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Von Beruf: Kritikerin?

  • Mary A. Waters: British Women Writers and the Profession of Literary Criticism, 1789-1832. (Palgrave Studies in The Enlightenment, Romanticism and the Cultures of Print) Basingstoke: Palgrave Macmillan 2004. 225 S. Kartoniert. GBP 45,00.
    ISBN: 1403936269.
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Wo sind die ›großen‹ Kritikerinnen?

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Die vorliegende Studie setzt ein mit einer Frage, die in ihrer Struktur eigentlich eine alte Frage ist, und in der gender-sensitiven Diskussion immer wieder heftig debattiert wurde: ›Warum gibt es keine weiblichen X‹? Nicht die Chromosome sind gemeint, sondern je nach Polemik: ›große‹ Dichterinnen, Malerinnen, Bildhauerinnen, Philosophinnen, Komponistinnen. Oder eben hier, entlehnt aus einer Arbeit von 1977: »Why are there no great women critics?« 1 Zum Glück macht sich British Women Writers jedoch nicht tatsächlich daran, diese Frage zu beantworten, sondern widmet sich einer weniger tendenziellen Aufgabe: den nicht unerheblichen Beitrag von einer Reihe von professionellen Literaturkritikerinnen der Britischen Romantik zu sichten und in einer kontextbewussten Analyse als Textkorpus ernst zu nehmen.

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Wenn sich dann am Ende zeigt, dass diese Frauen zwar unter besonders exponierten Bedingungen arbeiteten, dabei jedoch keineswegs am Rande standen, sondern sich im Zentrum der Debatten ihrer Zeit betätigten und dort auch zur Kenntnis genommen wurden, so ist die Ausgangsfrage damit zwar nicht beantwortet, aber die Leser und Leserinnen der Studie werden vielleicht dazu bewegt, eine differenzierte Antwort selbst zu versuchen. Insgesamt ist British Women Writers von besonderem Interesse für all diejenigen, die sich spezialisiert haben auf eine der besprochenen Autorinnen oder auf die Beforschung der Journals-Kultur des 18. / 19. Jahrhunderts. Wer einfach wissen möchte, wie Frauen des ausgehenden 18. Jahrhunderts sich als berufstätige Intellektuelle und Kritikerinnen in ihrer Kultur vernetzt haben, wird in dieser detailreich recherchierten Abhandlung sicher auch viel Interessantes finden.

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Eine Kultur des Dissent

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Die Einleitung beginnt mit einer historischen Positionierung, die erklären soll, warum gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein sprunghafter Anstieg der Beteiligung von Frauen an der (literatur)theoretischen Debatte zu verzeichnen ist. Hier finden sich die »usual suspects«, die von der Forschung auch bereits beschrieben wurden. Als besonders wichtig für die sich entwickelnde Profession der Kritikerin erweisen sich hierbei immer wieder die Romantischen politischen Zirkel des Dissent, die entgegen der Idealisierung des einsamen romantischen Genies als Subkultur einen starken formenden und auch ermächtigenden Einfluss hatten:

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[…] it turns out that a particular subculture of the literary world repeatedly emerges as a powerful support to Romantic era women critics. Dominated by middle-class Unitarians and other Rational Dissenters, revolving for a number of years around radical bookseller Joseph Johnson […] and eventually making a part of the vanguard of Victorian secular reform, this culture was, like women themselves, largely disenfranchised through legal and extralegal forms of discrimination. Yet as a culture, it fostered mutual support, collaboration on all levels from the business venture to the creation of a text, a relatively high degree of learning even for women, and social values that awarded to women an important standing as a barometer of the state of the culture. (S. 9)
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Fast alle der behandelten Autorinnen sind dieser Subkultur zugehörig: Anna Letitia Barbauld, Mary Wollstonecraft, Mary Hays, Elizabeth Moody, Harriet Martineau. Die freche und unkonventionelle Elizabeth Inchbald bewegt sich zwar politisch ebenfalls im selben Umfeld, ist jedoch durch ihre pro-katholische Haltung und ihren Ruf als Schauspielerin noch einmal anders positioniert.

