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Die hohe Schule der Bibliographie

Todd & Bowdens Bibliographie der
Tauchnitz Collection of British Authors

  • William B. Todd / Ann Bowden: Tauchnitz International Editions in English 1841-1955. A Bibliographical History. New York: Bibliographical Society of America 1988. XXIV, 1078 S. Gebunden.
    ISBN: 0-914930-12-5.
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Eine Vorbemerkung an den aufmerksamen Leser: Die Tauchnitz-Bibliographie ist zuletzt 2005 von der British Library herausgegeben worden. Dabei handelt es sich aber lediglich um einen unveränderten Nachdruck der Ausgabe von 1988. Es hat sich als unmöglich erwiesen, von der British Library ein Rezensionsexemplar dieser letzten Ausgabe zu erhalten. Daher geht der Autor in dieser Besprechung von der ihm zugänglichen Erstausgabe aus.

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Die Tauchnitz-Edition –
Vom Ende der lektürearmen Reisen englischer Touristen
auf dem europäischen Kontinent

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Bernhard Tauchnitz gründete 1837 in Leipzig den Bernhard Tauchnitz Verlag. Nach einigen weniger erfolgreichen Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Sprachwissenschaften und Grammatiken verlegte er sich seit 1841 im Grunde ausschließlich auf die Herausgabe englischsprachiger Belletristik.

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Sein Erfolgskonzept war die Herausgabe der besten und oft genug neuesten Originalliteratur in englischer Sprache auf dem europäischen Kontinent in Taschenbüchern im handlichen, für heutige Augen und Hände ungewohnten breiten Sedez-Format der Cottaschen Schillerausgabe des Jahres 1838. 1 Bernhard Tauchnitz teilte das anglophile Interesse großer Teile der gebildeten und höheren sozialen Schichten in Deutschland mit der kaufmännischen Beobachtung, dass es außerhalb Großbritanniens und seiner Kolonien kaum möglich war, Literatur in englischer Sprache zu kaufen. Die englischen Reisenden, auf deren kontinentalem Reiseprogramm seit den frühesten Tagen der Romantik auch das Rheintal, Dresden und die Schweizer Alpen standen, sahen sich aus diesen Gründen wie auch aufgrund des mangelhaften Exports in England gedruckter Literatur nach Europa langen lektürelosen Reisen kreuz und quer über den europäischen Kontinent ausgesetzt. Sehr bald kristallisierten sich drei Hauptabnehmerkreise heraus: die eben genannten englischen Reisenden, die anglophilen großbürgerlichen und adligen Schichten in allen europäischen Nationen sowie Schul- und Leihbibliotheken.

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Tauchnitz-Bücher – Ein Gebrauchs-
und Verbrauchsgut für Massen

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Der verlegerische Erfolg des Tauchnitzschen Unternehmens gründete auf der massenhaften Verbreitung kleinformatiger und preisgünstiger attraktiver Bücher in Europa, ja der ganzen Welt mit Hilfe eines ebenso umfangreichen wie feinmaschigen Vertriebsnetzes. 1937 deklarierte der Verlag die Zusammenarbeit mit 6.000 Buchhändlern und Agenten weltweit. Da aber seit dem Bombenangriff auf Leipzig 1943 das Firmenarchiv verloren gegangen ist, sehen sich heutige Buchhandelshistoriker vor das ebenso unerfreuliche wie unergiebige Problem gestellt, entweder in mühseliger Detailarbeit das damalige Tauchnitzsche Vertriebsnetz zu rekonstruieren oder über etwas anderes zu schreiben. Fast alle haben den letzteren Weg gewählt. Selbst Todd und Bowden scheinen nichts von der Menge an Tauchnitz-Ausgaben zu wissen, wie sie etwa in den Leihbüchereien der deutschsprachigen Länder oder in den Gymnasialbibliotheken Schwedens zu finden waren oder sind. Als gute Bibliographen haben sie aber ihrer Arbeit als Abschnitt Y unter der nichtssagenden Überschrift »A Tauchnitz Gazetteer« ein Verzeichnis der in den von ihnen analysierten Büchern vorgefunden Provenienzen beigefügt. Außer dem anonymisierten Hinweis auf individuelle und institutionelle Besitzer findet man ebenso Hinweise auf Titel, die Angaben zu Buchbindern und Buchhändlern enthalten. Die frühesten datierten Besitzer-, Buchhändler- und Buchbinderprovenienzen findet man in Deutschland, während in England wenig überraschend aus den ersten Jahrzehnten im Prinzip lediglich individuelle Provenienzen bekannt sind. Erst später, als auch Tauchnitz-Bände mehr und mehr ungebunden, das heißt in ihren Originalpapierumschlägen, auf die Regale kamen, trifft man öfter auf Hinweise auf die Buchhändler, die Tauchnitz in aller Welt verkauft haben. Die Hinweise in Abschnitt Y auf Buchhändler werden verstärkt und komplettiert durch die konkreten Hinweise in Abschnitt N »Affiliations with other Firms« auf namentlich genannte amerikanische, aber auch ein paar englische und eine französische Firma.

