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Den Tätern auf der Spur...

Der Wandel des Täterbildes im zeitgenössischen amerikanischen Psychothriller

  • Inga Golde: Der Blick in den Psychopathen. Struktur und Wandel im Hollywood-Psychothriller. Kiel: Ludwig 2002. 212 S. 48 s/w Abb. Broschiert. EUR (D) 24,90.
    ISBN: 3-933598-49-4.
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Die vorliegende Studie, eine an der Universität Kiel entstandene Dissertation, lenkt den Blick auf die Tatsache, dass das Genre des Psychothrillers im Sog des kommerziellen und kritischen Erfolgs von Jonathan Demmes The Silence of the Lambs (1991) in Hollywood einen beachtlichen Produktionsanstieg erfuhr. Die Studie definiert den Psychothriller als ein aus Elementen des Thrillers und des Horrorfilms entwickeltes (Sub-)Genre, in dessen Mittelpunkt Täterfiguren stehen, die üblicherweise als psychopathisch und normabweichend dargestellt werden. Gerade The Silence of the Lambs liefert in der Figur des Dr. Hannibal Lecter jedoch ein augenfälliges Beispiel dafür, dass Täterfiguren im zeitgenössischen Spielfilm auch mit sympathischen oder zumindest ambivalenten Eigenschaften ausgestattet sein können. Aus dieser Beobachtung leitet die Verfasserin des vorliegenden Bands ihr Erkenntnisinteresse ab, ausgewählte Psychothriller daraufhin zu befragen, »ob die Grenze zwischen normverletzenden Täterfiguren und normdefinierenden Gesellschaftsvertretern aufrecht erhalten oder zunehmend durchlässig wird« (S. 11).

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Untersuchungsrahmen

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Inga Golde beschränkt den Horizont ihrer Untersuchung auf amerikanische Kinoproduktionen des Zeitraums 1980 bis 2000. In ihrem Einleitungskapitel »Der Psychothriller: Begriff und Geschichte« liefert sie aber auch einen kurzen historischen Überblick über Tendenzen und Gestaltungsprofile des Psychothrillers seit den sechziger Jahren. Sie gesteht dabei Alfred Hitchcocks Psycho (1960) den Status eines Prototyps zu, weil dieser Film nicht nur wesentliche Spielregeln und formale Kennzeichen des Genres festlegte, sondern in dem pathologischen Mörder Norman Bates auch über eine archetypische Täterfigur verfügt, die hinsichtlich ihrer sozialen Beziehungen, ihrer Identitätskonzeption und ihrer sexuellen Orientierung als normabweichend gelten muss.

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Obwohl diesem historischen Überblick nur acht Seiten eingeräumt werden und Argumentation und Beispielmaterial entsprechend knapp ausfallen, werden doch signifikante Modifizierungen herausgearbeitet, denen das Genre im Laufe seiner Entwicklung unterworfen war. In diesem Zusammenhang diagnostiziert die Verfasserin zu Beginn der achtziger Jahre einen Paradigmenwechsel von vergangenheitsthematisierenden zu gegenwartsthematisierenden Psychothrillern und unterscheidet im folgenden grundlegend zwischen Filmen, die durch eine Einbeziehung der Vergangenheit des Täters und einer ursächlichen Einbettung seiner Verbrechen in einen sozialkritischen Kontext gekennzeichnet sind, und Filmen mit einem »Motivationsvakuum« (S. 28), in denen sich die Darstellung des Täters auf die Gegenwart und auf die Folgen seiner Gewaltausübung konzentriert. Diese Differenzierung liefert zugleich den Rahmen für die konkreten Filmanalysen, die den Hauptteil der Studie bilden.

