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Barocke Pluralität
oder
Künste und Wissenschaften vor den zwei Kulturen

  • Barbara Mahlmann-Bauer (Hg.): Scientae et artes. Die Vermittlung alten und neuen Wissens in Literatur, Kunst und Musik. (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 38) Wiesbaden: Harrassowitz 2004. 1136 S. 66 Abb. Gebunden. EUR (D) 159,00.
    ISBN: 3-447-04903-0.
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Die wissenschaftliche Revolution
im 17. Jahrhundert

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Die Denkfigur der ›zwei Kulturen‹ gehört wohl zu den aktuell prominentesten Redefiguren, die in den Essays des Feuilletons genauso ihren Platz hat wie im wissenschaftlichen Diskurs. Könnte diese Figur ihre eigene Geschichte erzählen, so müsste sie vom allmählichen Aufstieg der Naturwissenschaften vom 17. über das 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart hinein genauso erzählen wie vom langsamen Verblassen einer zuvorderst humanistischen Tradition, die im 19. Jahrhundert zur Hüterin der Archive wird, bevor sie in der Gegenwart ihren berechtigten Platz neben bzw. genauer: unterhalb der Naturwissenschaften einnimmt. Allerdings würde diese Figur in der Erzählung unweigerlich ihren eigenen Status als Redefigur, als Prosopopeia ausweisen, die damit ihren Status als weniger historische denn als historisierende Konstruktion ausstellt. Die Verlaufsgeschichte der beiden Kulturen seit der wissenschaftlichen Revolution im 17. Jahrhundert ist die Behauptung einer Faktizität, deren Geltung erst in der Redefigur die ihr eigene Evidenz erhält. Die Duplizität der Kulturen, die mittlerweile um eine dritte, diese verbindende Kultur, ergänzt wurde, mag für die Gegenwart ihren heuristischen Wert haben, für die Rekonstruktion der historischen Entstehungsbedingungen der beiden Kulturen im 17. Jahrhundert ist sie jedoch denkbar ungeeignet.

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Problematisch wird das Modell einer Opposition zwischen den beiden Kulturen bereits bei näherer Betrachtung des Ursprungsmythos, der wissenschaftlichen Revolution im 17. Jahrhundert. Wie Steven Shapin, einer der wohl besten Kenner der Wissenschaften in der frühen Neuzeit zu Beginn seiner Studie Die wissenschaftliche Revolution pointiert formuliert, hat es diese Revolution nie gegeben, weshalb er eben dieses Buch verfasst habe. 1 Shapin zielt seinerseits darauf ab, den Konstruktionscharakter der ›wissenschaftlichen Revolution‹ zu beleuchten, um einerseits die damit verbundenen kulturellen wie wissenschaftslogischen Argumentationsverfahren zu analysieren und um andererseits die Einbindung der neuen Wissenschaften in tradierte Denkformationen deutlicher herauszuarbeiten. Zudem weist er darauf hin, dass es gerade ›literarische Technologien‹ sind, die die Durchsetzung der neuen Wissenschaften gewährleisten sollten, mithin der Einsatz rhetorischer Verfahren und Evidenz erzeugender oder auch nur behauptender Mittel integraler Bestandteil der neuen Wissenschaften waren. 2

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Noch problematischer wird die Einschätzung des revolutionären Charakters der ›neuen Wissenschaften‹, wenn man ihre Forschungsobjekte sowie die Argumentationsverfahren hinsichtlich der Auswahl dieser Objekte betrachtet. 3 Das Staunen der Philosophen, ihre weitgehende Inkriminierung der Neugier und ihre Hinwendung zum Außergewöhnlichen, wie etwa den berühmten Monstrositäten, stehen in keiner Relation zur nachträglich behaupteten reinen Ausrichtung auf empirische Fakten. 4 Wenn zudem wissenschaftliche Objektivität ein Postulat der Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts unter den ihnen eigenen epistemologischen Bedingungen ist, dann muss konsequenterweise die Behauptung wissenschaftlicher Objektivität als Grundprinzip der neuen Wissenschaften selbst historisiert werden, um nicht der Konstruktion von Redefiguren zu verfallen. 5

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Vollends problematisch wird die Redefigur, wenn man die ›wissenschaftliche Revolution‹ mit dem ›Barock‹ in Relation setzt. Beide Begriffe oder Konzepte scheinen sich eher auszuschließen, als dass sie einander entsprechen. Im Namen des Barock treten die Disziplinen der Theologie und Kosmogonie auf, aber nicht die Ursprünge der modernen Physik oder Mathematik. Auch verstehen wir das Barock heutzutage weitgehend als das Zeitalter der höfischen Gesellschaft und nicht als den Beginn einer laborgestützten Experimentalkultur. 6 Gleichwohl nimmt die wissenschaftliche Revolution im Barock ihren Ausgang bzw. bereitet das Barockzeitalter den Nährboden dieser so genannten Revolution. Präziser formuliert: auch wenn sich die Konzepte der ›wissenschaftlichen Revolution‹ und des ›Barock‹ aus der Perspektive der zwei Kulturen auszuschließen scheinen, so bilden beide doch die historische Gemengelage, aus der heraus die je eigene Erfolgsgeschichten konstruiert wurden. Dabei sind Umwälzungen in den Disziplinen hinsichtlich der ihnen eigenen Formationsbedingungen genauso Zeugen für die Geschichte der neuen Wissenschaften wie die völlig neue Konstitution von ›scientiae‹ und ›artes‹ als ›Wissenschaften‹ und ›Künste‹.

