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Der Verlag als Geschäftsbetrieb

  • Wulf D. von Lucius: Verlagswirtschaft. Ökonomische, rechtliche und organisatorische Grundlagen. Konstanz: UVK 2005. 368 S. zahlreiche Abb. Kartoniert. EUR (D) 19,90.
    ISBN: 3-8252-2652-2.
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Wer die Lektüre dieses Buches ausnahmsweise mit dem Literaturverzeichnis beginnt, wird über die Heterogenität der dort erscheinenden Titel erstaunt sein: Controlling im Fachzeitschriftenverlag und Medienrecht, Erste Hilfe in Typographie und Online-Marketing für Buchprofis, Verlags-PR und Buch und Buchhandel in Zahlen. Verlagsarbeit ist ein komplexes Thema. Da ist es sicher hilfreich, dass der Verfasser dieser Einführung über einen weiten Erfahrungshorizont verfügt: Wulf D. v. Lucius ist als praktizierender Fachverleger zugleich Wirtschaftswissenschaftler, öffentlich tätiges Gremienmitglied, privater Bücher-Sammler 1 und Lehrbeauftragter für Verlagswirtschaft an der Universität Hohenheim.

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Are Books different?

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Knapp das erste Drittel der Verlagswirtschaft kann als Orientierungsteil gelesen werden, der sowohl über die externen Marktbedingungen, wie über Fragen der internen Planung und Organisation im Verlagswesen Auskunft gibt. Gleich zu Anfang rührt der Verfasser an eine heikle Formel verlegerischen Selbstverständnisses und branchenpolitischer Öffentlichkeitsarbeit: Die besondere Ware Buch. Aber so sehr die Ergebnisse der Verlagsarbeit von besonderer, nämlich kultureller Bedeutung sind, so wenig ist damit über diese Arbeit selbst gesagt. »Autoren suchen Verleger primär nicht als Gesprächspartner über Inhalte [...], sondern als Dienstleister auf den Gebieten, für die sie selbst nicht kompetent sind: Produktion, Finanzierung, Werbung, Vertrieb, Rechtewahrnehmung, Öffentlichkeitsarbeit«, schreibt v. Lucius (S. 16) und beendet damit eine Scheindiskussion über den Gegensatz von Geist und Ware, bevor sie begonnen hat.

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Kein Zweifel, Verlagsarbeit ist die Transformation von immateriellen Gütern in materielle. So vermeidet der Verfasser in diesem Orientierungsteil seines Buches die kulturpolitische Rhetorik offizieller Branchentexte, auch wenn er auf ein entsprechendes Zitat nicht verzichten mag. Er verschweigt nicht den schlichten Gebrauchswert vieler Bücher (oder dessen Abwesenheit »bis hin zu purem Schrott«, S. 17), er verschweigt nicht die beklemmende Medienkonkurrenz, die anhaltende Expansion großer, oft branchenfremder Mischkonzerne und Distributionsketten im Buchbereich, die damit zusammenhängende Beschleunigung der strukturellen und auch qualitativen Veränderungen oder die Folgen der Internationalisierung (S. 54–63). Manches erreicht da die Schärfe aktueller Streitschriften. 2

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Im übrigen enthält der erste Teil eine nützliche Übersicht über die relevanten gesetzlichen Rahmenbedingungen, vom Grundgesetz bis zum Buchpreisbindungsgesetz von 2002, neueste statistische Daten des Buchmarkts und eine Einführung in die Grundsätze der Programmplanung, der Verlagsorganisation und der Finanzkontrolle. Die für selbständige Verlage immer akutere Wahl zwischen Funktionsausgliederung, Kooperation oder eigener Betriebsleistung wird detailliert dargestellt. (Verlagswirtschaft selbst ist das Produkt eines Kooperations-Verlages.) Ein Hinweis auf fremdfinanzierte Sonderformen des Verlagsbetriebes, wie den Kommissionsverlag oder Regieverlag, wäre sicher informativer gewesen, als der Versuch einer Verlagstypologie (S. 75–79), der bei der zunehmenden Vermischung der Programme und Verwertungsarten immer abstrakt erscheinen muss.

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Die Tätigkeitsfelder

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Der Anwendungsteil des Buches ist nach den Tätigkeitsfeldern im Verlag gegliedert.

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Von Anfang an wird dem außenstehenden Leser klar gemacht, wo die Eigenheiten des Verlagsgeschäfts liegen, das beginnt bereits bei der Darstellung einer Verlagsbilanz (S. 99 ff.), die als wichtige Position des Anlagevermögens durchaus »Immaterielle Vermögenswerte«, also erworbene Verlagsrechte oder Abonnentenstämme enthalten kann, und deren oft beträchtliche Position »Vorräte« im Umlaufvermögen ein warnendes Indiz für wachsende Bestände unverkaufter, möglicherweise auch nicht mehr zu verkaufender Bücher sein mag. Hier wie bei der anschließend dargestellten Kosten- und Ertragsplanung spielt angesichts von vorausproduzierten Stückzahlen der Zeitfaktor eine prekäre Rolle. Im folgenden Kapitel über die Buchherstellung geht es um eine Vermittlerfunktion der Verlage, bei der die Produktion zwar gesteuert, in der Regel aber nicht betrieben wird – Verlage »drucken« nicht, sondern lassen drucken. Dabei führt die weit fortgeschrittene Digitalisierung und Automatisierung der Produktionsvorgänge zu einer Schrumpfung der »klassischen Herstellungsabteilungen« (S. 127). Sie verändert im übrigen auch das Verhältnis von Fixkosten und variablen Kosten in der anschließend ausführlich dargestellten Verlagskalkulation, bei der Auflagenbemessung und bei der Preisfindung – alles entscheidende Weichenstellungen für den wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg.

