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Die Entdeckung des Längstbekannten

oder Romantik als Subversion

  • Volker Kapp u.a. (Hg.): Subversive Romantik. (Schriften zur Literaturwissenschaft 24) Berlin: Duncker & Humblot 2004. 503 S. Kartoniert. EUR (D) 98,00.
    ISBN: 3-428-11440-X.
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Der vorliegende voluminöse Sammelband geht zu etwa einem Drittel auf eine Tagung der Görres-Gesellschaft im September 2000 in Eichstätt zurück. Für die Publikation wurden Zahl und Umfang der Beiträge erheblich erweitert. Wegen ihrer Heterogenität fügen sich Sammelbände bekanntermaßen nicht eben leicht einer Rezension. Das gilt zumal für einen Band, der knapp zwei Dutzend recht umfangreicher Aufsätze auf insgesamt 500 eng bedruckten Seiten vereint. Zudem betreffen sie unterschiedliche Nationalphilologien: Neben der angloamerikanischen, der französischen und deutschen kommen auch die spanische, italienische, polnische und bulgarische Romantik in den Blick. Es liegt in der Natur der Sache, dass eine Rezension nicht allen Beiträgen gleichermaßen gerecht werden kann. Eine nützliche Orientierungshilfe des Rezensenten stellen die Ansprüche dar, die einer der Herausgeber, Klaus Lubbers, in der Einleitung als gemeinsamen Rahmen der Aufsätze formuliert.

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Die Einleitung: Imponierrhetorik und
falsche Einschätzungen

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Der Leitbegriff der Subversion soll in diesem Sammelband auf drei Aspekte hin befragt werden. Erstens sollen die »lebensweltlichen Kontexte« (S. 11) romantischer Literatur stärker berücksichtigt werden. Zweitens soll eine komparatistische Breite der Fragestellung und drittens eine medientheoretische Reflexion auf Bild-Text-Relationen gewährleistet sein. Diese Aspekte sind gewiss bestens gewählt und entsprechend chancenreich. Der Verfasser der Einleitung wäre allerdings gut beraten gewesen, es bei der Formulierung dieser Aspekte zu belassen. Aus dem Legitimationsdruck heraus, für dieses Projekt eine Bresche schlagen zu müssen und seine Innovationsleistung und Originalität zu behaupten, holt er zu einem kritischen Rundumschlag gegen die gesamte bisherige Romantikforschung aus.

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Wer wollte etwa den hier vorgeschlagenen Definitionsversuchen einer subversiven Romantik widersprechen? Wer wollte das »grenzüberschreitende Potential der vielbeschworenen Einbildungskraft oder Phantasie oder Imagination« (S. 19) bestreiten? Auch die »Durchkreuzung des politischen, sozialen, sittlichen, religiösen, patriarchalischen Ordnungsgefüges« (ebd.) wird man kaum bezweifeln wollen. Nur sind diese Einsichten ja nicht eben neu. Anstatt dies aber mit einiger Bescheidenheit einzuräumen, wird die bisherige Romantikforschung fast vollständig abgekanzelt. Klaus Lubbers’ behauptete Originalität des Projekts »Subversive Romantik« basiert auf völlig abwegigen Einschätzungen. So ist er der Meinung, das »Konzept der Subversion« komme innerhalb der Romantikforschung »ausschließlich, und gleich zweimal, im Kontext feministischer Perspektiven« (S. 12) vor. Diese Einschätzung ist falsch. Seit der Wiederentdeckung von Walter Benjamins Dissertation, seit den frühen Schriften Michel Foucaults und den zahlreichen Schriften Karl Heinz Bohrers – um nur diese wenigen aus einer langen Reihe zu nennen – spielt gerade der Begriff der ›Subversion‹ eine zentrale Rolle in der literaturwissenschaftlichen Romantikforschung.

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Anstatt dies zur Kenntnis zu nehmen, findet Lubbers in der Forschung »wenig Brauchbares« (S. 12) und konstatiert insgesamt ein »emsiges Stagnieren«: »Insgesamt jedoch vermittelt die Betrachtung der internationalen Romantikforschung der beiden letzten Jahrzehnte den Eindruck emsigen Stagnierens« (S. 12).