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Barocke Wissenschaften

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Der zu besprechende Sammelband, der die 51 Vorträge und Referate des 10. Kongresses des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Barockforschung (2000) versammelt, nimmt von der hier skizzierten Problematik der historischen Rekonstruktion seinen Ausgangspunkt und formuliert aus dezidiert frühneuzeitlicher Perspektive einen Gegenentwurf zur – tendenziell simplifizierenden – Sicht der ›zwei Kulturen‹. Die Opposition der beiden Kulturen lässt sich auf die frühe Neuzeit, und d.h. dem Entstehungszeitraum der neuen Wissenschaften, nicht übertragen, was erstens Auswirkungen hinsichtlich der in der frühen Neuzeit noch realisierten Kommunikation zwischen den Disziplinen hat und zweitens ein anderes Wissenschaftsverständnis fordert, das an die Stelle von modernem Ausschluss eine vormoderne Pluralität setzt. Die Wissenschaften der frühen Neuzeit sind demnach nicht einfach vormoderne Wissenschaften, die ihre Entwicklung noch vor sich haben, sie formieren sich vielmehr als Wissenschaften auf eigene Weise leisten und zudem die Vermittlung von altem und neuem Wissen. Dabei zielt die Vermittlung nicht nur auf die Kommunikation, mithin die mögliche Tradierung von altem und neuem Wissen ab, sondern sie dient auch der Vermittlung, genauer: der Verhandlung von tradiertem und neuem Wissen.

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Die vorliegende Rezension kann indes nur einen Ausschnitt aus dem Panorama der Studien zu den ›Künsten und Wissenschaften‹ geben, die im vorliegenden Band zusammengeführt sind. Dies resultiert einerseits aus der Anzahl der Studien, deren Aufzählung bereits den Umfang einer normalen Rezension einnehmen würde und andererseits dem Panorama selbst. Dem Anspruch der Wolfenbütteler Jahrestagungen gemäß handelt es sich auch bei diesem Band um die Summa der aktuellen Forschungen zu diesem Thema – zumindest soweit es den deutschsprachigen Raum betrifft – wodurch eine umfassende Rezension eher den Charakter eines Forschungsberichts annehmen müsste. 7 Um diesem Dilemma zu entgehen, seien einige Studien exemplarisch herausgehoben, die sich der in der Verbindung von ›scientiae‹ und ›artes‹ enthaltenen Problematik auf spezifische Weise nähern. Als – zugegebenermaßen willkürlicher – Fokus fungiert die Frage nach dem Status bzw. der Rolle des Subjekts in diesem Geflecht. 8 Damit werden diejenigen Beiträge präferiert, die entweder die soziale Rolle des Wissenschaftlers oder den Status des Menschen in den Disziplinen betrachten.

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Einleitend seien allerdings einige Besonderheiten der Bände genannt, die für deren Lektüre nicht unerheblich sind. Die Studien sind den Wolfenbütteler Gewohnheiten eingeteilt in das Vorwort der Herausgeberin, den Plenarvorträgen und den jeweiligen Sektionsvorträgen. Dabei stechen einerseits der äußerst umfangreiche Einleitungsaufsatz der Herausgeberin, und andererseits die relative Unübersichtlichkeit der einzelnen Sektionen, die nur numerisch geführt werden, hervor. D.h., die Orientierung durch die Bände liegt vorwiegend in den Händen des Lesers, da ihm keine deutlichen Wegmarken gegeben werden. Hinzu kommt, dass nicht alle Sektionen über eine Einleitung verfügen, wobei auch nicht alle Einleitungen eine Zusammenfassung leisten, sondern zum Teil eigene Gedanken bieten, die eher als eigener Beitrag gefasst werden können. Des Weiteren wurden auch nicht alle Plenarvorträge, denen gleichwohl eine Leitfunktion zukommt, in den vorliegenden Bänden publiziert. Dies betrifft neben den Vortrag von Wilhelm Kühlmann über »Sinnbilder der Transmutationskunst«, der nun in der Festschrift für Bodo Guthmüller erschienen ist, den Vortrag von Thomas Leinkauf zu »Der Natur-Begriff im 17. Jahrhundert«, der ebenfalls separat publiziert wurde. 9 Besonders der letzte Fall lässt indes erstaunen, da die Herausgeberin betont, dass die in diesem Referat vorgetragenen Gedanken zentral waren für die Konzeption der Tagung, auch wenn sie nicht in das Buch Eingang fanden.

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Exemplarisch besprochene Studien aus dem Sammelband:

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»Einleitung« (Barbara Mahlmann-Bauer)

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»Magie und Würde des Menschen: Picos Oratio vor und nach Kant« (Brian Copenhaver)

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»Fürsten, Höfe und Naturwissenschaften in der Frühen Neuzeit« (Gerrit Walther)

[14] 

»Die katoptrische Wunderwaffe. Zur Vorgeschichte des Spiegelteleskops« (Reinhard Glasemann)

[15] 

»Kometen in der deutschen Barockdichtung« (Dieter Martin)

[16] 

»Das Buch Genesis in Lehrgedichten des 16. Jahrhunderts« (Friedhelm Kemp)

[17] 

»Magia naturalis in der Kryptographie, oder ›Wie man über 100. oder 1000. Meilen einem etwas entdecken soll‹« (Gerhard F. Strasser)

[18] 

»Anthropologie und Gesetz. Konzepte von der Natur des Menschen im 16. Jahrhundert. Vives und Melanchthon« (Simone de Angelis)

[19] 

»Deutungen und Erfahrungen des Menstruation in der Frühen Neuzeit« (Michael Stolberg)

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»›Ars decorativa sive pars medicinae‹. Paduaner Ärzte und Kosmetik des 16. Jahrhunderts« (Mariacarla Gadebusch Bondio)

[21] 

»Die Grenze in der politischen und juristischen Literatur der frühen Neuzeit« (Merio Scattola)

[22] 

