Handlungs- und Lösungsmodell, das er der Serie unterlegt, einige Bedeutung zuschreibt. Das Modell Mafia, das in der medialen Verwertung immer mit dem Widerspruch von familialer Zuordnung und klarer Regelstruktur sowie der Bedrohung, die diese für die Gesellschaft bedeuten, verbunden war, wird hier in der Auflösung gezeigt. Das Modell hat sich ohne Zweifel überlebt, aus habituellen und strukturellen Gründen. Tony Soprano, die Zentralfigur der Serie, perpetuiert zwar Kernelemente des mafiösen Verhaltensmodells, bereitet aber zugleich die Ablösung seiner Familie davon vor. Die Sopranos wollen überleben, und sie können dies nur, indem sie sich den Widersprüchen des gesellschaftlichen Kampfes jeder gegen jeden stellen und ihnen ausweichen:

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Die Familie von Tony und Carmela [Soprano] überlebt bislang den modernen Bürgerkrieg mit einer Überlebenstechnik, die sich zusammensetzt aus Psychoanalyse, Katholizismus und Bauernschläue – eine Rezeptur, die hierzulande noch ziemlich unbekannt sein dürfte (ebd.).
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Damit sind wir bei einem der zentralen Motive des Bandes, der Gesellschafts- resp. Zivilisationskritik, die in Krimis Platz findet. Einer der bekanntesten Orte solcher Kritik sind Henning Mankells Kurt Wallander-Romane.

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Kritik der Gesellschaft

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Die Verunsicherung, die von der Dynamisierung von Gesellschaft ausgeht, die Gewalt, die immer weniger zu zähmen zu sein scheint, die Bedenkenlosigkeit, mit der gerade Menschenleben geopfert werden, der endlose Prozess der Generierung von Gewalt aus Gewalt – die friedliche, in diesem Fall schwedische Gesellschaft, in der Kurt Wallander dem Recht und der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen will, ist durchzogen von zivilisationsfernen Strukturen und Gewalten, denen der Einzelne – eben auch Wallander – hilflos ausgeliefert ist. Aus der Perspektive Wallanders ist der Dissoziationsprozess der Gesellschaft irreversibel. Es gibt für den Einzelnen keine Sicherheit mehr, nicht zuletzt weil auch diejenigen, denen die Regulierung gesellschaftlicher Interessen anvertraut ist, ihre Macht gegen sie und für ihre eigenen Interessen einsetzen. Wenn dann die Einzelnen doch zurückschlagen und die Sicherungsmaßnahmen ihrer Peiniger unterlaufen, wie in Mankells Die fünfte Frau (dt. 1998), dann ist die Position Wallanders selbst notwendig uneindeutig. Der formalen Parteinahme für die Sicherung der Legalität steht die Frage nach der Legitimität des Handelns immer wieder entgegen. Mankell nimmt mit diesen Romanen offensichtlich eine bekannte, Erkenntnis leitende Position ein, die seine Arbeiten nicht nur mit anderen Krimis verbindet, sondern etwa auch mit den Texten Heinrich Bölls. Gesellschaft wird aus der Perspektive des nicht privilegierten Subjekts wahrgenommen; nicht zuletzt deshalb spielen Wallanders Dispositionen eine derart prominente Rolle.

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Die basale Verunsicherung, als die man diese Form der Gesellschaftskritik beschreiben kann, wird zudem nicht durch stilistische Mittel wie »Komik, Groteske oder dem Bizarren« aufgehoben, wie Stefanie Abt, 7 Thomas Wörtche folgend, fordert. Ganz im Gegenteil, die Ernsthaftigkeit, mit der Autoren wie Mankell das Moderne-Paradigma angehen und die anscheinend im engeren Interesse ihrer Leser oder Zuschauer liegt, würde mit Hilfe solcher stilistischer Mittel suspendiert, da gerade »Komik, Groteske und das Bizarre« Ausdruck der Hilflosigkeit angesichts des »allgemeinen Werteverfalls« wären. Die Option für den »mittleren Helden« Wallander und seine unklaren, unfertigen Denkformen ist kein Ausdruck von erzählerischer Regression ins 19. Jahrhundert (S. 199f.), sondern der Versuch einer adäquaten Umsetzung des gesellschaftskritischen Denkmodells. (Womit noch kein Wort darüber verloren ist, ob dieser Versuch auch in jedem Fall gelungen ist.)

