IASLonline

Sich in die Geschichte einschreiben

Der historische Roman von Frauen

  • Marianne Henn / Irmela von der Lühe / Anita Runge (Hg.): Geschichte(n) - Erzählen. Konstruktionen von Vergangenheit in literarischen Werken deutschsprachiger Autorinnen seit dem 18. Jahrhundert. Göttingen: Wallstein 2005. 304 S. 4 Abb. Kartoniert. EUR (D) 28,00.
    ISBN: 3-89244-813-2.
[1] 

Einleitung

[2] 

Der historische Roman erfreut sich auch 200 Jahre nach seiner Entstehung größter Beliebtheit. In Buchhandlungen nimmt er ganze Regale ein, und historische Romane wie Daniel Kehlmanns Vermessung der Welt finden sich regelmäßig auf der Bestsellerliste. Auch von weiblicher Hand verfasst – gedacht sei an die Romane der überaus erfolgreichen Tanja Kinkel – hat er nach wie vor eine große, treue Fangemeinde.

[3] 

Der historische Roman von Frauen hat eine lange Tradition, war es doch Benedikte Nauberts Walther von Montbarry, Großmeister des Tempelordens (1786), der den Familienroman um eine historische Komponente erweiterte und eine Flut von historischen Romanen im 19. Jahrhundert auslöste. Obwohl der historische Roman (auch von Frauen) die Literatur des 19. Jahrhunderts weitgehend dominierte, wird er, anlehnend an Georg Lukacs und Walter Benjamin, oft der Trivialliteratur zugeordnet und in der Forschung wenig beachtet. Eine Untersuchung gerade des weiblichen historischen Schreibens von den Anfängen zur Gegenwart ist deshalb von großer wissenschaftlicher Bedeutung. Der neu erschienene Band Geschichte(n) - Erzählen. Konstruktionen von Vergangenheit in literarischen Werken deutschsprachiger Autorinnen seit dem 18. Jahrhundert basiert auf den Beiträgen einer Göttinger Tagung des Jahres 2002, in der deutsche, britische und amerikanische Wissenschaftler zusammenkamen.

[4] 

Umfang und Anspruch

[5] 

Die Beiträge sind in drei Jahrhundert-Sektionen geordnet. Nach einer Einführung durch die Herausgeberinnen Marianne Henn, Irmela von der Lühe und Anita Runge befassen sich die ersten sieben Beiträge mit dem historischen Roman des 20. Jahrhunderts, die folgenden drei mit dem 19. Jahrhundert und weitere fünf mit den Anfängen der Gattung im späten (langen) 18. Jahrhundert. Thematisch und visuell bilden Ricarda Huch (2 Beiträge) und Benedikte Naubert (3 Beiträge) die Eckpunkte dieses Bandes. Folgerichtig benützt auch Marianne Henn diese beiden Autorinnen als Eckpunkte ihrer statistischen Auswertung des weiblichen historischen Romans des 19. Jahrhunderts im Anhang.

[6] 

Die rückwärts gerichtete Chronologie des Bandes ist methodisch interessant, spiegelt sie doch unser retrospektives Eindringen in die Geschichte, wird aber in der Einführung der Herausgeberinnen weder thematisiert noch erklärt. Die Herausgeberinnen setzen in ihrer chronologischen Gliederung auch keine thematischen Schwerpunkte, so dass der Leser den Eindruck von 15 Momentaufnahmen erhält. Erst der statistische Beitrag von Marianne Henn schlägt Brücken vom 18. zum 20. Jahrhundert und sieht Konsistenzen wie zum Beispiel die fortdauernde Beliebtheit des Dreißigjährigen Kriegs in der historischen Literatur zwischen 1780 und 1945 und gehört deshalb eigentlich an den Anfang des Bandes.

