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Der Witz der Metapher

Thomas Hecken bereitet die Begriffsgeschichte von Metapher und Witz mit Scharfsinn auf

  • Thomas Hecken: Witz als Metapher. Der Witz-Begriff in der Poetik und Literaturkritik des 18. Jahrhunderts. Tübingen: Francke 2005. 205 S. Kartoniert. EUR (D) 39,00.
    ISBN: 3-7720-8116-9.
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Ausgangspunkt der Studie

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Was bedeuten »Witz« und »witzig« im 18. Jahrhundert? Es gehört zum germanistischen Grundlagenwissen, dass mit diesen Wörtern damals was anderes gemeint wurde als heute, dass »Witz« einstmals ein bestimmtes intellektuelles Vermögen bezeichnete und erst später die Bedeutung ›komische Kurzgattung‹ erhielt. Aber die genauen Hintergründe dieser seltsamen Entwicklung werden in Seminaren zu selten angesprochen.

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Das ist keine Überraschung, denn bisher fehlte hierzu eine Überblicksarbeit. Diese Lücke schließt nun diese Studie. Sie zeigt den Einfluss der aristotelischen Metapherntheorie auf den Witzbegriff auf und zeichnet die komplizierten Verquickungen mit alternativen und komplementären Begriffen wie »Scharfsinn«, »Ingenium«, »Pointe«, aber auch »Genie« nach.

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So bietet das Buch (eine überarbeitete Version der Habilitationsschrift des Autors) einen begriffshistorischen Überblick zur Debatte von Witz und Metapher von der Antike bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Eine Studie von dieser Breite und mit so hohem Anspruch hat zu diesem Thema bisher gefehlt. Gleichzeitig schneidet sie die Frage an, wie in den Begriffen »Witz« und »Metapher« das Verhältnis zwischen Sprache und Welt poetologisch und rhetorisch aufgefasst und für die Dichtung fruchtbar gemacht wurden. Mit Beispielen aus Literatur und Literaturkritik zeigt Hecken auf, wie hieraus die Maßstäbe zur moralischen und ästhetischen Beurteilung geschöpft wurden.

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Wie ein Mantra wird im 18. Jahrhundert die Definition wiederholt, Witz sei das intellektuelle Vermögen, Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Dingen wahrzunehmen. Die (meist verschwiegene) Quelle dieser Definition ist Aristoteles’ Bestimmung der Metapher, wo die Metapher wie der Witz auf die Fähigkeit zurückgeführt wird, Ähnlichkeiten zwischen weit auseinanderliegenden Dingen wahrzunehmen. 1

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Aufgrund der langen Begriffsgeschichte konzentriert sich dieses Buch keineswegs auf das 18. Jahrhundert, wie dies der Untertitel suggeriert. Antike Rhetorik und barocke Poetik werden ebenso intensiv behandelt. Da es zudem um ein besonderes intellektuelles Vermögen geht, wird die ganze Fragestellung – ganz im Sinne der Behandlung dieses Themas im 17. und 18. Jahrhundert – auch als erkenntnistheoretische Frage ernst genommen.

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Einleitung

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Im Sinne der erkenntnistheoretischen Stellung von Witz und Metapher schlägt das Einleitungskapitel zunächst einen Umweg ein, der durch theoretische Diskussionen über das Verhältnis von Metapher, Bedeutung und Analogie führt. Hierzu wird Aristoteles mit jüngeren philosophischen Beiträgen zur Metapherntheorie konfrontiert, allen voran Donald Davidson und Richard Rorty.

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Wie lässt sich der einleitende Umweg rechtfertigen? Immerhin scheint – wie Hecken selbst anmerkt – auf »dem weiten Weg von Davidsons Metaphernkonzept zu Rortys Philosophie- und Literaturauffassung [...] der Witz verloren zu gehen« (S. 16).