»Selbstdenken und Autodidaktik. Die europäische Aufnahme von Ibn Tufails Havy Ibn Yaqzan (Philosophus autodidactus) als Modell des orientalischen Weltweisen« (Rudolf Velten)

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Scientia et artes
oder Wissenschaften und Künste

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Der programmatische Einleitungsaufsatz der Herausgeberin, Barbara Mahlmann-Bauer, der immerhin 51 Seiten umfasst, beinhaltet de facto drei Studien zu unterschiedlichen Konstellationen der Wissenschaften und Künste in der frühen Neuzeit. Den Ausgangspunkt bildet die feinsinnige Analyse des Titelkupfers von Giovanni Battista Ricciolis Alamagestum novum astronomia, auf dem die drei konkurrierenden astronomischen Konzepte des planetaren Systems nach ihrer Bedeutung gewogen werden. Der Titelkupfer versinnbildlicht die im Traktat gelieferte Diskussion um die Vermittlung zwischen altem und neuem Wissen, das an je spezifische Autoritäten gebunden ist. Darüber hinaus verdeutlicht der Kupfer aber auch die aristotelische Unterscheidung von ›scientia‹ und ›ars‹, indem dasjenige für schwerer befunden wird, was nach Maßgabe der scientia beweisbar ist, während die Beweise der ars, d.h. solche, die anhand eines Fernrohrs erbracht werden, für leichter angesehen werden.

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Nach einer kurzen Hinführung zu den Plenarvorträgen widmet sich die Verfasserin dann ihrem zweiten Thema, den beiden konkurrierenden Naturbegriffen im 17. Jahrhundert, wobei sie sich vordringlich auf Leinkaufs Analysen bezieht. Demnach gibt es eine Auffassung der Natur als materiale res extensa, die zwar unbeseelt, allerdings experimentell erforschbar ist und eine Auffassung der Natur, die deren intima rerum, d.h. die in der Natur zum Ausdruck kommende Präsenz Gottes oder eines belebendes Prinzip in den Blick nimmt. Bemerkenswerter Weise, so die Verfasserin, stellt die erste Auffassung nicht die Grundlage für die zukünftigen Naturwissenschaften dar, sondern muss im 17. Jahrhundert als Auslaufmodell angesehen werden. Begründet wird dieser für uns heute merkwürdige Status mit dem Ungenügen dieser Auffassung, den Anforderungen einer in metaphysischen Bahnen argumentierenden neuen Wissenschaft zu entsprechen.

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Abschließend stellt die Verfasserin das Wechselverhältnis von scientiae und artes von der Antike bis zur frühen Neuzeit anhand lexikalischer Eintragungen und universitärer Lehren vor. Dabei unterscheidet sie drei mögliche Relationen: 1. als Termini der aristotelischen Philosophie, 2. als Bezeichnung der freien Künste und der Wissenschaften der höheren Fakultäten sowie 3. als Bezeichnung für Handwerk, Kunst und Literatur einerseits und Wissenschaft andererseits. Wie der Untertitel des Sammelbandes zeigt, wurde indes nur der dritte Aspekt in der Tagung ausführlicher behandelt, wobei auch hier anzumerken bleibt, dass die Vermittlung des alten und neuen Wissens in Literatur, Kunst und Musik nur in wenigen Aufsätzen wirklich zum Thema geworden ist. Man müsste eher eine doppelte Konjunktion bilden, die erstens die Vermittlung hervorhebt, und dann ein ›auch‹ zwischen der Vermittlung und den Künsten setzt. Hinzu kommt, dass die aufgestellte Programmatik nicht wirklich die Verzahnung der einzelnen Sektionen oder gar der einzelnen Beiträge leistet, sondern nur das Tableau allgemein skizziert, auf dem die Aufsätze zu verorten sind. Diese bieten mitunter einen ganz eigenen Zugang zum Verhältnis von Wissenschaften und Künsten, manchmal jedoch scheint eine deutliche Orientierung an den Vorgaben hervor. 10

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Der Mensch zwischen scientia und ars

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Brian Copenhaver verfolgt in seinem Beitrag zu »Magie und Würde des Menschen: Picos Oratio vor und nach Kant« zunächst die Rezeptionsgeschichte von Gianfranceso Picos Rede über die Würde des Menschen. Dabei weist er nach, dass die negative Rezeption dieser heute noch prominenten Rede vom 15. bis 18. Jahrhundert weitgehend von der Einschätzung Picos als Synkretist sowie seiner problematischen Hinwendung zur Magie geprägt war. Erst in der Philosophiegeschichte des Kantianers Wilhelm Gottlieb Tennemann erhält Pico einen neuen Platz zugewiesen, indem er nun als Vordenker Kantscher Prinzipen der Philosophie, wie der Betonung der menschlichen Würde oder der Regulierung des Strebens nach Gotterkenntnis gesetzt wird. Im 19. Jahrhundert fungiert Pico dann im Zuge der Wiederentdeckung der Renaissance als derjenige Denker, der eine Welt der menschlichen Erfahrung am Horizont erblickt. Zu Beginn des 20. Jahrhundert verändert sich die Rezeption nochmals, wobei Pico nun in den Darstellungen Ernst Cassirers und Paul Kristellers zum Vorläufer Kants erhoben wird, bis er im Rahmen der Studien von Frances Yates zum Zeugen der Mächtigkeit des frühneuzeitlichen Hermetismus wird.

