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Komödie und Marktgesellschaft

Geld und Geiz interkulturell und interdisziplinär

  • Daniel Fulda: Schau-Spiele des Geldes. Die Komödie und die Entstehung der Marktgesellschaft von Shakespeare bis Lessing. (Frühe Neuzeit 102) Tübingen: Max Niemeyer 2005. X, 593 S. Leinen. EUR (D) 138,00.
    ISBN: 3-484-36602-8.
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Die hier anzuzeigende interdisziplinäre Studie ist die im Sommersemester 2003 von der Universität zu Köln angenommene Habilitationsschrift Daniel Fuldas. Mit Hilfe einer exakten philologischen Analyse von Dramen in englischer, deutscher, französischer und lateinischer Sprache sollte ein Beitrag dazu geleistet werden, in welcher Art und Weise Geld in Komödien einer sich auf die Marktgesellschaft zubewegenden Epoche eine Rolle spielt. Hier befinden wir uns, wie der Autor eingangs treffend formuliert, »zwischen den Diskursen bzw. Sozialbereichen Ökonomie und Literatur sowie zwischen alteuropäischer und moderner Gesellschaft.« (S. 3)

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Ein ›paneuropäischer‹ Zugriff

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Der Ansatz Daniel Fuldas ist sowohl gesellschaftswissenschaftlich als auch philologisch quasi als ›paneuropäisch‹ zu charakterisieren. Damit erzeugt er ein stabiles, da breites und thematisch überlappendes Fundament für seine Untersuchung, die wie folgt aufgebaut ist: im theoretisch-methodologischen ersten Teil seiner Studie zeigt der Autor, ausgehend von der Ringparabel in Nathan dem Weisen auf, dass es lohnt, okönomisch-literarischen Interferenzen zwischen Tradition und Moderne gerade im Hinblick auf die Komödie nachzugehen. Fuldas Studie ist motiviert durch andere, ähnlich geartete Studien, 1 die aber hauptsächlich einen späteren Zeitraum in den Blick nehmen.

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Fulda grenzt seine Untersuchung von den erwähnten ab und widmet sich einem früheren Zeitraum, da er (S. 9 f.) hier die Aufklärung samt der dazugehörigen Literatur als Teil der Frühen Neuzeit auffasst:

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Die vorliegende Untersuchung sucht dem Rechnung zu tragen, indem sie hinter die meist nur von ›Barockspezialisten‹ überschrittene Zeitgrenze 1700 zurückgeht und sowohl das ›Progressive‹ davor als auch das Traditionelle danach berücksichtigt. (S. 10)
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In der Folge reflektiert der Autor Möglichkeiten der theoretischen Relationierung von Geld und Komödie. So falle bei der Komödie eine enge Verbindung zur »Geldsphäre« bereits auf der »motivisch-thematischen« Ebene auf (S. 21). Dies allein rechtfertige aber noch keine Untersuchung, sondern es komme mit darauf an, »wie Geld und Komödie in ihrer Struktur, Wirkungs- und Geltungsweise korreliert werden können« (S. 22). Fulda beobachtet eine strukturelle Homologie von Komödienhandlung und Geldfunktion (Kapitel 1.2.1), ebenso wie er auf Tausch und Täuschung als Konstituenten des Geldwesens wie auch der Komödie abhebt (Kapitel 1.2.2).

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Luhmann allein löst das
»Verknüpfungsproblem« nicht

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Dem »Verknüpfungsproblem« in der post-sozialgeschichtlichen Literaturgeschichtsschreibung (Kapitel 1.3) versucht sich der Autor zunächst über Zuhilfenahme der Systemtheorie zu nähern (Kapitel 1.3.1). Solche Ansätze wie der Luhmanns können aber, wie Fulda zurecht bemerkt, nicht unmodifiziert zur Anwendung kommen, da in der frühneuzeitlichen Gesellschaft »politische, religiöse, wirtschaftliche oder literarische Gesichtspunkte« (S. 38) (noch) nicht getrennt wurden. Stattdessen offeriert der Verfasser, indem er Theatralität als Interferent zwischen sozialen Praktiken und der Gattung der Komödie begreift, eine kulturgeschichtlich orientierte Zugriffsmöglichkeit. Für die in der anzuzeigenden Studie untersuchten Dramen und darüber hinaus, bis ca. 1750 (S. 43), fänden sich wiederholt »Aktualisierungen des theatrum mundi-Gedankens, der einerseits die ganze Welt als göttliches Theaterspiel deutet, andererseits das Theater auf moralisch-religiöse Perspektiven verpflichtet« (ibid.). 2 Fuldas Untersuchung geht aber über dieses Stadium hinaus. Sie begreift als den noch zu machenden Schritt den

