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Die Medien der Geschichte als Panorama eines noch zu bestellenden Forschungsfeldes

  • Fabio Crivellari u.a. (Hg.): Die Medien der Geschichte. Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive. Unter Mitarbeit von Sven Grampp. (Historische Kulturwissenschaften 4) Konstanz: UVK 2004. 608 S. Kartoniert. EUR (D) 49,00.
    ISBN: 3-89669-721-8.
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I.

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Den Vordereinband und den Rücken dieser Publikation ziert ein Bild aus dem Programmheft der Panorama-Rotunden am Leicester Square aus dem Jahre 1816. Dieses hier im Ausschnitt abgedruckte Bild befaßt sich mit der Erläuterung eines Panoramas zur Schlacht von Waterloo, welche bekanntlich ein Jahr zuvor stattgefunden hat und welche, dies der explizite Anspruch des Panoramas, im größtmöglichen Maßstab dokumentiert werden soll. Die Titelbildgestaltung ist aufschlußreich, da es sich bei dem zur Diskussion stehenden Buch um einen Tagungsband handelt, mithin um eine Publikationsform, deren Logik ganz wesentlich in der Dokumentation von mehr oder minder historischen Ereignissen begründet liegt. Wenngleich die Publikationsform des Tagungsbandes nicht das Ereignis, also die Tagung, ist, so fühlt sie sich diesem doch forschungsstrategisch verpflichtet. Daß dies auch jenseits des Umstandes, daß ein Beitrag in einem Tagungsband in der Regel ein überarbeiteter Vortrag ist, Gültigkeit hat, zeigt sich schon an dem Aufbau des vorliegenden Bandes, welcher die Konstanzer Tagung Medialität der Geschichte – Historizität der Medien aus dem Jahre 2002 dokumentiert.

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Auf die konzeptuelle und thematische Profilierung des Problemhorizontes seitens der Herausgeber folgen der Abdruck des Eröffnungsvortrages sowie der unmittelbar daran anschließenden Podiumsdiskussion. Daraufhin werden 22 Beiträge unterschiedlicher disziplinärer Herkunft in folgenden fünf Sektionen respektive Kapiteln vorgestellt: »Die Herausforderung der Geschichtswissenschaft durch die Medien«; »Mediale Formationen von Geschichtswahrnehmung«; »Visualisierung und Narrativierung des Historischen«; »Mediale Struktur historischer Ereignisse«; »Popularisierung von Geschichtsbildern«. Der Band schließt mit biobibliographischen Angaben zu den AutorInnen und mit einem Sachregister, welches sich für eine kursorische Lektüre als hilfreich erweist.

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Ziel des Unternehmens ist es, darüber geben die Herausgeber Auskunft, »aus der Auseinandersetzung mit Medienkulturen und medial ausdifferenzierten Wissenskulturen eine geschärfte analytische Kompetenz zu gewinnen« (S. 13). Mithin verkörpert dieser Band, möchte man noch einmal auf das Titelbild rekurrieren, das Panorama eines Forschungsfeldes, welches es allererst zu bestellen gilt.

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II.

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Der gegenwärtige Stand der Forschung hinsichtlich der strukturellen »Co-Präsenz von Medialität und Historizität« (S. 16) sei, so die Herausgeber in der Einleitung, dadurch gekennzeichnet, »dass die Mehrzahl der entsprechenden Beiträge primär um die Einverleibung des je anderen Gegenstandsbereichs in den eigenen disziplinären Kontext bemüht ist« (S. 11). Damit wird die Kritik gleichermaßen an die Geschichts- und an die Medienwissenschaft adressiert.

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Der Abschnitt »Die Medialität der Geschichte und der Geschichtswissenschaft« betont die mediale Verfaßtheit einerseits dessen, was als historische Quelle verbucht werden kann, und andererseits dessen, was als historiographischer Akt geschichtswissenschaftlich veranstaltet wird. Insofern kann der historische Problemhorizont nicht von einem Problemhorizont des Historiographischen getrennt werden. Unter Berücksichtigung des ›linguistic turn‹ und des ›medial turn‹, der Arbeiten Hayden Whites und aktueller Positionen zur Historiographie unterstreichen die Herausgeber noch einmal die Unhintergehbarkeit des Medialen für die Geschichtswissenschaft.

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Der Abschnitt »Die Historizität der Medien und der Medienwissenschaft« hingegen richtet sich zunächst an die Medienwissenschaft. In dem Maße, in dem sich auch traditionsreichere Disziplinen programmatisch auf den ›medial turn‹ berufen, läuft paradoxerweise gerade die vermeintlich oder tatsächlich traditionsarme Medienwissenschaft Gefahr, als Disziplin selbst historisch, ja unter Umständen gar obsolet zu werden. Dieser Gefahr, so die überzeugende Diagnose der Herausgeber, tritt die Medienwissenschaft nun dahingehend entgegen, daß sie sich eine wie auch immer geartete disziplinäre Kohärenz durch, wenn man so will, traditionsstiftende Maßnahmen verschafft. Dabei kommt insbesondere der historiographischen Erfassung des Untersuchungsgegenstandes, also der Medien, eine »konstitutive Funktion für die Integration und wissenschaftstheoretische Fundierung der Medienwissenschaft« (S. 25) zu.