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Zum einen ist der Umweg mit 20 Seiten eher kurz. Zum anderen gilt es auch einen Gegenwartsbezug der Fragestellung aufzuzeigen:

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• Witz und Metapher werden bis heute als verwandte Phänomene behandelt. 2 Nicht zuletzt findet sich auch gleich am Anfang von Davidsons kontroversen Beitrag ein Vergleich von Metapher und Witz. 3

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• Die Konfrontation mit neuerer Metapherntheorie bietet Gelegenheit, aristotelische Auffassungen kritisch zu diskutieren. Davidson etwa wendet sich gegen die Vorstellung, Metaphern hätten nebst einer buchstäblichen Bedeutung noch eine uneigentliche, metaphorische Bedeutung, denn die Metapher »bedeute« genauso wie ein Witz nichts über den Wortlaut hinaus. Er wendet sich insbesondere dagegen, Metaphern könnten paraphrasiert werden oder (wie dies seit der Antike oft vertreten wurde) als verkürzte Vergleiche verdeutlicht werden.

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• Mit Rorty wird in der Einleitung ein Theoretiker angesprochen, der Davidsons Auffassung in ein poststrukturalistisch-diskursiv gewendetes Metaphernverständnis übernimmt. Für den Metaphernbegriff wird hierdurch wenig gewonnen. Rorty lässt allerdings – anhand der Metapher – ein Thema anklingen, das gegen Ende dieser Studie an Bedeutung gewinnen wird: Die Ablösung von überkommenen Begriffen.

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Mit Davidson und Rorty benutzt Hecken in der Einleitung zwei profilierte Denker, die durch zugespitzte, kontroverse Thesen aufgefallen sind. Sie bieten auf diese Weise eine Kontrastfolie, die der Autor geschickt nutzt, um Fragestellungen der Studie anzudeuten. Doch angesichts des großen Umfangs der theoretischen Literatur zur Metapher ist die Beschränkung auf Davidson und Rorty nicht unproblematisch.

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• Unter den vielen theoretischen Ansätzen zur Metapher, die dieser Studie weitere Impulse hätten geben können, seien repräsentativ nur die Ansätze erwähnt, die die geschmähte Vergleichstheorie auf ernsthafte Grundlagen stellen. 4

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• Die Kürze des Einleitungskapitels bietet keinen Raum, den sprachanalytisch engen Bedeutungs-Begriff von Davidson zu diskutieren. 5

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Antikes Ingenium
in der Metapher und im Scherz

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Die darauf folgenden Kapitel gehorchen weit gehend dem Prinzip der Chronologie.

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Schwer- und Ausgangspunkt ist Aristoteles. Hecken fasst dessen Metaphernauffassung folgendermaßen zusammen: Die Metapher sei »ein gekürzter Vergleich der unterschiedliche Dinge aufeinander bezieht« (S. 28). Diese handliche, rekonstruierte Definition greift Aussagen aus verschiedenen Kapiteln der Rhetorik und Poetik auf 6 und beruht teilweise auf Heckens Interpretation von Beispielen in der Rhetorik. Sie lässt sich darum nicht in allen Teilen mit den theoretischen Aussagen von Aristoteles vereinbaren; dies betrifft vor allem die Gleichsetzung der Metapher mit einem gekürzten Vergleich. 7

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Davon bleibt aber die zentrale These unangetastet, dass die aristotelische Metapher den deutschen Witzbegriff beeinflusste. Gleichsam wie kluge Köpfe Ähnlichkeiten zwischen weit auseinanderliegenden Dingen erkennen, beruht auch die Metapher auf Ähnlichkeiten zwischen weit auseinanderliegenden Dingen. 8 Die Metapher führt somit ins Zentrum der Frage, wie sich Sprache, Stil und Dargestelltes zueinander verhalten.

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Im Kapitel zur Antike werden des Weiteren Cicero, Quintilian und Pseudo-Longinus angesprochen. Zwar sind deren Äußerungen nicht so deutlich wie die Aristoteles’ mit dem Witzbegriff in Verbindung zu bringen. Aber das der Metapher unterliegende (metaphorisch räumliche) Modell der Verbindung von mehr oder weniger entfernten Gegenständen und Begriffen kann fast bei allen Autoren in irgend einer Form nachgewiesen werden.