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Bemerkenswert ist dabei, dass gerade die Möglichkeit zur Anverwandlung Picos an die eigenen, d.h. jeweils zeitgenössischen Ideale eine große Popularität desselben beförderte, die auf einer relativ geringen Textbasis beruhte. Die meisten Forscher, die sich Picos Rede annahmen, beziehen sich auf deren Eröffnungsworte und lesen sie je nach Blickwinkel auf eigene Weise. Dagegen kann Copenhaver zeigen, dass die noch heute dominanten Lektüren, die gerade für die Popularität Picos einstehen, letztlich Fehllektüren sind, da sie auf einer falschen Kontextualisierung aufruhen. Dadurch ergibt sich jedoch eine doppelte Perspektive: Einerseits muss die historische Forschung versuchen, die ursprünglichen Kontexte zu rekonstruieren, um die Aussagen des Textes herauszupräparieren; andererseits gilt es jedoch auch, die eigene Rezeption historisch zu betrachten, um die Frage nach der Aktualität (vermeintlich oder real) frühneuzeitlicher Konzepte zu beantworten.

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In seinem Plenarvortrag »Fürsten, Höfe und Naturwissenschaften in der Frühen Neuzeit« versucht Gerrit Walther eine Systematik dieser soziokulturellen Konstellation. Auch hier zielen die Überlegungen darauf ab, unsere Ansichten von der Wissenschaftsgeschichte zu hinterfragen, wie sie etwa im Bereich der vorgeblich fortschrittlichen Höfe und der reformunwilligen Universitäten vorliegt. Walthers Systematik mag im Einzelnen keine neuen Erkenntnisse bringen, seine eindrücklich vorgelegte Systematik fordert dagegen dazu auf, die gelieferten Ergebnisse ernst zu nehmen. Etwa, dass diejenigen Anforderungen an einen Wissenschaftler, denen er an einem frühneuzeitlichen Hof ausgesetzt war, nicht nur seine wissenschaftliche Kompetenz betrafen, sondern auch – und besonders – sein Vermögen, am Hofe zu gefallen. Seine kommunikative Kompetenz musste mit der wissenschaftlichen mithalten, wenn er reüssieren wollte. Auch das Patronagesystem stellt spezifische Anforderungen an den Wissenschaftler, da er in ein umfangreiches Netz sozialer Interdependenzen eingebunden war, die auch für seinen eigenen Patron galten. Gerade der Hof, so zeigt der Verfasser, stellt den sozialen Raum wissenschaftlicher Pluralität vor, der für die frühe Neuzeit kennzeichnend ist. Dabei sind die Akteure dazu aufgerufen, ihre Rolle als Wissenschaftler und Höfling so zu spielen, dass sie selbst und ihre Wissenschaft wie auch ihre Erkenntnisse als vorbildlich und vor allem als nützlich angesehen werden. 11

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Vom Imaginären der Geschichte nimmt hingegen Reinhard Glasemann seinen Ausgangspunkt. In seinem Beitrag »Die katoptrische Wunderwaffe. Zur Vorgeschichte des Spiegelteleskops«, das der ersten Sektion zugeordnet ist, untersucht er die Anverwandlung eines kollektiven Imaginären in der wissenschaftlichen Praxis: den Erklärungsversuchen des legendären Brennspiegel, den Archimedes zur Verteidigung von Syrakus eingesetzt hat. Stehen zunächst die Erzählungen der Wundertaten des Euklids im Mittelpunkt der Studien zur Katoptrik, quasi als mythischer Urgrund einer eigenen Erfolgsgeschichte, so setzen sich die frühneuzeitlichen Forscher eingehend mit der möglichen Rekonstruktion eines solchen Brennspiegels auseinander. Sowohl im Bereich der Magia naturalis als auch der Mathematik entstehen zahlreiche Traktate, in denen die Forscher ihre Erkenntnisse vorstellen oder gar behaupten, die Lösung des Problems gefunden zu haben.

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Eine zentrale Rolle spielt in dieser Diskussion der Universalwissenschaftler Athanasius Kircher, weniger als Promoter einer eigenen Lösung, denn als kritischer Analytiker vorausgehender Lösungsvorschläge, die er alle verwirft. 12 In diesem Zusammenhang kann Glasemann zeigen, dass es erstens nicht nur keine Lösung des eigentlichen Problems gab – und auch aus physikalischen Gründen nicht gibt – und es zweitens auch durch die Aufgabe des zugrunde liegenden Theorems der ›linea ustoria‹ keine grundlegende Veränderung der physikalischen Lösungsmöglichkeiten ergab. Vielmehr zeitigten die Forschungen um den Brennspiegel dort fruchtbare Konsequenzen, wo sie keiner suchte: die praktischen Erprobungen an den verschiedenen Linsen und Spiegeln produzierten erste Varianten des heutigen Spiegelteleskops. Bleibt nur noch anzumerken, dass es auch hier nicht eine Lösung gab, sondern derer drei, die auch heute noch als Grundvarianten nebeneinander her bestehen.

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Ein weiterer Beitrag dieser Sektion, Dieter Martins Studie zu »Kometen in der deutschen Barockdichtung« sowie ein Beitrag der zweiten Sektion, Friedhelm Kemps Aufsatz »Das Buch Genesis in Lehrgedichten des 16. Jahrhunderts« gehören zu den wenigen Analysen, die sich intensiv mit dem Wechselverhältnis von Literatur und Wissenschaft – im heutigen Sinne verstanden – auseinandersetzen. In seiner Typologie der Kometendichtung kann Martin etwa zeigen, dass die deutsche Barockpoesie die Kometen vielfältiger behandelt, als dies allgemein bekannt ist, wobei er zwischen je spezifischen Deutungen und Anverwandlungen unterscheidet.