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En passant wird noch Volker Bohns Sammelband Romantik: Literatur und Philosophie (Frankfurt/M.1987), der u.a. immerhin einen sehr wichtigen Beitrag von Maurice Blanchot enthält, das Etikett einer wenig aufregenden »lupenreine[n] Buchbindersynthese« (S. 13) verliehen. Ähnlich abwegig ist die Meinung, die Erforschung der Bild-Text-Relationen in der Romantik befände sich noch in den Kinderschuhen und seien im Ergebnis »nicht universitätsfähig« (S. 12). Erstens sind die wissenschaftlichen Publikationen zur Reflexion von Bild-Text-Verhältnissen sowohl in allgemeiner theoretischer wie spezifisch auf die Romantik bezogener Hinsicht in den letzten 10 bis 15 Jahren kaum mehr zu zählen; zweitens haben sie ein Niveau erreicht, das dem hier vorgelegten Band gewiss nicht nachsteht. Lubbers (wie zahlreiche Beiträger des Bandes) nimmt aber weder die Ergebnisse der philosophischen oder kunstwissenschaftlichen ›Bildwissenschaft‹ noch die literaturwissenschaftlichen Untersuchungen zu Bild-Text-Konvergenzen bzw
-Differenzen (etwa die Arbeiten von Gerhard Neumann, Günter Oesterle und vielen anderen) überhaupt zur Kenntnis.

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In einem Punkt allerdings kann man der einleitenden Imponierrhetorik von Lubbers zustimmen: Das komparatistische Profil der Romantikforschung lässt immer noch zu wünschen übrig. Wenn er jedoch mit dem Anspruch auftritt, »die narzisstische Beschäftigung mit dem Eigenen« (S. 13) in diesem Sammelband zu überwinden, dann muss er sich die Frage gefallen lassen, ob er gut damit beraten war, die einzelnen Beiträge streng nach nationalphilologischen Kriterien zu ordnen und zu begrenzen. Und vielleicht wäre es nicht einmal so schlimm, nach Anglistik/Amerikanistik, Romanistik, Germanistik und Slavistik zu gliedern, wenn die einzelnen Beiträge wenigstens häufiger über den Tellerrand ihrer Nationalphilologie schauten. Genau das unterbleibt allerdings in den allermeisten Fällen. Lediglich Susanne Schmid gewinnt ihre Einsichten zu den Salons der englischen Romantik in Abgrenzung zur deutschen Salonkultur, und Monika Ficks Beitrag zur Ästhetik des Hässlichen ist einer explizit komparatistischen Perspektive verpflichtet.

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Für sich genommen stellen zahlreiche Beiträge des Bandes einen Zugewinn für die Romantikforschung dar, nur darf man sie nicht an den überzogenen Ansprüchen der Einleitung messen; und, was vielleicht noch schwerer wiegt: Der Bezug auf die rahmende Kategorie der Subversion kommt häufig nicht über einen metaphorischen Gebrauch hinaus.

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Die anglistisch-amerikanistischen Beiträge

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In einem sehr informativen Aufsatz behandeln Klaus Lubbers und Patricia Plummer die Funktionen von Raum- und Zeitstrukturen in der amerikanischen Romantik. Zentral geht es dabei, in einem plausibel entwickelten Phasenmodell, um die utopische Öffnung des Raums nach Westen und seine skeptische Schließung mit den ersten Gegenrechnungen über die koloniale Vernichtung der ursprünglichen Bewohner und der Natur. Diese skeptische Schließung wird in einer beeindruckenden Analyse von Poes The Masque of the Red Death sowie an den weiblichen ›Subversionen‹ der männlichen imperialen Raummodelle bei außerhalb der Amerikanistik weniger bekannten Autorinnen belegt: Lydia Huntley Sigourney, Lydia Maria Child und Margaret Fuller. Herausgestellt wird in diesem Beitrag auch die starke politische Eingebundenheit der amerikanischen Romantik: »Sie greift weit über selbstgenügsame Spiele literarischen und künstlerischen Imaginierens hinaus« (S. 50). In dem Maße allerdings, wie die »selbstgenügsamen Spiele« auf die deutsche Romantik gemünzt sind, muss in Erinnerung gerufen werden, wie sehr auch die deutsche Romantik politisch orientiert gewesen ist, zunächst im Hinblick auf die Französische Revolution, dann im Zuge der sogenannten Befreiungskriege.