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Das Projekt der offenen Gesellschaft

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Wir stoßen damit freilich auf eine poetologische Diskussion, die nicht allein im Krimi stattfindet und gleichfalls unabhängig von seinen medialen Varianten ist, sondern sich an der Kopplung von Erzählformen mit Denk- und Weltmodellen abarbeitet. Diese Diskussion durchzieht auch den ganzen Band. Unwidersprochen wird wohl Jochen Vogts Charakterisierung des ARD-Tatorts als »wahre[r] deutsche[r] Gesellschaftsroman« bleiben. 8 Vogt hebt hervor, dass der Tatort eben nicht nur – wie im Übrigen die trivialen Genres generell – seine jeweilige Gegenwart kritisch oder affirmativ abbildet resp. als Ausdruck ihrer jeweiligen Gegenwart zu verstehen ist. Über die bisherigen 35 Jahre werde damit eine Art Gesellschafts- und Kulturgeschichte der west- und seit 1990 auch gesamtdeutschen Geschichte sichtbar. Hinzu komme insbesondere, dass die regionalisierte Produktionsstruktur der ARD die beinahe zufällige Entdeckung des Regionalen als identitätsstiftende Instanz ermöglicht und fortgeschrieben habe. Der Erfolg lasse sich nicht nur an dem Zuspruch der Tatort-Aussendungen selbst erkennen, sondern auch an den »spin-offs«, eben jenen Serien und Formaten, die sich offensichtlich an den Tatort anlehnen oder von ihm inspiriert sind, und das in allen Sendern, den öffentlich-rechtlichen wie den privaten. Hier könne man gar, so Vogt, von einem »Rhizom« im Sinne Deleuze / Guattaris sprechen (S. 127). 9

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Trotz des seriellen Charakters des Tatorts 10 und der Platzierung des Formats im Mainstream, was beides Einfluss auf seine Gestaltung habe, 11 betont insbesondere Vogt die aufklärende und kritische Wirkung des Tatorts gerade im Hinblick auf die Entwicklung einer offenen, multikulturellen Gesellschaft (S. 116). Dabei spielt seine Erzählform anscheinend jedoch kaum eine Rolle. Vogt feiert zwar den Tatort als »Autorenfilm im Pantoffelkino«, er hebt seine Varianten zwischen Realismus und Hyperrealismus hervor und findet offensichtlichen Gefallen an der zunehmenden Selbstreferentialität und Ironie der Serie (S. 128f.). Dennoch verpflichtet er den Tatort keineswegs auf eine bestimmte Form, auch nicht auf Groteske, Komik oder Montage.

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Experimente der seriellen Form

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Die enge Bindung ideologischer Elemente mit erzählerischen ist Produkt der Ideologiekritik in der Nachfolge der Frankfurter Schule und spätestens mit Umberto Ecos Offenem Kunstwerk 12 zu einer der Basisannahmen der ästhetischen Diskussion geworden. Die Komplexität und Widersprüchlichkeit von Realität, die im Widerspruch zu eindeutigen und klaren Ordnungsvorstellungen stehe, mache es unmöglich, in den Erzählkonventionen des 19. Jahrhunderts zu verbleiben. Form und Inhalt müssten kongruent sein, ansonsten mache sich der Autor »der Sünde der Mystifikation schuldig«. 13 So einfach das klingt, so widersprüchlich ist die mediale Realität. Dabei ist die strategische Diskussion, wie sie etwa in den späten 1920er Jahren um den sozialistischen Realismus geführt worden ist und in der Verständlichkeit und formale Konventionalität Schlüsselrollen einnehmen, nicht einmal relevant. 14 Festzuhalten bleibt, dass gerade in den massenmedialen Formaten Spiel- und Experimentformen nicht notwendig in dem Maße Platz haben, wie ihnen in der poetologischen Diskussion zugeschrieben wird.