[7] 

Literatur als Organon
der Geschichte

[8] 

Die Herausgeberinnen stellen ein Zitat von Benjamin leitmotivisch an den Anfang ihrer Überlegungen. Literatur, so Benjamin, müsse ein Organon der Geschichte sein und so »den Erfahrungsverlust und die Erkenntnisnöte der eigenen Zeit sichtbar […] machen« (S. 7). Doch Erinnern und Vergessen sind nicht geschlechterneutral. Die Herausgeberinnen weisen auf den wichtigen Aufsatz von Renate von Heydebrand hin (»Vergessenes Vergessen. Frauen als Objekt und Subjekt literarischen Gedächtnisses«, 1999), der zeigt, dass Frauen nicht nur als Autorinnen vom literarischen Kanon ausgeschlossen werden. Vielmehr fanden auch weibliche Erinnerungsprozesse keinen Eingang in den (nationalen) Erinnerungsdiskurs. Deshalb bildet, so die Herausgeberinnen, die Suche nach Abweichungen vom traditionellen Modell des historischen Erzählens und nach Subversionen konventioneller Geschichtsmodelle in den Texten von Schriftstellerinnen das Ziel des Bandes (S. 11). Es gehe in »allen Beiträgen nicht um die historische Belletristik im Allgemeinen, sondern um Gattungsmuster und Deutungsverfahren beim Versuch historischen Erzählens […], um Formen poetischer Repräsentation von Vergangenheit in Werken von Schriftstellerinnen dreier Jahrhunderte« (S. 11). Eine solche Vorgehensweise soll zu einer notwendigen Revision im Urteil über die Gattung insgesamt, einzelne Texte und einzelne Autorinnen führen. Eine solche Revision ist, wie ein Blick in die vorliegende Literatur zeigt, bitter nötig, da das historische Schreiben von Autorinnen bisher kaum berücksichtigt worden ist. Ausnahme sind Beiträge in den Tagungsbänden von Durrani und Preest (2001) sowie Fulda und Tschopp (2002), das Buch von Epple (2003) sowie die Aufsätze von Fulda (2003) und Runge (2005). Im Ganzen ist die Forschungslage weiterhin dürftig und eine wissenschaftliche Übersicht über die historische Belletristik von Autorinnen ist zu wünschen. Diesem Desiderat kommt der vorliegende Tagungsband entgegen.

[9] 

Weibliche historische Belletristik
im 20. Jahrhundert

[10] 

Der erste Teil des Bandes schlägt den Bogen von Ricarda Huch zu Irmtraud Morgner, von der studierten Historikerin (Huch) über die Vorkämpferin des Frauenrechts (Bäumer) zur Exilantin und Drehbuchautorin Anna Gmeyner. Der Anspruch des Bandes, Revisionen einzelner Texte und Autorinnen zu geben, ist sicher erfüllt. Wenig bekannte Autorinnen wie beispielsweise Elisabeth Aman oder Anna Gmeyner und deren historische Texte werden gründlich vorgestellt.

[11] 

Hans Richard Brittnacher stellt die historischen Romane über das ›Risorgimento‹ aus Ricarda Huchs mittlerer Phase vor, während sich Gesa Dane Huchs Studie zum Dreißigjährigen Krieg widmet. Als nächstes untersucht Sabine Döring den ›kulturhistorischen Dorfroman‹ Amans, der die Enthistorisierung der Geschichte thematisiert. Mit Gertrud Bäumers historischen Romanen über das Mittelalter und Anna Gmeyners Roman Manja wird der weibliche historische Roman in Konnex gesetzt zur politischen Auseinandersetzung mit dem Nationsozialismus, dem eine mythische Zeit- und Rollenerfahrung entgegengestellt wird. Die Beiträge zu Christa Wolf und Irmtraud Morgner zeigen wie sich die historischen Romane dieser Autorinnen mit dem real existierenden Sozialismus der DDR auseinandersetzten: Wolf indem sie eine »erinnerte Zukunft« schafft, Morgner durch narrative Mittel wie Polyphonie und Montagetechnik.

