IASLonline

Die Handbibliothek eines Juristen des
frühen 16. Jahrhunderts

Ein neuer Baustein zur Rekonstruktion von
Konrad Peutingers Sammlung

  • Hans-Jörg Künast u.a. (Hg.): Die Bibliothek Konrad Peutingers. Edition der historischen Kataloge und Rekonstruktion der Bestände. Bd. 2: Die autographen Kataloge Peutingers. Der juristische Bibliotheksteil. (Studia Augustana 14) Tübingen: Max Niemeyer 2005. VIII, 419 Seiten S. 23 Abb. Leinen. EUR (D) 72,00.
    ISBN: 3-484-16514-6.
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Nur zwei Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes setzt die Forschergruppe um Jochen Brüning, Helmut Gier, Jan-Dirk Müller und Bernhard Schimmelpfennig die Edition und Rekonstruktion der Bibliothek Konrad Peutingers (1465–1547) mit einem zweiten Band fort, der sich nun dem rechtswissenschaftlichen Bücherbestand des Augsburger Juristen und Historikers widmet. Damit hat das auf vier Bände angelegte Projekt bereits einen großen Teil seiner Ziele erreicht; die beiden wichtigsten Quellen, nämlich die von Peutinger selbst angelegten Kataloge von 1515 und 1523, liegen nunmehr vollständig ediert vor. Da in ihnen jedoch nur etwa die Hälfte der einst vorhandenen etwa 2200 Bände mit 6000 Titeln verzeichnet sind, ist für die Rekonstruktion der Bibliothek noch die Publikation des 50 Jahre nach Peutingers Tod angelegten Nachlaßinventars erforderlich, die im dritten Band erfolgen soll. Der vierte Band soll schließlich Register enthalten, die erst vielfältige inhaltliche und systematische Zugriffe auf die in den Katalogen aufgenommenen Werke ermöglichen werden.

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Da sich der zweite Band methodisch wie inhaltlich an den ersten anschließt, verzichten die Herausgeber (und die Rezensentin) auf eine Wiederholung der grundlegenden Informationen zu Peutinger und seiner Sammlung. 1 Die knappe Einführung (S. 1–25) beschränkt sich auf solche Angaben, die für die Benutzung des vorliegenden Bandes unabdingbar sind, und hebt Besonderheiten des juristischen Bibliotheksteils und seiner Erschließung in den Katalogen hervor. Dies ist dadurch begründet, daß dieser (schon in Peutingers Wohnhaus in einem eigenen Raum aufgestellte) Teil der Büchersammlung als fachliche Referenzbibliothek des Juristen eine andere Funktion erfüllte als der nicht-juristische Bestand und daher anders aufgebaut und erweitert, sowie nach spezifischen Kriterien benutzbar gemacht wurde.

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Aufbau und Schicksal
der Sammlung

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Bereits während seines Studiums in Italien (1482–88) legte Peutinger den Grundstock seiner Sammlung von Rechtsbüchern an und erwarb dort auch einige juristische Handschriften (S. 2). Daß im Katalog von 1523 weniger Neuzugänge an juristischen Werken als an nicht-juristischen eingetragen sind, zeugt wohl davon, daß der Aufbau der Referenzbibliothek zu diesem Zeitpunkt weitgehend abgeschlossen war. Nicht alle vorhandenen Bücher wurden jedoch in den Katalogen verzeichnet (so sind z.B. die Rechtsquellen selbst, also die Textausgaben des »Corpus Iuris Civilis« und des »Corpus Iuris Canonici«, nicht aufgenommen); die Entwicklung der Sammlung ist daher nicht mit letzter Zuverlässigkeit zu beschreiben. Im Unterschied zu den nicht-juristischen Büchern fand offensichtlich kein Bestandszuwachs durch Dedikationsexemplare und Geschenkbände statt. Statt dessen kaufte Peutinger gelegentlich Handschriften aus zweiter Hand oder schrieb Texte aus älteren Vorlagen ab – soweit diese dank der sorgfältigen Recherchearbeit der Projektmitarbeiter mit erhaltenen Codices identifiziert werden können 2 , belegen sie Peutingers weitgespannte Kontakte und sein Bemühen um die Beschaffung verläßlicher Quellen, insbesondere von Urkunden.

