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Dichter und Kulturfunktionär für das Dritte Reich

  • Rolf Düsterberg: Hanns Johst: »Der Barde der SS«. Karrieren eines deutschen Dichters. Paderborn: Ferdinand Schöningh 2004. 462 S. Gebunden. EUR (D) 39,90.
    ISBN: 3-506-71729-4.
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Die Kulturpolitik des Dritten Reiches ist umfassend erforscht worden. Wir wissen heute dank der Arbeiten von Jan-Pieter Barbian, Volker Dahm, Uwe Julius Faustmann und Dietrich Strothmann 1 viel über die komplizierten Zusammenhänge rund um die Etablierung und die sukzessive Ausrichtung der Reichskulturkammer / Reichsschrifttumskammer sowie über die so genannte NS-Schrifttumspolitik.

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Auf der biografischen Ebene, gerade der Kulturfunktionäre in der zweiten und dritten Reihe, gibt es allerdings noch so manche Defizite. In diese Lücke stößt die Untersuchung von Rolf Düsterberg, die den Lebensweg des Dichters und Kulturfunktionärs Hanns Johst (1890–1978) vom Kaiserreich bis in die Bundesrepublik auf der Grundlage einer beeindruckenden Quellen- und Literaturrecherche nachzeichnet. 2

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Kindheit und früher Lebensweg

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In den ersten vier Kapiteln wendet sich Düsterberg den »Orientierungen 1890–1918« (Kapitel I), dem »Weg zum Nationalsozialismus 1918–1926« (Kapitel II), dem »Bekenntnis zum Nationalsozialismus 1927–1933« (Kapitel III) und dem »Start der zweiten Karriere 1933–1935« (Kapitel IV) zu.

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Johst kommt aus geordneten kleinbürgerlichen Verhältnissen. Der Vater war, ebenso wie der Großvater, Volksschullehrer in einer kleinen sächsischen Gemeinde. Ein frühes Foto (S. 400 f.) zeigt ein Familienidyll: Der dreijährige Hanns sitzt auf dem Schoß des Urgroßvaters, daneben stehen Vater und Großvater – vier Generationen Johst vereint. Doch kurz darauf starben die männlichen Vorfahren, so dass Johst auf die Mutter und Großmutter fixiert wurde. Ein Kindheitstrauma, das den jungen Menschen prägte und Eingang in sein literarisches Schaffen fand.

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Nach Gymnasium und Abitur folgte das Studium der Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte in Leipzig, München und Wien (kein Abschluss). Seit etwa 1914 betätigte er sich schriftstellerisch. Johst selbst sah sich zeitlebens als Bekenntnisautor, der völkische, nationale und nationalsozialistische Stoffe verarbeitete und wiederholt auch reine Propagandawerke schuf. Seit 1930 war er Bestsellerautor. Zu seinen erfolgreichsten Arbeiten gehörten: Die Torheit einer Liebe (Roman 1930; Auflagenhöhe 85.000), So gehen sie hin (Roman 1930; Auflagenhöhe 112.500), Mutter ohne Tod. Die Begegnungen (Erzählungen 1930; Auflagenhöhe 200.000), Schlageter (Schauspiel 1933; Auflagenhöhe 80.000), Ruf des Reiches – Echo des Volkes! (Propagandaschrift 1940; Auflagenhöhe 148.000) sowie Im Tal der Sterne (Gedichte 1943; Auflagenhöhe über 100.000). Insgesamt wurden seine Werke in einer Auflage von über einer Mio. Exemplaren verlegt (vgl. S. 437–438; dort fehlt allerdings der Quellennachweis).

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1915 heiratete Johst Johanna Feder. Aus der Ehe ging eine Tochter (Krista, geb. 1920) hervor.

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Johst empfand wie viele andere Zeitgenossen auch die Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg und die »Schmach von Versailles« als eine tiefe Zäsur, die das Selbstverständnis und das Selbstvertrauen erschütterte. Die tiefe Ablehnung der Weimarer Republik trieb ihn in das national-völkische Lager. Seit 1928 bekannte er sich offen zum Nationalsozialismus. Das schuf nach der Machtergreifung von 1933 ideale Voraussetzungen, um der schriftstellerischen eine zweite politische Karriere folgen zu lassen.