[12] 

Vor allem die beiden letztgenannten Aufsätze von Joanna Jablkowska (Christa Wolf) und Anke Detken (Irmtraud Morgner) stellen sich dem Anspruch des Tagungsbandes: zu untersuchen, wie die Autorinnen mit dem Gattungsanspruch und den Gattungsnormen des historischen Erzählens umgegangen sind. Jablkowska zeigt überzeugend, wie Wolf in Kein Ort. Nirgends untersuchte, ob der historische Roman für die Moderne produktiv gemacht werden könne. »Die poetologische Überlegung über das historische Drama [wird] auf die Möglichkeit der modernen Geschichtserzählung übertragen« (S. 116). Für Wolf kann der historische Roman die Verwirrungen und Widersprüche ihrer Zeit nicht mehr darstellen, und so verbleibt nur ein erfüllter Augenblick des Dialogs, in dem die »Zukunft erinnert« werden kann.

[13] 

Noch konsequenter erteilt Morgner eine Absage an die narrative Linearität mancher historischer Romane. Leben und Abenteuer der Trobadora Beatriz nach Zeugnissen ihrer Spielfrau Laura ist ein multi-perspektivischer Montageroman, der Geschichte nicht als Ganzes, Totales darstellen mag, sondern »aktives Erinnern«, die aktive Aneignung der Vergangenheit durch den Leser propagiert. Detken erschließt den Themenkomplex Gender und Geschichte, indem sie herausarbeitet, wie Morgner mit der männlich konnotierten, offiziellen Geschichtsschreibung umgeht.

[14] 

Auch Sabine Doering weist in ihrem Beitrag zur Schweizer Autorin Elisabeth Aman auf die geschlechterspezifische Prägung der Wahrnehmung hin, denn bei der Beschreibung aus der häuslichen Lebenswelt demonstriere die Autorin große Sorgfalt bei all jenen Tätigkeitsfeldern, die einer Familienmutter vertraut seien. Doering lehnt ab, dies zur Grundlage einer ideologischen Deutung des Romans zu machen. Gerade die Untersuchung eines solch weiblichen Blicks wäre aber im Rahmen dieses Bandes interessant gewesen, denn die »Enthistorisierung der Zeit« kommentiert sicherlich auch das soziale, wirtschaftliche und politische Klima der sich verengenden Nachkriegsschweiz.

[15] 

Obwohl der erste Teil faszinierende Einzelinterpretationen liefert, fehlt zumeist eine theoretische Auseinandersetzung mit der Gattung allgemein und dem historischen Schreiben von Frauen im Speziellen. Traditionslinien und Vorbilder aus dem 19. Jahrhundert, an denen sich beispielsweise Gertrud Bäumer abarbeitete, werden nicht erwähnt. So ist zum Beispiel der Rückgriff auf das Mittelalter ein beliebter Kunstgriff unter den Autorinnen des frühen 19. Jahrhunderts und die Aufarbeitung mythischer Frauenfiguren wird nicht nur von der Nazisympathisantin Bäumer produktiv verwendet.

[16] 

Im Überblick fällt auf, dass bei den untersuchten Texten des 20. Jahrhunderts nicht-lineares, multi-perspektivisches Schreiben überwiegt. Gmeyner arbeitet mit Montagetechniken wie auch Morgner, Wolf mit zeitlicher Unschärfe, ebenso Aman. In Huchs Großem Krieg in Deutschland wird der klare Standpunkt eines Schiller durch Vielschichtigkeit und Ambivalenz ersetzt, eine Technik, die übrigens auch Morgner benutzt. Männliche Geschichte, ›objektiv‹ auf ein Ziel gebündelt und vergangen, wird in den Texten dieser Autorinnen gegenwärtig, polyphon, chaotisch und unvollständig.