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Von Prefaces, Reviews und Journalistic Essays

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Die Studie nimmt zunächst eine nachvollziehbare Zweiteilung vor, die sich an den generischen Unterschieden von Prefaces und Reviews orientiert. Beide Genres sind an spezifische Publikations- und Marketinginteressen gebunden, die sie leicht anders positionieren: die Prefaces zu literarischen Textanthologien, die im Zug der Entwicklung des Ideals einer Nationalliteratur ›das Beste‹ oder ›das Populärste‹ an nicht spezialisierte Leser und Leserinnen bringen wollen, sind notwendigerweise signiert, da es der Name des Autors der Einführung – oder eben der Autorin – ist, der dem Produkt Autorität und Attraktivität auf dem Buchmarkt verleihen soll. Die journalistischen Schriften hingegen gehören vielfach zur Klasse der anonymous reviews, bei denen ein gewisser Einblick in die Struktur der Zeitschrift nötig ist, um hinter den verwendeten Kürzeln die entsprechenden Autoren ausfindig zu machen. Es handelt sich also um Publikationen, die der Autorin eine gewisse Anonymität ermöglichen, die aber in ihrer Gesamtheit auch eine breitere und unter Umständen kontroversere Reihe von Anliegen ansprechen.

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Anna Letitia Barbauld
als Literaturkritikerin und Journalistin

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Anna Barbauld ist in dieser Studie die wichtigste Autorin, da sie sich in beiden Großgenres betätigt hat und unter den Zeitgenossen eine außerordentlich respektable Reputation genoss. Sie begann ihre Auseinandersetzung mit den Fragen des literarischen Geschmacks mit Einführungen zu Werksausgaben der Dichter William Collins und Mark Akenside (1794 und 1797), in denen sie sich für das Ideal einer elitären – und spezifisch männlich kodierten – poetischen Textur einsetzt. Die Implikation ist, dass auch der national character, den sie in deren Lyrik archiviert sieht, diesen Idealen entsprechen sollte:

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[…] if lyric poetry displays features that make it accessible only to an elite, formally educated reader, then the true Englishman, the reader of the English lyric, is just that – an English man who ranks among the few who have inhaled their Englishness with the fumes of port and fine tobacco at one of the universities. (S. 34 f.)

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Mit dieser Wertschätzung aristokratischen Geschmacks liefert Barbauld eine überraschende Variante der literaturästhetischen Diskussion des nationalcharacter, nicht nur im Hinblick auf ihre eigene Positioniertheit als Frau der Mittelklasse im Umfeld des Dissent, sondern auch im Hinblick auf unser heutiges Verständnis der Entwicklung des nationalen Ideals, denn dieses wird gemeinhin als Resultat einer Intervention aus der Mittelschicht gegen die Vorherrschaft aristokratischer Werte gesehen (vgl. S. 35). Allerdings sieht Waters in diesen Prefaces einmalige strategische Verortungen, die später anhand von anderen literarischen Genres ins Gegenteil gewendet werden:

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[the editors] surely enlisted her in the hope that her name would lend stature to the volume. Barbauld constructs her authority instead by shaping a textual identity that aligns her with those whose identity alone serves as adequate authorization, then performs this identity in her criticism. […] however, within a few years she reverses her strategy. (S. 35)
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Diese revidierte Position lässt sich in Barbaulds Journalismus ebenso wieder finden wie in späteren Prefaces, z.B. zu Addison und Richardson. Sie werden als Sprachrohre einer aufgeklärten Mittelklassenkultur gesehen, die nun das Ideal des national character im Gegensatz zur aristokratischen Kultur verkörpert, welche erwartungsgemäß »vicious and brutal« ist, »marked by aristocratic libertinism and deeply divided along lines of political alliance, gender, and class« (S. 40). In ihrem Vorwort zur Correspondence of Samuel Richardson (1804) führt Barbauld aus, was die Werte des wahren Briten sind: »retirement, private virtue, and middle-class heterosexual sociability« (S. 47). In dieser Einschätzung geht Barbauld nunmehr nicht nur mit den Mittelklasseidealen, sondern auch mit den aufgeklärt-gemäßigten binären Geschlechteridealen ihrer Zeit konform. Da dies auch zu einer ›Feminisierung‹ ihrer eigenen Position führt, sieht man in ihrer Einführung zu The British Novelists (1810) eine frühe und innovative Auseinandersetzung mit der Rolle von Autorinnen in der Entwicklung des Romans, die bereits feststellt was spätere Literaturgeschichten gerne wieder vergessen haben: dass nämlich die Entwicklung dieses Genres in maßgeblicher Weise von Frauen vorangetrieben wurde (vgl. S. 52 ff.).

