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Kunst als Erreger

  • Mirjam Schaub / Nicola Suthor / Erika Fischer-Lichte (Hg.): Ansteckung. Zur Körperlichkeit eines ästhetischen Prinzips. München: Wilhelm Fink 2005. 436 S. 45 s/w Abb. Kartoniert. EUR (D) 49,90.
    ISBN: 3-7705-3999-0.
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Ansteckung

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In der zeitgenössischen Kunst und Theoriebildung gerät zunehmend ein Begriff ins Blickfeld, der aus der Medizin stammt: derjenige der Ansteckung. Jacques Derridas Theorie des Parasiten, 1 Michel Serres’ Der Parasit 2 und Mille Plateaux von Gilles Deleuze und Félix Guattari 3 warteten mit einer Umwertung des traditionell negativ besetzen Begriffs in einen überwiegend positiven auf. Unter dem Vorzeichen von ›Ansteckung‹ ist von Infizierung, Kontaminierung, Immunisierung die Rede; es etabliert sich eine Rhetorik des ›Zwischen‹, des Heterotropen und der Latenz, und zwar durch die Übertragung des Begriffes vom Medizinischen auf andere Bereiche.

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›Ansteckung‹ wird im vorliegenden Sammelband, herausgegeben von der Philosophin Mirjam Schaub, der Kunsthistorikerin Nicola Suthor und der Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte, in Rekurs auf die Wissensordnungen der Medizin, der Philosophie und der Affektenlehre als Übertragung durch Kontakt definiert. ›Ansteckung‹ impliziere stets medizinische, soziale und ästhetisch-philosophische Kontexte, die abgebildet werden sollen. Hervorgegangen ist der Band aus einer Tagung des interdisziplinären Graduiertenkollegs ›Körper-Inszenierungen‹ an der FU Berlin, das die Eigendynamik körperlicher Prozesse in den Fokus nimmt und damit Kulturgeschichte als Geschichte von Körper-Inszenierungen untersucht.

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In ihrer Einleitung grenzen sich Mirjam Schaub und Nicola Suthor explizit gegen den literaturwissenschaftlichen Begriff der Rezeption ab. Er benenne eine bewusste Form der Aneignung und Verarbeitung, bei der der Rezipient gegenüber dem Gegenstand mehr oder weniger autonom sei. Diese Freiheit geht dem Ansteckungsprozess ab: Ihm sind Zufälligkeit, Plötzlichkeit, Unmittelbarkeit inhärent; er umfasst stets ein ›Dazwischen‹, eine Übertragung von sinnlich wahrnehmbarem Geschehen, und impliziert damit positive wie negative Einflussnahme. Damit möchten die Herausgeberinnen ein dezidiert körperliches Modell der Einflussnahme etablieren, das primär die unfreiwillige Körperlichkeit ästhetischer Aneignungsprozesse erfasst.

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Damit gliedern sie sich in eine Tendenz ein, medizinische Begrifflichkeiten auf Literatur und literaturwissenschaftliche Gebiete zu übertragen, die seit Albrecht Koschorkes Studie Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts (München 1999) nicht zu übersehen ist. Darin versucht Koschorke, Kulturanthropologie zu schreiben, indem er Entwicklungen von Naturwissenschaften und Literatur parallelisiert.

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Auch Nicola Suthor und Mirjam Schaub stellen heraus, dass die »körperlich erfahrene Involviertheit des Betrachters durch dessen emotionale Affizierung im Kunsterleben« (S. 14) vor allem in den Ästhetiken des 18. Jahrhunderts, zeitgleich mit den ersten Impfversuchen, reflektiert worden sei. Im 20. Jahrhundert bezeichnen Ansteckungsverhältnisse die Bedrohung des Eigenen durch das Fremde, »welches in das Innerste eindringt und das Eigene entfremdet, transformiert und korrumpiert« (S. 12). In den Künsten kommt es zu Symptombildungen und Immunisierungsprozessen.

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Zu diesem Zweck werden im Aufbau des Buches zwei Schwerpunkte etabliert: Einerseits der historische, der die Begriffsgenese von ›Ansteckung‹ unter diesen Aspekten aus dem Zeitalter der Aufklärung verfolgt. Zum anderen arbeitet der Band thematisch Syphilis, Hysterieforschung und Psychoanalyse auf.