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Zudem ergänzen Ciceros und Quintilians Anmerkungen zum Scherz und zur Frage des Talents grundlegende Elemente späterer Witzdefinitionen: Meisterschaft der Metapher ist nicht lernbar, sondern das Zeichen genialer Begabung. Sie gehört somit in den Bereich des ingenium und ist nicht durch eine Kunst oder Technik (ars) lehrbar.

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Metaphern können aber beurteilt werden. Hier gilt die oft wiederholte Forderung, dass Metaphern ›natürlich‹ und nicht zu ›dunkel‹ oder zu ›weit hergeholt‹ sein sollten. Es geht dabei nicht zuletzt um die Kontrolle der erfinderischen Kraft der Metapher. Dieser Aspekt wird oft als Kritik an übertriebener Häufung und Künstlichkeit der Metapher formuliert.

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Scharfsinn, Witz und Metapher
im Humanismus und Barock

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In der Folge überspringt die Darstellung die (für das Verhältnis von Witz und Metapher relativ ereignislose) Zeit zwischen Antike und Humanismus. Die Frage, wie Aristoteles’ und Ciceros Auffassungen von den Humanisten rezipiert wurden, wird zunächst anhand von Erasmus von Rotterdam und Baldesar Castiglione diskutiert: Ersterer als Beispiel für eine gewandelte Rezeption von Ciceros Ausführungen zum Scherz, letzterer zur Adaptation der Rhetoriken im Rahmen geistreicher, höfischer Konversation.

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Im Zentrum stehen in diesem Kapitel die manieristischen Traktate barocker Concettisten aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, insbesondere die einflussreichen Texte von Baltasar Gracián und Emanuele Tesauro. Lateinische Traktate, etwa von Maciej Sarbiewski und Jakob Masen, laufen hier eher nebenher.

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Gracián und Tesauro nehmen an den überlieferten antiken Definitionen von Metapher und Witz grundlegende Umwertungen vor. Sie besetzen Extrempositionen der manieristischer Auffassungen zu Metapher und Witz.

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• Gracián entdeckt in der Ähnlichkeit eine unerschöpfliche Quelle des scharfsinnigen Witzes und wertet hierzu das »concepto« auf: Es drückt eine Entsprechung aus, die zwischen Dingen besteht (das Stichwort ingenium, das bei Gracián immerhin im Titel seines Werkes Agudeza y Arte de Ingenio figuriert, wird an dieser Stelle von Hecken allerdings nicht ausgeführt).

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• Tesauro huldigt nicht nur dem Prinzip der Ähnlichkeit, sondern feiert insbesondere die Metapher.

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• Concepto bzw. concetti bezeichnen bei beiden die Beziehung zwischen verschiedenen Dingen, die zum Ausdruck gebracht wird. Für Gracián und Tesauro liegt hierin für den Hörer sowohl überraschende Erkenntnis als auch urbanes Vergnügen.

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Vom ›Wit‹ zum »Witz«

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Die Pointe der Rezeption antiker Rhetoriken liegt gerade darin, dass Aristoteles, der eigentlich gegen weit hergeholte Metaphern ist, für den Manierismus fruchtbar gemacht wurde, wie Hecken sehr schön darstellt. So präsentiert etwa (der vordergründig aristotelisch argumentierende) Tesauro den weit hergeholten Vergleich im Rückgriff auf Aristoteles als beeindruckenden Höhepunkt des Witzes. Hecken weist hier insbesondere auf die Problematik hin, dass diese »Freude an immer neuen Analogiebildungen« und »das Vertrauen in die erkenntnisfördernde Kraft der Vergleichung« eine (letztlich elitäre) Tradierung von Kultur- und Wissenszusammenhängen erfordert(e) (S. 62).

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Diese Wissenszusammenhänge bilden in dieser Studie den Anlass, auf die philosophische Rezeption des aristotelischen Metaphernbegriffs einzugehen. Mit der erkenntnisfördernden Kraft der Analogie ist nämlich auch erklärt, wie die neuzeitliche Philosophie, die der manieristischen Metapherntradition eher kritisch gegenüberstand, Interesse am Witzprinzip entwickeln konnte.