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Stehen die Kategorien ›Subversion‹ und ›Romantik‹ in diesem umfangreichen Aufsatz noch im Zentrum, so spielen sie in den meisten der folgenden anglistischen bzw. amerikanistischen Beiträgen kaum eine Rolle. Herwig Friedl belegt in seiner Einlassung auf »Emerson und die Erosion der Metaphysik« nachdrücklich die antimetaphysische Intention Emersons. Er destilliert aus den späten Essays Power und Fate, publiziert 1860 in der Sammlung The Conduct of Life, eine Reihe von diskursiven Elementen, die traditionsbildend für die Metaphysikkritik Nietzsches, Deweys und Heideggers wurden: Machttheorie, Perspektivismus, Pluralismus, Ursprungslosigkeit etc. Der Zusammenhang mit einem Begriff der Romantik bleibt hier völlig unklar.

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Gleiches gilt für den Beitrag von Hubert Zapf: »Subversive Ästhetik: Struktur, Chaos und Selbstreferenz bei Edgar Allan Poe«. Sehr schön arbeitet Zapf die inverse Beziehung von klarem Textaufbau und symbolisch-allegorischer Überlagerung in Poes The Masque of the Red Death heraus (vgl. S. 80 f.), versäumt es dann aber, die Befunde seiner allegorischen Lektüre mit ähnlich gelagerten Textstrategien etwa bei E.T.A. Hoffmann zu vergleichen.

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In einer sehr detaillierten, intelligenten Interpretation von Johann Heinrich Füsslis The Nightmare – und einigen motivisch verwandten Bildern – arbeitet Annegret Friedrich gegen weite Teile der bisherigen Forschung ein »lesbisches Begehren« (S. 111) als ikonographisches Zentrum des Bildes heraus. Diese Sicht wird sehr überzeugend anhand von ›intertextuellen‹ – oder sagt man: ›interikonischen‹ – Bezügen, etwa zu Raffael, Marcantino Raimondi und Hendrick Goltzius (vgl. S. 120–124), belegt; nur: ein Zusammenhang mit der Romantik ist nicht ersichtlich.

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Das ist im Beitrag von Patricia Plummer zu Mary Shelleys Frankenstein grundlegend anders. Ihre Lektüre ist von Anfang an auf einen Begriff von Romantik ausgerichtet, der jedoch zu stark von dem sehr weit gespannten Romantikbegriff Mme de Staëls geprägt ist, der die Literatur der gesamten Goethezeit, beginnend mit dem Sturm und Drang, umfasst und wesentlich von Subjektivismus und Genieästhetik geprägt ist. Nur so kann Plummer zu der Einschätzung kommen, die Heterogenität und Materialschwere des Monsters eröffne eine geradezu »antiromantische Vision« (S. 145). Im Gegenteil: ein Blick auf Erzählungen von Hoffmann oder Achim von Arnim zeigt, dass die Schöpfung heterogener Geschöpfe und Doppelgänger (Golems, Automate etc.) eine eminent romantische Vision ist.