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Tauchnitz-Edition und Urheberrecht

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Ohne Zugang zu einem Verlagsarchiv oder Büchern in Originaleinbänden ist es schwer, angemessen und umfassend über die Tätigkeit und Wirkung des Tauchnitz-Verlags zu schreiben. Es hat sich vor allem als literaturhistorisch weitaus ergiebiger herausgestellt, über die guten Beziehungen Bernhard Tauchnitz’ zu Autoren englischer Sprache zu schreiben, denen seine Reihe die hohe Zahl an Erstausgaben, oder in Todds und Bowdens Worten »some textual as well as chronological priority« (S. 4–5) verdankt. Durch großzügige Honorare und die (finanzielle wie ideelle) Anerkennung des Urheberrechts der Autoren an ihren in seinem Verlag gedruckten und herausgegebenen Werken erwarb sich Bernhard Tauchnitz frühzeitig das Vertrauen der englischen, sehr bald auch der amerikanischen Autoren. Das Einverständnis der Autoren wurde in den Nummer 51–109 der Collection durch die Formel »Sanctioned by the Author« angezeigt. Bei amerikanischen Autoren erschien die Formulierung »Authorized Edition«. Tauchnitz nahm dabei in gewisser Weise die 1846 ratifizierte erste internationale Urheberrechtsvereinbarung voraus. Ab diesem Jahr erschien mit Nummer 110 auf den Titelblättern seiner Bücher die neue Formel »Copyright Edition«. Dies unterscheidet etwa die Erstausgabe 1846 des Rob Roy von Walter Scott von allen späteren Ausgaben.

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Die Collection of British [and American] Authors erlebte ihre Blütezeit unter dem ersten Bernhard Tauchnitz, von 1841 bis 1895. Bereits ab Beginn der 1890er Jahre nahm die Bedeutung dieses Unternehmens ab. Das Erscheinen der Collection of British and American Authors wurde 1943 endgültig eingestellt; der letzte kontrakterte Titel erschien schon gar nicht mehr im Druck. Beim Bombenangriff auf Leipzig wurden alle Druckformen sowie das Bücherlager und das Firmenarchiv vernichtet. Nach einer kurzen Renaissance nach dem Krieg erlosch der Name Tauchnitz 1955 für immer.

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Zur literaturhistorischen und verlegerischen
Bedeutung des Tauchnitz-Unternehmens

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Zur Auswahl von Autoren und Titeln und zu bibliographischen Problemen, die sich aus den Eigenheiten der Tauchnitzschen Editionstätigkeit ergeben, ist bereits früh geschrieben worden. Horst Meyer gibt in seiner oben bereits angeführten Rezension einen kurzen Überblick über einige der wichtigsten Arbeiten auf dem Weg zu der hier zu besprechenden Bibliographie.

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Über die literaturhistorische und verlegerische Bedeutung des Tauchnitzschen Unternehmens kann kein Zweifel bestehen. Es hat allerdings einige Zeit gedauert, bis die Collection das Interesse der Bibliographen und Buchhistoriker wecken konnte. Das liegt zum einen daran, dass sich ein Großteil der erhaltenen Exemplare lange fast ausschließlich in privaten Bibliotheken befunden hat und damit der Aufmerksamkeit der Bibliographen entzogen war. Eine weitere Zahl von Exemplaren ist bei der Schließung von Leihbüchereien oder der Makulierung veralteter Literatur in öffentlichen Bibliotheken unwiederbringlich verloren gegangen. Tauchnitz-Bücher waren Gebrauchs-, ja Verbrauchsgüter. Von vielleicht 40 Millionen Kopien ist heute nur ein Bruchteil erhalten geblieben. Auch in Todds und Bowdens Bibliographie klaffen daher noch Lücken, die durch bibliographische Studien in Bibliotheken, die dort unberücksichtigt geblieben sind, geschlossen werden könnten.