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Hervorzuheben ist dabei die Integration des Kometenmotivs in ein System stellarer Liebesmetaphern, die nur noch in einem übertragenen Verhältnis zu den realen Kometen stehen. Dies produziert indes die Frage, die Martin nur andeutet, Kemp hingegen im Zusammenhang mit der Lehrdichtung direkt stellt, welchen Status wir diesen Mischformen literarischen und wissenschaftlichen Ausdrucks einräumen. Erkennen wir in ihnen ästhetische Gebilde mit naturwissenschaftlichen Inhalten, oder reduzieren wir sie darauf, wissenschaftliche Lehrwerke mit ausgeprägten Redeschmuck und einem dominant elokutionären Gehalt zu sein? Der immer noch von vielen Vorbehalten geprägte literaturwissenschaftliche Umgang mit diesen Texten, die scheinbar so gar nicht ästhetisch sein wollen oder sollen, zeigt deutlich, dass die Prämissen der eigenen Analysen gerade im Fall der Wissensvulgarisierung der Überprüfung bedürfen. 13

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Dass der Vulgarisierung von Wissen aber die Erkenntnis von Wissen vorausgeht, und diese wiederum nicht immer gegeben ist, veranschaulicht Gerhard F. Strasser in seiner Studie »Magia naturalis in der Kryptographie, oder ›Wie man über 100. oder 1000. Meilen einem etwas entdecken soll‹«, die der dritten Sektion angehört. Im Zentrum stehen Athanasius Kirchers Versuche einer Rechtfertigung des Benediktiners Johannes Trithemius, dessen Polygraphia libri sex wegen angeblicher schwarzer Magie verurteilt wurde. Kircher argumentiert dabei grundsätzlich gegen die ›astrologischen Machenschaften‹ der Kryptologie, d.h. der Behauptung mittels Bluttausch und magnetischer Salben Kommunikation herstellen zu können, die er als lächerlich kennzeichnet, um Trithemius davon positiv abzugrenzen. Allerdings gelingt ihm damit nicht eine Verteidigung der Trithemius’schen Konzeption, da er sie gleichwohl im Dunstkreis der Magia beließ. Trotz seiner profunden Kenntnisse übersah Kircher allerdings, dass gerade der besonders inkriminierte dritte Teil der Polygraphia eine kryptographische und keine magische Theorie enthielt.

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Innerhalb der vierten Sektion untersucht Simone de Angelis »Anthropologie und Gesetz. Konzepte von der Natur des Menschen im 16. Jahrhundert. Vives und Melanchthon« die Ausbildung neuer anthropologischer Konzepte der Renaissance. Dabei hebt er hervor, dass insbesondere die humanistische Rezeption von Galens De placitis Hippocratis et Platonis und die Neukommentierung von Aristoteles’ De anima die Grundlage für eine christliche Anthropologie bilden. Indem er die medizinischen mit den theologischen Schriften der beiden Autoren in Bezug setzt, kann er klar nachweisen, dass die anthropologische Konstitution des Menschen nicht nur durch seine psycho-physiologische Natur gegeben ist, sondern auch, bzw. vor allem durch seinen Status als gläubiges Subjekt. Die Unterteilung der Gesetze in lex Dei, lex naturalis und lex naturae befördert eine Ausrichtung der Anthropologie auf die Gesetzte der Natur unter grundlegender Voraussetzung der Anbindung des Menschen an die göttlichen Gesetze. Genauer heißt das: die neuen medizinischen Einsichten in die Natur des Menschen erlaubten auch eine veränderte Fassung der Lehre von den Auswirkungen des menschlichen Sündenfalls.

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Dieses Beispiel zeigt augenfällig, inwieweit das Verständnis der Natur als materialer res extensa im Barock, wie Barbara Bauer-Mahlmann in ihrer Einleitung herausstreicht, als Auslaufmodell angesehen werden muss, da die Erforschung der menschlichen Natur nur unter Maßgabe der göttlichen Gesetze, genauer: der dem Menschen qua Sündenfall natürlich innewohnenden Gesetze erfolgen kann. Diese Verbindung von Anthropologie und Theologie, unter der die christliche Anthropologie firmierte, ist indes keine Besonderheit der Renaissance oder des Barock, sondern prägt auch noch das Zeitalter der Aufklärung grundlegend. 14 Sei es als impliziter Opponent, wie im Falle der französischen Anthropologen, sei es als Erblasser im Falle der deutschen Anthropologen. 15

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Die fünfte Sektion kann wohl als minimalistisch bezeichnet werden, da sie nur drei Beiträge umfasst. Sie behandelt rein medizinische Themen und steht dadurch der vorausgehenden, die sich mit Themen der christlichen Anthropologie bzw. der Metaphysik beschäftigte, nahe. Gerade die Beiträge veranschaulichen indes die möglichen Probleme der Wolfenbütteler Tagung und ihrer Publikation, die nicht zuletzt dadurch entstehen, dass zwischen dem Datum der Tagung und demjenigen der Veröffentlichung ein mitunter sehr langer Zeitraum liegt. Letzteres wird insbesondere im Beitrag von Michael Stolberg zu »Deutungen und Erfahrungen des Menstruation in der Frühen Neuzeit« offensichtlich. Seine Analyse eines umfassenden Textkorpus von medizinischen aber auch privativen Texten, in denen die Menstruation thematisiert wird, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Diskussion, die der Verfasser mit den beiden angelsächsischen Autoritäten der Geschlechtergeschichte in den letzten fünf Jahren führte. 16 Im Gegensatz zu Thomas Laqueur und Londa Schiebinger behauptet Michael Stolberg, dass der Übergang bzw. im Sinne Laqueurs, die Überlagerung des ›one-sex-model‹ durch das ›two-sex-model‹ nicht erst in der Aufklärung vonstatten ging, sondern bereits im Zeitalter von Renaissance und Reformation, also bereits um 1600. 17 Im Mittelpunkt steht daher weniger die Frage von scientia und artes, sondern von sex und gender im Barock. Der Beitrag nimmt folglich eine eher erratische Position ein, da er deutlich als Bestandteil einer Diskussion gesetzt ist, die außerhalb der eigentlichen Tagung, in deren Akten er publiziert wurde, steht.