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Sehr nachvollziehbar dagegen ist die Engführung von Monster und Text: Das Monster wird zum allegorischen Selbstporträt des gesamten Textes: »Dies ist Mary Shelleys intertextuelles Programm: Wie Victor Frankenstein sein Geschöpf setzt auch sie ihr Werk aus Teilen zusammen. Die Materialien, die Frankenstein in Leichenhäusern, Schlachthöfen und auf Seziertischen zusammenklaubt, um sie in seiner schmutzigen Werkstatt [...] einer Wiederverwendung zuzuführen, finden ihre Entsprechung in den ›Zutaten‹ von Shelleys Allusionstechnik.« (S. 140) Dieses und die Tatsache, dass Frankensteins Geschöpf sofort nach seiner ›Geburt‹ »ein eifriger Leser ist« (S. 141), ist vielfältig mit der deutschen Romantik verknüpft. Gleiches gilt für Shelleys Kurzgeschichte The Mortal Immortal, die Plummer am Schluss ihres Beitrags im Hinblick auf ihre Traditionsbezüge zu Agrippa von Nettesheim untersucht. Auch im Hinblick auf esoterische Traditionsbildungen ergeben sich augenfällige Konvergenzen zur deutschen Romantik. Hier besteht nach wie vor komparatistischer Forschungsbedarf.

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In Ergänzung zu Plummers Beitrag konstatiert Susanne Schmid in ihrem bereits erwähnten Aufsatz »Lady Blessington und die Salons der englischen Romantik«, dass Shelleys Frankenstein ein »echtes Produkt von Salongeselligkeit« (S. 157) ist. Bekanntlich ist der Roman im Sommer 1816 aus einem Zusammentreffen von Byron, Percy Shelley, Mary Godwin, der späteren Mary Shelley, und dem Mediziner Polidori hervorgegangen. Zuzustimmen ist Schmid auch in der Unterscheidung von englischer und deutscher Salonkultur der Romantik: Wo die deutschen Salons gewissermaßen stehende Einrichtungen waren, kann man für England »von einer Art reisendem Salon sprechen« (S. 158). Die Kontrastierung von einer deutschen geselligen Romantik und einer englischen Romantik, die exklusiv das einsame Subjekt zelebriert (vgl. S. 154), ist in dieser Allgemeinheit gewiss nicht zutreffend. Zwar ist eine gewisse Gruppenbildung der deutschen Romantiker selbstverständlich nicht von der Hand zu weisen, das Einsamkeitsmotiv ist aber sowohl als Textphänomen wie als stilisierende Selbstbeschreibung der deutschen Romantiker geläufig.

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Die romanistischen Beiträge

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Heterogener noch als die anglistisch-amerikanistischen Beiträge gestalten sich die romanistischen. Einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt Volker Kapps Aufsatz »Die Unterminierung des Modellcharakters der griechisch-römischen Antike durch die französische und italienische Romantik«. So ist seine Einsicht, »dass die Romantik eine Subversion des Klassizismus darstellt« (S. 167), gewiss nicht sonderlich neu oder aufregend. Die enge Koppelung von Romantik und Erhabenheitspathos (vgl. S. 175) ist sogar insofern falsch, als für die Romantik gerade das heterogene Zusammenspiel von Erhabenheit und Ironie / Groteske charakteristisch ist. Sehr hilfreich und nachvollziehbar fallen dann aber die materialen Untersuchungen zur romanischen Ossian-Rezeption aus. Vor allem die radikalen Veränderungen der Illustrationen von Télémaque-Ausgaben im Zuge der romantischen Ossian-Rezeption sind einleuchtend für Kapps zentrale These. Sein Fazit lautet: »Sie bezeugen somit, wie leicht durch die Substitution analoger Bestandteile ein klassizistisches Werk in die konkurrierende Bildlichkeit übersetzt und somit die eine mit der anderen Tradition vertauscht werden kann« (S. 184). Dem kann man unbedingt zustimmen.

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Ein weiterer Beitrag ist der Funktion von Tod und Gedächtniskultur in Ugo Foscolos Dei Sepolcri gewidmet. Thomas Klinkert weist hier einerseits auf einen zeitgenössischen Kontext hin, andererseits stellt er den durch und durch poetologischen und das heißt auch: selbstreflexiven Grundzug von Foscolos sperrigem Gedicht heraus (vgl. S. 205 f.). Den kontextuellen Bezug des Gedichts bildet die nachrevolutionäre »Neuordnung des Begräbnisrituals« (S. 193) von 1804, die ab September 1806 auch in Italien rechtsgültig wurde. Klinkert liest Dei Sepolcri als Kritik dieses Dekrets, stärker aber noch als poetologischen Text, »der einerseits kulturelle Größe beschwört und zu politischem Handeln auffordert und andererseits die Ohnmacht der Dichtung angesichts realgeschichtlicher Entwicklungen sowie ihre konstitutive Gebundenheit an den Tod thematisiert« (S. 205).