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Zusammenfassungen der einzelnen Aufsätze runden den Band ab, die einen guten Überblick über die Vielfältigkeit und Heterogenität der Beiträge leisten. Aus der Vielfalt der Beiträge werde ich drei exemplarisch diskutieren, um die Interdisziplinarität des Begriffsfeldes nachzuvollziehen: Die Beiträge befassen sich mit Theater, Bildender Kunst und Film sowie mit den produktions- und rezeptionsästhetischen Aspekten des Begriffs. Erika Fischer-Lichte richtet ihr Augenmerk auf die körperliche Involviertheit des Zuschauers im Theater, Nicola Suthor verhandelt Immunisierung und Kontamination in Produktionsprozessen Moderner Kunst und Oliver Fahle nähert sich dem Begriff unter medientheoretischen Aspekten.

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Der infizierende Blick

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Erika Fischer-Lichte untersucht den Begriff im Hinblick auf Rezeptionsprozesse im Theater. Sie zieht eine Verbindung zwischen dem Begriff der Katharsis und dem der Ansteckung: Beide sind aus dem biologischen Diskurs in den ästhetischen übergegangen und beschreiben eine Art Schwellenzustand. Während der Begriff der Katharsis spätestens Ende des 16. Jahrhundert zum kunsttheoretischen Schlüsselbegriff avancierte, ist derjenige der Ansteckung erst in jüngster Zeit in den ästhetischen Diskurs eingetreten. Dennoch kommt ihm bereits in den Theaterdebatten des 17. und 18. Jahrhundert eine prominente Rolle zu.

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Wie Fischer-Lichte betont, findet ›Ansteckung‹ hier über den Blick des Zuschauers statt, »mit dem er die Körper der Schauspieler, ihre Mienen und Gebärden wahrnimmt. Es ist sein eigener Blick, der transformierende Kraft entfaltet und eine körperliche Veränderung herbeiführt« (S. 36). Dabei resultiere die Ansteckung stets aus der körperlichen Ko-Präsenz von Darstellern und Zuschauern. ›Ansteckung‹ kann entweder zur Immunisierung gegen die dargestellten Leidenschaften oder zu kontinuierlicher physischer und psychischer Schwächung führen.

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Zentral erscheint ihr der Begriff, der ästhetische Erfahrung als »den Vorgang einer somatischen Veränderung und zugleich als eine Schwellenerfahrung« ausweist (S. 45), geeignet, um das Spezifische ästhetischer Erfahrung von Theater und Performancekunst seit den 1960er Jahren zu beschreiben. Denn diese arbeiten an einer permanenten Grenzüberschreitung und verursachen damit Schwellenerfahrungen.

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Darüber hinaus heben die Künste in den 60er Jahren nicht nur die eigne Materialität hervor, sondern auch die »Körperlichkeit ihrer Entstehung und Erfahrung« (S. 46). Kunstereignisse wie action painting nehmen im Körper des Künstlers ihren Ausgangspunkt und auch der Zuschauer wird körperlich involviert. Dies kann auch mit einer Krisenerfahrung verknüpft sein, bekannte Rezeptionsmuster werden außer Kraft gesetzt, neue müssen erst etabliert werden.

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So kommt die Autorin zu dem Schluss, dass der Begriff der Katharsis auf »Reinigung, Heilung, Wiederherstellung« zielte, während ›Ansteckung‹ die Herbeiführung eines Schwellenzustands bezeichnet, der höchst ambivalent und dessen Ausgang ungewiss ist. »Er intendiert die Destabilisierung, die Krise« (S. 49). So führe er eine Körperlichkeit und Liminalität der ästhetischen Erfahrung mit sich, wie sie durch die Theater- und Performancekunst seit den ausgehenden 1960er Jahren ermöglicht wird. Als solcher bedürfe er einer ebensolchen Untersuchung und Theoretisierung wie der viel diskutierte Begriff der Katharsis. In ihrem Aufsatz zeichnet Erika Fischer-Lichte somit primär historisch nach, welche Rolle ›Ansteckung‹ in der Theaterrezeption spielte, und erprobt Potenziale, die durch die Ansteckungsforschung zu verfolgen wären.