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Damit befindet sich der Leser etwa in der Mitte des Buches. Ein ausführliches Kapitel befasst sich dann mit Marketing, Werbung und Vertrieb, also mit dem Marketing als zentraler operativer Aufgabe, mit der materiellen Distribution, mit den Handelsbeziehungen und mit der Kommunikationspolitik eines Verlages. Der Standpunkt eines Wissenschaftsverlegers wirkt sich hier ausnahmsweise als Beschränkung aus, wenn die Medienarbeit, das Veranstaltungs-Management und die Markenbildung literarischer Verlage mit ihren durchaus emotionalen Elementen und mit ihren indirekten Impulsen und Wirkungen nicht genügend ins Bild rücken. Diese Form der »Kommunikationspolitik« entzieht sich wohl einer durchgehenden Pragmatisierung. Die vorgestellten Regeln der Absatz- und Handelspolitik hinwiederum gelten für alle Verlagsformen. »Marketing« sollte dabei nicht ›verstärkter Angebotsdruck‹ bedeuten, sondern »zielorientierte Unternehmenspolitik« (S. 163).

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Ein detailliertes Zeitschriftenkapitel und die unerlässliche Erläuterung der digitalen Verlagsproduktion stellen den Zusammenhang mit Diversifikationsfeldern des Buchgeschäfts her. Ein umfangreiches rechtskundliches Kapitel, das den vielfältigen Rechtsmaterien und Vertragsformen im Verlagswesen Rechnung trägt, ob es sich nun um die oft diffizilen Persönlichkeitsrechte Dritter, um das Zitatrecht, um den Lizenzvertrag oder um Honorarregelungen handelt, steht am Ende. Branchenangehörige wissen, dass W. D. v. Lucius sich auf diesem Gebiet immer wieder, sowohl national wie international, als kompetenter Berater und Verhandlungspartner bewährt. Adressenteil, Literaturverzeichnis und Register beschließen den Band.

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Ein problemorientiertes Fachbuch

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Es gibt nicht wenige Einführungen in die Verlagsarbeit, die meisten finden sich im Literaturverzeichnis dieses Buches. Im Vergleich mit ihnen liegt der Vorteil dieser Verlagswirtschaft darin, dass sie den systematischen Zusammenhang höchst verschiedener Tätigkeiten und Methoden nicht aus dem Blick verliert, Unwägbarkeiten nicht verschweigt, und Theorie und Praxis eng verknüpft. So ist ein problemorientiertes Fachbuch entstanden.

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Die Darstellung der oft komplizierten Arbeitsgänge, Berechnungsmethoden und Zieldefinitionen, der zugrundeliegenden Erfahrungswerte und Theorien, der Entscheidungswege bei unsicherer Erwartung und ihrer möglichen Risiken sowie der implizierten Ertrags- und Kostenfaktoren erfordert Genauigkeit und Überblick zugleich. Das gilt umso mehr, wenn die anzunehmende Zielgruppe des Buches von unterschiedlichen Interessen, Vorkenntnissen und Berufsbildern bestimmt ist, denn den einheitlich als Generalist ausgebildeten »Verlagsbuchhändler« gibt es nur noch idealtypisch. V. Lucius hat diese didaktischen Probleme mit Eleganz gelöst. Simplifizierungen nach dem Falsch-Richtig-Muster vermeidet er ebenso, wie imponierende Begrifflichkeit, eher neigt er zu ironischen Beiseite-Bemerkungen. Viele Grafiken, Tabellen, Hervorhebungen und Abbildungen unterstützen den Text, ohne ihn, wie beim Power-Point-Verfahren, zu zerstückeln. (Gelegentlich wünschte man sich den einen oder anderen Hinweis auf weiterführende Spezialliteratur.) In den argumentierenden Passagen des Buches ist der Standpunkt des Verlegers und selbständigen Unternehmers unverschlüsselt formuliert, das gilt für die keineswegs nur latenten, der Öffentlichkeit aber meist verborgenen Interessenunterschiede zwischen den einzelnen Sparten des Buchhandels, das gilt für allgemeine wirtschaftspolitische Positionen, und das gilt in besonderer Weise für die aktuelle, kontroverse und für die Zukunft der Printmedien folgenreiche Diskussion um den Urheberrechts- und Verlags-Schutz im digitalen Bereich (S. 300–301).

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Für Berufsanfänger, Seiteneinsteiger, Studenten und interessierte Wissenschaftler ist Verlagswirtschaft von Wulf D. v. Lucius ein Fachbuch, das gründlich informiert und das zugleich das Problembewusstsein schärft. Mehr kann man in schwierigen Zeiten für diese Branche kaum tun.



Anmerkungen

Bücherlust. Buchkunst und Bücherluxus im 20. Jahrhundert. Beispiele aus einer Stuttgarter Sammlung, ausgewählt und kommentiert von Wulf D. v. Lucius. Stuttgart: Württ. Landesbibliothek 1998.   zurück
Wie z. B. André Schiffrin: Verlage ohne Verleger. Über die Zukunft der Bücher. Mit einem Nachwort von Klaus Wagenbach. Aus dem Amerikanischen von Gerd Burger. Berlin: Wagenbach 2000 (WAT 387).   zurück