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hin zu einer Gattung als jenem Normsystem, das Handlungsstruktur und ›dialogische Entfaltung der Charaktere‹ regelt. Denn der Gattungscharakter literarischer Texte dürfte es sein, der ihre Distanz gegenüber allen Kontexten und damit ihre kritische Potenz verbürgt. Betonten wir bislang die Analogien zwischen Geld und Literatur und wiesen wir besonders auf den Anteil, den eine Gattungsform wie die Komödie daran hat – für die reflektierende Haltung, die Literatur gegenüber den von ihr dargestellten Mentalitäten einnimmt, kommt es umgekehrt auf die Reibung zwischen Gattungsform und ökonomischem Medium – hier: zwischen Komik und Komödie sowie Geld und ökonomischer Mentalität – an. [...] Dabei können Reibungen auch zwischen dramatisch-theatralischer Form und ›inhaltlich‹-expliziter Stellungnahme entstehen. Was eine Komödie zum Thema Geld aussagt, unterscheidet sich häufig erheblich von den semantischen Implikationen der komödienstrukturellen Weise, wie sie das tut. (S. 50)
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Den Abschluss des theoretischen Teils der Arbeit bildet ein »Historische Fokussierungen« überschriebenes Kapitel (1.4). Hier wird die epochale Eingrenzung des betrachteten Zeitraumes vorgenommen:

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Der Strukturhomologie von Geld und Komödie geht die vorliegende Studie in der Phase der Herausbildung jener Marktgesellschaft nach, in der das Funktionssystem Wirtschaft zum Leitsystem aufgestiegen und das Geld unumgängliches ›Kommunikationsmedium‹ für jedermann geworden ist[.] (S. 51)
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Der Kaufmann

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Den ersten großen Analyseblock (Kapitel 2.) widmet Daniel Fulda der Figur des Kaufmanns, der im Einklang mit dem Titel der anzuzeigenden Studie als ›Agent des Geldes‹ bezeichnet wird. In der chronologischen Anordnung der analysierten Dramen steht William Shakespeares Merchant of Venice am Anfang. Die von Daniel Fulda gemachten Beobachtungen reflektieren vor allem die Gabe als zentrales dem Stück innewohnendes merkantiles Motiv beziehungsweise Ritual. Auf dem Weg einer sich herausbildenden Marktökonomie, so kann der Verfasser kohärent argumentieren, befindet sich der Merchant of Venice mit seinem Protagonisten Shylock gewiss noch nicht. Dies läge hauptsächlich am praktizierten »Gabe-Modell sozialen Austausches« (S. 102). Für das Stück gälte folgendes:

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Die Handlung des Merchant of Venice ist nicht allein präzise aus den Wirtschaftspraktiken des am Ende des 16. Jahrhunderts hervortretenden Kaufmannstyps entwickelt, sie ist darüber hinaus, und zwar konsequenter noch als die Handlung Nathans des Weisen, ein Zirkel aus Gaben – wie es der thematisch vertretenen Norm entspricht. (S. 103)
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Ein logischer Schritt in Fuldas interdisziplinärer und diachroner Studie ist es, nach Shakespeares Merchant of Venice den Fokus auf Christoph Blümels Der Jude von Venetien zu richten. In diesem Zusammenhang verweist Fulda notwendigerweise auch auf weitere thematisch ähnlich gelagerte Stoffe, wie zum Beispiel Christopher Marlowes The Jew of Malta (S. 107, Anm. 10). Betrachtungspunkte sind für Blümels Drama traditionell antisemitische Stereotype wie Verkleidung, Täuschung und Betrug. Auf einem statischen »Wirtschafts- und Gesellschafts-, ja Weltbild« (S. 118) fußend, sind die Handlungen der Figuren noch stark einem Modell des theatrum mundi (ibid.) verhaftet. Die Vorstellung von dem Menschen als Schauspieler, die sich im 17. Jahrhundert dann stärker ausbilden sollte, ist hier noch nicht erreicht.

