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Pippi reist um die Welt

Ein Kinderbuch als Kulturträger

  • Astrid Surmatz: Pippi Langstrumpf als Paradigma. Die deutsche Rezeption Astrid Lindgrens und ihr internationaler Kontext. (Beiträge zur Nordischen Philologie 34) Tübingen: Francke 2005. XIV, 618 S. Kartoniert. EUR (D) 78,00.
    ISBN: 3-7720-3097-1.
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Pippi Långstrump als Paradigma – der Titel von Astrid Surmatz’ umfangreicher Darstellung der deutschen und internationalen Astrid-Lindgren-Rezeption ist geschickt gewählt, denn die musterbildende Funktion des schwedischen Kinderbuchklassikers lässt sich in doppelter Hinsicht kaum unterschätzen. Zum einen im Hinblick auf den Literaturbetrieb: Pippi Långstrump wirkt bis heute als »Kinderliteratur par excellence« (S. 3) in der Wert- und Normsetzung des kinderliterarischen Feldes nach. Zum anderen im Hinblick auf die Literaturwissenschaft: Pippi Långstrump eignet sich in hervorragender Weise dazu, verschiedene Disziplinen – hier die Übersetzungswissenschaft, die Skandinavistik und die Kinder- und Jugendliteraturforschung – miteinander zu verbinden und so die jeweilige Fachperspektive beispielhaft zu erweitern.

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Pippi Långstrump:
Indikator für kulturelle Entwicklungen

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Ziel von Surmatz’ Arbeit ist es, den sich verändernden Rezeptionskontext, in dem die Werke der schwedischen Autorin in Schweden, im deutschsprachigen und im internationalen Raum stehen, anhand von Übersetzungs- und Überarbeitungsanalysen sichtbar zu machen. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht dabei die Trilogie über Pippi Långstrump (1945 – 48) und deren deutsche Rezeption, wobei Surmatz ihre Beobachtungen einerseits mit Vergleichen zu den deutschen Übersetzungen weiterer Lindgren-Texte untermauert, andererseits mit skandinavischen, englischsprachigen und französischen Pippi-Versionen kontrastiert, und so die herausragende Bedeutung von Lindgrens berühmtestem Werk unterstreicht. Pippi Långstrump fungiere, so Surmatz, als »Indikator für […] Veränderungen in der Ausgangs- wie in den verschiedenen Zielkulturen« (S. 7) und stehe somit paradigmatisch sowohl für die Erneuerung der schwedischen Kinderliteratur um 1945 als auch für neue bzw. konservative Strömungen in verschiedenen National(kinder)literaturen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

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Spezifika kinderliterarischen Übersetzens

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Surmatz stellt ihrer Abhandlung im ersten Kapitel einige methodische Überlegungen zur Übersetzung von Kinderliteratur im Feld der allgemeinen Übersetzungsforschung voran. Sie definiert zunächst den Status von Kinder- und Jugendliteratur und kinderliterarischer Übersetzung im allgemeinliterarischen System, um daran anschließend Grundbegriffe der Kinder- und Jugendliteraturforschung für ein fachfremdes Lesepublikum zu erläutern, darunter Göte Klingbergs Definition der kinderliterarischen »Adaptation« bzw. »Purifikation« (S. 29 f.). Das Modell der »Adressatendoppelung« (S. 31 f.), das als kinderliterarisches Strukturmerkmal im Hinblick auf die später (S. 78 ff.) von Surmatz präsentierte Bedeutung pädagogischer Normen und Kindheitsbilder für die Übersetzung kinderliterarischer Texte erhellend wirken könnte, hätte hier eine ausführlichere Betrachtung verdient gehabt. Die Autorin legt statt dessen – ebenfalls überzeugend – von der allgemeinen Übersetzungswissenschaft her kommend den Akzent auf die Unterscheidung ausgangstext-, zieltext- und transferorientierter Ansätze der Systematisierung des literarischen Übersetzens (S. 32 ff.), die sie auf die Spezifik kinderliterarischen Übersetzens anwendet (S. 36 ff.) und zu konkreten Übersetzungsstudien von Lindgren-Texten in Verbindung setzt: Präskriptiven ausgangstext- und transferorientierten Ansätzen stehen hier eher deskriptiv orientierte zieltextorientierte Ansätze gegenüber. Surmatz’ Abhandlung versucht mit ihrem »transferorientierten, deskriptiven Ansatz, der literarische Elemente des Ausgangs- wie des Zieltexts in den Blick nimmt und in die Übersetzungsanalyse eine Beschreibung von Aspekten der Ausgangskultur, des Übersetzungsprozesses und zielkultureller Normen einbezieht« (S. 56) eine Synthese: Ihr Ziel ist es, die Entwicklung, die Pippi Långstrump in verschiedenen Kulturräumen genommen hat, aus der vergleichenden Betrachtung der jeweiligen Ausgangs- wie Zielkultur heraus zu verstehen. Es kann ihr aus diesem Ansatz heraus nicht darum gehen, die internationalen Pippi-Versionen anhand ihrer Abweichungen vom Ausgangstext zu bewerten. Gleichwohl bleibt für Surmatz’ Lesepublikum der Abriss praxisorientierter Kritikpunkte (S. 56 ff.), die Astrid Lindgren im Lauf der Jahre selbst an Übersetzungen ihrer Werke gerichtet hat, ein lesenswerter Exkurs, der den intellektuellen Scharfsinn und hintergründigen Humor der schwedischen Autorin plastisch vor Augen führt.