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Typologischer Ansatz

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Die Filmanalysen sind zu drei größeren Abschnitten gruppiert, die jeweils einen Typus des Psychothrillers näher beleuchten, nämlich erstens solche Filme, »die filmische Vergangenheit in die Handlungsstruktur integrieren«, zweitens solche, »die sich auf die Abbildung der filmischen Gegenwart konzentrieren« sowie drittens »gesonderte Filmbeispiele [...], die von den im Vorwege ermittelten Strukturmodellen abweichen – eine Beobachtung, die die These zuläßt, daß sich die Form des Psychothrillers innerhalb der neunziger Jahre verändert hat« (S. 35). Von diesen drei Kategorien erscheint insbesondere die dritte problematisch. Zum einen ist die genannte Schlussfolgerung banal (welches Filmgenre verändert sich nicht im Laufe eines Jahrzehnts?), zum anderen wird angesichts inhaltlich und ästhetisch so heterogener Filme wie Oliver Stones Natural Born Killers (1994), David Finchers The Game (1997) oder Andrew Davis’ Perfect Murder (1998) im Rahmen der hier vorgeschlagenen Kategorisierung nicht erkennbar, in welche Richtung sich der Psychothriller der neunziger Jahre verändert haben soll.

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Die Tatsache, dass es offensichtlich eine große Anzahl von Psychothrillern gibt, die von den beiden postulierten Hauptkategorien (vergangenheits- vs. gegenwartsthematisierend) abweicht, wirft vielmehr die Frage auf, ob diese Hauptkategorien wirklich tragfähig und aussagekräftig sind. Ein Blick auf die Themen der einzelnen Unterabschnitte des Hauptteils legt durchaus alternative Betrachtungsmodelle nahe. Typologische Ansätze von zumindest ebenbürtigem Erkenntnispotential ergeben sich beispielsweise aus der jeweiligen Darstellung der Täterfiguren (Motivationslage, soziales Beziehungsgefüge, gender-Konstruktionen, usw.), unter filmhistorischen und -ästhetischen Aspekten hätten sich auch Kriterien wie Intertextualität, Genretraditionen und formale Gestaltung angeboten.

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Filmanalysen

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Als Auswahlkriterien des Beispielmaterials dienten Golde vorrangig der kommerzielle Erfolg eines jeweiligen Films sowie die Frage, inwieweit sich ein Film für die Ästhetik und Handlungsstruktur nachfolgender Filme als richtungsweisend erwies. (Das dritte genannte Kriterium, »Filme, die weder besonders erfolgreich noch richtungsweisend waren, aber dennoch zu der Gesamtheit der in den Kinos gespielten und rezipierten Filme gehören« [S. 359], leuchtet nicht recht ein.) Auf dieser Basis, so die Verfasserin, seien einhundert Filme »in die engere Auswahl« gekommen. Diese wurden allerdings sehr unterschiedlich gewichtet, denn zahlreichen Filmen, die lediglich erwähnt beziehungsweise kurz skizziert werden, stehen nur relativ wenige ausführlich diskutierte Filme gegenüber. Hierzu zählen neben den bereits genannten Titeln Robert Youngs Extremities (1985), Adrian Lynes Fatal Attraction (1987), Joseph Rubens Sleeping with the Enemy (1990) Martin Scorseses Cape Fear (1991) und Paul Verhoevens Basic Instinct (1991).

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Vor allem diese ausführlichen Filmanalysen sind fundiert und aufgrund von Inhaltssynopsen und zitierten Dialogpassagen auch für Leser mit geringen Vorkenntnissen nachvollziehbar. Wer sich für die Ästhetik von Psychothrillern interessiert, muss freilich Abstriche machen, da die Analysen vorwiegend inhaltlich ausgerichtet sind und filmische Gestaltungsweisen lediglich punktuell einbeziehen, meist im Hinblick auf kameraspezifische Kriterien wie Distanz, Einstellungswinkel und ähnliche. Andere Aspekte filmischer Gestaltung, wie Schnittrhythmus, extradiegetische Musik oder mise en scène werden dagegen weitgehend vernachlässigt. Unter formalen Gesichtspunkten sei zudem kritisch angemerkt, dass die in dem Band enthaltenen 48 schwarzweißen Abbildungen recht klein und von schlechter Qualität sind.

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Dennoch bereichert das vorliegende Buch die Forschungslage zum Psychothriller um wichtige Facetten, nicht zuletzt deshalb, weil einige der behandelten Filme hier erstmals in den Horizont wissenschaftlicher Betrachtung rücken.