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Ein Beitrag zur regionalen Buchhandelsgeschichte

  • Werner Greiling / Siegfried Seifert (Hg.): Der entfesselte Markt. Verleger und Verlagsbuchhändler im thüringisch-sächsischen Kulturraum um 1800. Leipzig: Leipziger Universitäts-Verlag 2004. 248 S. Broschiert. EUR (D) 22,00.
    ISBN: 3-936522-87-1.
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Zur Ausgangsposition

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Die häufig als Kleinstaaterei belächelte Kleinteiligkeit des Alten Reiches barg bekanntlich auch ihre Chancen. Territoriales Prestigedenken gerade der mindermächtigen Reichsstände, die Konkurrenz der Konfessionskulturen – das alles zeitigte vor allem auf kulturellem Sektor jene Vielfalt, die durch eine reichhaltige Residenzenlandschaft ebenso geprägt war wie durch die Tatsache, dass Deutschland in Europa, und das hieß damals in der Welt, die meisten Universitäten hatte und dass das Reich im 18. Jahrhundert das »zeitungsreichste Land der Erde« 1 war. Ungeachtet aller in den letzten Jahrzehnten erzielten Fortschritte bei der Erforschung der lokalen und regionalen Zentren gibt es hier noch genügend weiße Flecken, deren fördernde oder retardierende Rolle im Prozess der Aufklärung es zu erforschen gilt. Dies gilt gerade für den mitteldeutschen Raum, der, mitbedingt durch den eingeschränkten Zugriff auf die ungedruckten Quellen, in Publikationen westlicher Provenienz bis 1989 weitgehend außen vor blieb und der aufgrund der sektoralen Ausrichtung der Aufklärungshistoriographie der DDR kaum in seinem Eigengewicht erfasst wurde. Dabei bot gerade Mitteldeutschland mit seiner Universitätsdichte (Erfurt, Leipzig, Wittenberg, Jena, Halle), dem hohen Urbanisierungsgrad und einem damit einhergehenden gut ausgebauten Schulwesen und seinen zahlreichen Residenzen vorzügliche Voraussetzungen für jene intellektuellen Cluster-Bildungen, die für die Aufklärung so wichtig waren.

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Innovativer Ansatz

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Nun liegen zwar für die Zentralorte der Aufklärung in Mitteldeutschland, für Halle und Leipzig, Studien vor, sobald man sich jedoch von diesen entfernt, ist noch viel Neuland zu erschließen, wie in jüngerer Zeit durch die Erforschung der aufgeklärten Sozietäten belegt wurde, für die ein weit über bisherigen Annahmen liegender Grad der institutionellen Verdichtung elaboriert wurde. So gesehen ist es wichtig, dass mit dem vorliegenden Band – er ist im Rahmen des in Jena angesiedelten Sonderforschungsbereichs 482 »Ereignis Weimar-Jena« entstanden – einmal nicht die Verleger- und Verlagsgeschichte aus der üblichen, d.h. auf Leipzig fokussierten Perspektive betrachtet wird, sondern dass thüringischen Verlagsorte wie Gotha, Neustadt an der Orla, Weimar oder Jena und Verlage wie J. K. G. Wagner, Carl Wilhelm Ettinger, die Hoffmannsche Buchhandlung oder – bekannter – die Frommansche Verlagsbuchhandlung, der Großverleger Johann Friedrich Cotta oder Friedrich Justin Bertuch in den Blick genommen werden. Dass sich im thüringischen Raum, hier wiederum vor allem in Jena, eine reichhaltige Verlagslandschaft entwickelte, das hing nun zweifelsohne mit den eingangs angesprochenen Faktoren einer reich entwickelten Residenzen- und Bildungslandschaft zusammen, aber auch mit der geographischen Mittellage Thüringens am Schnittpunkt wichtiger Handelsstraßen und Postlinien sowie der Nähe zur Messestadt Leipzig. Für das Zusammenspiel von Kommunikation und Druckgewerbe waren das außerordentlich günstige Voraussetzungen, die verstehen lassen, dass der thüringische Raum sozusagen das »Hinterland zur Buchmetropole Leipzig bildete« (S. 20).

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Forschungsschneisen mit unterschiedlicher Intensität

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Mit dem vorliegenden Band werden nun erste Forschungsschneisen in dieses Hinterland geschlagen, allerdings mit unterschiedlicher Intensität. Während sich Werner Greilings Beitrag zu dem in Neustadt an der Orla ansässigen Verleger Johann Karl Gottfried Wagner durch eine systematische Verlagsbibliografie im Anhang auszeichnet und Siegfried Seifert auf die Hoffmannsche Buchhandlung in Weimar relativ ausführlich eingeht, wird die Prominenz wie Johann Friedrich Cotta relativ beiläufig behandelt. Dass man Cotta nicht ganz außen vor lassen mochte, ist einerseits verständlich, andererseits hätte man sich statt dessen aber doch noch Beiträge zur ein oder anderen Verlagsstadt wie dem schwarzburgischen Rudolstadt oder zur Altenburger Drucker- und Verlegerfamilie Richter vorstellen können. Vollständigkeit wäre allerdings selbst dann nicht erreicht worden, wurden doch für den Verlagsstandort Thüringen zwischen 1800 und 1830 nicht weniger als 229 Verlage ermittelt. Zahlen wie diese belegen, wie wichtig es ist, nicht nur die Zentren des Buchhandels, sondern auch die vermeintliche Peripherie in den Blick zu nehmen, um die Distribution des Gedruckten im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert im Allgemeinen, die Popularisierung der Aufklärung im Speziellen angemessen zu erfassen. Der vorliegende Band gibt hierfür einen wichtigen Impuls.

 
 

Anmerkungen

Holger Böning: Zeitung, Zeitschrift, Intelligenzblatt. Die Entwicklung der periodischen Presse im Zeitalter der Aufklärung. In: Klaus Beyrer (Hg.): Als die Post noch Zeitung machte. Eine Pressegeschichte. Frankfurt / M.: 1994, S. 94.   zurück