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Rezeptionsanalyse:
Von der schwedischen Ur-Pippi
zur internationalen Kinderbuchheldin

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Astrid Surmatz unterscheidet in ihrer Untersuchung drei Rezeptionskategorien: Editionsgeschichte, Übersetzung und Medialisierung. Der übersetzerischen Rezeption Pippi Långstrumps in Deutschland (Kap. 2 und 3) gilt dabei ihr Hauptinteresse, weil sich in ihr kulturspezifische Auffassungen von Kindheit und Literatur sowie national unterschiedliche gesellschaftliche Gegebenheiten spiegeln, die ihrerseits Aufschluss über die Bewertungskoordinaten von Lindgrens Werk geben können. Anhand der Analyse der verschiedenen Überarbeitungsstadien der deutschen Übersetzung von Cäcilie Heinig macht Surmatz deutlich, wie sich der Rezeptionskontext, in dem Lindgrens Werke stehen, im Laufe der Jahre verändert hat: Wo nach dem Zweiten Weltkrieg das Kinderbuch noch als braver Hort »froher Kinderseligkeit« gelten sollte (S. 191) und im Zuge dessen die satirische Komik von Lindgrens Text im ursprünglichen Übersetzungsprozess 1949 geglättet bzw. durch den Verstoß gegen die deutsche Erwartungshaltung möglicherweise auch gar nicht erkannt wurde, wird der subversive Charakter der Pippi-Figur in den zwischen 1957 und 2001 erschienenen Überarbeitungen immer mehr an das schwedische Original angenähert.

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Ein Abriss über die Textgeschichte in Schweden (S. 81–112) macht die Besonderheit von Astrid Lindgrens Werk deutlich: Pippi Långstrump kann als phantastische Erzählung und als modernistisches Manifest gelesen werden, das Werk steht in der Tradition burlesken Erzählens und übt gleichzeitig subtil politische Kritik. Intertextuelle Bezüge stellen es in eine Reihe mit zum Zeitpunkt seines Erscheinens bereits anerkannten internationalen Kinderbuchklassikern wie Winnie-the-Pooh, Huckleberry Finn und Anne of Green Gables. Wie umstritten das heute als kinderliterarisches Musterbeispiel verstandene Buch zum Zeitpunkt seines Erscheinens war, wird von Surmatz ausführlich dargestellt. Ein Vergleich zwischen der so genannten »Ur-Pippi« und der 1945 im Verlag Rabén & Sjögren erschienenen Textfassung macht die Systematik deutlich, mit der der Lindgren-Text durchkonstruiert ist – eine Beobachtung, die in der schwedischen Forschung zum Allgemeinwissen gehört, dem deutschsprachigen Forschungsdiskurs aber durch Astrid Surmatz’ Präsentation erschlossen wird. Hier sei auch auf ihre ausschnittweise eigene Übersetzung des Manuskripts in dem gemeinsam mit Paul Berf herausgegebenen Lindgren-Werkporträt Zum Donnerdrummel (Hamburg 2001) verwiesen.