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Strategien der Immunisierung
und Kontamination in der Bildenden Kunst

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Nicola Suthor untersucht mithilfe der binären Begriffe Immunisierung und Kontamination das Verhältnis von Künstlern und der Tradition, in der sie sich positionieren. Moderne Kunst zeichne sich existentiell durch Abgrenzung vom Tradierten aus, »doch liegt die Tradition nicht geschlossen hinter dem modernen Künstler, sondern dieser scheint vielmehr noch am Beginn des 20.Jahrhunderts in ihr festzustecken« (S. 101). Künstler situieren sich immer zwischen künstlerischer Tradition und einer in Form ihrer Schüler und Nachkommen heraufdämmernden Zukunft. Am Beispiel von Cézanne und Picasso möchte Nicola Suthor zwei spezifische Immunisierungsstrategien aufzeigen.

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Cézanne verfolge ein Konzept der Isolierung, Picasso dagegen die künstlerische Haltung der Kontamination. Künstlerische Freiheit, definiert Suthor anhand von Harold Bloom, wird erst möglich durch eine »vorsätzliche Mißhandlung der Tradition«, die einen Riss provoziert, einen »der Tradition abgerungenen Freiraum an Selbstartikulation« (S. 103). Zur Annäherung an dieses Phänomen etabliert sie den Begriff der Immunisierung, mit dem sie sich sowohl auf die Einflussangst, die Bloom diskutiert, als auch auf Freuds Konzept der Angst als Abwehr bezieht.

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Sie definiert Immunisierung als physischen Vorgang, ausgelöst durch einen Angriff auf den eigenen Organismus. Dieser evoziere eine Gegenwehr, in deren Verlauf das Fremde dem Eigenen einverleibt wird, und stelle insofern eine produktive, da Neues produzierende Verarbeitung der Tradition dar. In der Moderne sei eine gelungene Mimesis immer mit dem Mechanismus der Immunisierung verbunden, erst nachträglich zeige sich, ob und wie das genuin Eigene im Werk vorhanden und zu bestimmen sei.

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Aus Furcht vor Vereinnahmung und auf der Suche nach seiner eigenen Originalität zog Cézanne sich in den Ort seiner Kindheit zurück. Anhand von Aussagen des Künstlers sowie seiner Zeitgenossen untersucht Suthor dessen Rückzugsstrategien. Cézanne habe eine Strategie der Immunisierung verfolgt – in der Auseinandersetzung mit künstlerischer Tradition stärke er seine eigene Ästhetik. Auch zu seinen Schülern unterhielt Cézanne ein ambivalentes Verhältnis, einerseits knüpfte er an sie die Hoffnung, durch sie selbst Teil der Tradition zu werden, andererseits stellten sie eine Bedrohung dar.

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Während die Autorin sich beim Nachweis der Cézanne’schen Strategie der »Immunisierung durch Isolation« ausschließlich überlieferter Texte bedient, geht sie bei Picasso vom Werk selbst aus, genauer: von seinen Demoiselles d’ Avignon, das als eines seiner bedeutendsten Bilder gilt und das sie ausführlich analysiert, um seine künstlerische Strategie der Kontamination nachzuweisen. In den Demoiselles sei ›Ansteckung‹ nicht nur als ästhetischer Kontext, sondern auch als medizinischer – als reale Bedrohung durch die Syphilis – präsent.

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Der weibliche Akt wird bei Picasso zur aggressiven Geste, mit den Demoiselles dekonstruiert er dessen traditionelle Darstellung in mehrfacher Hinsicht: Einerseits wird ein intimes Blickverhältnis dem Betrachter unmöglich gemacht, Frauen wie Rezipienten werden zu »Objekten, Opfer, Beute« (S. 121); andererseits verwendet Picasso unterschiedliche traditionelle Darstellungsstrategien nebeneinander und lässt damit im malerischen Prozess entstandene Überlegungen im Bild selbst bestehen. Zu einem weiteren Einfluss, der Picasso zum Bruch mit der Tradition verholfen haben soll, positioniert er selbst sich ambivalent: den der afrikanischen Skulptur. Seine Beeinflussung durch diese Fetische negiert er einerseits, um sie an anderer Stelle zu verklären.

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Bei beiden Malern resultiert ihre Originalität auch aus der Auseinandersetzung mit der künstlerischen Tradition. Picasso selbst beschreibt diesen Prozess als quasi physische Überwindung diverser Einflüsse, als einen der Verdauung, dessen Ziel »nicht die Nährung, […] sondern die Ausscheidung« ist (S. 127). Damit geht auch eine permanente Erneuerung des Künstlers selbst im Prozess des Werks einher.

