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Lohensteins Römische Trauerspiele in mustergültiger Edition

Die ersten Teilbände der historisch-kritischen Lohenstein-Ausgabe liegen vor

  • Lothar Mundt (Hg.): Daniel Casper von Lohenstein: Sämtliche Werke. Agrippina. Epicharis. 2 Bände. Band. 1: Text, Band 2: Kommentar. (Daniel Casper von Lohenstein: Sämtliche Werke. Hg. von Lothar Mundt, Wolfgang Neuber, Thomas Rahn Abteilung II: Dramen. Bd. 2.) Berlin / New York: Walter de Gruyter 2005. XVI, 870 S. 16 Abb. Leinen. EUR (D) 278,00.
    ISBN: 3-11-018156-8.
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Ein Unternehmen mit Vorgeschichte

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Mit Agrippina (1665) und Epicharis (1665) liegen nach langer Vorlaufzeit nun die beiden Römischen Trauerspiele Daniel Casper von Lohensteins in einer historisch-kritischen Edition vor. Das Erscheinen war aus mehreren Gründen ein dringendes Desiderat: Zum einen gab es von beiden Texten – anders als im Falle der Cleopatra und der Sophonisbe – derzeit keine auf dem Markt verfügbare Ausgabe, 1 zum anderen sind gerade die ›Nero‹-Dramen von besonderem interdisziplinärem Interesse, hält sich Lohenstein bei der szenischen Umsetzung der Ermordung Agrippinas durch ihren Sohn Nero (59 n. Chr.) und der Aufdeckung der ›Pisonischen Verschwörung‹ mit dem erzwungenen Freitod Senecas (65 n. Chr.) eng an die bereits ›dramatisch‹ strukturierte Darstellung in den Annalen des römischen Historikers Tacitus. 2 Literatur-, kultur- und sozialhistorisch können die beiden Dramen im Zusammenhang mit dem ›Tacitismus‹ des 17. Jahrhunderts interpretiert werden. 3

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Dass diese beiden Theaterstücke nun vorliegen und weitere Bände wohl in absehbarer Zeit folgen werden, ist den Bemühungen Lothar Mundts zu verdanken. Dieser hatte nach dem Tode Gerhard Spellerbergs (1937–1996), der eine Teilausgabe der Werke Lohensteins (ursprünglich als Studienausgabe für den Deutschen Klassiker Verlag vorgesehen) nicht vollenden konnte, dessen wissenschaftlichen Nachlass ausgewertet und dokumentiert in seinem Vorwort (S. IX-XVI) nun mit penibler Redlichkeit das Ausmaß der Vorarbeiten, auf die er seit der Übernahme des Projektes im Jahre 1998 zurückgreifen konnte. Es wird klar (vgl. S. XIII f.), dass Mundts Hauptaufgaben – abgesehen von der Konstitution des Textes nach den Maßgaben einer historisch-kritischen Ausgabe – in der Erarbeitung des Stellenkommentars, der bibliographischen Erschließung von Lohensteins »Anmerckungen« (Selbstkommentaren) und in der Anfertigung von Übersetzungen der in letzteren enthaltenen fremdsprachigen Zitate lagen. Auf diese Leistungen ist in vorliegender Rezension ein Hauptaugenmerk zu richten.