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Die Darstellung dieses Traditionsstrangs erfordert eine par force Tour durch die englische, französische und deutsche Geistesgeschichte. Ausgangspunkt ist England, wo das Wort »Wit« als Übersetzung für »ingenium« eine zentrale Rolle einnimmt.

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Heckens Abschnitte zur wit-Diskussion in England lassen bereits kommende begriffliche Verwirrungen erahnen, auch wenn der Hintergrund mancher Begriffe, die daran beteiligt sind, nicht detailliert dargestellt wird. Es ist dennoch interessant, die am Wirrwarr beteiligten Begriffe beisammen zu sehen (S. 63 f.):

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• »Wit« (zuvor im Sinne von ›Verstand‹, ›geregeltes Wissen‹ verwendet) wird auf ingenium bezogen.

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• »Quick wit«, die natürlich schnelle Auffassungsgabe, wird mit der inventio in Verbindung gebracht.

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• »Zusammenballung« der Begriffe ingenium, inventio und acumen (An dieser Stelle wären genauere begriffsgeschichtliche Zusammenhänge hinsichtlich des Verhältnisses von acumen und Graciáns agudeza sowie ein expliziter Vergleich mit Ciceros Adjektiv acutus interessant gewesen).

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• »Judgment« (bzw. iudicium) ist der Gegenpart zum »wit«. Auch das »judgment« (das, gemäß der fast einhelligen Meinung der Philosophen, dem »wit« vorzuziehen ist) wird als Gegensatz zum ingenium nur in kurzen Worten auf den Humanismus zurückgeführt.

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Der Vorzug von »judgment« gegenüber »wit« wird insbesondere anhand von Thomas Hobbes dargestellt (John Locke und David Hume kommen aber ebenfalls zu Wort). Hobbes billigt dem »wit« zwar eine wichtige Rolle in der Dichtung zu, fordert aber für die Wissenschaft die Vorherrschaft des »judgment« (nicht zuletzt aufgrund seiner kritischen Einstellung gegenüber der Metapher).

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Der Weg führt sodann weiter über Frankreich: Hier wird die Kritik an manieristischen Auswüchsen anhand von Dominique Bouhours und Nicolas Boileau dargestellt. Heckens Darstellung richtet sich hier nach dem Begriff des »Esprit«. Die »Pointe« aber, die gerade für die Diskussion des ganzen Fragekomplexes im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts auch in Deutschland an Wichtigkeit gewinnt, wird an dieser Stelle nicht erwähnt.

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Im selben Kapitel wird dargestellt, wie die Esprit-Debatte bei Christian Thomasius und Johann Christoph Gottsched aufgenommen wurde. Hier muss sich die Darstellung zunächst mit Übersetzungsproblemen auseinandersetzen. Thomasius etwa muss sich noch der französischen Begriffe wie »bel esprit«, »bon gout« und »galant« bedienen (S. 73).

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Damit ist man bereits an der Wende des 17. zum 18. Jahrhundert sowie beim Stichwort »Galanterie« angelangt, allerdings unter (vorläufiger) Umgehung der deutschen Rezeption der manieristischen Traktate in der Poetik des Epigramms. Die (indirekten) Einflüsse von Tesauro und Gracián und der Hintergrund der Begriffe »Scharfsinn«, »scherzhaft« und »Spitzfindigkeit« sind in diesem Kapitel noch nicht vollständig aufgezeigt. Um so deutlicher kann allerdings vorgestellt werden, wie etwa Benjamin Neukirch bei der Behandlung des galanten Briefstils sich nur durch sein Insistieren auf Natürlichkeit von der manieristischen Tradition abgrenzt (S. 76).

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Ein weiterer wichtiger Entwicklungsschritt im deutschen Witzbegriff ist Christian Wolffs deutliche Wiederaufnahme der aristotelischen Metapherndefinition. Für ihn ist Witz das Vermögen, Ähnlichkeiten leicht wahrzunehmen. Ein gutes Gedächtnis und eine gute Einbildungskraft, die Abstraktes lebhaft vor Augen stellen kann (auch dies klingt sehr aristotelisch), sind die Voraussetzung des Witzes. Mit Hilfe des Scharfsinns kann der Witz besonders verborgene Ähnlichkeiten erkennen.