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Nach Peutingers Tod erfolgte eine Neuaufstellung, der während des Schmalkaldischen Kriegs ausgelagerten und 1548 rückgeführten Bibliothek, bei der eine Trennung der zivil- und der kirchenrechtlichen Literatur durchgeführt wurde. Nachdem die Sammlung 1718 in den Besitz des Augsburger Jesuitenkollegs übergegangen war, dezimierten schon im 18. Jahrhundert erste Dublettenverkäufe den Bestand; der für seine druckgeschichtlichen Studien noch heute anerkannte Bibliograph Georg Wilhelm Zapf (1747–1810) schreckte nicht einmal davor zurück, Handschriftenbände zur Gewinnmaximierung in Einzelteile zu zerlegen. Dennoch ist heute ein großer Teil von Peutingers juristischen Büchern noch nachweisbar (etwa 100 der 269 in den beiden Katalogen verzeichneten Bände), die weitaus meisten davon in der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg. Unter den Peutingerbänden, die diese 1810 als Dubletten verkaufte, findet sich bemerkenswerterweise kein Band juristischen Inhalts. Vermutlich bestand nur geringe Nachfrage nach veralteten, allenfalls für Rechtshistoriker noch interessanten Ausgaben des 15. und 16. Jahrhunderts – zur gleichen Zeit kam aus den 1803 aufgehobenen Klosterbibliotheken eine Fülle von erheblich aktuellerer Rechtsliteratur auf den Markt, z.B. in einer Dublettenauktion der Münchener Hofbibliothek von 1815. 3

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Die juristische Handbibliothek
in den Katalogen

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Wie beim nicht-juristischen Bibliotheksteil umfassen die beiden Kataloge von 1515 und 1523 jeweils einen Standortkatalog, der die physische Anordnung der Bände im Bibliotheksraum wiedergibt, sowie Fach- und Schlagwortkataloge, die Peutinger das Auffinden bestimmter Werke und Inhalte ermöglichten. Dabei folgt der Fachkatalog der Systematik der Rechtsquellen und weist die zu diesen vorhandene Kommentarliteratur nach; der Schlagwortkatalog erschließt die Inhalte der anderen juristischen Werke in Peutingers Besitz und wertet auch relevante Bücher des nicht-juristischen Bibliotheksteils aus. Beide Katalogteile ermöglichten Peutinger so den schnellen und zielgerichteten Zugriff auf eine Fülle einschlägiger Auslegungen und Meinungen zu beliebigen Rechtsproblemen und stellen so, trotz ihres vergleichsweise geringen Umfangs von 40–50 Editionsseiten (Katalog I: S. 337–376; Katalog II: S. 267–317), das eigentliche Gerüst von Peutingers juristischer ›Wissensordnung‹ dar. Dem modernen Benutzer der Edition ermöglichen sie, Schwerpunkte von Peutingers juristischer Arbeit zu erkennen, die sich am unterschiedlichen Umfang der einzelnen Gruppen ablesen lassen, zumal wenn für bestimmte Themengebiete eigene Rubriken angelegt wurden, wie z.B.›De Conciliis et potestate papae‹ (S. 315). Um die Zusammensetzung der Bibliothek und ihre Erschließung im Detail zu analysieren, sind jedoch fundierte rechtshistorische Kenntnisse ebenso erforderlich wie ein Vergleich mit anderen zeitgenössischen Sammlungen juristischer Literatur, etwa der in den MBK verzeichneten Klosterbibliotheken oder den Privatsammlungen anderer Juristen. 4

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Der umfangreiche Standortkatalog stellt in der Fassung von 1523 (S. 65–265) die Grundlage der Rekonstruktion dar. Zwar ist die erste Gruppe der Titelaufnahmen aus dem älteren Katalog von 1515 unverändert übernommen; für die anderen vier Gruppen fertigte Peutinger aber wie für den nicht-juristischen Bibliotheksteil ausführlichere Beschreibungen an, die die Identifikation der Handschriften und Drucke erheblich erleichtern. Soweit die verzeichneten Bände heute noch nachweisbar sind, werden sie (wie schon im ersten Editionsband) detailliert beschrieben; bei verlorenen Bänden wird der Versuch gemacht, die enthaltene(n) Ausgabe(n) bibliographisch zu bestimmen, was bei Drucken des 15. Jahrhunderts dank der besseren Nachweissituation (GW 5 und Inkunabelkataloge 6 ) häufiger gelingt als bei Ausgaben des 16. Jahrhunderts, bei deren bibliothekarischer und bibliographischer Verzeichnung noch immer erhebliche Defizite bestehen. 7 Die Beschreibungen und Bestimmungen sind ein Musterbeispiel für die präzise, ja penible Recherchetätigkeit der beiden Hauptherausgeber Hans-Jörg Künast und Helmut Zäh, ohne deren profunde Kenntnisse der bibliographischen Hilfsmittel die Arbeit nicht hätte geleistet werden können. Bei der Identifikation von Drucken, die in den historischen Katalogen nicht immer in einer Detailgenauigkeit beschrieben sind, mit der eine zweifelsfreie Zuweisung möglich ist, sowie von Werken, die im fraglichen Zeitraum in mehreren, häufig in der Titelfassung kaum unterscheidbaren Ausgaben zum Druck kamen, verfuhren sie mit außerordentlicher Sorgfalt.

