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Ein Sammelband zur Bibliotheksgeschichte
von Neuburg an der Donau

Zugleich ein Beitrag zur Säkularisation und zur Geschichte der Provinzialbibliotheken in Bayern

  • Bettina Wagner (Hg.): Bibliotheken in Neuburg an der Donau. Sammlungen von Pfalzgrafen, Mönchen und Humanisten. Wiesbaden: Harrassowitz 2005. X, 216 S. 104 Abb. Gebunden. EUR (D) 38,00.
    ISBN: 3-447-05197-3.
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Kurfürst Max IV. Joseph ließ 1803 Provinzialbibliotheken in Bayern einrichten, welche die Bücher aus den säkularisierten Klöstern aufnehmen und der Öffentlichkeit zur Benutzung bereitstellen sollten. Anlässlich des 200-jährigen Jubiläums der Provinzialbibliothek Neuburg an der Donau im Jahr 2003 entstand im Rahmen einer Vortragsreihe der hier zu besprechende Band. Er bietet vielfältige neue Einblicke in die Geschichte der Büchersammlungen von Neuburg und liefert damit einen wertvollen Beitrag zur Buch- und Bibliotheksgeschichte Bayerns und Süddeutschlands. Ihre weit über den lokalen Rahmen hinausgehende Bedeutung verdankt die kleinste unter den bayerischen staatlichen Bibliotheken ihrer engen Verbindung zum Fürstentum Pfalz-Neuburg.

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Die Bibliotheken der
Pfälzer Wittelsbacher
und Neuburg

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In erstaunlicher Weise ist die Genese des Buchbestandes dieser Bibliothek mit der dynastischen und politischen Geschichte der Pfälzer Wittelsbacher verknüpft. Das Schicksal der Bücher spiegelt eindrucksvoll die Erbteilungen und -vereinigungen wider, für die Neuburg eine Schlüsselrolle spielte. Zentraler Ausgangspunkt für diese Verflechtungen ist die Gründung des Fürstentums Pfalz-Neuburg 1505 – die sich heuer zum fünfhundertsten Mal jährt.

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Der erste Neuburger Pfalzgraf, Ottheinrich, ging nicht zuletzt als großer Büchersammler in die Geschichte ein. Seine Neuburger Hofbibliothek bildete den Grundstock der weltberühmten Bibliotheca Palatina, die er ab 1556 als Kurfürst von der Pfalz in Heidelberg begründete. Nicht nach Heidelberg gelangte allerdings seine Kammerbibliothek, die er seinem Nachfolger in Neuburg, Pfalzgraf Wolfgang, dem Stammvater aller heute noch lebenden Wittelsbacher; vermachte. Die folgenden drei Generationen Neuburger Fürsten bauten diese Bibliothek durch Zukäufe weiter aus, während die Heidelberger Verwandten ihre Bibliotheca Palatina im Dreißigjährigen Krieg (1623) an Herzog Maximilian und damit an den Vatikan verloren.

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1685 erbte die Linie Neuburg zum zweiten Mal die Kurpfalz. Bereits vorher hatte sie am Niederrhein mit den Herzogtümern Jülich und Berg eine bedeutende Erbschaft antreten können und deshalb ihre Hauptresidenz nach Düsseldorf verlegt. Nach 1720 wurde nun Mannheim zur neuen Residenz dieser in Personalunion verbundenen Länder Neuburg, Jülich und Kurpfalz. Die Neuburger Hofbibliothek wanderte größtenteils nach Düsseldorf und dann nach Mannheim mit. Aber auch dort verblieb sie nicht, da der Erbfolger Karl Theodor – aus der Neuburger Nebenlinie Pfalz-Sulzbach – 1777 / 78 schließlich auch Kurbayern erbte und den Hauptteil seiner stattlichen Mannheimer Hofbibliothek nach München mitbrachte.

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Trotz dieser ›Wanderschaft‹ der Pfalz-Neuburger Hofbibliothek war immer noch ein ansehnlicher Teil – unter anderem von Inkunabeln – in Neuburg selbst verblieben. Dieser Bestand konnte 1803 ebenso in die neu gegründete Provinzialbibliothek aufgenommen werden wie die Bücherschätze aus den säkularisierten Klöstern Kaisheim und Obermedlingen. Aus diesen Klöstern wurde auch das kunstvolle Bibliotheksgestühl nach Neuburg transferiert, wo ein repräsentativer Barockbau der Marianischen Jesuitenkongregation zum Bibliotheksgebäude umfunktioniert wurde.

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1822 konnte auch die Bibliothek des ehemaligen Jesuitenkollegs Neuburg integriert werden, welche zwischenzeitlich die örtliche Malteserballei übernommen hatte. In der Jesuitenbibliothek waren wiederum verschiedene protestantische Bibliotheken nach der Rekatholisierung Neuburgs ab 1614 aufgegangen, unter anderem die Bibliothek der evangelischen Landesschule in Lauingen, für die Pfalzgraf Philipp Ludwig auch die Bibliothek des Hieronymus Wolf gekauft hatte.