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Gottsched wiederum erweist sich in seiner Behandlung von Witz und Scharfsinn als guter Schüler von Wolff: Die Ähnlichkeit der Dinge, die der Witz erkennt, liefert die Grundlage, um Beziehungen festzustellen, die über Wortspielereien (d.h. bloße Ähnlichkeit der Worte) hinausgehen. Hierbei ist der Witz vom Scharfsinn abhängig, der vielerlei an den Dingen beobachtet und somit quasi das Material für die Ähnlichkeiten liefert.

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Bekannte Namen fehlen in Heckens Darstellung des Witzbegriffs an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert nicht. Dennoch wirkt seine Materialgrundlage in dieser Periode eher dünn. So scheint die Erstverwendung von »Witz« in der deutschen Esprit-Debatte durch Christian Wernicke (S. 78) wie aus dem Nichts zu erfolgen. Auch die sehr einflussreiche Gegenüberstellung von »Witz« und »Scharfsinn« durch den Philosophen Christian Wolff (knapp 20 Jahre nach Wernicke) wirft die Frage auf, inwiefern bei Wolff ein Anschluss an die Esprit-Diskussion oder eine parallel dazu verlaufende Rezeption angelsächsischer Philosophie vorliegt.

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Scherz und Witz

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Nachdem das vorige Kapitel mit Gottsched geendet hat, trifft man bei diesem Kapitel wieder auf den Namen Tesauro. Dies überrascht etwas: Zum einen ist dies in zeitlicher Hinsicht ein Schritt zurück von gut 100 Jahren. Zum anderen wird mit Tesauro wieder die manieristische Tradition aufgenommen, von der sich klassizistische Überlegungen von Bouhours bis Gottsched durch das Prinzip der Natürlichkeit strikt abgegrenzt haben.

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Mit Tesauro wird die witzige Metapher, die nur im scherzhaften Ausnahmefall Gelächter verursacht, vom Scherz abgegrenzt. Den ernsten Scherzen ordnet Tesauro zudem der Urteilskraft, den lustigen Scherz dem Witz. Damit wird das Produkt des Witzes (der Scherz) auf die gleiche Weise beschrieben wie das Vermögen des Witzes (S. 85).

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Man hätte gerade an dieser Stelle gern die entsprechenden italienischen Begriffsnamen gesehen, da Tesauros Traktat bisher nicht auf deutsch übersetzt wurde. Spätestens wenn auch noch »lustiger Scherz« und »ernster Scherz« unterschieden werden, ist nicht mehr ganz klar, welche Originalbegriffe Tesauros sich dahinter verbergen. Ist »Witz« hier die Übersetzung von »ingegno«? Ist unter »Scherz« die »Argutezza« zu verstehen? Wenn ja, würde sie nicht besser mit »Pointe« übersetzt? Dafür würde auch sprechen, dass Hecken im Folgenden das Wort »Scherz« im Zusammenhang mit dem Epigramm, Hauptgebiet der Pointe, verwendet (S. 86). Auf jeden Fall wären an dieser Stelle einige Ausführung zum Verhältnis der Begriffe »Scherz« und »Pointe« – insbesondere in Hinsicht auf Gattungstypologien – interessant gewesen.

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»Scherz« wird in diesem Kapitel zu einem zentralen Begriff der Darstellung. Dieser Teil (S. 87–112) stellt detaillierter dar, wie bestimmte Autoren sich zum Verhältnis von »Witz«, »Scherz« und »Scharfsinn« gestellt haben. Dabei kommt die Rede unter anderem auf die Vertreter der deutschen Anakreontik (Uz und Gleim), aber auch auf Gellert. Am meisten Aufmerksamkeit erhalten, wie erwartet, Christoph Martin Wieland und Gotthold Ephraim Lessing.