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Ähnlich genau am Textmaterial entlang entwickelt Paul Geyer seinen Aufsatz über die romantische Utopie interkultureller Versöhnung und ihr Scheitern bei Chateaubriand. Anhand von René und Atala, Teile des geplanten Indianerepos Les Natchez, zeichnet Geyer den Spannungsbogen von Hoffnung, Scheitern und schließlichen »ennui« (S. 244) und Zerstörungsphantasien in den genannten Texten nach. Die Differenzen zwischen zivilisiertem, d.h. individualisiertem und in sich zerrissenem Subjekt und dem immer noch als edel gedachten ›Wilden‹ lässt sich nicht überbrücken. Was bleibt, ist Desillusion und Zerstörung. Problematisch erscheint es mir in Geyers ansonsten sehr gelungenem Beitrag, Romantik auf die Sehnsucht zu reduzieren, naiv zu werden oder sich in einem Prozess der Entdifferenzierung mit dem Naiven zu versöhnen. Nur wenn man den sehr weiten Romantikbegriff der Mme de Stael verwendet, kann man Schiller als Zerstörer des »romantischen Traums« (S. 209) bezeichnen, noch bevor dieser überhaupt geträumt wurde.

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In einem sehr informativen Aufsatz untersucht Dorothea Scholl die Auseinandersetzungen zwischen Klassizisten und Romantikern, wie sie sich etwa an der Inszenierung von Victor Hugos Ernani entzündeten (vgl. S. 262 f.). Sehr zu loben ist die Materialfülle des Beitrags, der elegante, von einer leichten Ironie durchzogene Stil, ja, und auch die Tatsache, dass Théophile Gautiers außerhalb der Romanistik zu wenig beachtete, unbedingt aber lesenswerte Histoire du romantisme in Erinnerung gerufen wird.

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Ebenso materialreich gibt sich der Beitrag von Susanne Schlünder zu Goyas Caprichos. Positiv hervorzuheben ist hier die in der Einleitung von Lubbers geforderte komparatistische Perspektive. Zu wesentlich neuen Einsichten führt das leider aber nicht. Die Feststellung, dass Goyas Bildwelt in der Tradition des Grotesken und des Manierismus Effekte der Karnevalisierung und Hybridisierung erzeugt, ist ebenso bekannt wie der Umstand, dass Goya damit den »Vernunftpostulaten des Klassizismus« (S. 282) widerspricht. Im Detail kommt Schlünder aber zu interessanten Ergebnissen; insbesondere die medientheoretische Perspektive auf die Spannung von Bild und Beschriftung ist instruktiv ausgeführt.

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Die germanistischen Beiträge

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Auch die sechs germanistischen Beiträge hinterlassen einen, vorsichtig gesagt, zwiespältigen Eindruck. In seinem Beitrag »Grenzauflösung: Die Urhandlung der deutschen Romantik« betont Michael Neumann das eigenständige reflexive Profil der Frühromantiker gegenüber Fichte und der Systemphilosophie des Deutschen Idealismus, um über die Kategorie der Grenzauflösung die Bedeutung der fragmentarischen Form-Ästhetik Friedrich Schlegels und Novalis’ für die spätere Romantik, vor allem für Brentano und Hoffmann, hervorzuheben. Es ist wichtig, beides immer wieder in Erinnerung zu rufen, neu ist es gleichwohl nicht.