[17] 

Im Schatten Walter Scotts

[18] 

Das 19. Jahrhundert, das Jahrhundert des Historismus, ist mit drei Beiträgen vertreten, welche die weibliche Auseinandersetzung mit dem Begriff Geschichte untersuchen. Das Kapitel beginnt mit einer Analyse der historischen Romane von Henriette von Paalzow (Carola Hilmes), den Bemühungen von Amely Böltes, Madame de Stäel geschichtlich zu fixieren (Renate Stauf), und endet mit Romana Weiershausens These, dass sich das geschichtliche Schreiben von Autorinnen am Ende des 19. Jahrhunderts auf ›erlebte Geschichte‹ konzentriere. Obwohl alle drei Beiträge neue Texte wenig bekannter Autorinnen erschließen, ist die wissenschaftliche Lücke in diesem Kapitel doch eklatant. Beiträge zu Louise Mühlbach, Amalie Schoppe und Wilhelmine von Gersdorf, um einige wenige zu nennen, fehlen, obwohl diese Schriftstellerinnen in Marianne Henns Aufsatz am Ende des Buches als die wirklichen Vielschreiberinnen des 19. Jahrhunderts identifiziert werden. Gerade Louise Mühlbachs Werk zeigt paradigmatisch die Richtung des weiblichen historischen Schreibens im 19. Jahrhunderts. Der interessierte Leser kann sich hier an Brent O. Petersons neues Buch (History, Fiction, and Germany. Writing the Nineteenth-Century Nation, 2005) halten, vor allem an das erste Kapitel »The Past as Fiction and History«.

[19] 

Hilmes’ Beitrag über Henriette von Paalzow zeigt zum einen sehr schön die zunehmende Professionalisierung weiblicher Schreibender und andererseits deren Bemühungen, Frauen in die Geschichte einzuschreiben. Die geschichtsträchtigen Frauen in den Romanen des 19. Jahrhunderts sind deshalb außergewöhnlich: es sind Königinnen, Herzoginnen, aber auch Künstlerinnen wie Madame de Stäel. In Paalzows Romanen werden diese adligen Frauen jedoch in einer bürgerlich-weiblichen Sphäre verhaftet und mischen sich trotz ihrer Machtposition nicht in die (männliche) Politik ein. Dies ist ein interessanter Rückzug gegenüber älteren Autorinnen wie Caroline de la Motte Fouqué und Caroline Pichler, deren adelige Frauen und Herrscherinnen durchaus Machtfunktionen wahrnehmen, und lässt auf sich verengende Geschlechternormen schließen.

[20] 

Mit Madame de Stäel versuchte Amely Böltes, eine außergewöhnliche Frau in die Geschichte einzuschreiben und gleichzeitig ein Plädoyer für das weibliche intellektuelle und künstlerische Schaffen zu geben. Hier wird sichtbar, was auch für die Autorinnen Käte Schirmacher und Lou Andreas Salomé am Ende des 19. Jahrhunderts konstitutiv wird: das eigene Leben zu historisieren und in die Geschichte einzubinden. In der literarischen Biographie Stäels verarbeitet Bölte nicht nur Geschichte, so Stauf, sondern auch die eigenen Erfahrungen als Künstlerin.

[21] 

Weiershausens These, dass sich die Schriftstellerinnen an der Jahrhundertwende vor allem mit der (eigenen) erlebten Geschichte befassen, ist mit Vorsicht zu genießen, da die beiden Beiträge zu Ricarda Huch (Brittnacher und Dane) gerade dies widerlegen.