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Editorische Grundsätze

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Die der Texteinrichtung zugrunde liegenden Kriterien sind, wie bei einem Mitarbeiter der Berliner »Forschungsstelle für Mittlere Deutsche Literatur« nicht anders zu erwarten, überzeugend oder zumindest nachvollziehbar. 4 Bei der Konstitution der Dramentexte folgte der Herausgeber konsequent den beiden von Lohenstein autorisierten Erstdrucken von 1665. Spätere Drucke wurden herangezogen, sofern sie »Hinweise für eine plausible Emendation solcher Stellen geben konnten, bei denen eindeutig eine Textverderbnis vorlag, die ein Eingreifen des Herausgebers erforderte« (S. 590 f.). Die deutliche Vorrangstellung des jeweiligen Erstdrucks (Sigle A) führte dazu, dass der kritische Apparat am Seitenende jeweils zweigeteilt wurde: in Emendationen und Konjekturen einerseits und abweichende Lesarten der späteren Drucke (B, C, D) andererseits. 5 An diese Gepflogenheit gewöhnt sich der Leser ähnlich schnell wie an das in Antiqua ungewöhnliche Schaft-s (ſ) oder die historischen Umlautkennzeichnungen mit übergeschriebenem e. Im Übrigen wurden Abkürzungen und Ligaturen aufgelöst und starke typographische Vereinheitlichungen vorgenommen. 6 – Die Frage, ob man die in Lohensteins Text durchweg fehlenden Regieanweisungen (z.B. Auftritte von Personen während der Szene, entscheidende Handlungselemente wie Folter oder Selbstmord) sparsam hätte ergänzen sollen, sei zumindest aufgeworfen.

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Der Kommentar: formale Aspekte

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Wie in der Barockzeit üblich, hat auch Lohenstein allen seinen Dramen (mit Ausnahme des Jugendwerks Ibrahim Bassa) einen umfangreichen Anmerkungsapparat beigegeben, in dem er zu einzelnen Lemmata, die durch Versziffern gekennzeichnet sind, historische und antiquarische Erläuterungen vornimmt. Diese »Anmerckungen« erwiesen sich nach dem Urteil des Herausgebers insofern als erklärungsbedürftig, als sie oft unvollständige oder ungenaue Quellennachweise enthalten und außerdem die fast durchgehend lateinischen Belegstellen für den Benutzer übersetzt werden sollten. Mundt entschied sich für die plausible Lösung, diese notwendigen Erschließungshilfen nicht etwa in den Kommentarband (= Teilband 2) zu verlegen, 7 sondern sie synoptisch den – ungefähr gleich viel Platz beanspruchenden –»Anmerckungen« gegenüberzustellen:

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Unsere Ausgabe bietet zum erstenmal, in Paralleldruck, Übersetzungen und präzise, durchweg auf Autopsie beruhende Nachweise für alle von Lohenstein beigebrachten Zitate und sonstigen Literaturangaben. (S. 595)
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Für den Benutzer bietet dieses Verfahren ein größeres Maß an Übersichtlichkeit. Er muss nun zwar bei kontinuierlichem Studium des Textes gleich an drei Stellen nach Informationen suchen (»Anmerckungen« Lohensteins, Erläuterungen dazu jeweils gegenüber, Erläuterungen des Herausgebers zum Text im Kommentarband), doch kann man dem Herausgeber darin zustimmen, dass ihm bei allem Aufwand, nicht zuletzt im Bereich der Querverweise, der Grundsatz »Benutzerökonomie geht vor Herstellerökonomie« (S. 631 f.) leitend gewesen ist.

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Der Kommentar: sachliche Aspekte

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Zu diskutieren ist hingegen die inhaltliche Ausgestaltung des Kommentars. Mundt versucht nach eigenem Bekunden »schlechthin alles anzubieten, was der Benutzer einer historisch-kritischen Ausgabe von Werken der Frühen Neuzeit an Erläuterungen und Verständnishilfen erwarten darf« (S. 630), und nennt dabei u.a. sprachliche und sachliche Erklärungen, Nachweise von Quellen und Parallelstellen sowie die Diskussion textkritischer Probleme. Hinsichtlich des heiklen »Verhältnisses von Interpretation und Kommentar« (ebd.) trägt er eine Reihe nützlicher Erwägungen vor und kommt zu dem Schluss, dass der Kommentar, im Gegensatz zur Abhandlung, »nur eine durch Lemmatisierung vorgegebene Summation von Einzelstelleninterpretationen liefern« (ebd.) darf.