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Präsident der Reichsschrifttumskammer

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Die Kapitel V (»Der Präsident der Reichsschrifttumskammer 1935–1945«) und VI (»Der SS-Führer 1935–1945«) stellen den Höhepunkt der NS-Karriere Johsts im Dritten Reich dar.

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Im Zeitraum von 1935 bis 1945 nahm Johst die Position des Präsidenten der Reichsschrifttumskammer ein und löste den parteilosen Hans Friedrich Blunck (1888–1961) ab, der sich u.a. aufgrund seiner nicht konsequent antisemitischen Haltung als unhaltbar erwiesen hatte. Im Propagandaministerium reifte bald der Entschluss, Blunck durch einen »ideologisch absolut verläßlichen und auch in Sachen menschlicher Rücksichtnahme von Skrupeln wenig beeindruckbaren Mann zu ersetzen« (S. 220). Diese Charakterisierung traf auf Hanns Johst vollständig zu.

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Rolf Düsterberg weist nach, dass Johst im Vorfeld seiner Ernennung mit den Verantwortlichen in der Reichskulturkammer, insbesondere mit Joseph Goebbels und Hans Hinckel, Sonderbedingungen aushandelte. Er drängte darauf, klare Kompetenzen und Rückendeckung von oberster Stelle zu erhalten. Nur so könne die RSK in der von ihm angedachten Weise hart durchgreifen. Das Gehalt betrug um 1936 ca. 1.350 RM. Zum Vergleich: Ein gelernter Arbeiter verdiente ca. 112 RM netto Monatslohn bei 47 Arbeitsstunden wöchentlich. Die Jahreseinkünfte Johsts konnte Düsterberg für die Jahre 1928–1944 zusammentragen (vgl. S. 255). Die Jahre 1933 und 1943 brachten durch zusätzliche Autoren-Honorare Spitzeneinnahmen von über 50.000 RM.

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Johst ging sehr selbstbewusst an die Arbeit. Die RSK bezeichnete er als »die Herzkammer des nationalsozialistischen Bewußtseins und Verantwortungsgefühls« (S. 249). Ihm lag nicht die administrative Kleinarbeit, die Auseinandersetzung mit Details. So überließ er auch in der RSK den ganzen bürokratischen Alltag anderen und widmete sich selbst vor allem der äußeren Repräsentation der Kammer. Zugleich legte er größten Wert darauf, treu ergebene Mitarbeiter im Stab zu haben. Wer sich nicht fügte, wurde hinausgedrängt. Die Art der Amts- und Personalführung Johsts wird von Rolf Düsterberg gut nachskizziert. Hinzu kommen Charakterisierungen der RSK-Mitarbeiter Wilhelm Baur 3 , Heinz (Heinrich) Wismann, Richard Suchenwirth, Karl Heinl, Wilhelm Ihde, Herbert Menz (vgl. S. 232–246), die über das bisherige bekannte Faktenmaterial hinausgehen. In diesem Abschnitt, der eine ganz wichtige Karrierephase Johsts thematisiert, ist die Biografie allerdings zu persönlich gehalten, zu sehr auf die Charakterisierung Johsts fixiert. Es fehlt eine Analyse des Johst’schen Beitrags zur Weiterentwicklung und Perfektionierung sämtlicher Überwachungsaufgaben der RSK. Es wird zwar angedeutet, dass er sich wichtige Entscheidungen in der RSK vorbehielt (vgl. S. 248 f.), es wäre allerdings hilfreich gewesen, diese zu benennen und somit auch konkretere Einblicke in den Führungsstil des maßgeblichen RSK-Funktionärs zu geben.

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Enge Freundschaft zu Heinrich Himmler
und überzeugter SS-Mann

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Im Zuge seiner Mitgliedschaft in der SS (seit 1935) rückte insbesondere seit Kriegsbeginn 1939 die Freundschaft mit dem Reichsführer-SS Heinrich Himmler in das Zentrum von Johsts Interesse. Düsterberg widmet dieser engen und verhängnisvollen Männerfreundschaft breiten Raum.