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Fulda geht dann über zu Andreas Gryphius’ Horribilicribifax, der unter dem Gesichtspunkt der Ständeordnung analysiert wird. Die traditionelle Vorstellung vom theatrum mundi kann hier schon gegen die merkantile Inszenierung gelesen werden, obwohl am Ende die Transzendenz über das Handelsgebaren von Juden und Kupplern obsiegt. Für Johann Georg Schochs Comoedia vom Studenten-Leben kommt Fulda zu folgender Einschätzung, hier – wie durch die gesamte Studie hindurch positiv auffällt – ein Zwischenfazit ziehend:

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Im Vergleich mit dem Juden von Venetien ist die Comoedia vom Studenten-Leben ... pädagogischer angelegt (trotz der gleichfalls derben Komik), im Vergleich mit dem Horribilicribifax wiederum lebenspraktischer orientiert. Beide Aspekte zusammengenommen, steht Schochs Stück ein gutes Stück näher an der theatralischen Gesellschaftsreform, die Gottsched betreiben wird, als die Komödien Blümels und Gryphius’. (S. 161)
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Die Untersuchung konzentriert sich danach auf die Stellung der sächsischen Reformkomödie, die situiert ist zwischen »merkantilen Leitbildern und gelehrter Marktfeindschaft«, wie es die Überschrift des entsprechenden Kapitels 2.6 andeutet. Hier wird neben einem theoretischen Exkurs zum Handel als Sozialmodell die Kaufmannsfigur Herr Reinhart in Luise Gottscheds Witzling betrachtet: »Die Geld- und Kaufmannskritik des Witzlings steht in konzeptioneller Parallele zum Streit zwischen Gottsched und seinen Schülern darum, in welchem Maße die literarische Ästhetik, insbesondere die Dramenpoetik, sich an den Bedürfnissen des Publikums zu orientieren habe.« (S. 177) Gottsched wollte in seine Dramen eine tugendorientierte Belehrung mit einflechten, wurde aber dadurch stark an seinem Ansinnen gehindert, dass das Publikum tendenziell eher für »Emotionen, Affekte, Schauwerte und -erlebnisse, nicht Belehrungen« (S. 181) empfänglich war.

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Die abschließenden zwei Abschnitte, die die Kaufmannsfigur thematisieren, greifen wiederum verschiedene Aspekte auf. Zunächst (Kapitel 2.7) steht unter dem Leitgedanken der sich formierenden sozialen Gruppierungen und einer sich auszudifferenzieren beginnenden Gesellschaft eine theoretische Reflektion zur Performativität und Normativität von Bürgerlichkeit. Ob diese theoretischen Einschübe, die einerseits an den gewählten Stellen durchaus erhellend sind, nicht eventuell gesondert hätten stehen können, um eine ungebrochene Analysesequenz zu haben, sei allerdings dahingestellt. Luise Gottscheds Die Ungleiche Heirath und der Aspekt der Geschäftsfähigkeit als sozialem Wert stellen hier den Fokus der Betrachtung dar. Im Kapitel 2.8 zu »gebenden Kaufleuten« und der »Verausgabung der Komödie« schließt sich für diesen gelungenen Analyseteil der Kreis. Pfeffels Kaufmann oder Die vergoltene Wohlthat wird als Retablierung der Gabe (vgl. The Merchant of Venice) gelesen. Abschließend wird hier noch die Überlagerung der Komödie durch das Schauspiel reflektiert.

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Geiz im
Kulturtransfer

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Der zweite Analyseblock (Kapitel 3.) von Daniel Fuldas Habilitationsschrift thematisiert den Geiz in der Komödie. Ausgehend von einer theoretischen Abhandlung zur Komödie als Lasterkritik und Gesellschaftsordnung, in der Plautus’ Aulularia als Archetext zugrunde gelegt wird, hebt der Verfasser zunächst auf das Jesuitendrama, speziell Masens Ollaria und Bidermanns Jacobus usurarius, ab. Für Masens Drama kommt Fulda zu dem Schluss, es berge »auch ein ökonomisches Potential« (S. 263). Daran schließt sich mit Molières L’Avare (Kapitel 3.3) und dessen deutscher Übertragung (Der Geitzige; Kapitel 3.4) eine interessante, parallel zum Merchant of Venice und dem Juden von Venetien angelegte Analyse an. Während L’Avare zwischen merkantiler Ausrichtung und monarchischer Zentrierung verortet wird, ist beim Geitzigen das Ergebnis des französisch-deutschen Kulturtransfers anders gelagert:

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Der Rezeptionshorizont, in den die Schau-Bühne den Avare einführte, wird trotzdem deutlich: Statt die (wirtschafts)politische Stoßrichtung des Originals auf deutsche Verhältnisse umzulenken, begünstigte er eine christlich-moralische Lesart des Stückes. (S. 302)
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Der Verfasser widmet sich dann weiter dem Drama des deutschen Sprachraumes, nun zu Christian Weises Betrogenem Betrug übergehend. In diesem Zusammenhang reflektiert er über dynamische Komik, die die traditionelle oeconomia divina hinter sich lässt. Hinrich Borkensteins Bookesbeutel von 1742 enthält laut dem Verfasser bereits Tendenzen der Rationalisierung von dramatischen wie ökonomischen Handlungsweisen. Hafners Neues Zauberlustspiel, betitelt: Mägera, die förchterliche Hexe, oder das bezauberte Schloß des Herrn von Einhorn zeichnet sich durch deutliche Anleihen bei Molières L’Avare aus.