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Diese Beschränkung hätte jedoch Raum gelassen zumindest für die Dokumentation der Forschung zu einzelnen problematischen Textpassagen. Dazu zwei Beispiele: 1. Zum dritten Reyen der Agrippina (S. 102–105) gibt Mundt eine vergleichende Erläuterung des bei Tacitus geschilderten und bei Lohenstein im Medium der Teichoskopie imaginierten Mordversuchs an Agrippina im Anschluss an die o.g. Studie von Asmuth (S. 679 f.). Hingegen äußert er sich nicht zur möglichen Deutung des – singulären – Auftretens von Berg- und Meernymphen, obwohl etwa in der wichtigen Monographie von Adalbert Wichert ein anregender Interpretationsversuch dazu vorliegt. 8 2. Unter den zahlreichen Fällen markierter Intertextualität in den beiden Dramen sticht der auffällige Verweis auf Senecas als Fürstenspiegel angelegten Traktat De clementia am Ende der Epicharis hervor, als nach dem erzwungenen Selbstmord des Philosophen der Günstling Tigillinus zynisch vermerkt: »Von Nerons Gütte wird die Nachwelt ein gantz Buch / Durchleſen« (S. 465). 9 Mundt geht weder im Kommentar zu dieser Stelle noch zu anderen, an denen auf De clementia verwiesen wird, auf die spezifische referentielle Funktion dieses Prätextes ein. Auch ohne der subtilen Analyse von Stefanie Arend zu folgen, die die auffällige Verteilung von De clementia-Bezügen (bzw. deren Fehlen) im Drama diskutiert, 10 hätte ein Kommentator sich mit solcherlei besonderen Intertextualitätsphänomenen – gerade angesichts einer ambitionierten Aufarbeitung von Lohensteins Selbstkommentaren (s.u.) – auseinandersetzen sollen. Dass zu so berühmten Passagen wie der Inzestszene in der Agrippina (S. 88–93; Selbstkommentar S. 208–211) 11 oder Senecas Sterbeszene in der Epicharis (S. 443–455; Selbstkommentar S. 540–545) keine Interpretationsansätze oder Verweise auf literaturwissenschaftliche Forschungen gegeben werden, sei nur am Rande vermerkt. 12

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Ein wenig enttäuscht ist der Benutzer auch von den allgemeinen Hinweisen zur Anlage von Lohensteins Selbstkommentar (S. 595–602). Mundt äußert sich hier insbesondere über Lohensteins Zitierweise (Benutzung von Originalquellen vs. Kompendien, obskure Angaben) und die daraus erfolgenden textkritischen Probleme für den Herausgeber, hingegen werden die funktionalen Aspekte der »Anmerckungen« nicht thematisiert. Dies ist schade, denn die zeitgleich mit der Edition erschienene Monographie von Dirk Niefanger über das frühneuzeitliche Geschichtsdrama nimmt in anregenden Überlegungen, aber mit – naturgemäß – geringerer Textkenntnis zu den einschlägigen Fragen Stellung. 13 Ob die Selbstkommentare Lohensteins lediglich ein antiquarisches Interesse der Leser bedienen sollen oder ob der imponierende Anmerkungsapparat im Sinne eines »pluralen Geschichtsdiskurs[es]« 14 eine Vielzahl von Stimmen imaginiert und letztlich »auch Grundsätze der dem Drama zugrundeliegenden Geschichtstheorie plausibel machen und die dargestellte Historie mit der Präsentation von historiographischen Varianten in ihrer Absolutheit relativieren« 15 will – dies zu belegen erfordert eine Vertrautheit mit Lohensteins Arbeitsweise, wie sie in prominenter Weise der Herausgeber und Kommentator besitzt. 16 Er hätte seine diesbezüglichen Einsichten wenigstens thesenhaft vortragen sollen.