[22] 

Selbstständige Anfänge:
Frauen schreiben Geschichte
im 18. Jahrhundert

[23] 

Das dritte Kapitel umfasst drei Beiträge zu Benedikte Naubert, einen Artikel je zu Friederike Helene Unger und zu Caroline de la Motte Fouqué. Die drei Beiträge zu Naubert leuchten die Anfänge des weiblichen Geschichte(n)schreibens aus. Catharina Oerke beschäftig sich mit Nauberts Märchen, Frauke Reitemeier vergleicht den historischen Roman Nauberts mit einem vergleichbaren Roman von Sophia Lee, und Waltraud Maierhofer untersucht Nauberts Roman Barbara Blomberg. Die drei Beiträge zeigen präzise, warum Naubert als Brückenfigur in der Entwicklung des Historismus gesehen werden muss. Naubert, so die drei Beiträge, orientiere sich in ihrer Geschichtsschreibung an der Sage und dem »Lebensbericht« und nicht an der Chronik, das heißt Daten und Fakten, um ein zusammenhängendes einheitliches Bild einer Familie oder Kultur geben zu können. Das historische Gewand des Romangeschehens diene, so Oerke, vor allem der Belehrung des Publikums, was Naubert im aufklärerischen Diskurs ihrer Zeit verortet.

[24] 

In ihrer vergleichenden Analyse vertritt Reitemeier überzeugend die These, dass der gattungstheoretische Diskurs über Geschichte in Deutschland weit heftiger geführt wurde als in England. Naubert beteiligte sich an diesem Diskurs intensiv, indem ihre Romane immer wieder die Grenze zwischen Fakten und Fiktion verschleiern. Demgemäß ziehe Naubert, so Reitemeier, mit ihren historischen Romanen in Zweifel, dass die überlieferte Geschichtsschreibung tatsächlich ›Wahrheit‹ übermittelt, und führe ihre Leser zu einer kritischen Distanz gegenüber der sich entwickelnden »objektiven« Geschichtsschreibung.

[25] 

Maierhofers Beitrag unterstützt das zuvor Gesagte und zeigt, wie Naubert die bürgerliche Frau und bürgerliche Werte in die Geschichte einschreibt. Im Roman Barbara Blomberg ändert Naubert Fakten, Zahlen und Daten, um ihre Titelfigur, eine bürgerliche Frau, geschichtswürdig zu machen. Damit macht Naubert Geschichte relevant für ihr weibliches Publikum und verlängert bürgerliche Tugenden in die Vergangenheit.

[26] 

Insgesamt zeigt sich, dass die Anfänge der weiblichen Geschichtsschreibung gekennzeichnet sind von narrativer und gattungstheoretischer Vielfalt. Naubert webt Geschichte in ihre Märchen und in den Familienroman ein und benützt multi-perspektivisches Erzählen und Montage. Die erzählte Geschichte (story) bietet so einen möglichen Gegenentwurf zur sich herausbildenden offiziellen Geschichte (history).

[27] 

Auch die historischen Texte von Friederike Helene Unger (Briefe über Berlin) und Caroline de la Motte Fouqué (Magie der Natur) zeigen erzähltechnische Vielfalt, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts durch den historischen Roman in der Nachfolge von Walter Scotts überschattet wurde. In Ungers Briefen über Berlin, sicherlich Louis-Sébastian Merciers berühmtem Tableau de Paris (1781, deutsche Übersetzung 1783 / 84) nachgebildet, kristallisiert sich Berlin als ein Ort des literarischen Geschichtsbewusstseins, an dem das Spannungsverhältnis zwischen Altem und Neuem reflektiert werden kann. Spokiene beschreibt, wie Unger in ihrer Stadtbeschreibung konkurrierende Geschlechter- und Geschichtsmodelle vorstellt. Auch Fouqué setzt sich mit dem Spannungsverhältnis zwischen Altem und Neuem auseinander. Von einer konservativen Warte aus geht die Autorin der Französischen Revolution und deren politischen Folgen für das 19. Jahrhundert nach. Peitsch zeigt überzeugend, wie Fouqué gegen ein sich ausbreitendes bürgerliches Geschichtsverständnis anschrieb und in ihrem Roman einen konservativ-weiblichen Gegenentwurf bot.