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Geld im Spiel

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Im abschließenden, dritten Analyseteil (Kapitel 4.) stehen »Spiele ums Geld« im Zentrum der Betrachtung. Dies sind zunächst Christian Reuters Drama Die Ehrliche Frau zu Plißine und der Graf Ehrenfried. An diese »Dramatisierungen lebensweltlicher Spiele« (S. 393) schließen sich Analysen von Luise Gottscheds Verschwender und Gellerts Loos in der Lotterie an. Diese beiden Dramen werden jedoch vor dem Hintergrund einer providentiellen Einwirkung gelesen. Daraufhin folgt eine wieder stark theoretische Abhandlung zur Marktwirtschaft und ihrer Verbindung zum Theater (Kapitel 4.4), bevor die beiden letzten analysierten Dramen, Johann Christian Krügers Die Candidaten, oder: Die Mittel zu einem Amte zu gelangen sowie Lessings Minna von Barnhelm thematisiert werden.

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Fazit

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Daniel Fulda hat seine Habilschrift auf eine beeindruckend breite Quellengrundlage gestellt. Es gelingt ihm, in der stark interdisziplinären, komparatistisch angelegten Studie, ein weites Feld von Dramen im Hinblick auf übergeordnete thematische Phänomene zum Bereich ›Geld‹ in einer ausführlichen philologischen Analyse zu überblicken. Dabei nutzt er immer wieder, und dies ist für eine Leitung des Lesers und die Wahrung der Übersicht unerlässlich, nützliche Quervergleiche und prägnante Zusammenfassungen. Dies macht seine Untersuchung kohärent und in Verbindung mit flüssiger Diktion gut lesbar.

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Als einzige methodologische Frage bleibt offen, ob nicht ein gesonderter und dann ausführlicherer theoretisch-methodologischer Teil den Analyseblöcken hätte vorangestellt werden sollen.

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Insgesamt jedoch kann Fuldas Vorgehensweise die Lesefreude an dieser geradezu spannenden Studie nicht trüben. Die abschließend zusammengefassten Ergebnisse jedenfalls können sich sehen lassen: Fulda erkennt eine enge Verzahnung der Komödie und des Geldes, sowohl in der theatralen Produktion als auch auf thematischer Ebene. Für eine gesellschaftstheoretische Einordnung (vgl. Luhmann) finden sich zahlreiche Anknüpfungspunkte. Auch in punkto Gattungsgeschichtsschreibung (S. 517) erweist sich die Geldsphäre als ergiebiges Feld. Mittels des Zugriffs über das Geld kann der ansonsten nicht unproblematische Zugriff über eine epochale Zweiteilung (Fulda verweist hier auf ›Hof vs. Bürgertum‹; ibid.) vermieden werden. Im Sinne einer Reevaluierung von Epochenschwellen, wie sie unter anderem Joachim Heinzle fordert, 3 trägt die Untersuchung Fuldas neueren und neuesten Forschungstrends Rechnung. Mehr Studien solcher Art wären zu wünschen.



Anmerkungen

Vgl. Thomas Wegmann: Tauschverhältnisse. Zur Ökonomie des Literarischen und zum Ökonomischen in der Literatur von Gellert bis Goethe (Epistemata Reihe Literaturwissenschaft 386) Würzburg: Königshausen & Neumann 2002; Joseph Vogl: Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen. München: sequenzia 2002.   zurück
Vgl. Johann Valentin Neiner: Neu Ausgelegter Curioser Tändel-Marckt der jetzigen Welt in allerhand Waaren und Wahrheiten vorgestellet, aus der Tändler-Butten lustiger Einfäll heraus geklaubt, und mit verschiedenen Realien und Moralien, Geschichten und Gedichten, vielen Merkwürdigkeiten, wie auch poetischen Einfällen und gelehrten Gedancken unterspicket, Darinnen solche Sachen, Welche wohl würdig zu lachen. Ein Werck, welches nicht allein zu einem Haus-Buch sehr nützlich, sondern auch wegen vielfältiger vermischten Biblischen Concepten und Sitten-Lehren vielen Predigern auf denen Cantzlen dienlich. Th. 1–2. Wien: Krauß 1749, Bd. 2, S. 234.   zurück
Joachim Heinzle: »Einleitung: Modernes Mittelalter.« In J. H. (Hg.). Modernes Mittelalter. Neue Bilder einer populären Epoche. Frankfurt: Insel Verlag 1999, S. 29.   zurück