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Im Gegensatz dazu führt Mariacarla Gadebusch Bondios Untersuchung zur »›Ars decorativa sive pars medicinae‹. Paduaner Ärzte und Kosmetik des 16. Jahrhunderts« mitten in die Problematik der Tagung. Sie zeigt anhand einschlägiger Abhandlungen zur Schönheitschirurgie im 16. Jahrhundert auf, wie das antike philosophische Konzept der Schönheit nicht nur zur Rechtfertigung einer speziellen Schönheitsmedizin in der eigenen Gegenwart genommen wurde, sondern geradezu die Grundlage darstellte, um eine Ethik der Schönheit zu postulieren, zu der auch der Arzt seinen Beitrag zu leisten habe. Klar wird in diesen Diskussionen zwischen rein oberflächlicher bzw. künstlich aufgesetzter Schönheit – etwa durch Schminke – und wahrer, d.h. natürlicher Schönheit unterschieden, wobei letztere als anzustrebendes Ideal gefasst wird. Verkürzt gesagt problematisiert die Schönheitschirurgie die menschliche Schönheit als integralen Bestandteil der Ethik der Existenz, die von der italienischen Renaissance ausgehend ihre Blüte im französischen siècle classique finden wird. 18 Die Medizin steht dabei nicht außerhalb dieser reaktualisierten antiken Schönheit der Existenz, sondern begleitet sie – zumindest in Padua – mit den ihr eigenen Mitteln.

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Abschließend seien noch zwei Beiträge aus der sechsten Sektion erwähnt, Merio Scattolas Ausführungen zu »Die Grenze in der politischen und juristischen Literatur der frühen Neuzeit« und Hans Rudolf Veltens Aufsatz zu »Selbstdenken und Autodidaktik. Die europäische Aufnahme von Ibn Tufails Havy Ibn Yaqzan (Philosophus autodidactus) als Modell des orientalischen Weltweisen«. Beleuchtete Simone de Angelis in seinem Beitrag die Funktion des Gesetzes in der christlichen Anthropologie, so rekonstruiert Scattola den politischen bzw. juristischen Rahmen des Gesetzes, indem er die Begründungen der Grenze betrachtet. Das Konzept der Grenze, so kann er prägnant zeigen, wandelt sich von der Antike, die nur eine Grenze zwischen Privateigentümern kennt, bis zur frühen Neuzeit, die vordringlich staatliche Grenzen kennt, grundlegend. Dabei korrelieren die Grenze und das Begrenzte miteinander, wobei insbesondere die Gesetzmäßigkeiten des Umgrenzten neu verhandelt werden. Nimmt man die beiden Studien von de Angelis und Scattola zusammen, so kann man sagen, dass die neuen politischen Grenzziehungen neue Gesetzmäßigkeiten produzieren, die auch und gerade den Menschen, seinen Körper wie seine Subjektkonstitution grundlegend neu prägen.

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Gegenüber dieser Inkorporierung der natürlichen Gesetze gibt es indes immer wieder Versuche, die menschlichen Grenzen auf eigene Weise auszuloten. Veltens Darstellung der europäischen Rezeption des orientalischen, mittelalterlichen Werkes von Ibn Tufails behandelt einen philosophischen Versuch des Selbstdenkens, der zum Vorbild für europäische Gelehrte der Frühaufklärung wurde. Der Orientalismus der Philosophie ermöglichte in diesem Zusammenhang sowohl die Auslagerung eines im eigenen kulturellen Raum problematischen Konzepts philosophischer Autodidaktik, die sich sowohl gegen die Schulphilosophie als auch gegen die christliche Theologie richten konnte, als auch die Präsentation eines alteritären Konzepts der Philosophie, das einen orientalischen Weltweisen als Ideal für die eigene Gegenwart vorstellte. Wie schon Brian Copenhaver in seinem Plenarvortrag, so zeigt auch Hans Rudolf Velten, dass gerade die Rezeption eines überlieferten Werkes – sei es der eigenen oder einer fremden Kultur – Akkulturationsstrategien erlaubt, die den Transfer eines alten Wissens in einen neuen Kontext dazu nutzen, eine spezifische Position in einem kulturellen Feld zu besetzen, um eine Veränderung eben dieses Feldes herbeizuführen. Folgerichtig kann Velten feststellen, dass die in einem mittelalterlichen Werk des Orients neu gefundene Autodidaktik einen europäischen Mythos gebiert, der nur allzu gerne seine eigene Herkunft sowie die ihm vorausgehende Vermittlungsleistung vergisst.

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Zusammenfassung

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Die vorliegende Darstellung der Tagungskonzeption sowie die rein exemplarische Vorstellung von Sektionsbeiträgen kann nur nach dem Prinzip des ›pars pro toto‹ versuchen, einen Gesamteindruck der versammelten Studien der 10. Wolfenbütteler Barocktagung zu liefern. In den meisten Fällen kann der Rezensent nur auf eine zukünftige Auseinandersetzung der eigentlichen Fachvertreter mit den vorliegenden Analysen verweisen; ihm selbst bleibt nur die Möglichkeit einer Annäherung.

[44] 

Zunächst lässt sich feststellen, dass die Hinwendung zur Wissenschaftsgeschichte gerade für die Forschungen zur frühen Neuzeit eine höchst ergiebige und zugleich spannende Arbeit darstellt, wie die Studien zum großen Teil augenfällig zeigen. Dies ist umso bemerkenswerter, als die Wissenschaftsgeschichte in Deutschland immer noch in ihren akademischen Kinderschuhen steht und sogar durch die Schließung und Umwidmung der medizinhistorischen Institute, ihrer tradierten disziplinären Stätten beraubt wird.