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Dabei steht den seriellen Formen ihre Position in der Kulturindustrie im Wege. Ganz im Gegensatz dazu schreibt Gabriela Holzmann 15 dem populären Roman des frühen 20. Jahrhunderts und hier insbesondere dem Kriminalroman das Verdienst zu, »Experimentierfeld für filmanaloge Wahrnehmungs- und Erzählweisen« gewesen (S. 14) und damit Forderungen literarischer Reformer wie Alfred Döblin nachgekommen zu sein (S. 13). 16 Für die junge Bundesrepublik hebt Peter Ellenbruch 17 die Bedeutung der frühen Jerry-Cotton-Filme hervor, die durch ihre rasche und dynamische Schnitttechnik nicht nur Anleihen beim Film der 1920er Jahre gemacht (S. 60), sondern über die offene Form auch einen Ausweg aus dem Restaurationsmilieu der Bundesrepublik geboten hätten, wenigstens was ihre Bildsprache angeht (S. 66).

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Das Krimigenre hat sich dabei früh an die technologische Entwicklung angelehnt. Holzmann zeigt, dass das Genre der Technik folgt und dorther seine »jeweils neuen Dynamisierungsfaktoren« bezieht (S. 19). So folgt auf die Fotografie als Leitmedium der Film, der nicht nur auf die Schreibformen gewirkt habe, sondern auch eine Dynamisierung des Aufklärungsprozesses bewirkt habe (S. 25). Die Beiträge im Band positionieren sich also divergent zu der skizzierten poetologischen Grundannahme und liefern eher Argumente gegen als für eine allzu enge Verbindung formaler und ideologischer Elemente.

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Der Prozess der Erkenntnis

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Die Themenkomplexe Technik und Moderne sind jedoch auch in einem anderen Zusammenhang von Bedeutung, nämlich für den Entwurf des Ermittlungs- und damit Erkenntnisprozesses. So ist der Prozess, der Sherlock Holmes zur Erkenntnis der Letztursache, in diesem Fall des Täters, führt, wesentlich eine literarische Konstruktion. 18 Holmes moderne Nachfahren lassen sich bei den Pathologen ebenso wie bei den Profilern ausmachen, also bei Professionen, die im Krimi der vergangenen Jahrzehnte eine große Karriere gemacht haben. 19

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Jo Reichertz beschreibt in diesem Band die Entlehnung der Selbstbeschreibungsmodelle, in diesem Fall von professionellen Profilern, bei ihren medialen Vorbildern. Die artistische Aura der Medienprofiler scheint eine so hohe Attraktivität zu besitzen, dass sie ins präsentierte Selbstbild ihrer realen Kollegen zurückwirkt (nichts anders als Mafiafilme zu den größten Vorlieben der Sopranos gehören). Dabei bleibt Reichertz aber nicht stehen, sondern beschäftigt sich intensiv mit den polizeilichen Ermittlungs- und damit Erkenntnisverfahren. Er kommt zu dem Ergebnis, dass der Formalisierbarkeit von Tatkennzeichen, die insbesondere von amerikanischen Profilern eingesetzt werden, Grenzen gesetzt sind (S. 176f.). Zugleich betont er die Bedeutung der subjektiven Vorstellungskraft (S. 181). Das scheint auf den ersten Blick dem Habitus von TV-Profilern wie etwa Monk zu entsprechen, die Ausstattungen des dem Wahnsinn nahen Außenseiter-Künstlers übernehmen. Reichertz konzentriert seine Argumentation jedoch auf einen anderen Punkt, darauf nämlich, dass nicht Ordnung und ihre Störung, nicht »die vermeintliche Gewissheit [...] Schlüssel« für die erfolgreiche Ermittlung sei, »sondern der Zweifel«: »Zweifel daran, dass man selbst die Ordnung der Dinge (das Typische, die Regeln) kennt, möglicherweise sogar der Zweifel, ob es überhaupt eine Ordnung der Dinge gibt« (S. 187). Für die modernen Ermittler sei also nicht Sherlock Holmes Vorbildfigur, sondern, wenn überhaupt jemand, dann Sam Spade.