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Diese allerdings wirkt vielfältig auf Theorien und Modelle dessen, als was und wie Medien überhaupt zu verhandeln seien, zurück. Denn die eingeforderte Historizität der Medien geht weder in einer technikzentrierten Medienwissenschaft, welche die Apparate als Determinanten kulturellen Wandels setzt, auf, noch läßt sie sich kurzschließen mit einem Medienbegriff, welcher die Kulturen als Determinanten technischen Wandels auffaßt. Da in vorliegendem Band ausschließlich Bildmedien zur Diskussion stehen, ließe sich sagen, daß die Herausgeber dafür plädieren, weder die Bilder in der Technik auf-, noch die Techniken im Bild untergehen zu lassen.

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Daraus ergeben sich insgesamt vier Problemhorizonte (die Medialität des Historischen; die Medialität des Historiographischen; die Historizität des Medialen; die Historizität der Medienwissenschaft), welche sich auf ganz unterschiedliche, nicht immer systematische Art und Weise durch die einzelnen Beiträge des Bandes ziehen.

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III.

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Bazon Brocks Eröffnungsvortrag geht der Frage nach, »wie [...] man das Nichtgeschehen als Zielpunkt historischen Handelns zu einem historischen Ereignis werden lassen« (S. 51) kann. Die von ihm angestrebte, als Alternative zu einer wie auch immer gearteten Ereignisgeschichte konzipierte Geschichte des Unterlassens läuft der eingangs skizzierten Medialität des Historischen jedoch gerade dann entgegen, wenn sie von jenem Ereignis des Medialen absieht, ohne welches das jeweilige Unterlassen als solches gar nicht gekennzeichnet werden könnte.

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Eben dieses Spannungsverhältnis zwischen Positivität und Negativität von Geschichtsschreibung ist u.a. auch Gegenstand der Podiumsdiskussion mit Bazon Brock, Lorenz Engell, Kay Kirchmann, Günther Oesterle und Norbert M. Schmitz. Diese schließt an den Eröffnungsvortrag an, stellt also keine Schlußdiskussion am Ende der Tagung dar. Sie ist jedoch mit jener Frage nach einer »medialen Zerstreuung der Geschichte« durch diverse Modi und Medien der Historiographie betitelt, welche die einzelnen Beiträge des Bandes unmißverständlich dokumentieren.

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Tatsächlich läuft dies aber nicht auf ein Ende oder eine Auflösung von Geschichtsschreibung hinaus. Beispielhaft ablesen läßt sich dies an der Diskussion über das von Guido Knopp geleitete Sendeformat ZDF-History. Im Vordergrund scheint dabei die Überlegung zu stehen, ob dieses Sendeformat einer etwaigen ›Geschichtsverfälschung‹ Vorschub leistet, weil es sich unter Umständen nicht kongruent zu den gegenwärtigen Wissensbeständen akademischer Historiographie verhält. Interessanter wäre diesbezüglich allerdings eine eingehendere Auseinandersetzung mit folgender These Kirchmanns gewesen: »Das Fernsehen schreibt eben seine eigene Geschichte, die zugleich immer auch seine eigene Geschichte ist« (S. 72). Da dieser These etwa in dem Beitrag Sven Grampps am Beispiel von »Formen der Geschichtsdarstellung in TV-Jahrhundertrückblicken« dezidiert nachgegangen wird, ist es bedauerlich, daß die Podiumsdiskussion vor den Vorträgen stattgefunden hat und mithin kaum zu einer Klärung der leitenden Forschungsfragen anhand von Fallbeispielen hat beitragen können.

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IV.

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Aus der Fülle der versammelten Beiträge seien hier vier näher vorgestellt, die, wenngleich auf je unterschiedliche Art und Weise, spezifische Problemhorizonte des Rahmenthemas beleuchten.

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Matthias Bickenbach widmet sich in seinem Beitrag »Medienevolution – Begriff oder Metapher? Überlegungen zur Form der Mediengeschichte« der Frage, inwiefern Mediengeschichtsschreibung jenseits einer bloß technisch motivierten Chronologie betrieben werden kann. Sein Modell einer »kulturwissenschaftichen Mediengeschichtsschreibung« (S. 121) basiert auf dem Begriff der Evolution. Dieser wird einerseits abgegrenzt von der Revolution im Sinne eines universalen und irreversiblen Paradigmenwechsels, wodurch der Verfasser überzeugend die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen für die spezifische Historizität der Medien geltend macht. Andererseits ergibt sich eine Trennschärfe von der biologischen Evolution dahingehend, daß der Begriff der Evolution hier als Ausdifferenzierung von medialen Systemen durch Variation, Selektion und Stabilisierung verstanden und damit systemtheoretisch fundiert wird.