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Bausteine zur Rekonstruktion
der Wissensordnung

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Das Fundament, auf das sich eine solide Interpretation von Peutingers Wissensordnungen bauen ließe, ist somit nun zur Hälfte errichtet. Seine Tragfähigkeit wird der dritte Editionsband noch einmal um einiges steigern; der vierte Registerband wird dann die Türen und Fenster öffnen, die die einzelnen Wissensräume zugänglich machen und beleuchten werden. Schon jetzt erlauben die Register der Teilbände einen inhaltlichen Zugriff auf die Kataloge: die Autoren, Herausgeber, Übersetzer und Kommentatoren (S. 397–411), die Drucker und Verleger (S. 412 ff.) und die Anonyma (S. 416 ff.) sowie die heute noch nachweisbaren Handschriften (S. 419 ff.) – nicht aber auf die Drucke und die in zahlreiche Bände eingeklebten Einblattdrucke. Auch eine sachliche Erschließung der Exemplarspezifika (wie Peutingers Marginalien) und anderer in den Beschreibungen festgehaltenen Erkenntnisse der Bearbeiter wäre sehr wünschenswert. Eine Gesamtbewertung der Sammlungs- und Rezeptionsverfahren Peutingers wird im Rahmen des Projekts wohl kaum zu leisten sein; zu breit gefächert waren seine Kenntnisse und Interessen. Für weiterführende, kontrastive Untersuchungen bietet die Edition jedenfalls reiches Material, und für eine zügige Weiterführung und den hoffentlich baldigen Abschluß ist den Herausgebern viel Erfolg zu wünschen.

 
 

Anmerkungen

Vgl. hierzu die Rezension des ersten Bandes in IASLonline (25.11.2004): URL: http://iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/Wagner3484165111_741.html (16.05.2007)   zurück
Hierfür wurden die in einem Parallelprojekt durch Uta Goerlitz und Christoph Petersen erstellten sehr detaillierten Handschriftenbeschreibungen herangezogen.   zurück
Vgl. hierzu Bettina Wagner: Dublettenauktionen der Münchener Hofbibliothek in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Aus dem Antiquariat (2006), Heft 2, S. 89-97.   zurück
Interessant wäre insbesondere eine Gegenüberstellung mit den Sammlungen Nürnberger Juristen mit humanistischen Neigungen wie Peutingers Zeitgenossen Christoph II. Scheurl (1481–1542) und Johannes Protzer (um 1470–1528), vgl. hierzu Bettina Wagner: Nürnberger Büchersammler um 1500. Inkunabeln aus dem Besitz von Christoph Scheurl und einigen seiner Zeitgenossen in Oxforder Bibliotheken. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 82 (1995), S. 69–87 (mit älterer Literatur).   zurück
Die Datenbank des ›Incunabula Short Title Catalogue‹ stellt hierfür zwar ein zentrales Rechercheinstrument dar, wird aber in den Beschreibungen nicht zitiert: URL: http://www.bl.uk/catalogues/istc/index.html (16.05.2007)   zurück
Dies verdeutlichen z.B. Funde von bisher in Bibliographien wie VD16 (URL: http://www.vd16.de/)(25.04.2007) und EDIT-16 (URL: http://edit16.iccu.sbn.it/web_iccu/ihome.htm)(16.05.2007) nicht verzeichneten Ausgaben des 16. Jahrhunderts in den OPACs einzelner Bibliotheken, z.B. der Bayerischen Staatsbibliothek München. Für Fortschritte bei der bibliographischen Arbeit sind Spezialuntersuchungen z.B. zur Produktion einzelner Offizinen unerläßlich. Groß angelegte Unternehmen, wie das Projekt zur Digitalisierung aller an der Bayerischen Staatsbibliothek vorhandenen im deutschen Sprachgebiet erschienenen Ausgaben des 16. Jahrhunderts, machen zwar die Primärquellen bequem verfügbar, müssen aber zumeist aus Effizienzgründen auf eine tiefere Erschließung verzichten.   zurück