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Sturm und Drang gegen den Witz

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Das letzte Drittel des 18. Jahrhunderts gibt sich zunehmend kritisch gegenüber dem Konzept des Witzes, nicht zuletzt aufgrund einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber den dogmatisch-rationalistischen Entwürfen, in denen er hauptsächlich diskutiert wurde. Obwohl also der Witz in »seinen antiken Ursprüngen gerade als regellos gehandelt wurde« – hier ist die traditionelle Behandlung von ingenium als nicht lernbares Talent wieder mitzubedenken –»färbt die Nähe von metaphorischem Witz und Regelpoetik selbst noch auf den Stil höfischer Schlagfertigkeit ab« (S. 118). Dem rationalistischen Witz wird das Werk des Genies gegenüber gestellt. Dazu wird, im Rückgriff auf unterschiedliche nationale Temperamente, etwa deutsches ›Herz‹ (Lenz) mit romanischem Witz der Galanterie kontrastiert.

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Die Darstellung richtet sich wie zuvor nach den Autoren, die sich nunmehr aber zum Genie äußern (u.a. Hamann, Herder, Lavater). Gleichzeitig werden die diskutierten Begriffe, etwa im Falle von Lenz, auf literarische Texte bezogen.

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Die Erkenntnisse aus diesem Kapitel (die später im Schlusskapitel dargestellt werden) sind sehr interessant. So kann Hecken zeigen, dass auch im Sturm und Drang der Gegensatz von »Witz« und »Genie« nicht so groß ist, wie man ihn von einer Wendung zur Genie-Ästhetik erwarten könnte:

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• »Genie« ist begrifflich mit ingenium verwandt.

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• Beide werden als nicht lernbare / lehrbare Naturgaben behandelt.

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• Das Prinzip des Zusammenfügens von Getrenntem und des Trennens von Verknüpftem tritt in verschiedenen Formen wieder auf (zum Beispiel bei Schiller, ohne dass das Wort »Witz« fällt).

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Allerdings werden diese Aspekte nicht mehr auf die Metapher zurückbezogen.

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Der unendliche romantische Witz

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Den Abschluss des historischen Überblicks bilden die Autoren der Romantik. Hierzu gehören neben Friedrich Schlegel unter anderem Jean Paul, letzterer mit der oft zitierten Prägung, der Witz sei der verkleidete Priester, der jedes Paar kopuliere. Auch diese – witzige – Witzdefinition lässt sich augenscheinlich auf die Metapherndefinition von Aristoteles zurückführen. Am unendlichen Witz in der Romantik wird zudem aufgezeigt, wie sich die ursprünglich gegensätzlichen Geisteskräfte Scharfsinn und Witz mehr und mehr vermengen.

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Es ist es schade, dass die Studie nicht über diese Zeit hinausgeht. Die weiteren Veränderungen des Witzbegriffs werden aber auch so schon deutlich: Entgegen der unverdrossenen Wiederholung der überkommenen Formel, der Witz sei das Vermögen, Ähnlichkeiten wahrzunehmen, wird »Witz« schon ab der Mitte des 18. Jahrhunderts vermehrt auf das Komische angewandt (S. 163). Hecken erkennt hierin ein Symptom dafür, dass es sich um bereits ›abgeschlossenes Vokabular‹ (Rorty) handle. Tatsächlich wird unter »Witz« schon ein halbes Jahrhundert später eher eine scherzhafte Gattung als ein geistiges Vermögen verstanden.

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Kritik

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Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Witz ist nichts Neues, man denke nur an die älteren Studien von Böckmann oder Best zum Witz als Formprinzip. 9 Insofern stellt sich hier die Frage, wo diese Studie Neues leistet. Es wird deutlich, dass der erweiterte begriffliche Rahmen der Metapher und des Witzes (mit Scharfsinn und Scherz) bestehende historische Darstellungen hervorragend ergänzt. 10 Das Verfolgen zweier Kernbegriffe führt zudem zu einem umfassenderen historischen Bild, das der handbuchartigen Selbstbeschränkung auf einen einzelnen Begriff entkommt. Schließlich zeigt der Autor mit vereinzelten Anwendungen auf literarische Texte auf, dass der gesamte Problemkomplex für das Verständnis verschiedener Themen in der Literatur eine hohe Relevanz besaß. Form und Stil werden aber kaum behandelt, auch wenn man sich dies gerade beim Stichwort Witz wünschen würde.