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Einiges Erhellende zum Fragmentbegriff Schlegels und Novalis’ liefert der Aufsatz von Friedrich Strack. Sehr einleuchtend grenzt er ihn über seinen provisorischen und experimentellen Charakter vom eher geschlossenen Aphorismus ab. Sehr richtig ist auch neben Johann Georg Hamann auf die Bedeutung Chamforts für Schlegels Fragment-Stil hingewiesen. Die zahlreichen »Proportionalvergleiche« (S. 349) in Schlegels Fragmenten – z.B.: »Das Druckenlassen verhält sich zum Denken, wie eine Wochenstube zum ersten Kuß« – folgen dem Vorbild Chamforts.

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Problematisch erscheinen die beiden folgenden Beiträge von Michaela Schrage-Früh »Subversive Weiblichkeit? Die Frau als Muse, Geliebte und Künstlerin im Werk Friedrich Schlegels und Karoline Günderodes« und von Jutta Schlich »Erneuerung der Kommunikation aus dem Geiste mathematischer Formelsprache – Novalis’ Monolog als Individuum«. Schrage-Früh zieht gegen die landläufige Meinung zu Felde, die deutsche Frühromantik als entscheidendes Ereignis in der Emanzipation der Frauen aus patriarchaler Bevormundung zu werten. Demgegenüber betont sie, dass die Frau gerade in Schlegels Lucinde zu einem Objekt eines Männerdiskurses degradiert wird. Zu einer Subjektstellung der Frau kann es, so Schrage-Früh, nicht kommen, weil »Schlegels theoretisches Gedankengerüst zu stark auf einer Objektsetzung der Frau fußt« (S. 379).

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Als einziges Gegenbeispiel wird dann Karoline von Günderrode aufgeführt, die sich nicht mit der Musenrolle und Stimmgeberin der männlichen Schrift zufrieden geben wollte, dafür aber auch den bekannt hohen Preis zahlte. Diese Einsichten sind gewiss nicht neu, weder in Bezug auf die Lucinde noch die Günderrode. Zu fragen wäre aber, ob hier nicht zu unhistorisch verfahren wird und ob die frühe und spätere Romantik nicht doch einen wenn auch zunächst noch bescheidenen Schritt in Richtung auf eine Thematisierung und Selbstthematisierung der Frauenrollen in der patriarchalen Gesellschaft darstellt.

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In ihrem Beitrag zu Novalis’ Monolog holt Jutta Schlich zu einer vernichtenden Kritik dieses schillernden, kaum auf den Begriff zu bringenden Text aus. Einem Text, der sich offen zur Paradoxie und Ambivalenz bekennt, ist schwer mit logischen Mitteln beizukommen. Kaum nachzuvollziehen ist die Verwunderung darüber, dass Analogiebildung »häufig in zirkuläres Denken mündet« (S. 409), denn darin besteht ja gerade das diskursive Konzept des Novalis. Auch darf der »Rückgriff auf die Kabbala« nicht einseitig als »reaktionärer Schritt« (S. 393) gewertet werden. Die romantische Bezugnahme auf esoterische Traditionen steht – nicht nur bei Novalis – in einem säkularen Zusammenhang ästhetiktheoretischer Selbstreflexion.

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Nebenbei bemerkt ist es wenig hilfreich, Novalis Fehler in der Anwendung mathematischer Mengenlehre nachzuweisen. Vollständig disparat wird dieser Aufsatz, wenn die Novalis-Kritik schließlich in die Feststellung mündet, dass Bettine von Arnims Günderrode-Buch den Texten des Novalis vorzuziehen sei: »Die Kontrastierung von Novalis’ mathematisch-transzendentalpoetischer Theorie und Praxis mit Bettina von Arnims Schreiben hat verdeutlicht: Die Wirkung von Novalis’ Literatur reicht nicht an diejenige Arnims heran.« (S. 413) Welch erstaunliche Feststellung.