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Dabei verdeutlichen die Forschungen zur barocken Wissenschaftskultur, wie sehr unsere eigene Gegenwart noch geprägt ist von Ursprungsmythen, wie der wissenschaftlichen Revolution oder von Denkbildern, wie den zwei Kulturen, deren Faktizität erst noch fabriziert werden muss, da sie historisch so nie gegeben war. Zudem veranschaulichen die Studien, dass das aktuelle Schweigen zwischen den beiden Kulturen, das allein durch die Neuerfindung der so genannten dritten Kultur aufgehoben wird, kein notwendiges Resultat der wissenschaftlichen Revolution ist, sondern vielmehr der eigentlichen Konzeption der Wissensvermittlung entgegensteht. Dies heißt indes nicht, von welcher Position aus auch immer über alles zu sprechen, sondern vielmehr, von einem klar umrissenen Standort aus die Kommunikation mit anderen zum gegenseitigen Austausch zu suchen. Wie wichtig eine solche Vermittlungsleistung ist, wird immer deutlicher, je mehr man erkennt, dass jedes Wissen immer an eine spezifische Darstellung gebunden ist, um überhaupt vermittelbar zu sein.

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In diesem Sinne seien abschließend noch einige Momente herausgehoben, die bei der Lektüre auffällig waren, ohne dass sie als eigentliche Monita gelten können. Bereits ein oberflächlicher Blick durch die Studien lässt erkennen, dass die Sozialgeschichte der Wissenschaften, wie sie in Teilen der angelsächsischen Forschung ausgeprägt ist, im vorliegenden Band fast vollkommen fehlt. 19 Gerrit Walther hebt diesen Bereich in seiner Systematik zwar heraus, doch folgt ihm auf diesem Weg kaum einer der anderen Teilnehmer. Auch eine internationale Ausrichtung der – vorzugsweise deutschen – Forschungen hinsichtlich möglicher Methoden oder gar die intensive Rezeption internationaler Forschungen zu den behandelten Themen sind nicht immer nachweisbar. Würde man einen internen Zitatindex erstellen, dann würden sicherlich drei Arbeiten der Herausgeberin auf den vordersten Plätzen stehen; dies wäre durch deren Qualität durchaus verbürgt, doch würde ein unvoreingenommener Außenstehender sicherlich noch andere Studien unter den Top 10 vermuten.

[47] 

Des Weiteren würde man besonders in einem Band, der sich der Vermittlung von Wissen in Literatur, Kunst und Musik widmet, gerne Näheres erfahren über den spezifischen Wert oder zumindest die spezifische Form der Wissensvermittlung in den Künsten. Etwa eine Beantwortung oder zumindest ausführliche Behandlung der von Friedhelm Kemp aufgeworfenen Frage, was die spezifisch literarische Leistung der Lehrdichtung sei bzw. genauer: was ist das Literarische der Lehrdichtung und wodurch unterscheidet sich dieses vom ›Wissenschaftlichen‹ der Lehrdichtung?

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Damit verbunden ist das auffällige Fehlen der Physikotheologie, deren prominenteste Vertreter ja gerade die Vulgarisierung eines alten und neuen Wissens vermittelnden Denkens in der Literatur anstreben. Schließlich sei als letzter Punkt noch genannt, dass bei der Ausrichtung der Tagung offensichtlich das alte Wissen präferiert wurde, so dass der Band vorzugsweise Studien zur Renaissance und dem Barock umfasst, während der Blick in Richtung Aufklärung eher unterbelichtet bleibt.

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Gleichwohl erlaubt gerade dieses vermeintliche Defizit, der Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dass sich die Wolfenbütteler Arbeitsgespräche zur Barockforschung nicht zum letzten Mal der Wissenschaftsgeschichte zugewendet haben, sondern mit diesem Band vielmehr die Grundlage geschaffen haben, vom 17. Jahrhundert aus einen Blick ins 18. Jahrhundert zu werfen. Cyrano de Bergerac, Bernard de Fontenelle und Fénelon, aber auch Christian Thomasius und Christian Wolf, die frühen Vitalisten und die Physikotheologen vom Abbé Pluche bis zu Brockes würden gerne in die Gespräche mit einbezogen werden. 20