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Die Relektüre kunsthistorischer Thesen unter dem Aspekt von ›Ansteckung‹, wie sie Nicola Suthor an dieser Stelle leistet, ist leider in mehrfacher Hinsicht problematisch: Einerseits geht dieser Analogisierung das ›gemeinsame Dritte‹ ab – Cézannes künstlerische Strategien werden primär an seinen Äußerungen sowie denen seiner Zeitgenossen, an seinem Habitus festgemacht, während Picassos künstlerischer Prozess anhand einer Bildanalyse vollzogen wird. Andererseits fügt die Relektüre bekannter Thesen diesen kaum Neues hinzu.

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Durchdringung und Entäußerung im Alien-Zyklus

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Aus medientheoretischer Sicht nähert sich Oliver Fahle dem Alien-Zyklus. Dieser handelt, wie die meisten Science-Fiction-Filme, vor allem vom Verhältnis des Menschen zu seiner technischen Umwelt. Jedoch wird hier der Schwerpunkt verschoben: zentral werden die Ansteckungs- und Austauschprozesse zwischen den beiden Polen.

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Fahle vertritt die These, dass bei dieser gegenseitigen Ein- und Durchdringung zwischen Organischem und Technischem auch das Medium Film selbst der Handlung nicht äußerlich bleibt; es thematisiert seine »eigene mediale Verstricktheit in diesen Austauschungsprozeß und reflektiert zugleich medientheoretische Perspektivierungen« (S. 319). So soll auch aufgezeigt werden, inwiefern der Zyklus selbst Film- und Medientheorie betreibt. Dies findet auf der visuellen, nicht auf der sprachlichen Ebene statt. Dabei kommt das Thema der Ansteckung explizit und implizit zur Sprache.

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Auf der Ebene des Films geht es nach Fahle höchst konkret um ›Ansteckung‹: Aliens benutzen den Menschen als Wirt. Sergeant Ripley (Sigourney Weaver) kämpft in allen vier Teilen gegen das Alien, bis sie schließlich von ihm angesteckt wird und sich mit dem Alien-Embryo in den Tod stürzt. Doch sie stirbt nicht, sondern wird gemeinsam mit dem Alien in ihrem Körper geklont. Beide Organismen, der halbtechnoide des Aliens und der organische des Menschen, durchdringen einander. Der Versuch, sich das scheinbar Fremde vom Leib zu halten, führt zur vollkommenen Infiltration.

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Fahle betont, dass Aliens eine Mischform von Technik und Lebendigem darstellen: Ihre Körper basieren auf Technik, zugleich besitzen sie jedoch Attribute des Organischen, da sie geboren werden, über Schmerzempfinden verfügen u.ä. Ripleys Kampf gegen die Aliens richte sich in den ersten drei Teilen also gegen die Vereinbarkeit von menschlichem und technisch-organischem Körper. Im vierten Film komme es durch das genetische Experiment zur gegenseitigen Infiltration, Mensch und Technik stellten keine grundsätzlich voneinander getrennten Größen mehr dar.

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Dies komme Theorien wie jenen Walter Benjamins und Friedrich Kittlers entgegen, die von einer Technisierung des Menschen, seiner »Handlungs-, Denk- und Erkenntnisfunktionen« ausgehen (S. 324). Fahle jedoch nimmt den entgegen gesetzten Standpunkt ein. Es sei die Technik, die sich von ihren eigenen instrumentellen Bedingungen fortbewege und verlebendige. Das Unheimliche der Aliens resultiere daraus, dass sie die Alternative von Technischem und Organischem unterlaufen.

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Diese Wandelbarkeit und Naturalisierung ist nicht nur den Aliens eigen, sondern auch der Technik; Grenzen zwischen Organischem und Technischem verflüssigten sich vollständig. In dieser permanenten Wandelbarkeit sieht der Autor auch eine der Grundbedingungen der visuellen Poetik des Films: Dieser versetzt nicht nur Bilder in Bewegung, sondern entwirft damit ein immer neues Sehen. Auch das Medium des Films weicht also stabile Grenzen auf; dies fasst Fahle in den Begriff der Metamorphose.