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Über den Aspekt einer Ästhetik des Hässlichen überprüft Monika Fick in ihrem Aufsatz zur »Phänomenologie des Hässlichen« die traditionsbildende Funktion der Romantik über den Expressionismus hinaus bis in die unmittelbare Gegenwart. Das zentrale Dispositiv einer Ästhetik des Hässlichen oder der Deformation wird, ähnlich wie bei Neumann, als »Grenzüberschreitung« (S. 455) bzw. als »Exuberanz-Modell« (S. 453) vorgestellt. Den Ausgangspunkt dieses »Exuberanz«-Prozesses sieht Fick innerhalb der Romantik. Am Beispiel von E.T.A. Hoffmann skizziert sie ein Wechselspiel von Verbot und Überschreitung auf dem heterogenen Feld von Eros, Ästhetik und Religion. Dies ist gewiss nachvollziehbar, aber Hoffmann als lupenreinen Theosophen einzustufen, ist eine unzulässige Vereinfachung. Fick korrigiert sich im Grunde jedoch selbst, wenn sie einräumt, dass bei Hoffmann »Religion durch Poesie« (S. 439) ersetzt wird.

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Sehr richtig ist die Beobachtung, dass die Konjunktur einer Ästhetik des Hässlichen eigentlich erst im Expressionismus so weit gediehen ist, dass von einer veritablen Deformation und Zerstückelung des Körpers gesprochen werden kann. Richtig auch die Einschätzung, dass der expressionistischen Körperästhetik auf der Ebene der Sprachform »Unverständlichkeit« (S. 449) entspricht. Fick nimmt hier leider nicht die Gelegenheit wahr, den Begriff der Unverständlichkeit an die theoretischen Debatten der Frühromantik zurückzubinden. Man denke etwa an Friedrich Schlegels Abschluss-Essay der Athenäum-Zeitschrift mit dem Titel Über die Unverständlichkeit. Gerade über die Kategorie der Unverständlichkeit könnte die Differenz zwischen romantischem und expressionistischem Text plausibel ermittelt werden.

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Fick dehnt dann ihr »Exuberations-Modell« über Bataille und den Exzess bis in die Häutungen und Schlachtungen der jüngstvergangenen Aktionskunst (z.B. Hermann Nitsch) aus. Als Fluchtpunkt des literaturgeschichtlichen Modells kommt Michel Houellebecq und sein Roman Elementarteilchen in den Blick. Allerdings konstatiert Fick bei ihm eine Umkehrung des Exzesses. Der Exzess zeitigt nicht mehr Fülle und ein wie immer flüchtiges Glück, sondern Leere und Glücklosigkeit. Über Houellebecqs »Alternative« zum »körperbezogenen Materialismus«, nämlich »Güte, Liebe, Poesie« (S. 457), bindet Fick ihn zurück an den Kontinent der Romantik. Dies gelingt nur über eine Inversionsfigur, da die Alternative selbst in Houellebecqs Text nicht ausgeführt wird.

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Die slawistischen Beiträge

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Am Ende des umfangreichen Sammelbandes kommt noch die Slawistik mit zwei Beiträgen zu Wort, einer beschäftigt sich mit dem bulgarischen Schriftsteller Ivan Vazov, der andere mit dem polnischen Autor Adam Mickiewicz. Mehr als ein bescheidenes Nischendasein ist der Slawistik hier allerdings nicht beschieden. Das ist gerade im Hinblick auf den in der Einleitung formulierten komparatistischen Anspruch sehr bedauerlich, zumal beide Aufsätze eher weniger bekannte Texte behandeln. Rumjana Kiefer führt sehr nachvollziehbar einige Problempunkte der sogenannten bulgarischen Romantik auf. Den Aspekt der – gemessen an der deutschen Romantik – Ungleichzeitigkeit bzw. Verspätung teilt die bulgarische Romantik mit einigen anderen Nationalromantiken. Äußerst problematisch ist vor allem die Charakterisierung der bulgarischen Romantik als ›realistisch‹ in einem volkstümlichen und nationalideologischen Sinn (vgl. S. 468). Schwierig einzuschätzen ist deshalb die Rolle von Vazovs Čičovci, der im Jahre 1885 publiziert wird. Einerseits wird dieser Text als »große Ausnahme in Vasovs Œuvre« (S. 466) und Ausnahme der bulgarischen Romantik insgesamt eingestuft und entsprechend als »›Wende‹ in Richtung auf eine moderne und autonome Literaturentwicklung« (S. 468) bezeichnet. Andererseits wird Vasovs intertextuelle Bezugnahme auf Homers Ilias einer »genuin romantischen Methode der negierten Intertextualität« (S. 469) zugeordnet. Wie immer die epochen- oder stilspezifische Zuordnung von Vasovs Čičovci aussehen mag: Kiefers Analyse der parodistischen Ilias-Intertextualität ist jedenfalls äußerst spannend und lesenswert. Ob man den Text der Romantik zuschreiben will oder nicht, sollen bessere Kenner der bulgarischen Literatur entscheiden, als es der Rezensent ist.