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Entstehungsgeschichte
und Büchersammlungen

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Die Entstehungsgeschichte der Provinzialbibliothek Neuburg hat Reinhard H. Seitz in diesem Buch sorgfältig erforscht (S. 1–52). Er widmet sich eingehend der Geschichte des Gebäudes, der Gründung der Bibliothek und ihrer Entwicklung bis heute. Hier wird am konkreten Beispiel Neuburg sehr schön sichtbar, wie die großen politischen Umwälzungen in Bayern an der Wende zum 19. Jahrhundert, die Säkularisation und die Reorganisation der Verwaltung mit der Schaffung von Provinzen vor Ort umgesetzt wurden.

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In den weiteren Beiträgen werden die bedeutendsten Neuburger Büchersammlungen und ihre Geschichte dargestellt: Franz Jürgen Götz präsentiert die mittelalterlichen Bücherschätze des Zisterzienserklosters Kaisheim, die in der Säkularisation der Provinzialbibliothek Neuburg zugefallen sind (S. 55–79). Helmut Zäh behandelt die ›Bibliotheca Wolfiana‹, eine Büchersammlung des bedeutenden Gelehrten und Humanisten Hieronymus Wolf (1516 – 1580). Ihr Verkauf an Pfalzgraf Philipp Ludwig wird in diesem Beitrag erstmals konkret dokumentiert (S. 105–135). Bettina Wagner zeigt anhand von ausgewählten Beispielen die Bedeutung der Wiegendrucke aus der Provinzialbibliothek für die Inkunabelforschung auf (S. 81–103). Gemeinsam mit Armin Schlechter stellt sie ebenfalls die berühmten Prachteinbände des Pfalzgrafen Ottheinrich vor (S. 137–154). Abschließend erinnert Armin Schlechter an Drucke aus der Neuburger Hofbibliothek, die sich heute in der Universitätsbibliothek Heidelberg befinden (S. 155–180).

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Nicht nur eine
Lokalgeschichte

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Das Verdienst des vorliegenden Aufsatzbandes ist neben der Würdigung des 200-jährigen Jubiläums der Neuburger Provinzialbibliothek vor allem in der erstmaligen Gesamtdarstellung deren Geschichte in Buchform zu sehen, die jedoch nichts weniger als eine Lokalgeschichte ist. Vielmehr sind mit ihr wesentliche Aspekte der Bibliotheksgeschichte verknüpft, etwa die Erforschung von Inkunabeln, von Bucheinbänden, von Humanistenbibliotheken und nicht zuletzt der Säkularisation. Hierzu werden weitere interessante Perspektiven und neue Details geboten. Neben der Einbindung bisher nicht berücksichtigter Quellen gelingt dies den Autoren methodisch vor allem durch die präzise Beschreibung der Bestände und ihrer Geschichte.

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Aus der Reihe herausragender Beispiele seien hier nur einige genannt: Das erste gedruckte deutschsprachige Kochbuch, die Küchenmeisterei, in einer Ausgabe, von der nur das Neuburger Exemplar erhalten geblieben ist; ein Konstanzer Brevier von 1493, das überhaupt nur durch einen Neuburger Einblattdruck bekannt ist, und die für die Forschung wertvolle Inkunabel des Schatzbehalter der wahren Reichtümer des Heils, die von Ottheinrich über das Jesuitenkolleg Neuburg in die Provinzialbibliothek kam (Wagner). Eine reiche Fundquelle mit zahlreichen handschriftlichen Eintragungen aus der Ottheinrich-Zeit ist auch der astronomisch-astrologische Sammelband von Hans Kilian, der sich heute in Heidelberg befindet (Schlechter). Verstreut auf die Bibliotheken Neuburg, München, Heidelberg und andere sind heute auch die zahlreichen Prachteinbände von Ottheinrich und von Karl Theodor.

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Über den Verbleib dieser Schätze gibt der von Bettina Wagner herausgegebene Sammelband einen sehr guten Überblick. Die erhaltenen Exemplare und Einbände werden genau quantifiziert und beschrieben. So erhalten Wissenschaftler verlässliche Grundlagen für weitere Nachforschungen. Der interessierte Leser bekommt durch die Schilderungen und durch die vielen qualitativ hochwertigen Farbbilder eine sehr lebendige Vorstellung von den behandelten Bücherschätzen und ihrer wechselvollen Geschichte sowie vom Gebäude der Neuburger Provinzialbibliothek (Bildteil S. 53 ff. mit Fotos von Friedrich Kaeß). Insgesamt ist dieses Buch beiden, dem interessierten Leser wie dem Forscher wärmstens zu empfehlen.