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Insgesamt bildet die Studie einen lesenswerten Überblick über die wichtigsten Stationen der Entwicklung des alten Witzbegriffs. Sie bietet aber auch mehr, denn es gelingt Hecken sehr gut, über ein bloßes Theoriereferat hinauszukommen. So ergibt sich eine historische Arbeit, die alles andere als verstaubt ist.

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Am begriffsgeschichtlichen Anteil dieser Studie müssen allerdings einige Kritikpunkte geäußert werden:

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• Heckens eigene Begrifflichkeit müsste deutlicher sein. Die Behandlung der Begriffsverwendung unterschiedlicher Autoren führt dazu, dass auch Heckens eigene Begrifflichkeit stellenweise undeutlich wird. Was versteht er selbst unter »Witz« und »Scherz«, wenn er diese Worte verwenden muss?

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• Fremdsprachige Begriffe werden oft übersetzt, ohne dass der Originalbegriff dokumentiert wird. In einem Wortfeld, das so viele Wandlungen erlebt hat, erschwert dies zum Teil den Nachvollzug der historischen Zusammenhänge.

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• Hecken stellt seine Studie explizit auf den Kanon ab. Dank dieser Beschränkung auf Hauptpersonen »deutscher Geistesgeschichte« werden den Lesern drittrangige Autoren erspart. Da aber der Kanonbegriff nicht weiter reflektiert wird, trägt er nur unwesentlich zur Klärung bei, wie Hecken seine Text ausgewählt hat.

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• Auch wenn Heckens Kanon viele Namen und Werke umfasst, ist seine Textbasis stellenweise zu dünn. Selbst mit einem breiten Kanon übernimmt Hecken nicht nur ein Übergewicht von Texten aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (hier gerät seine Darstellung stellenweise zum Katalog bekannter Namen), sondern auch die Lücke, die der Kanon deutscher Dichtung und Philosophie zwischen den Jahren 1690 und 1730 aufweist. Allerdings müsste die ganze Germanistik daran arbeiten, dass Texte etwa aus der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert leichter verfügbar gemacht werden, etwa in Form elektronischer Korpora.

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• Mit dem unausgeglichenen Textkorpus bleibt Heckens Arbeit, wie die Fußnote 72 freimütig zugibt, hinter einer Diskursanalyse oder sozialhistorischen Semantik zurück.

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• Komik (und insbesondere der Aspekt der Inkongruenz von nicht zusammenpassenden Begriffen) hätte mehr Aufmerksamkeit verdient. Zusammen mit dem (ebenfalls eher stiefmütterlich behandelten) Begriff der Pointe wären hier interessante Ausblicke ins 19. Jahrhundert möglich gewesen.

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Darüber hinaus wünschte man sich bisweilen mehr Bezüge zu den jeweils herrschenden historischen Verhältnissen. Wenn sich Hecken bezüglich der »Zuschreibung von Gründen für einen veränderten Begriffsgebrauch« selbst »Zurückhaltung auferlegt« (S. 24), dann versucht er, aus der Not eine Tugend zu machen. So bleibt auch der historische Hintergrund der Konjunktur des Witzbegriffs unterbelichtet. Auf diese Weise kann Hecken auch nicht auf gewandelte soziale Bedingungen eingehen, unter denen der Witzbegriff jeweils behandelt wird. Tatsächlich belässt er es oft lediglich beim Konstatieren von verblüffenden Begriffsentwicklungen, etwa wenn Wernicke (m. E. plötzlich) »Witz« in die deutsche Esprit-Debatte einbringt (S. 78 f.).

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Nun kann man sicher nie alles erklären. Es bleibt aber der Verdacht, dass Hecken sich Zurückhaltung auferlegen muss, weil seine Textbasis nicht breit genug war.