Anmerkungen

Steven Shapin: Die wissenschaftliche Revolution. Frankfurt/Main 1998, S. 9.   zurück
Steven Shapin: Pump and Circumstance: Robert Boyles Literary Technology. In: Social Studies of Science 14 (1984), S. 481–520 und S. S. / Simon Schaffer: Leviathan and the Air-Pump: Hobbes, Boyle, and the Experimental Life. Princeton 1985.   zurück
Lorraine Daston: Biographies of Scientific Objects. Chicago 2000.   zurück
Lorraine Daston / Katherine Park. Wunder und die Ordnung der Natur. Frankfurt/Main 1998.   zurück
Lorraine Daston: Objektivität und die Flucht aus der Perspektive. In: L. D.: Wunder, Beweise und Tatsachen. Zur Geschichte der Rationalität. Frankfurt/Main 2001, S. 127–155.   zurück
Zur Experimentalkultur des Barock siehe beispielhaft Steven Shapin: The House of Experiment in Seventeenth-Century England. In: Isis 79 (1988), S. 373–404, zu derjenigen der Moderne Bruno Latour / Steven Woolgar: Laboratory Life. The Construction of Scientific Facts. Princeton ²1986 und Karin Knorr Cetina: Die Fabrikation der Erkenntnis. Zur Anthropologie der Naturwissenschaft. Frankfurt/Main 2002.   zurück
Es sei hier nur darauf hingewiesen, dass in der aktuellen deutschen Forschung zur Wissenschaftsgeschichte, wie sie vorzugsweise vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte (Berlin) geleistet wird, das Barock ein geradezu weißer Fleck auf der Landkarte darstellt, was etwa auch in dem Sammelband Michael Hagner (Hg.): Ansichten der Wissenschaftsgeschichte. Frankfurt/Main 2001 zum Ausdruck kommt.   zurück
Siehe dazu auch Barbara Bauer-Mahlmann: Naturverständnis und Subjektkonstitution aus der Perspektive der frühneuzeitlichen Rhetorik und Poetik. In: Hartmut Laufhütte (Hg.): Künste und Natur in Diskursen der Frühen Neuzeit. Akten des 9. Jahrestreffens des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Barockforschung. Wiesbaden 2000, S. 69–131.   zurück
Wilhelm Kühlmann: Sinnbilder der Transmutationskunst. Einblicke in die mythoalchemistische Ovidrezeption von Petrus Bonus bis Michael Maier. In: Heidi Marek u.a. (Hg.): Metamorphosen. Festschrift für Bodo Guthmüller. Wiesbaden 2002, S. 163–175 und Thomas Leinkauf: Der Natur-Begriff im 17. Jahrhundert und zwei seiner Interpretamente. In: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 23, H. 4 (2000), S. 399–418.   zurück
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Wie eine Vielzahl von Fußnoten ausweist, gab die Herausgeberin den Beiträgern jedoch auch umfangreiche Hilfen zur Orientierung, was sich insbesondere am – teilweise auto(r)referentiellen – Verweissystem der bibliographischen Angaben zeigt.   zurück
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Gerrit Weber orientiert sich dabei ausdrücklich an der Studie von Mario Biagioli: Galilei, der Höfling. Entdeckung und Etikette. Vom Aufstieg der neuen Wissenschaft. Frankfurt/Main 1999.    zurück
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Insgesamt lässt sich feststellen, dass der lange Zeit eher im Abseits der Forschung stehende jesuitische Universalgelehrte Athanasius Kircher, der heimliche Star der Wolfenbütteler Tagung war, da er in den meisten Beiträgen als kritischer Denker im intellektuellen Feld des 17. Jahrhunderts gewürdigt wird. Zu Athanasius Kircher siehe besonders die Monographie von Thomas Leinkauf: Mundus combinatus. Studien zur Struktur der barocken Universalwissenschaft am Beispiel Athanasius Kirchers SJ (1602 – 1680) Berlin 1993 sowie den Sammelband: Paula Findlen (Hg.): Athanasius Kircher. The Last Man Who Knew Everything. New York 2004.   zurück
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Siehe dazu die meines Erachtens bemerkenswerte Studie von Andreas Gipper: Wunderbare Wissenschaft. Literarische Strategien naturwissenschaftlicher Vulgarisierung in Frankreich. München 2002.   zurück
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Siehe dazu auch Friedrich Vollhardt: Christliche und profane Anthropologie im 18. Jahrhundert: Beschreibung einer Problemkonstellation im Ausgang von Siegmund Jacob Baumgarten. In: Carsten Zelle (Hg.): »Vernünftige Ärzte«. Hallesche Psychomediziner und die Anfänge der Anthropologie in der deutschsprachigen Frühaufklärung. Tübingen 2002, S. 68–90.   zurück
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Diese Anbindung der neuen Wissenschaften an die Theologie, genauer: die metaphysische Grundierung derselben führt dazu, dass in jüngeren wissenschaftshistorischen Publikationen der deutsche Kulturraum an die Peripherie der Aufklärung verlegt wird. Siehe beispielhaft William Clarke, Jan Golinski, Simon Schaffer (Hg): The Sciences in Enlightened Europe. Chicago 1999, darin besonders die Aufsätze von Emma C. Spary: The »Nature« of Enlightenment, S. 272–304, des Abschnittes Humans and Natures und von William Clark: The Death of Metaphysics in Enlightened Prussia, S. 423–473, des Abschnittes Provinces and Peripheries.   zurück
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Siehe dazu Michael Stolberg: A Woman Down to Her Bones. The Anatomy of Sexual Difference in the Sixteenth and Early Seventeenth Centuries. In: Isis 94 (2003), S. 274–299 sowie die Antworten von Thomas W. Laqueur: Sex in the Flesh. Ebd., S. 300–306 und von Londa Schiebinger: Skelettenstreit. S. 307–313.   zurück
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Thomas Laqueur: Making Sex: Body and Gender from the Greeks to Freud. Cambridge/Mass. 1990 sowie Londa Schiebinger: The Mind has No Sex? Women in the Origins of Modern Science. Cambridge/Mass. 1989 und L. S.: Nature’s Body: Gender in the Making of Modern Science. Boston 1993.   zurück
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Siehe dazu die klassische Studie von Eugenio Garin: L’éducation de l’homme moderne (1400–1600). Paris 1968 (Original 1957) und Emmanuel Bury: Littérature et politesse. L’invention de l’honnête homme (1580–1750). Paris 1996.   zurück
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Verwiesen sei hier nur auf die Zeitschrift Social Studies of Science, zu der es im deutschsprachigen Raum kein Äquivalent gibt.   zurück
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Genannt seien an dieser Stelle nur auf einige Standartwerke der französischen Forschung zur Wissenschaftsgeschichte, die gerade den Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert in den Blick nehmen: Jacques Roger: Les sciences de la vie dans la pensée française du XVIIIe siècle. La génération des animaux de Descartes à l’Encyclopédie. Paris ³1993 (Erstauflage 1963) sowie François Duchesneau: La Physiologie des Lumières. Empirisme, Modèles et Théories. The Hague / Boston1982 und F. D.: Les Modèles du Vivant de Descartes à Leibniz. Paris 1998.   zurück