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In einer feinsinnigen Lektüre der Totenfeiern (1823) von Adam Mickiewicz arbeitet Holt Meyer ein subversives Potenzial des romantischen Katholizismus in Polen insgesamt heraus. Mit Rückendeckung bei Roland Barthes, Michel Foucault und Paul de Man (mit Präferenz bei dem Letztgenannten), von denen er unterschiedliche Modelle des Paradoxen und der Subversion entlehnt, skizziert Meyer Konturen eines polnischen »Hyper-Katholizismus«, dessen subversive Energie gerade in einer Konvergenz von christlicher Paradoxie (vgl. S. 488) und heidnischen Elementen besteht, aus der am Ende eine Art »Hyperrhetorik« (S. 498) entsteht:

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Somit wird [in den Totenfeiern] nicht eine krypto-protestantische Innerlichkeit, sondern ein polnischer Hyper-Katholizismus in Aussicht gestellt, der noch messianischer ist als derjenige polnische Messias, der im Mittelpunkt der politischen Allegorie vom Christus der Völker steht. Die potentiell heidnische Selbst-Überhöhung wird in Kauf genommen. Katholizismus und Heidentum werden gerade auf rhetorischem Terrain in riskante und schwindelerregende gegenseitige Subversionsbewegungen gesetzt, um den polnischen Hyper-Katholizismus zu formulieren. (S. 497)
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Fazit: fehlende Kontur des Leitbegriffs

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Will man den gesamten Band beurteilen, so muss man feststellen, dass hier eine ganze Reihe von interessanten, perspektivenreichen Beiträgen zur amerikanisch-europäischen Romantik zusammen getragen wurden, die bei aller berechtigten Heterogenität einen – wenn auch problematischen – Begriff von Romantik fortschreiben. Vor allem auch die komparatistische Intention auf den Romantikbegriff ist zu loben. Hier könnte der Band ein Anstoß sein, mit der ›Grenzüberschreitung‹ der Romantik ernst zu machen und die einzelnen Nationalphilologien aus ihren hier noch eingehaltenen Zäunen zu entlassen.

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Querverbindungen ergaben sich in den Aufsätzen zahlreich, zumeist blieben sie leider ungenutzt. Dass die Einleitung auf falschen Einschätzungen und Ansprüchen beruht, darf man den einzelnen Beiträgen nicht ankreiden. Eine kleine Warnung hinsichtlich der gewählten Leitkategorie sei am Schluss noch ausgesprochen: ›Subversion‹ gerät leicht zu einem Allerweltsbegriff, wenn überall dort, wo eine historische Veränderung zu beobachten ist, immer schon von ›Subversion‹ gesprochen wird. Eine etwas engere Definition des Begriffs bzw. eine sparsamere Verwendung wäre hier geraten.

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Der Band ist in formaler Hinsicht beispielhaft gestaltet. Einige wenige Flüchtigkeiten – im Fließtext zitierte Literatur taucht einige Male nicht im Literaturverzeichnis auf (vgl. etwa S. 280 oder 365) – sind lässlich. Wie aber aus Ottmar Ette, Verfasser einer Barthes-Werkbiographie von 1999, in der Bibliographie zu Holt Meyers Artikel »Otto Adam Ette« wurde, das weiß der Teufel.