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Heckens Textgrundlage ist insbesondere für das erste Drittel des 18. Jahrhunderts relativ dünn. Dies ist nicht unerheblich, denn zum einen beschäftigt sich diese Studie gemäß Untertitel mit dem gesamten 18. Jahrhundert. Zum anderen scheinen wichtige begriffliche Entwicklungen auf der Wende des 17. zum 18. Jahrhunderts stattzufinden (Beispiel Wernicke).

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Problembewusstsein oder Historisierung des Kanons liegt dennoch nicht vor. Die Kanonorientierung wird als denkmalschützerische Leistung verkauft:

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Zur Kanonbildung trägt [diese Arbeit] insofern bei, als sie einen gegebenen Kanon übernimmt und diesen an keiner Stelle herausfordert oder ergänzt. Die germanistische Hochschätzung Herders, Jean Pauls etc. bleibt erhalten. (S. 28)
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Ein solches Bekenntnis zum Kanon könnte in einem anderen Kontext erfrischend wirken. Aus der Sicht der Begriffsgeschichte ist es aber unzureichend, die Textauswahl dem Kanon zu überlassen.

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Fazit

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Das vorliegende Werk ist eine gut lesbare und sehr hilfreiche Darstellung der Begriffsgeschichte von Metapher und Witz. Es eignet sich weniger zum gezielten Nachschlagen und selektiven Nachlesen, denn eine systematische Gliederung liegt nicht vor und ein Register fehlt. Dennoch bietet dieses Buch Anregungen und Neues für diejenigen, die sich für die Bereiche Metapher, Witz und Scharfsinn, aber auch für Humor und Stil sowie Epigramm und Gespräch im ausgehenden 17. und im 18. Jahrhundert interessieren.

 
 

Anmerkungen

Aristoteles: Rhetorik III, 10 f.   zurück
Zum Beispiel Hans Hörmann: Semantische Anomalie, Metapher und Witz. Oder schlafen farblose grüne Ideen wirklich wütend? In: Folia Linguistica 5 (1971), S. 310–330.   zurück
Donald Davidson: What Metaphors Mean? In: Sheldon Sacks (Hg.): On Metaphor. Chicago 1978, S. 29–45.   zurück
Interessante neuere vergleichstheoretische Ansätze finden sich zum Beispiel bei Andrew Goatly: The Language of Metaphors. London 1997. Er behandelt unter anderem den Vergleichsaspekt, indem er die notwendige Differenz zwischen den verglichenen Elementen betont. Diese Sicht könnte dem Detail, dass die aristotelische Metapherndefinition weit auseinander liegende Dinge verbindet, mehr Gewicht verleihen. Es hätte auch die Inkongruenz-Definition der Komik in die Untersuchung einbringen können.    zurück
Mehr zu diesem Thema bieten die überaus interessanten Überlegungen von Joseph Stern: Metaphor in Context. Cambridge, Mass. 2000, der Davidson ernstnimmt und trotzdem einen Semantik der Metapher entwickelt.    zurück
Insbesondere Aristoteles: Rhetorik III, 3–6; 10 f.; Poetik 1457b 6–33; 1459a 4–8.   zurück
Heckens Zusammenfassung nimmt eigentlich Quintilians Formel voraus, die Metapher sei ein gekürzter Vergleich. Aristoteles geht an der für Hecken entscheidenden Stelle (Rhetorik III, 4) den umgekehrten Weg und bemerkt, dass auch der Vergleich eine Art Metapher sei.    zurück
Aristoteles: Rhetorik III, 11.   zurück
Paul Böckmann: Formgeschichte der deutschen Dichtung. In zwei Bänden. [nur ein Band ersch.] Hamburg 1949; Otto F. Best: Der Witz als Erkenntniskraft und Formprinzip. Darmstadt 1989.   zurück
10 
Hier ergänzt diese Studie in hervorragender Weise Untersuchungen zum Manierismus (Rüdiger Zymner: Manierismus. Zur poetischen Artistik bei Johann Fischart, Jean Paul und Arno Schmidt. Paderborn 1995) oder zur Pointe (Ralph Müller: Theorie der Pointe. Paderborn 2003).    zurück