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In der Metamorphose befinden sich zwei scheinbar getrennte Momente in gemeinsamer organischer Wandlung. Auf diese Weise beseitige das Kino die Trennung zwischen Subjekt und Objekt, versetze die Welt in eine grundsätzliche und permanente Wandelbarkeit. Dies führt Fahle zu dem Schluss:

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Die Naturalisierung von künstlicher Bewegung im Film ist nichts anderes als der Zusammenschluß und die Untrennbarkeit von technischen und organischen Momenten. Das Alien als technisch-organisches Mischwesen ist, wenn man so will, erst denkbar vor dem Hintergrund kinematographischer Welterfindung. Es ist damit nicht nur inhaltlich und ästhetisch ein filmisches Wesen, sondern auch erkenntnistheoretisch auf der gleichen dispositiven Ebene angesiedelt wie das Kino. (S. 328)
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In den Alien-Filmen werde die zunächst strikte Trennung von Eigenem und Fremden durch die visuelle Inszenierung unterlaufen, die Annäherung zwischen Technik und Leben finde durch den Film eine neue Wendung. Fahle begrüßt medientheoretische Ansätze, die nicht mehr Technik und autonomes Wesen einander gegenüberstellen, »sondern Misch- und Austauschverhältnisse beschreiben, die den Dualismus von technischen Artefakten und selbst-bewußten Individuen unterlaufen« (S. 329). Wie der Alien-Zyklus zeige, könne hierzu auch der Film selbst seinen Teil zur Theoriebildung beitragen.

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Fazit

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Vorliegender Sammelband diskutiert ›Ansteckung‹ aus unterschiedlichen Perspektiven. Dabei wird ›Ansteckung‹ als Thema von Kunst und Theoriebildung, als Strategie der Inspiration und Produktion sowie der Rezeption begriffen, als Beschreibungs- und Analyseinstrument für Tendenzen des Theaters, der Literatur, der Bildenden Kunst, des Films und der Videokunst verwendet. Damit gliedert sich der Band in eine Reihe zeitgenössischer Forschungsansätze ein, die die Übertragung naturwissenschaftlicher Begrifflichkeiten und Analyseinstrumente auf geisteswissenschaftliches Terrain versuchen.

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Zugleich soll eine Relektüre der wissensgeschichtlichen und ästhetischen Ansätze geleistet werden, die neben den besprochenen Aufsätzen auch Hysterienforschung und Psychoanalyse betreffen – wie Miriam Schaubs Beitrag »Visuell Hochprozentiges. Übertragung aus dem Geist der Gegenübertragung. Matthew Barneys Cremaster Cycle« (S. 211 ff.), der Strategien des Film-Zyklus’ des Multimedia-Künstlers Matthew Barney unter Kriterien der Psychoanalyse Erfolg versprechend untersucht und weiterdenkt. Nicht zuletzt in diesem Sinne kann der Begriff Ansteckung zu einem geeigneten Instrument werden, um die körperliche Betroffenheit von Kunstwerken und künstlerischen Prozessen abzubilden.

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Jedoch teilt der vorliegende Band das Schicksal zahlreicher Sammelbände, Themengebiete nicht umfassend abhandeln zu können, sondern in erster Linie Stossrichtungen und Potenziale aufzuzeigen, die der Begriff in sich birgt, die aber einer Präzisierung und Weiterführung bedürfen. In der Vielfalt der Ansätze kommt es zu Ungenauigkeiten, metaphorischer und konkreter Ansteckungsbegriff werden miteinander verwoben, ›Ansteckung‹ als Motiv und Thema der Kunst mit der Theoriebildung verbunden – die Theoriefähigkeit des Begriffs im Sinne einer ›Ansteckungsforschung‹ wird letztendlich erst in weitergehenden Studien nachgewiesen werden können.



Anmerkungen

Jacques Derrida: Die Signatur aushöhlen. Eine Theorie des Parasiten. In: Hannelore Pfeil, Hans-Peter Jäck (Hg.): Eingriffe im Zeitalter der Medien. (Reihe: Politiken des Anderen, Bd.1). Bornheim-Roisdorf 1995, S. 29 – 41.   zurück
Michel Serres: Der Parasit. Frankfurt am Main 1987.   zurück
Gilles Deleuze, Félix Guattari: Mille Plateaux. Paris 1980.   zurück