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Im Mittelpunkt von Nicole Wiedenmanns Beitrag »›So ist das, was das Bild dokumentiert, das Gegenteil dessen, was es symbolisiert‹. Holocaustfotografie im Spannungsfeld zwischen Geschichtswissenschaft und Kulturellem Gedächtnis« steht die Medialität der Historiographie. Ausgehend von der strukturellen Unterdeterminiertheit der Photographie skizziert die Verfasserin divergierende Strategien der Bildlektüre und differenziert dabei zwischen einer dokumentarisierenden in der Geschichtswissenschaft und einer monumentalisierenden durch das kulturelle Gedächtnis. Dabei zeigt sich, daß das photographische Bild in der Historiographie erst dann den Status eines Dokuments erlangt, wenn es durch Legendierung quasi paratextuell verortet wird: »So sichert letztlich erst eine doppelte Quellenkritik, die auch die Bildlegende umfasst, den Status der Fotografie als historisches Dokument« (S. 322). Gerade weil sie also spezifisch disziplinär autorisiert ist, stellt die Bildlektüre der Geschichtswissenschaft nur eine unter vielen möglichen dar.

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Frank Bösch untersucht in seinem Beitrag die »Historische Skandalforschung als Schnittstelle zwischen Medien-, Kommunikations- und Geschichtswissenschaft«. Dabei fokussiert er den Skandal als Medieneffekt, da mediale Dispositive, ganz ungeachtet des je zur Diskussion stehenden skandalösen Aktes, stets ein konstitutives Moment der Skandalisierung ausmachen. In Abgrenzung zu Jürgen Habermas, welcher ihn als Indiz für eine Erosion kritischer Öffentlichkeit verhandelt, wirft der Verfasser die berechtigte Frage auf, ob es nicht gerade der Skandal ist, welcher in durchaus paradigmatischer Weise Öffentlichkeit immer wieder neu konfiguriert. Entsprechend erscheint der Skandal in und durch Medien hier als »eine Sonde, um die Transformationen der Öffentlichkeit zu analysieren« (S. 463).

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Günter Riederers Beitrag »Hitlers Krieger im Wüstensand. Zur medialen Konstruktion des militärischen Mythos ›Rommel‹ nach 1945« verfolgt anhand zahlreicher Spielfilme die Transformation der historischen Figur Rommel zur filmischen Ikone. Den dabei auf der Leinwand inszenierten Geschichtsbildern eignet eine Prägekraft für das kulturelle Gedächtnis, welche sich gerade jenseits akademischer Historiographie entfaltet. Ganz zurecht also problematisiert der Verfasser das Spannungsverhältnis zwischen einer Medialität des Historischen und der Medialität der Historiographie, wenn er betont: »Wie jeder andere Spielfilm mit historischem Bezug lässt jedoch auch ein ›Rommelfilm‹ weniger Aussagen über die historische Figur zu, als über die Zeit, in welcher der Film entstanden ist« (S. 572).

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V.

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Insgesamt stellt der Tagungsband Die Medien der Geschichte tatsächlich ein Panorama möglicher Schnittstellen vor allem zwischen Medienwissenschaft und Geschichtswissenschaft dar. Abgesehen von der Podiumsdiskussion, deren Dokumentation, dies wurde bereits angedeutet, nicht unbedingt Sinn macht, bereitet der enorme Umfang des Bandes Schwierigkeiten. Dieser ist der Vielzahl der katalogisierten Beiträge geschuldet, von denen einige nicht notwendig einen Abdruck hätten erfahren müssen. Auf der anderen Seite beinhaltet der Band zahlreiche Beiträge, welche eben nicht nur aus fachwissenschaftlicher Perspektive von Interesse sind, sondern welche, wie etwa die hier näher besprochenen, durchaus wesentlich zu einer Konturierung des eingangs skizzierten Problemhorizontes beitragen.

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Dies gilt ohne jeden Zweifel auch für die von den Herausgebern verfaßte Einleitung. Entlang der Kategorien Medialität und Historizität informiert diese überblickartig über den Stand der Forschung und entwickelt dann interdisziplinäre Fragestellungen, welche durch terminologische Präzision und konzeptuelle Stringenz bestechen. So gehört die Einleitung zu dem besten, was zu diesem wichtigen Thema bislang erarbeitet wurde. Wer also das hier zwischen der »Medialität der Geschichte und der Historizität der Medien« abgesteckte Feld in Zukunft weiter bestellen möchte, wird um diese Einleitung nicht herumkommen und auch sonst gut daran tun, sich einen Überblick über die im Tagungsband Die Medien der Geschichte versammelten Beiträge zu verschaffen.