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»Hofdamenromane« – Die Bedeutung der Tauchnitz-Edition für die kulturelle Bildung und Verbreitung englischer Kultur

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Wissenschaftliche Bibliotheken haben sich allzu lange nicht sonderlich um die in einem bekannten Fall etwa verächtlich »Hofdamenromane« genannte Unterhaltungsliteratur gekümmert. 2 Besonders die englischen Bibliotheken haben darunter gelitten, dass wegen der freiwilligen Exportbeschränkung des Tauchnitz-Verlags und der Rigorosität des englischen Zolls seine Reihe lange nicht offiziell nach England importiert werden konnte. Erst mit der Schenkung der Todd & Bowden-Sammlung durch die Kulturstiftung der Länder zu Beginn der 1990er Jahre (Tauchnitz-Edition, The British Library London & KulturStiftung der Länder, London: British Library, 1992) verfügt jetzt auch die British Library über eine substantielle Sammlung von Tauchnitz-Ausgaben englischer und amerikanischer Autoren in der Originalsprache.

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Über die Verbreitung der Collection dagegen und ihre Bedeutung als Lektüre und für die Erziehung und kulturelle Bildung in gehobenen Gesellschaftsschichten sowie für die Verbreitung englischer Kultur und die Kenntnis englischer Sprache und Literatur außerhalb Großbritanniens ist dagegen bislang so gut wie nichts geschrieben. Ein paar neuere Arbeiten sprechen zwar im Vorbeigehen gewisse Aspekte der übergreifenden kulturellen Bedeutung des Tauchnitz-Verlags an, beispielsweise für die Verbreitung englischer Literatur in Skandinavien, gehen aber nicht in die Tiefe und geben weder Quellen noch Sekundärliteratur an. 3

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Die Tauchnitz-Edition im Fokus literaturwissenschaftlicher Fragestellungen seit den 1960er Jahren

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Das bibliographische und literaturhistorische Interesse an der Collection erwachte in den 1960er Jahren in den USA durch Simon Nowell-Smith und später William Todd, in England durch Ben Hutchinson und in Deutschland durch die Arbeiten Karl Presslers Ende der 1970er Jahre. Was das Interesse dieser Literaturforscher, Antiquare wie auch einiger Bibliothekare weckte, war die Schwierigkeit, angesichts der stetigen, fast unveränderten Wiederverwendung der originalen Druckstöcke und damit auch des Datums der ersten Auflage für die meisten späteren Ausgaben und Auflagen die Tauchnitzsche Verlagsproduktion chronologisch zu ordnen und zu verzeichnen. Nur die bei Autopsie vorgenommene Bestandsaufnahme möglichst vieler Druck- und ausstattungsmäßiger Details ermöglicht eine weitgehende, wiewohl nicht immer erschöpfende Abklärung bibliographischer Fragen, zum Beispiel die nach Erscheinungsjahr, Satz oder Druck. 1980 präsentierte Karl Pressler eine Liste über 159 gezählte und sieben ungezählte Einträge, damit die erste seriöse wissenschaftliche und vor allem chronologisch abgesicherte Bibliographie der frühen Tauchnitz-Veröffentlichungen. 4 Man macht es sich aber zu einfach, wenn man wie Meyer Todds und Bowdens Leistung unter Hinweis auf Presslers Veröffentlichung schmälern will.

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Autopsie von rund 70.000 Tauchnitz-Büchern – Zur bibliographischen Komplexität der Tauchnitz-Drucke

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Todd und Bowden veröffentlichten 1988 nach über zehn Jahren, in denen sie selbst über 6.000 Tauchnitz-Bücher für ihre eigene Sammlung erworben und mehr als 58.000 Exemplare in öffentlichen und privaten Bibliotheken, vor allem in Europa und Nordamerika, eingesehen hatten, Tauchnitz International Editions in English 1841–1955. Dabei handelt es sich nicht nur rein vom Umfang her, sondern auch inhaltlich und strukturell um ein Schwergewicht unter den zeitgenössischen Bibliographien.