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Deutsche Übersetzungsgeschichte:
Schonraumpädagogik und politische Korrektheit

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Die Verfasserin erläutert zunächst das ihrer Analyse der deutschen Übersetzungen zugrunde liegende Textkorpus, das insgesamt vier schwedische und zwischen 1949 und 2001 dreizehn deutschsprachige Ausgaben des Klassikers umfasst, wobei gleichzeitig Seitenblicke auf österreichische und schweizerische Pippi-Versionen sowie auf die DDR-Ausgabe von 1975 geworfen werden. Surmatz’ Darstellung macht die Verflechtung der Publikationsgeschichte Pippi Långstrumps mit der Geschichte des Oetinger-Verlags deutlich und rechtfertigt einmal mehr die paradigmatische Funktion, die sie dem Lindgren-Klassiker für den deutschen kinderliterarischen Diskurs zuweist. Interessant für Skandinavisten ist u.a. die Bedeutung, die Surmatz einem 1987 von Hans Ritte in Frankfurt gehaltenen Vortrag zuweist: Rittes Kritik an »präskriptiver, normativer Textanpassung« (S. 123) veranlasste den Oetinger-Verlag, nach eingehender Debatte einen Teil seiner Änderungsvorschläge in eine 1988 erscheinende revidierte Pippi-Langstrumpf-Ausgabe einfließen zu lassen.

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Im Kontrast zur schwedischen Textgeschichte präsentiert Surmatz anschließend anhand illustrativer Beispiele die Geschichte der sich immer wieder verändernden deutschen Textgestaltung: Es mag noch einleuchten, dass die absurde Komik, die im schwedischen Original nicht zuletzt durch den Sprachwitz der Protagonistin entsteht, bislang noch in keiner Pippi-Fassung adäquat ins Deutsche übertragen werden konnte. Die Verfasserin weist jedoch nach, dass die Übersetzung von Cäcilie Heinig zudem bewusst Elemente von Persiflage und Satire abschwächt: Die humorvolle Persiflage militärischen Verhaltens und Drills, die im schwedischen Original Pippi Långstrumps Auftritt beim Kaffeeklatsch im Hause Settergren kennzeichnet, konnte direkt nach dem Zweiten Weltkrieg in der deutschen Ausgabe als Karikatur des Befehlstons Erwachsener gegenüber Kindern wohl nicht zugelassen werden (S. 161). Erst 1986 wurden hier bislang im deutschen Text zurückgehaltene Textstellen wieder ergänzt.

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Typisch für die deutsche Lindgren-Adaption sind, wie Surmatz darlegt, »beschützende Eingriffe zum leiblichen Wohl der kindlichen Leser« (S. 143 ff.). Neben dem inzwischen nicht zuletzt durch Surmatz’ Verdienst bereits weithin bekannten »Fliegenpilz wird Steinpilz«-Beispiel zitiert die Verfasserin hier die deutsche »Abneigung gegen Kriegsspielzeug und Waffen in Kinderhand« (S. 145): Nach der 1949 zunächst originalgetreu vorgenommenen Übersetzung der »Dachbodenszene«, in der Pippi Tommy und Annika je eine Pistole anbietet, die von diesen auch gerne angenommen wird, lässt die Überarbeitung von 1957 Pippi die Pistolen mit den Worten »Das ist nichts für Kinder« wieder in der Kiste verschwinden, in der sie sie gefunden hat.

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Surmatz präsentiert noch eine Menge ähnlich interessanter Beispiele aus unterschiedlichen Bereichen und geht dabei nicht nur auf konkrete inhaltliche Änderungen bzw. Streichungen ein, sondern auch auf die Konsequenzen von Veränderungen im Hinblick auf Stil und Erzählperspektive. In sorgfältiger Analyse vollzieht sie die deutsche Textgeschichte des Lindgren-Klassikers in bislang nicht da gewesener Form nach und beobachtet dabei erstaunlich unterschiedliche Abweichungen vom Originaltext, die sich jedoch – ordnet man sie in den jeweiligen zeithistorischen Kontext ein – schlüssig in die deutsche Kultur- und Kinderliteraturgeschichte nach dem zweiten Weltkrieg einpassen.

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Im Zuge ihrer Analysen vollzieht Surmatz auch die »äußere Übersetzungsgeschichte« (S. 112 ff.) von Pippi Langstrumpf nach und bietet dem Leser ihrer Studie aufschlussreiche Einblicke in das Zusammenspiel von Verlagspraxis und -politik, wissenschaftlicher Forschung und Astrid Lindgrens eigenem Einsatz für die originalgetreue Verbreitung ihrer Werke. Dabei stützt sie ihre Argumentation auf eine Reihe bislang unveröffentlichter Dokumente, vor allem Interviews und Korrespondenzen, die sie selbst geführt hat.