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Im Übrigen sei vermerkt, dass der Kommentar hinsichtlich sachlicher und sprachlicher Detailerläuterungen wie auch beim Nachweis von Quellen und Parallelstellen kaum einen Wunsch offen lässt. 17 Die Übersetzungen der lateinischen Texte sind gut lesbar und erscheinen – soweit eine Nachprüfung möglich war – korrekt. Die bibliographischen Recherchen sind gründlich durchgeführt, das Beharren auf die zeitaufwendige Autopsie der Quellen (s.o.) ist positiv hervorzuheben. Schließlich wird der Frühneuzeitforscher – der ja nicht immer zugleich mit allen Feinheiten der frühneuhochdeutschen Sprache vertraut ist – mit leichtem Aufatmen zur Kenntnis nehmen, dass der strenge Herausgeber mit seinen Erläuterungen »sich nicht ganz außerhalb des Horizontes etwa eines überdurchschnittlich belesenen, motivierten und lernwilligen Studenten bewegt« (S. 632).

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Eine Fülle von Beigaben

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Die beiden Teilbände enthalten eine Anzahl von Beigaben und Anhängen, die das Grundgerüst von Text, Übersetzung (der lateinischen Quellen in den »Anmerckungen«) und Kommentar ergänzen und die Arbeit mit Lohensteins »Römischen Trauerspielen« erheblich erleichtern bzw. manche Forschungsprojekte erst ermöglichen. Der Edition sind zunächst zahlreiche Abbildungen hinzugefügt, u.a. sämtliche Titelkupfer der Erstausgaben von 1665. Des Weiteren sind die Szenare der Breslauer Schulaufführungen von 1666 abgedruckt (S. 555–569). 18

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Der ausführliche Editionsbericht enthält neben den schon erwähnten Abschnitten einen detaillierten Abriss der Überlieferungsgeschichte nebst Beschreibung der Drucke von 1665, 1685, 1701 und 1724 (S. 573–589). Den Kommentarband eröffnet eine kurze Abhandlung »Zur Nero-Dramatik in der Frühen Neuzeit« (S. 615–627), die im wesentlichen genaue Paraphrasen und Strukturanalysen derjenigen Dramen und Prosaschriften gibt, die vor Lohensteins »Römischen Trauerspielen« erschienen sind bzw. die er nachweislich für Agrippina und Epicharis verwendet hat. Die sich aus dem Textvergleich ergebende Feststellung, dass »Lohenstein der erste Dramatiker war, der die Gestalt der Epicharis in das Zentrum eines Stückes gestellt hat« (S. 627), bestätigt die Forschung, die in der bis zum Schluss Widerstand leistenden Frauengestalt eine Kontrastfigur zu den anderen Protagonisten des Stückes, Piso und vor allem Seneca, gesehen hat und aus dieser Personenkonstellation Argumente für die jeweilige Interpretation entnimmt. 19

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Im Anhang des Kommentarbandes findet sich zunächst ein äußerst instruktives »Alphabetisches Autoren- und Werkverzeichnis zu Lohensteins Anmerkungen« (S. 806–852). Da Mundt nicht nur die von Lohenstein explizit zitierten (und nachweislich von ihm benutzten) Werke nachweist, sondern auch Autoren und Werke innerhalb zitierter Passagen und von ihm selbst erschlossene Quellen, bietet das Verzeichnis einen ausgezeichneten Einblick in die ›Werkstatt‹ eines gelehrten Barockautors. So gewinnt der Benutzer nicht nur eine rasche Übersicht über die Zitate aus Tacitus, Seneca und anderen antiken Autoren, sondern er kann auch Lohensteins Benutzung von Handbüchern wie den noch ›druckfrischen‹ Annalen-Kommentaren (erschienen 1661/62) von Christoph Forstner (S. 820) 20 oder einzelnen Schriften des Neustoizisten Justus Lipsius (S. 829), des Polyhistors Athanasius Kircher (S. 827), aber auch französischer und italienischer Autoren genau rekonstruieren. Ein gründliches Verzeichnis der einschlägigen Literatur zu Lohenstein und seinen Römischen Trauerspielen (S. 853–870) rundet die gelungene, benutzerfreundliche und zu weiteren Forschungen anregende Edition ab.