Anmerkungen

Allein zwei Pressereaktionen zum Tatort-Jubiläum: Dieter Bartetzko: Die Liebe ist ganz schön gefährlich. Märchenwahre Welt als Glas: »Scheherazade«, der sechshundertste und ganz besondere »Tatort« (Radio Bremen). In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4.6.2005; Christin Buss: Haltung! Der »Tatort« ist zum gesellschaftlichen Spiegel Deutschlands geworden. In: Die Tageszeitung (TAZ), 2.6.2005.   zurück
Allein aus den letzten Jahren sind das Remake von Lems Solaris, Episode III von Starwars, AI, I Robot oder Minority Report (nach Motiven von Philipp K. Dick). Die letzten bekannteren SF-Autoren sind William F. Gibson und Douglas Adams, während die Zahl der Krimi-Stars stetig zu wachsen scheint. Ehemals große Reihen wie Heyne SF sind heute nur noch marginal. Wenn überhaupt, dann sind die Zweitverwertungen von Kinoformaten in den Buchhandlungen präsent. Von erstaunlicher Stabilität freilich zeigt sich die Altserie Perry Rhodan. Vgl. Das andere Arkadien. Unterwegs im Universum Fantasticum. Themenheft Horen 50 (2005, H. 1), Nr. 217.   zurück
Leider im vorliegenden Band nicht berücksichtigt. Vgl. aber dazu neuerdings: Karin Krauthausen: Am Schauplatz des Verbrechens (Batman). In: Bruno Franceschini / Carsten Würmann (Hg): Verbrechen als Passion. Neue Untersuchungen zum Kriminalgenre. (Juni. Magazin für Literatur und Politik) Berlin: Weidler 2004, S. 285–311.   zurück
Hanna Köllhofer: Totgesagte hört man länger. Einige Anmerkungen zum Kriminalhörspiel, S. 68–88.   zurück
Sigrid Thielking: Tatort Mediensozialisation?, S. 204–217; Petra Josting: »... und du übernimmst den Fall!« Krimis für Kinder auf CD-Rom: Ein Überblick, S. 218–241.   zurück
Michael Rohrwasser: Der Mob auf der Couch. Warum The Sopranos in Deutschland erfolglos bleiben?, S. 145–160.   zurück
Stefanie Abt: Journalisten, Kamera-Augen und Computer. Massenmedien in den Polizeikrimis von Henning Mankell und Ulrich Ritzel, S. 188–203.   zurück
Jochen Vogt: Tatort – der wahre deutsche Gesellschaftsroman. Eine Projektskizze, S. 111–129, zum Tatort auch: Reinold Viehoff: Der Krimi im Fernsehen. Überlegungen zur Genre- und Programmgeschichte, S. 89–110; Björn Bollhöfer: Stadtansichten im Tatort. Filmischer Raum und filmisches Image, S. 130–144.    zurück
Vgl. auch Viehoff (Anm. 8), S. 108.   zurück
10 
Ebd., S. 99.   zurück
11 
Zu erinnern ist hier an die Diskussionen um den letzten Berliner Tatort mit Winfried Glatzeder, in der Qualitäts- und Experimentargumente miteinander verbunden und gegeneinander ausgespielt wurden. Und auch das offene Konzept des 600. Tatort, der am Ende weder Opfer noch Täter lieferte und noch nicht einmal eine echte Kriminalgeschichte, hat eben nicht nur begeisterte Zuschauer gefunden. Wenn Edo Reents in der FAZ (Es gibt mehr im Leben als Derrick, 8.6.2005, S. 44) den Bremer Tatort nebenher als »miserabel« abkanzelt, dann wohl gerade deshalb, weil er Vorerwartungen und Lösungen verweigerte. Ein interessantes Experiment immerhin.    zurück
12 
Eco, Umberto: Das offene Kunstwerk. Frankfurt / M. 1977 (= stw 222).   zurück
13 
Ebd., S. 171.   zurück
14 