[28] 

Im Ganzen ist das dritte Kapitel des Buches gut recherchiert und fundiert. Die narrative und gattungstechnische Vielfalt zu Beginn der sich entwickelnden Geschichtsschreibung, wie zum Beispiel der Einbezug von Märchenelementen, Montage, Polyphonie, Multiperspektive, und deren Wiederaufnahme im 20. Jahrhundert durch Morgner zeigen sehr schön die inhärenten Probleme einer objektiven Geschichtsschreibung für Frauen, da gerade diese Objektivität die Frauen aus der Geschichte entfernt.

[29] 

Der historische Roman von Naubert bis Huch
– eine statistische Analyse

[30] 

Marianne Henns Analyse des Projekts Historischer Roman (Universität Innsbruck) im Anhang verdeutlicht, was Habitzel und Mühlmann bereits 2001 in ihrem Beitrag zum Band Travellers in Time and Space / Reisende durch Zeit und Raum: The German Historical Novel / Der deutschsprachige historische Roman (2001) festgestellt haben. Die erfolgreichsten Autoren historischer Romane waren weiblich wie beispielsweise Caroline Pichler und Louise Mühlbach. Die sehr hohe Anzahl weiblicher Autorinnen (21%) während der Blütezeit des historischen Romans (1815–1949) deutet darauf hin, dass diese Schriftstellerinnen ihre Zeit als eine genuin geschichtliche erlebten (S. 288). Die in den historischen Texten von Schriftstellerinnen geführte Diskussion um Wahrheit und Fiktion (Märchen, Sage, Biographie) zeigt, wie problematisch dieses Geschichtsbewusstsein für Frauen war und noch ist. So schreibt auch die Bestellerautorin Tanja Kinkel auf ihre Webseite: »Schreiben ist immer Spekulation. Was wäre, wenn? Was ist da geschehen? Warum hat er / sie das getan? […] Für mich verband sich das eine [Vergangenheit, K. B.] mit dem anderen [Gegenwart, K. B.]; ich denke, dass auch Leser solche oder andere Parallelen zu ihrer Gegenwart wahrnehmen können (URL: http://www.tanja-kinkel.de/index2.html).

[31] 

Schlussgedanken

[32] 

Abschließend ist zu sagen, dass ein Band über Geschichtsschreibung und Geschichtenschreiben von Frauen lange überfällig war. Dieses Buch ist ein guter Einstieg in die erfreuliche Vielfalt der Forschung zum Thema ›Frauen und Geschichte‹, obwohl manche Beiträge seltsam losgelöst von der bereits geleisteten Forschung dastehen. Zu wünschen wäre auch, dass die Debatte um die mangelnde Wertigkeit (das heißt Trivialität etc.) des historischen Romans endgültig ad acta gelegt werden könnte. Die Zweiteilung der Literatur in Höhenkammliteratur und deren schmuddlige Halbschwester im Schundfach ist eine genuin deutsche Erfindung, die im angelsächsischen Raum beispielsweise nur Konsternation auslöst. Bedürfen die interessierten LeserInnen wirklich der Versicherung, dass man mit dem vorliegenden Tagungsband nicht die historische Belletristik »nobilitieren« wolle (S. 13)? Auch Goebel und Hilmes zweifeln am Wert der von ihnen untersuchten Literatur und tragen damit zur Abwertung der historischen Literatur von Frauen bei. Hier wäre ein Verweis auf Cultural Studies, wie von Raymond Williams und seinen Anhängern propagiert, zu wünschen gewesen. Fragen der literarischen Qualität können so durch Fragen nach dem Einfluss dieser Literatur auf den Kanon ersetzt werden (wie es sich die Herausgeberinnen ja auch vorgestellt haben). Überhaupt wäre ein etwas selbstbewussteres Auftreten der Forschung dieser Gattung zu wünschen in einer Zeit, in der Geschichte wieder so hart umkämpft ist wie im 19. Jahrhundert.