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Die bibliographische Komplexität der Tauchnitz-Drucke ist enorm. Ein Ornament auf der Titelseite kann das einzige Merkmal darstellen, dass zwei aufeinander folgende Ausgaben ein und desselben Titels voneinander unterscheiden. Bereits der erste Titel, Bulwer Lyttons Pelham, ist falsch datiert (»1842« statt korrekt »1841«; Todd & Bowden Nr. 1). Ansonsten ist es in späteren Auflagen eines Titels in der Collection üblich, das Datum der Erstauflage zu wiederholen. Hawthornes Transformations erschien zuerst 1860; aber noch die vierte Ausgabe 1906 ist offiziell 46 Jahre zurück datiert (Todd & Bowden Nr. 515). Andere Titel können nur unter Berücksichtigung der minimalen Veränderungen des Impressums und des Kolophons oder der Verwendung der Egyptienne-Drucktype korrekt datiert werden. Denn dabei handelt es sich ja im Grunde bei der Arbeit mit den Tauchnitz-Büchern, um die korrekte Datierung massenhaft, unter Nichtachtung im übrigen Verlagswesen allgemein akzeptierter bibliographischer Gepflogenheiten hergestellter Bücher.

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Die strukturellen Grundzüge
der Tauchnitz-Bibliographie

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Bevor ich darauf eingehe, wie Todd und Bowden die spezifischen Tauchnitzschen Probleme gelöst haben, möchte ich kurz die Bibliographie in ihren strukturellen Grundzügen darstellen. Dieser Koloss von Buch (mehr als 1100 Seiten) ist vielfältig gegliedert. Die ersten 24 Seiten enthalten neben der Einleitung und der Verschlüsselung der eingesehenen Bibliotheken und Quellen die Zusammenfassung der bibliographischen Beschreibungsprinzipien. Diese zwei Seiten sollte man vor Benutzung der Bibliographie sorgfältigst durcharbeiten, da man sonst später unnötig oft auf diese Seiten zurückgreifen muss und gewisse Informationen in den Titeleinträgen unverständlich erscheinen. So indiziert etwa die Formel »Hr:6« einen der 500 ersten Titel in frühen Ausgaben mit Angabe der Nummer in römischen Ziffern auf der Vorderseite des Schmutztitels und der Angabe von sechs weiteren Titeln auf dessen Rückseite, »H:6« dagegen die Angabe der Seriennummer in arabischen Ziffern und damit später herausgegebenen Titel oder eine spätere Ausgabe eines frühen Titels. Aufgrund der Masse von Titeln (insgesamt 5.372) und einer Unzahl von Ausgaben und Drucken, die der Verlag auf den Markt brachte, sahen sich Todd und Bowden gezwungen, die bibliographischen Angaben enorm zu verdichten und zu formalisieren. Dies zwingt auch den Leser zu einer etwas anderen Lesart, wie sie sonst in Bibliographien üblich ist. Es scheint aber, dass Todd und Bowden damit eine angemessene Lösung für die Darstellung eines Massenproduktes mit den speziellen Tauchnitzschen Vorzeichen gefunden haben.

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Informative Essays zur Verlagsgeschichte und zur Internationalität der Buchmärkte um 1900

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Die gleiche formelhafte Verdichtung gilt auch für die Struktur des Buches im Übrigen. Die Abschnitte 1–8 verzeichnen die 5.372 Titel, die zwischen 1841 und der Zerstörung der Firma 1943 herausgegeben wurden. Jeder dieser Abschnitte wird eingeleitet mit einem höchst informativen Essay zur Verlagsgeschichte, aber auch den Beziehungen zu den Autoren und den Märkten im Übrigen. Die Abschnitte A–U sind anderen Reihen gewidmet, die im Tauchnitz-Verlag erschienen sind, sowie den Versuchen nach dem Krieg, den Namen Tauchnitz im Zusammenhang mit verschiedenen, sämtlich aber misslungenen Versuchen, englische Literatur herauszugeben, wieder zu beleben. Die darauf folgenden Abschnitte V–Z wären in deutschen Büchern als Beilagen oder Anhänge in das Buch eingegliedert worden. Hier haben Todd und Bowden ihr strukturelles Faible anscheinend etwas überstrapaziert. In diesen Abschnitten drängt sich Vernachlässigbares, wie den Nachruf auf Bernhard Tauchnitz den Älteren, mit wichtigen zusätzlichen Informationen zu Drucktypen, Papier, Einbänden und anderen Eigentümlichkeiten im Druck.