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In frühen erhaltenen Briefen aus dem Jahre 1933 trat Johst zunächst als Bittsteller auf. Einmal bat er Himmler darum, man möge doch Thomas Mann für seinen Sohn Klaus, der die gegen Nazi-Deutschland gerichtete Exilzeitschrift Die Sammlung herausgab, »ein wenig inhaftieren«: »Da dieser Halbjude schwerlich zu uns herüber wechselt [...], würde ich in dieser wichtigen Angelegenheit doch das Geiselverfahren vorschlagen.« Man solle ihn in das Konzentrationslager werfen, »seine geistige Produktion würde ja durch eine Herbstfrische in Dachau nicht leiden«. (Brief von Johst an Himmler vom 10.10.1933, zit. auf S. 288). Was beiden nicht aufgefallen war: Thomas Mann hatte Deutschland bereits am 10. Februar 1933 verlassen.

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Johst, der »Dichter der SS«, war stolz auf seine Beziehungen zum Reichsführer-SS, mit denen er vor aller Welt prahlte. Beide suchten sich gegenseitig im häuslichen Kreise auf, nahmen Anteil am Wohlergehen der Familie. Sie trafen sich beim Fischfang am Starnberger See oder am Tegernsee, wo auch Himmler eine Autostunde vom Johst’schen Anwesen entfernt ein Haus besaß.

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Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Zusammenarbeit zwischen Himmler und Johst konkreter. Direkt nach Kriegsbeginn und der Unterwerfung Polens durch Hitlerdeutschland wurde Himmler zum »Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums« ernannt und war somit für die »Germanisierung« der eroberten polnischen Gebiete, sprich: die Umsiedlungen, »Säuberungen« und Massentötungen von polnischen und jüdischen Bevölkerungskreisen verantwortlich. Um sich ein Bild der Lage zu verschaffen, reiste Himmler im Oktober 1939 mit einem Expertenstab in die besetzten Gebiete. Die Kommission ließ sich über die Ermordung polnischer Juden rapportieren und nahm sogar an ausgewählten Exekutionen teil (vgl. S. 302). Der »Dichter« und ranghohe SS-Offizier Johst reiste mit. Seine Aufgaben gehen aus den überlieferten Dokumenten nicht zweifelsfrei hervor. Vermutlich sollte er die »Kolonialisierung« des einstigen Nachbarstaates für ein breites deutsches Publikum »literarisch verarbeiten«. 1940 erschien in der Tat die Propagandaschrift Ruf des Reiches – Echo des Volkes! Eine Ostfahrt, in der Johst euphemistisch über die Erlebnisse einer zweiten Reise in die besetzten polnischen Gebiete berichtete. Johst zog darin alle Register der propagandistischen Demagogie. Düsterberg bescheinigt der Johst’schen Schrift einen »schwülen Pseudopathos der Gemeinplätze«, der für viele seiner Werke kennzeichnend war: »Rechtfertigung der Aggression gegen Polen, Abwertung der Feinde, Bekenntnis zu den Rassegesetzen und antisemitische Ausfälle auf primitivstem Niveau, religiös-sakrale Überhöhung des ›Führers‹ als messianische Lichtgestalt nicht zuletzt das Hohelied auf Himmler und seine Schutzstaffel.« (S. 308)

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Auch in den folgenden Jahren begleitete Johst seinen Freund Himmler immer wieder auf Ostfahrten und erfuhr so vom Massen- und Völkermord aus erster Hand. Kennzeichnend für den so genannten Dichter war es, dass er diese Verbrechen aus tiefster Überzeugung gut hieß und rechtfertigte.

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Der Biograf Düsterberg kommt zu dem Schluss: Für Johst gab es nicht den leisesten Hauch einer geistigen Distanz zu Himmler, geschweige denn eine kritischen Haltung. »Johsts Äußerungen gegenüber dem Freund sind über alle die Jahre von einer Mischung aus Devotion, zur Schau getragenem Selbstbewußtsein und Kriecherei gekennzeichnet. Aber sein Kriechertum war weder berechnend noch unaufrichtig, er tat es von Herzen gern, er kroch mit Liebe.« (S. 320)

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»Entnazifizierung« und
Lebensabend in der Bundesrepublik

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Die Kapitel VII und VIII thematisieren die Phase der »Entnazifizierung« (»Mitläufer 1945–1947«) und den Versuch eines »Literarischen Comebacks 1949–1978« in der Bundesrepublik.