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Surmatz’ Zusammenfassung der »Übersetzungsgeschichte als Überarbeitungsgeschichte« (S. 161 ff.) enthält leider (unnötigerweise) viele Konjunktive – eine eindeutigere Verknüpfung ihres methodischen Grundlagenkapitels mit den konkreten Übersetzungsvergleichen hätte eine sicherere Argumentationsbasis für die an sich überzeugenden Rückschlüsse geliefert, die die Verfasserin aus dem übersetzerischen Rezeptionsprozess auf den »Zeitkontext der Nachkriegszeit, Erziehungsvorstellungen, Konzepte von Kindheit an sich sowie von Kinderliteratur« (S. 163 f.) zieht. Surmatz’ Darstellung der kritischen Pippi-Långstrump-Rezeption aus schwedischer und deutscher Sicht bietet für deutsche Leser interessante Neuperspektiven auf das oft allzu verklärte Werk: Anhand der »Pippi-Fehde« (S. 165 ff.), den 1946 ein die Lindgren-Figur der Geschmacklosigkeit zeihender Zeitungsartikel des schwedischen Literaturprofessors John Landquist auslöste über die »Sentimentalisierungsdiskussion« (S. 180 ff.) und die Klassikerdebatte bis hin zur marxistischen Diskussion in Deutschland (S. 203 ff.) führt Surmatz die polarisierte Rezeption des Lindgren-Klassikers vor Augen, welche sich in den Übersetzungseingriffen der jeweiligen Zeit spiegelt.

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Internationale Übersetzungsgeschichte:
Normalisierung statt Revolutionierung

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Im Anschluss an ihre Analyse der deutschen Textgeschichte untersucht die Verfasserin die Frage, inwiefern sich Tendenzen aus der deutschen Übertragung in der erweiterten internationalen übersetzerischen Rezeption von Pippi Långstrump wieder finden. Sie zeigt anhand eines Vergleichs der skandinavischen (dänisch, norwegisch, isländisch, färöisch), englischen (britische und amerikanische Ausgabe) und französischen Übersetzungen und Überarbeitungen, wie Astrid Lindgrens Werk sich in »Rezeptionswellen« (S. 216) Kulturräumen folgend ausbreitet, und wirft dabei auch Seitenblicke auf weitere internationale Ausgaben wie die finnische, niederländische und russische Pippi-Version. Surmatz stellt ausgewählte Textstellen einander gegenüber und analysiert ausgehend von der Textgestalt in den verschiedenen Übersetzungen, inwiefern sich unterschiedliche Kindheitsbilder, nationales Literaturverständnis und gesellschaftliche Gegebenheiten auf die Rezeption in unterschiedlichen Kulturräumen ausgewirkt haben. Generell stellt die Verfasserin im Hinblick auf inhaltliche Gestaltung und Sprachverwendung eine Tendenz zur Normalisierung des revolutionären Werks fest. Sie systematisiert ihre Analysen thematisch so, dass der Kontrast der Textzitate für sich wirkt und Rückschlüsse auf die von ihr gesuchten rezeptionsbestimmenden Parameter zulässt. Der in dieser Vorgehensweise liegenden Gefahr der Verallgemeinerung zufälliger Forschungsergebnisse begegnet Surmatz, indem sie ihre Analysen ihrerseits wieder mit entsprechenden Informationen über den zielkulturellen Hintergrund der Übersetzungssituation untermauert und somit überzeugend darlegen kann, dass Pippi Långstrump tatsächlich als das von ihr behauptete Paradigma gelten kann.

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Erhellend ist in diesem Zusammenhang z.B. die Behandlung der Rassismusfrage in anglo- und francophonen Texten (S. 234 ff.): Der konnotative Kontext der Begriffs »negro« bzw. »nègre« ist innerhalb der englisch- und französischsprachigen Zielkulturen aufgrund der Kolonialvergangenheit bzw. der aktuellen multiethnischen Gesellschaft wesentlich belasteter als in der schwedischen Ausgangskultur, und so wird Pippis Vater vom »negerkung« (Negerkönig) zum »Cannibal king« bzw. »roi en Afrique«. Aber auch weniger politisch motivierte Übersetzungsspezifika, wie die Anpassung von Eigennamen an die jeweilige Zielkultur mit ihren kinderliterarischen Eigenheiten, geben reichen Aufschluss über das komplexe Zusammenspiel zwischen nationalkulturellen und (gleichermaßen national wie international geprägten) kinderliterarischen Diskursen und bieten eine Fülle von Ansatzpunkten für weitergehende Forschungsarbeiten auf dem Feld der komparativen kinderliterarischen Übersetzungsforschung.