Vgl. Gallas, Helga: Marxistische Literaturtheorie. Kontroversen im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller. 11.-21. Tsd. Neuwied und Berlin: Luchterhand 1974 (= Sammlung Luchterhand 19, collection alternative Bd. 1).   zurück
15 
Gabriela Holzmann: Von Morden und Medien. Wie neue Medien ein altes Genre immer neu erfinden, S. 13–32.   zurück
16 
Dass Holzmann dabei ein wenig mit den Jahren und den fraglichen Texten jongliert, sei wenigstens am Rande vermerkt: So datiert sie die »neue Vision des Romans« Döblins auf die Zeit »um 1900«, der Roman, der die damit verbundenen Forderungen dann erfüllt habe, Döblins Berlin Alexanderplatz, ist aber erst 1929 erschienen, also, darf man schließen, rund drei Jahrzehnte später. Dem ist entgegen zu halten, dass Döblins Reform des Romans, aus dem Holzmann zitiert, im Jahrgang 1919 / 20 des Neuen Merkur publiziert wurde, das allerdings hier wenigstens zu nennende Berliner Programm im Jahrgang 1913 / 14 von Der Sturm. Die Zeitdifferenz schmilzt also in jedem Fall. Zudem sind neben Döblins Berlin Alexanderplatz weitere, auch frühere Texte des Autors selbst zu stellen, in denen er versucht, Anleihen bei den neuen Filmtechniken zu machen, etwa Berge, Meere und Giganten von 1924 oder Wallenstein (1920). Die Bedeutung von Perspektivwechseln, Montage und seriellen Elementen für die literarische Avantgarde der 1910er Jahre sollte gleichfalls nicht unberücksichtigt bleiben. Das ändert nichts an der Einschätzung, dass auch die populären Texte experimentieren, nimmt ihnen aber das generelle Primat, das im Übrigen auch für Holzmann kein essentielles Argument ist. Und schließlich ist die Diskussion der Montage und des Anti-Psychologismus (für den Döblin eben auch plädierte) im zeitgenössischen Kontext zu sehen. Das filmische Montagekonzept der zwanziger Jahre ist deutlich von den späteren Konzepten unterschieden. Zu erinnern ist nur an den Einfluss, den Video-Clips seit den neunziger Jahren auf das große Format hatten.   zurück
17 
Peter Ellenbruch: Auf der deutschen Autobahn nach New York City. Die Jerry-Cotton-Filme 1965–1966, S. 51–67.    zurück
18 
Jürgen Klüver und Christina Stoica haben das zu formalisieren versucht und dabei mit unterschiedlich kompetenten Programmen gearbeitet. Dabei sind sie letztlich streng textimmanent geblieben, haben also eine Verbindung, die der fragliche Detektiv herstellt, anscheinend übernommen und als feste Regel festgeschrieben. Das aber widerspräche der Variantenbreite, die der tatsächliche Ermittlungsprozess hat, folgt man Jo Reichertz. Jürgen Klüver, Christina Stoica: Literarische Morde, Künstliche Intelligenz und formale Logik. Textrekonstruktionen einer etwas anderen Art, S. 242–268; Jo Reichertz: Crime-Profiler. Legitime Nachfahren von Sherlock Holmes?, S. 161–186.   zurück
19 
Zu den Pathologen, die ich im Unterschied zu Reichertz (S. 161) von den Profilern unterscheide, vgl. Hans Richard Brittnacher: Die Engel der Morgue. Über den Trend zur Forensik im amerikanischen Kriminalroman. In: Bruno Franceschini / Carsten Würmann (Hg): Verbrechen als Passion (Anm. 3), S. 101–118.    zurück