 
 

Anmerkungen

Freilich kann die im Entstehen befindliche kritische Edition wegen des stolzen Ladenpreises von 278 € pro Band nicht mit den Reclam-Ausgaben der beiden genannten Dramen verglichen werden, die Römischen Trauerspiele werden also nach wie vor als Textgrundlagen für Seminarveranstaltungen kaum in Frage kommen.   zurück
Vgl. hierzu die nach wie vor grundlegende Studie von Bernhard Asmuth: Lohenstein und Tacitus. Eine quellenkritische Interpretation der Nero-Tragödien und des »Arminius«-Romans. Stuttgart 1971 (= Germanistische Abhandlungen 36).   zurück
Nachzutragen wäre in Mundts ergiebiger Bibliographie (s.u.) die wichtige rezeptionsgeschichtliche Studie von Else-Lilly Etter: Tacitus in der Geistesgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts. Basel / Stuttgart 1966 (= Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 103). Zum Tacitismus vgl. außerdem mehrere Abhandlungen von Wilhelm Kühlmann, u.a. Geschichte als Gegenwart. Formen der politischen Reflexion im deutschen Tacitismus des 17. Jahrhunderts, in: Res Publica Litteraria. Institutionen der Gelehrsamkeit in der frühen Neuzeit, hrsg. von Sebastian Neumeister und Conrad Wiedemann. Wiesbaden 1987 (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 14), Bd. 1, S. 325–348.   zurück
Vgl. S. 863 f. die Nachweise der editionswissenschaftlichen Abhandlungen von Spellerberg und Jane O. Newman, an denen sich der Herausgeber orientierte.   zurück
Als Beispiel sei der Apparat auf S. 312 angeführt. Im oberen Abschnitt findet sich das Lemma »vor 627 Fenius] Flenius AB Fenius CD«; hier wurde also die Variante eines späteren Druckes übernommen; zur historischen Figur des F(a)enius Rufus vgl. Kommentar, S. 711. Im unteren Abschnitt folgt die Angabe einer nicht übernommenen Variante: »647 Vorwerg] Vorwerck CD«.   zurück
Einzelheiten sind S. 590–594 erläutert in Auseinandersetzung mit der bisher gebräuchlichen kritischen Ausgabe der Römischen Trauerspiele, hrsg. von Klaus Günther Just. Stuttgart 1955 (= Bibliothek des Literarischen Vereins 293).   zurück
Hier sind nur, S. 704 f. und S. 805, einige ganz wenige sachliche und sprachliche Hinweise zu den »Anmerckungen« angefügt.   zurück
Adalbert Wichert: Literatur, Rhetorik und Jurisprudenz im 17. Jahrhundert. Daniel Casper von Lohenstein und sein Werk. Eine exemplarische Studie. Tübingen 1991 (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 32), hier S. 76. Wichert geht knapp, aber prägnant auf die Passage ein, in der
die Natur, vertreten durch die Berg- und Meergöttinnen, in die Handlung eingreift, um als naturrechtliche Richterin die Unnatur des Muttermörders Nero bloßzulegen, zumal er sich obendrein heuchlerisch naturrechtlicher Argumentationen bedient und seinen Mordanschlag als Naturgeschehen auszugeben versucht.
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Dazu bemerkt Lohenstein selbst in den »Anmerckungen«: »Eben Seneca hat ſeine Bücher de Clementia an den Nero geſchrieben / und ihn darinnen fürtreflich heraus geſtrichen« (S. 548).   zurück
10 
Stefanie Arend: Rastlose Weltgestaltung. Senecaische Kulturkritik in den Tragödien Gryphius’ und Lohensteins. Tübingen 2003 (= Frühe Neuzeit 81), S. 306–316; vgl. schon S. 237–300 zur Rezeption von De clementia in der Agrippina. Mundt hat diese ein Jahr vor Abschluss seines Manuskripts erschienene Studie noch rezipiert.   zurück