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Kritische Bemerkungen zum
Gebrauchswert der Bibliographie

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Der Gebrauchswert dieser Bibliographie leidet allerdings unter einigen Problemen. Die Verschlüsselung der für die Identifikation und Datierung wichtigen Details der Drucke ist hochkompakt und extrem formalisiert und verkürzt, aber auch sehr detailliert. Gleichzeitig aber sind viele ausschlaggebende Details, wie die Originalumschläge mit datierten und aktuellen Titellisten, von den Besitzern der Bücher im Zusammenhang mit der Einbindung in andere als die gewöhnlichen Tauchnitzschen Papierumschläge – die Verlagseinbände in Leder waren und sind in der absoluten Minderheit – aus den Büchern entfernt worden. So eigenartig war die Art und Weise, in der der Verlag mit Erscheinungsdaten und dem Aussehen seiner Bücher umging, dass auch mit Todds und Bowdens Bibliographie vor sich viele Tauchnitz-Bände in unseren Bibliotheken nicht eindeutig datiert und mit der korrekten Todd & Bowden-Nummer versehen werden können.

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Vielfalt der Leseorte – Tauchnitz-Bücher in Bahnhofsbuchhandel, Leihbüchereien
und Schulbibliotheken

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Horst Meyer hat in seiner Rezension viel Kluges, aber auch viel Kleinliches zu Stärken und Schwächen der Bibliographie Todds und Bowdens geschrieben. Die von ihm angemahnte Musteraufnahme findet sich, aber anscheinend in einer für ihn wohl ungewohnten Form, auf Seite xiii. Weit gewichtiger sind dagegen seine Hinweise auf die Folgen, die sich aus der angloamerikanischen Perspektive Todds und Bowdens auf die englischsprachigen Veröffentlichungen der Firma Tauchnitz wie aus den spezifischen Einschränkungen, der sich jede Bibliographie unterordnen muss, ergeben. Die Konzentration der Darstellung auf in erster Linie bibliographisch relevante Angaben lässt nicht so viel Spielraum für historische Darlegungen und Ausweitungen, wie sich der Leser vielleicht wünschen könnte. Zum anderen haben Todd und Bowden zwar einen Blick für den amerikanischen Markt, zu dem sie etliches Neues beisteuern können, aber wie schon Meyer sagt vernachlässigen sie die Erfolgsgeschichte der Tauchnitz-Edition auf dem deutschen Buchmarkt. Meyer schreibt den deutschen Leihbibliotheken eine bedeutende, wenn nicht sogar ausschlaggebende Rolle bei der Eroberung des einheimischen Marktes für englischsprachige Bücher zu. Meyer selbst lässt die den Reisenden vor allem zugänglichen Bahnhofsbüchereien außer Acht. Ich habe schon weiter oben von den skandinavischen Gymnasialbibliotheken gesprochen, an deren historischen Beständen man heute noch den großen Einfluss des Tauchnitz-Verlags ablesen kann. Dazu kommt noch der hauptsächlich in den Abschnitten X und Y leider nur zu erahnende Einfluss, den die in alle europäischen Länder vertriebene Produktion des Tauchnitz-Verlags auf die Verbreitung englischsprachiger Literatur gehabt haben muss. Hier wäre es möglich und nötig, in zukünftigen Studien etwa die Verzahnung englischer, deutscher und anderer europäischer Fürstenhäuser und die Bedeutung der Königin Victoria von England quasi als Galionsfigur des europäischen Anglophilismus als weitere wichtige Strömungen zu untersuchen, die letztlich, wenn auch in noch unbekanntem Ausmaß auch zum Erfolg der Tauchnitzschen Verlagsproduktion haben beitragen können.

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Tauchnitz-Bücher zur Befriedigung von
anglophilen kulturellen und Leseambitionen
des gebildeten Bürgertums

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Voraussetzung für die Etablierung des Tauchnitz-Verlags als der wichtigste Lieferant der zur Befriedigung anglophiler kultureller und Leseambitionen in gebildeten Schichten der europäischen Gesellschaften unverzichtbaren englischen Bücher waren allerdings die Beschränkungen, die dem Export in Großbritannien gedruckter englischer Belletristik auferlegt waren. Die ursprüngliche umfassende Leserschaft kann heute nicht mehr vollständig rekonstruiert werden. Viele Kopien wurden in kleineren Buchläden oder Bahnhofsbuchhandlungen für eine Reise gekauft und, zerlesen, bald wieder weggeworfen. Heute weiß man nur von den wenigen in Bibliotheken erhaltenen Ausgaben. Abgesehen von neueren größeren oder kleineren Spezialsammlungen handelt es sich dabei vornehmlich um Sammlungen aus dem Besitz adliger und großbürgerlicher Kreise vornehmlich des 19. Jahrhunderts. Vor allem innerhalb dieser gesellschaftlichen Schichten erfreuten sich die Bücher aus dem Tauchnitz-Verlag größter Beliebtheit. Von den Bibliothekaren wurden sie geringschätzig »Hofdamenromane« tituliert und lange ignoriert. 5