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Angesichts der Fülle an Primärtexten (das Literaturverzeichnis umfasst allein für internationale Pippi-Långstrump-Ausgaben 18 Seiten) ist es kaum verwunderlich, dass sich »generelle Aussagen […] für diesen spezifischen, weit ausdifferenzierten Rezeptionsvorgang nicht völlig eindeutig« treffen lassen (S. 404). Astrid Surmatz’ Verdienst bleibt in diesem Punkt die Systematisierung von Textmaterial für eine weitere literatur-, kultur- oder übersetzungswissenschaftliche Aufarbeitung.

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Mediale Rezeption:
Pippi goes to Hollywood

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Surmatz’ Rezeptionsanalyse wird schließlich im vierten Kapitel ihrer Studie komplettiert durch einen Blick auf verschiedene mediale Umsetzungen des Klassikers in Theater, Film und Hörspiel sowie auf CD-Rom. Die mediale Wechselwirkung wird dabei von der Verfasserin allerdings »nur insofern […] diskutier[t], als die wachsende Komplexität der medialen Welt zu einem bestimmenden Faktor für die Aufnahme der Werke Lindgrens wurde«, sprich: Ein Seitenblick v. a. auf die Filmfassungen, die Generationen von Kindern im Fernsehen gesehen haben und die das Bild der Kinderbuchheldin vor allem anderen prägen, kann im Rahmen einer Rezeptionsstudie über den Lindgren-Text nicht ausbleiben, eine methodisch durchgearbeitete vergleichende Medienanalyse würde den Rahmen der Arbeit allerdings sprengen.

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Surmatz präsentiert verschiedene schwedische und deutsche Hörspiel- und Theateradaptionen und geht dann vor allem auf die verschiedenen Verfilmungen von Pippi Långstrump ein, wobei sie sehr eindrücklich herausarbeitet, inwiefern sowohl die bekannten schwedischen Fernsehfilme von Olle Hellbom (1969–1970) als auch die amerikanische Filmversion von Ken Annakin (1988) sowie die Disney-Produktion von 1997 das Werk jeweils an ihren Zeit- und Medienkontext adaptieren: Während die schwedischen Filme das antiautoritäre Kindheitsideal der 1940er Jahre im Sinne der 1970er Jahre aktualisieren, also stellenweise schärfer und frecher zeichnen als der zugrunde liegende Text (S. 357 f.), adaptiert die Hollywood-Verfilmung von Ken Annakin das Werk an gängige Mädchenbuchschemata und lässt das eigenwillige Geschöpf Pippi Långstrump zu einem bemitleidenswerten, elternlosen Mädchen werden, das an seiner Unwissenheit in Benimmfragen, die es immer wieder in gesellschaftliche Konflikte trägt, keine Schuld trägt (S. 359 f.). Die amerikanisch-kanadische Zeichentrickversion von 1997 lässt die Pippi-Figur schon im Hinblick auf äußere Merkmale gemäßigt auftreten, auch ihr Charakter ist weniger scharf gezeichnet als im schwedischen Originaltext, wohl um einem internationalen Publikumsgeschmack entsprechen zu können (S. 366 f.).

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Astrid Surmatz schließt ihre Studie mit einem zusammenfassenden Blick auf die übersetzerische Rezeption Pippi Långstrumps ab (S. 372 ff.), in dem sie die aus den jeweiligen Texten gefilterten Informationen einander noch einmal gegliedert gegenüberstellt.

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Wertvolle Pionierarbeit

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Astrid Surmatz hat eine überwältigende Fülle an Material bearbeitet – die fast 200-seitige Forschungsbibliographie legt davon ebenso Zeugnis ab wie die vielen ausführlichen Fußnoten, die stellenweise kleine Studien in sich bilden und manchmal Informationen versteckt halten, wo im Fließtext eine Lücke bleibt. Die Reichhaltigkeit an Informationen mag bei der ersten Lektüre der Studie fast überfordernd wirken, je öfter man Surmatz’ Werk jedoch zur Hand nimmt, desto mehr kann man die vielen, sorgfältig zusammengetragenen und ausgearbeiteten Einzelheiten schätzen und einordnen. Die Verfasserin hat nicht nur erstmals die deutsche und skandinavische Forschungsliteratur zu Astrid Lindgren für den deutschen Wissenschaftsdiskurs systematisch erschlossen. Sie hat sich vor allem mit großem persönlichen Engagement in zahlreichen Interviews und Briefwechseln eine eigene Perspektive auf das Lindgren-Werk erarbeitet, mit der sie nun der Forschungswelt die Augen für vielfältige Fragestellungen in Bezug auf das eigentlich bekannt und hinlänglich erörtert geglaubte Phänomen Astrid Lindgren öffnet.