11 
Hierzu vgl. die wichtige Monographie von Reinhart Meyer-Kalkus: Wollust und Grausamkeit. Affektenlehre und Affektdarstellung in Lohensteins Dramatik am Beispiel von »Agrippina«. Göttingen 1986 (= Palaestra 279), S. 163–172, wo die Inzestszene unter »affektstrategischen« Gesichtspunkten ausführlich behandelt wird. Meyer-Kalkus bietet auch weitere exemplarische Studien zu einzelnen Passagen der Agrippina, so etwa S. 118–125 zur »Pathosrede« der Octavia im ersten Akt (S. 36 f. der Ausgabe).   zurück
12 
Geläufigere kultur- und literarhistorische Befunde im Kommentar abzuhandeln, hätte wohl Mundts Konzept einer historisch-kritischen Ausgabe (im Gegensatz zur »Studienausgabe«, vgl. S. 632) widersprochen. Es seien dennoch exemplarisch zwei Stellen genannt, an denen solche ›einfachen‹ Erläuterungen wünschenswert gewesen wären: 1. Im Zusammenhang mit dem Auftreten von Geistern in der Agrippina (Britannicus: S. 106–108; Agrippina: S. 146–148) wäre auf die möglichen Funktionen der (Rache)geister im barocken Drama (vgl. den Typus der revenge tragedy in England) hinzuweisen gewesen. Immerhin findet sich bei Agrippina der Sonderfall, dass der Geist eines Ermordeten nicht eine dritte Person zur Rache auffordert, sondern den Mörder direkt in den Selbstmord treibt (S. 148: »[…] Wenn auf dem mir geweyhten Rach=Altare / Dein Arm der Priſter wird / dein Leib das Opffer ſeyn.«). 2. An der einen oder anderen Stelle (z.B. zu Senecas Ausspruch im 5. Akt der Epicharis, S. 437: »Kein Recht vergönnt mir mich am Nero zu vergreiffen.«) hätte man auf die frühneuzeitliche Diskussion um das Recht auf Widerstand gegen einen Tyrannen hinweisen können.   zurück
13 
Dirk Niefanger: Geschichtsdrama der Frühen Neuzeit 1495–1773. Tübingen 2005 (= Studien zur deutschen Literatur 174), S. 197–205.   zurück
14 
Ebd., S. 197.   zurück
15 
Ebd., S. 203.   zurück
16 
Vgl. nochmals Niefanger (wie Anm. 13), der ein seine Argumentation stützendes Beispiel mit der relativierenden Notiz einleitet: »Die vielstimmige Anmerkung ist nicht der Regelfall« (S. 200). Hier zeigt sich das Desiderat einer textsortenspezifischen und funktionalen Gruppierung der Lemmata – wohl nicht nur im Falle von Lohensteins Dramen.   zurück
17 
Ein Beispiel für die Gründlichkeit von Mundts Recherchen: Lohenstein zitiert (S. 218) eine Passage aus Lipsius’ Traktat De constantia, wo es am Ende heißt: »Quin Varro ecce apud Auguſtinum clamat & aſſerit, ſtellam Veneris, quam Plautus Veſperuginem, Homerus έσπερον appellat, colorem mutaſſe, magnitudinem, figuram, curſum.« Zu dieser Stelle weist Mundt (S. 219) nicht nur das Augustin-Zitat nach, sondern auch das Varro-Fragment sowie die von Varro alludierten Passagen aus Plautus und Homer.   zurück
18 
Vollständige Faksimileabdrucke dieser Szenare finden sich in: Das Breslauer Schultheater im 17. und 18. Jahrhundert. Einladungsschriften zu den Schulactus und Szenare zu den Aufführungen förmlicher Comödien an den protestantischen Gymnasien. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Konrad Gajek. Tübingen 1994 (= Rara ex bibliothecis Silesiis 1), S. 233–240; zur Lohenstein-Rezeption am Breslauer Theater vgl. ebd., S. 36, 65.    zurück
19 
Konziser Forschungsüberblick bei Arend (wie Anm. 10), S. 300–305.   zurück
20 
Zu ihm vgl. Etter (wie Anm. 3), S. 162–166, 185–187.   zurück