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Das Ende des Tauchnitz-Verlags

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Im Feuer des Bombenangriffs auf Leipzig 1943 ging auch der Verlag Tauchnitz und die Collection of British and American Authors unter. Beide hatten schon Jahrzehnte lang Rückschläge und Einbußen hinnehmen müssen. Das unzeitgemäße Format, die für Leser des 20. Jahrhunderts unbefriedigende graphisch »leere« Gestaltung der Buchumschläge und das Festhalten an veralteten Drucktypen hatten dem Verlag auf einem durch Jugendstil und moderne künstlerische Bewegungen ästhetisch sensibilisierten Buchmarkt mehr und mehr zu schaffen gemacht. Bucheinbände entwickelten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts mehr und mehr zu den effektiven und auffälligen Marketinginstrumenten, wie wir sie heute kennen. Verglichen mit anderen Literaturserien wie etwa Penguin enthielten die Einbände der Collection keinerlei graphische Elemente, die etwa wie Mehrfarbigkeit (1935 wurde zum ersten Mal eine Serie von farbigen Umschläge angeboten), Bilder oder graphische Bewegung das Interesse der Käufer hätten fangen und den Verkauf der Bücher ankurbeln können.

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Dazu kamen etwa die bekannte Konkurrenz durch die Penguin-Bücher und die Schwierigkeiten, die dem Verlag in Jahrzehnten des Kriegs, der Inflation und des Naziregimes erwuchsen. Nach 1945 machten die Importe englischsprachiger Literatur einen einheimischen Verleger erst recht zu einem Unding. Der Tauchnitz-Verlag mit seinem gelinde gesagt eingeschränkten Verlagsangebot hätte früher oder später das Zeitliche gesegnet, soviel ist sicher. Heute wird fremdsprachliche Literatur, vor allem englische, direkt aus dem Urheberland importiert wird. Es ist ein Paradox der Globalisierung, dass das Engagement eines weltweit denkenden anglophilen Nichtengländers heute bei weitem nicht mehr ausreichen würde, um dem Export der englischen Verlage selbst auf einem nicht englischsprachigen Literaturmarkt etwas entgegen setzen zu können.

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Fazit

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Todd und Bowden haben einer komplexen Verlagsgeschichte und Literaturproduktion ein scharfsinnig erdachtes und konsequent in Form und Tat umgesetztes bibliographisches Denkmal gesetzt. Die Anfangsschwierigkeiten und strukturellen Kanten, die ihr Werk manchmal dem schnellen Verständnis der bibliographischen Beschreibungen entgegen zu setzen scheint, sind schnell überwunden. Der Nutzen, den Bibliothekare, Antiquare und Sammler davon haben, ist dagegen enorm. Ich habe mir selber ein paar Tauchnitz-Ausgaben zugelegt und fast alle als Erstausgaben identifiziert (wie ich hoffe). Die einzige Befürchtung, die ich habe, ist, dass dieser Meilenstein einzig aufgrund seines Gewichts und der augenscheinlich erschöpfenden Beschäftigung der Autoren mit der Geschichte des Verlags der weiteren Erforschung des Tauchnitz-Verlags und seiner Leistung, der Bedeutung und Verbreitung angloamerikanischer Literatur außerhalb Englands sowie der Entwicklung des Taschenbuchs im 19. und 20. Jahrhundert im Wege stehen könnte. Aber da möchte ich einfach nur alle Zwerge auffordern, auf den Rücken dieses Riesens zu klettern und sich überraschen zu lassen, welch eine weite Aussicht man von hier aus genießen kann und welche neuen Wege sich öffnen.

 
 

Anmerkungen

Horst Meyer: Tauchnitz von A bis Z. In: Aus dem Antiquariat 1991, S. A474–A477.   zurück
Merete Licht: Baron Tauchnitz – en tysk gentleman – og »hofdameromanerne«. In: Magasin fra Det kongelige Bibliotek 7 (1993) 4, S. 29–54.   zurück
Karl H. Pressler: Zur Bibliographie der Tauchnitz Edition 1841–1848. In: Aus dem Antiquariat 1980, S. A1–A19.   zurück
Beispielsweise von der Königlichen Bibliothek in Brüssel; Todd & Bowden, S. 913.   zurück