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Von Beruf: Rezensentin

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Der zweite Teil von British Women Writers widmet sich dem Beitrag von Frauen in der sich entwickelnden Kultur der Journals, wobei besonders deutlich wird, dass diese Frauen sich als Teil eines sich entwickelnden Berufsstands verstanden. Mary Wollstonecraft, zum Beispiel, gehört zum regulären Rezensentenpool des »Analytical Review« und kommentiert dort eine breite Palette von zeitgenössischen Themen von Romanbesprechungen bis hin zu Rezensionen fachwissenschaftlicher Arbeiten, z. B. die Besprechung von Charles Burneys General History of Music (1790), die von der Kritik gerne aus dem Wollstonecraft-Kanon entfernt, von Waters aber energisch dort verankert wird.

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Dass hierbei die Themen zur Sprache kommen, die Wollstonecraft auch anderweitig beschäftigen – vom rechten Leben eines aufgeklärten Menschen, von Frankreich und den Hoffnungen und Exzessen der Revolution, von den positiven und negativen Aspekten der sensibility, von der Geschlechterordnung, etc. – liegt auf der Hand. Gleiches gilt auch für ihre Freundin und Kollegin – hier können Frauen Kolleginnen sein! – Mary Hays, die unter ihrer Anleitung eine eigene schriftstellerische und journalistische Karriere beginnt. Insgesamt liegt der Ertrag dieser Diskussion weniger im Aufspüren möglicherweise völlig neuer Facetten dieser Autorinnen (obwohl es auch hier, z.B. in der strategischen Aneignung ›männlicher‹ Positionen unter dem Schutz der Anonymität, einiges zu entdecken gibt), als in der akribischen Aufbereitung dieser lebens- und arbeitsweltlichen Zusammenhänge, also einer Mikrosoziologie eines sich entwickelnden beruflichen Betätigungsfelds für Frauen.

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Lending One’s Name und das gefährliche
Spiel mit der (weiblichen) Reputation

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Etwas aus dem Rahmen fällt das sehr begrüßenswerte Kapitel zu Elizabeth Inchbald, die sich in vielfacher Hinsicht nicht in das relativ homogene Bild der Lebensentwürfe, Ideen und Ideologien der anderen Autorinnen einfügen will und deshalb wenig rezipiert wird. Inchbald gehört zu jenen, die sich im Bereich der Prefaces einen Namen gemacht und dabei unter ihrem eigenen Namen publizierten. Die Rede ist von ihren Einführungen zu einer Reihe von einzelnen Dramen der in Serie publizierten Dramenanthologie The British Theatre (1806 – 1809). Hier häufen sich die Firsts: erste Frau, die ein extensives dramenkritisches Werk hinterlassen hat; erste serielle signierte kritische Publikation einer Frau; überhaupt erster Kritiker, männlich oder weiblich, der eine Auseinandersetzung mit einer großen Anzahl von älteren und neuen Dramen anbot (vgl. S. 58 – 9).

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Inchbald ist dann auch diejenige, die die schärfste misogyne Kritik auf Seiten der verletzten Männlichkeit auf sich zog in einem vieldiskutierten öffentlichen Schlagabtausch mit George Coleman. Man muss Waters dafür danken, dass sie damit aufräumt, in diesem Angriff den Grund für das Ende von Inchbalds Laufbahn als Theaterkritikerin zu sehen (vgl. S. 61 ff.). Wahr ist, dass Inchbald danach keine eigenen Beiträge mehr beisteuerte. Dies ist jedoch weniger darauf zurückzuführen, dass Coleman sie eingeschüchtert hätte, sondern dass sie eine weniger anstrengende aber gleichermaßen lukrative Form fand, sich über Wasser zu halten, indem sie einfach ihren Namen an die Reihe verkaufte. Ihre kokett-ironische Stellungnahme zu Colemans Angriffen ist jedenfalls ein schönes Beispiel einer intelligent-spielerischen Geschlechterperformanz.