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Nach Zusammenbruch des Dritten Reichs wurde Johst im Mai 1945 durch die Amerikaner verhaftet und bis Oktober 1948 interniert. Das sich daran anschließende Entnazifizierungsverfahren in München und Berlin gestaltete sich als eine Farce. 1949 wurde der ehemalige SS-Mann als »Mitläufer« (Gruppe IV) eingestuft und hatte zur »Wiedergutmachung« eine Gebühr von 500 DM zu entrichten. Nach Berufung durch den Generalankläger wurde dieser Spruch aufgehoben und Johst als »Hauptbeschuldigter« (Gruppe I) rubriziert. 1951 kam es zur Aufhebung des zweiten Spruchs und zur Einstufung in die Gruppe II der »Belasteten«. 1955 wurde auch dieser Spruch aufgehoben und das Verfahren eingestellt.

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Danach suchte Johst seine Rolle im Dritten Reich zu marginalisieren und umzuinterpretieren. Diesbezüglich unterschied er sich nicht von anderen Zeitgenossen, die sich im Dritten Reich tief verstrickt hatten und in der Bundesrepublik bis in das hohe Alter ein ruhiges Leben führten. 4

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Der Versuch, erneut literarisch Fuß zu fassen, scheiterte kläglich. Nach dem Tod der Ehefrau Johanna 1977 starb Hanns Johst »offenbar verbittert« (S. 398) am 23. November 1978 in Ruhpolding. Er fühlte sich bis zuletzt unverstanden und litt gewaltig unter der literarischen Ignoranz, mit der ihn die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft strafte.

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Den Band beschließen ein tabellarischer Lebenslauf, eine vollständige Bibliographie der Schriftwerke und Rundfunkbeiträge sowie eine Auflistung aller Auflagenhöhen der Werke Johsts.

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Fazit

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Rolf Düsterberg ist eine lesenswerte, umfassende und ausgewogene wissenschaftliche Biografie zu Hanns Johst gelungen. Hervorzuheben ist die profunde Quellenarbeit, das Gespür für Akzentuierungen und trefflichen Einschätzungen. Der Autor versteht es zudem, den Leser über weite Teile des Buches zu fesseln. – Keine Selbstverständlichkeit für das Genre und die Komplexität des verarbeiteten Stoffes. Bleibt zu wünschen, dass nach diesem Muster weitere Arbeiten entstehen, die die Tätigkeit einschlägiger NS-Zensoren minutiös rekonstruieren und deren Handeln auch über die Bruchzonen von 1933 und 1945 hinaus einordnen helfen.



Anmerkungen

Vgl. Jan-Pieter Barbian: Literaturpolitik im »Dritten Reich«. Müchen 1995; Volker Dahm: Anfänge und Ideologie der Reichskulturkammer. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 34 (1986), S. 53–84; Uwe Julius Faustmann: Die Reichskulturkammer. Bonn 1990; Dietrich Strothmann: Nationalsozialistische Kulturpolitik. Bonn 1960.   zurück
Jüngst erschien eine umfangreiche Biografie zu Alfred Rosenberg mit vergleichbarem Ansatz: Ernst Piper: Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe. München 2005.   zurück
Zum jungen fanatischen Nationalsozialisten (Mitgliedsnummer 52 der NSDAP!) und Vizepräsidenten der RSK Wilhelm Baur wird u.a. notiert, er hätte das »Ehrenamt« [sic!] des Börsenvereins-Vorstehers bekleidet. Baur war übrigens einer der ganz wenigen RSK-Funktionäre, die sich 1945 durch Selbstmord der Justiz entzogen. Das wird allerdings in der Arbeit Düsterbergs nicht erwähnt.   zurück
Dem Rezensent liegt das unveröffentlichte Manuskript eines anderen RSK-Mitarbeiters vor: Gunther Haupt, der darin allen Ernstes behauptet, die Reichsschrifttumskammer hätte nicht überwacht, sondern einen »reinen gewerkschaftlichen Charakter« besessen. Gunther Haupt: Einer in der Zeit. Auskunft über sich selbst. Manuskript 1978, S. 117.   zurück