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In ihrer Dramenkritik hatte Inchbald so manchen ›großen‹ Kritikern etwas voraus: sie war selbst Schauspielerin und kannte daher das Theaterleben aus eigener Erfahrung. Und so wendet sie sich nicht an den elitären Leser, sondern an ein breites interessiertes Publikum und entwickelt eine eigene implizite Dramentheorie, die vom einsamen Genie weit entfernt ist und stattdessen die soziale Eingebundenheit (auch in Mechanismen der Zensur) und den kollaborativen Charakter des Dramas in den Vordergrund stellt:

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The result is an unstructured format, a casual, sometimes almost chatty style, and an emphasis on the play in its social and cultural surroundings – written by persons with complex lives, staged in a theater staffed by particular actors, confronted with specific production problems and competing for attention among other current plays or stagings of the same play, and seen or read by a real audience with interests, prejudices, and political views. (S. 69 – 70)
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Stellt man da noch ihre zum Zeitgeist quer stehende pro-französische Haltung daneben, die dazu führt, dass sie auch eine Minitheorie zum dort populäreren closet drama entwickelt, dann haben wir hier das Bild einer beachtlichen und mutigen Kritikerin, die in ihrer Herangehensweise theoretische Trends und Fragestellungen, insbesondere aus dem Feld der cultural materialists, vorwegzunehmen scheint und auf jedem Fall am Ort der Genese des romantischen Geniekults eine andere, kollaborativere und von äußeren Einflüssen nicht ablösbare Theorie von Autorschaft zu entwickeln versucht (vgl. S. 79).

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Fazit

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British Women Writers hat kein abschließendes, zusammenfassendes Kapitel, was auf die rigiden Längenvorgaben des Verlags zurückführbar sein mag, aber dennoch schade ist. Das wäre nämlich der Ort gewesen, an dem man vielleicht ein paar der im Buch zu kurz gekommenen oder nur en passant gemachten Beobachtungen hätte noch einmal auf den Punkt bringen, ihnen eine neue Wendung geben, oder sie in weitere theoretische Bezüge einbetten können. So ruht die Studie in ihrer Gesamtheit zum Beispiel implizit auf einer Theorie der Geschlechterperformanz auf, wie man am Beispiel von Barbaulds Spiel mit männlichen ›Stimmen‹ oder auch an Inchbalds Schlagabtausch mit Coleman sehen kann. Allerdings sind die einschlägigen Arbeiten zur Performativität zum Beispiel von Judith Butler nicht einbezogen und tauchen in der Bibliographie nicht auf. Dadurch wird die Möglichkeit einer theoretischen Verortung der gemachten Beobachtungen bis zu einem gewissen Grad verschenkt, so dass dieser Abhandlung manchmal der letzte Schliff fehlt.

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Andererseits zeigt dies auch, dass die Erkenntnisse und Analysen, die hier angeboten werden, für andere, z.B. für Performativitätstheoretiker / innen, anschlussfähig und damit von Interesse sind. Eine wichtige Bereicherung stellt British Women Writers auf jeden Fall für all jene dar, die sich im sonst häufig arg geschlechtsblinden Feld der Periodicals oder der Geschichte der Literaturkritik spezialisiert haben. Solche, die sich besonders für eine der hier behandelten Autorinnen interessieren, werden vielleicht im Hinblick auf deren Gesamtwerke nicht immer völlig neue Einsichten erwarten können, werden aber dennoch diese detailreich recherchierte Ausleuchtung des weniger beachteten Teils der Arbeiten dieser Autorinnen als Bereicherung begrüßen.



Anmerkungen

Mary A. Waters: British Women Writers and the Profession of Literary Criticism, 1789 – 1832. Houndmills: Palgrave 2004. S. 1. Alle weiteren Zitate werden im Text vermerkt.

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