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How to do Science with Pictures

Bild-Rhetoriken in Wissenschaft und Technik

  • Martina Heßler (Hg.): Konstruierte Sichtbarkeiten. Wissenschafts- und Technikbilder seit der Frühen Neuzeit. München: Wilhelm Fink 2006. 425 S. 147 s/w, 12 farb. Abb. Kartoniert. EUR (D) 54,00.
    ISBN: 3-7705-4211-8.
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Das geisteswissenschaftliche Interesse an Bildern

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Dass sich herausragende Kunsthistoriker wie Gottfried Böhm, Hans Belting, Horst Bredekamp, Werner Busch und Bazon Brock seit gut zehn Jahren für eine Erweiterung der klassischen Ausrichtung ihres Faches von der Deutung der schönen Künste hin zu einer allgemeinen Bildwissenschaft einsetzen, überrascht nicht. Die Kernkompetenz der Kunstwissenschaft in der Analyse von Bildproduktionen, Bildtraditionen und Bildwirkungen lässt sich auch an nichtkünstlerischen Bildern sinnvoll anwenden. 1

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Die These vom pictorial turn unserer Medien- und Alltagskultur, also von der zunehmenden Bedeutung der Bilder auf Kosten der Texte, muss man nicht für zwingend halten. Immerhin ist das Leitmedium Internet sowohl auf seiner technisch-materiellen Ebene als auch auf den meisten seiner Seitenoberflächen durchaus ein Schrift-Medium. Jedenfalls inspirierte der ausgerufene pictorial turn neben den Kunsthistorikern auch Historiker, Wissenschafts- und Technikgeschichtler sowie Literaturwissenschaftler zur Erforschung und Kritik der Rolle und Funktionsweise von Bildern in ihren jeweiligen Hoheitsgebieten.

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In den Literaturwissenschaften lässt sich das etwa am Thema ›Visuelle Kulturen‹ der letzten Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaften ablesen. Die Erforschung der Bildverwendungen unserer Kultur, die man als visuelle bezeichnen kann (aber eben auch als performative, als eine Risiko-, Erlebnis- und sonstige Bindestrich-Gesellschaft), ist dabei allemal ein interdisziplinäres Geschäft.

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Bilder als Instrumente
der Wissenschaft und ihres Marketings

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Der hier zu besprechende Band ist nicht der erste, der sich in wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive den Praktiken der Sichtbarmachung und der Bildverwendung widmet. 2 Doch er bietet durch seine eindrucksvollen Fallstudien und mehr noch durch seine klugen, auf den vorherigen Publikationen aufbauenden Typologien von Leitfragen eine gute Einführung in Fragestellungen der allgemeinen Bildwissenschaft und in die Spezifik von wissenschaftlichen Bildern. 3

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Aus Sicht der Literaturwissenschaft interessiert dabei naheliegenderweise die Verknüpfung von Bildern mit Texten. Denn Bilder alleine machen noch keine Wissenschaft. Die einzelnen Beiträge widmen sich unterschiedlich intensiv dieser Kombination von sprachlichen Diskursen und visuellen ›Viskursen‹, so die treffliche Begriffsanalogie von Karin Knorr Cetina. 4 Der Sammelband ist (erweitert) aus der Jahrestagung 2004 der Gesellschaft für Technikgeschichte hervorgegangen. Er thematisiert bis auf zwei Zitate des Dichters und universalwissenschaftlichen Cahiers-Schreibers Paul Valéry kaum Literatur im engeren Sinne. Und doch ist er für die Methodenreflexion einer kulturwissenschaftlichen Literaturwissenschaft, die sich mit Schnittstellen zur Wissenschaftsgeschichte und zu Bild-Phänomenen befasst, von einigem Interesse.

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Der Schwerpunkt der meisten Beiträge liegt auf epistemologischen Fragen der Objektivität, Konstruiertheit oder Manipulierbarkeit von Bildern. Besonders anregend sind freilich die Beiträge, die sich den ökonomischen und rechtlichen Aspekten der Sichtbarmachung und ihren jeweiligen Technologien widmen. Dass Fragen der Bildgebung für Geisteswissenschaftler mehr sein könnten als die Mode der Saison (nach Forschungsparadigmen wie Sozialgeschichte, Textualität oder der Performativität) erklärt der Essay von Wolfgang Ullrich »Wissenschaftsbilder und der neue Paragone zwischen Geistes- und Naturwissenschaften«.

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Mittels Belegen von bildgestützten Wissenschaftsnachrichten, die es auf Titelblätter von BILD-Zeitung oder FOKUS schafften, argumentiert Ullrich, dass unter den Gesetzen einer massenmedial formatierten Aufmerksamkeitsökonomie die mit Bildern argumentierenden Naturwissenschaften große Marketingvorteile gegenüber den weitgehend bildlosen Geisteswissenschaften besitzen. Ansehen, Bedeutung und Finanzierung von Forschungen, die sich (wie etwa Molekularbiologie oder Astronomie) in emotionalisierend ästhetisierte Bilder formatieren lassen, finden größere mediale Aufmerksamkeit als bloße Texte.

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Die Geisteswissenschaften könnten darauf mittels zweier Strategien reagieren. Entweder durch (fragwürdige) Versuche, ihre eigenen Arbeiten mittels Bildern für den vermeintlich bildhungrigen Aufmerksamkeitsmarkt zu inszenieren – oder sich als kritische, bildanalytische Einspruchsinstanz gegen naive oder allzu effektbezogene Bildgebungen in Wissenschaft und Gesellschaft positionieren. Das Dekouvrieren von inszenierten Bildern mittels einer analytischen Bildrhetorik, die um Traditionen und Wirkungsmittel von Bildtechniken weiß, würde so zum neuen Hauptabgrenzungsmerkmal von Geisteswissenschaften gegen die Welt-Bild-Mächte von Naturwissenschaft und Technik.

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Gliederung des Bandes und produktive Leitfragen

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Nach einer sehr nützlichen und informativen Einleitung der Herausgeberin, die einen Forschungsüberblick mit einem weiterführenden Katalog von Problemfeldern verknüpft, schließen sich sechs Abteilungen mit jeweils zwei bis vier Aufsätzen an. Während die ersten vier Aufsätze mit Studien zu Geräte- und Bild-Stufen der Mikroskopie vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart einen kohärenten Block bilden, bieten die folgenden Abschnitte (»II. Diagrammatische, künstlerische und mathematische Verfahren der ›Bildgenerierung‹«, »III. Visuelle Wissensproduktion und ›Objektivität‹« sowie »IV. Technik und Wissenschaftsbilder zwischen Kunst und Inszenierung«) Fallstudien, die allesamt um das Verhältnis von Visualisierungsverfahren, Repräsentation sowie ästhetischer und politischer Konstruktion von Wirklichkeit kreisen.

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Auch Michael Hagners Studie zur bilderfeindlichen Anthropologie der Kybernetik aus dem Abschnitt VI (»Zur Kritik der Bilder in den Wissenschaften«) gehört in diesen Zusammenhang – wie ja der gesamte Band sachlich solide ›Kritik der Bilder‹ leistet. Dieter Merschs abschließender Aufsatz versucht eine philosophische Kritik (im Sinne einer Bestimmung der Leistungen und Grenzen) der Bilder. Im vorletzten Abschnitt V ist ›drin‹, was ›drüber‹ steht: Ökonomie und Recht. Matthias Bruhn gibt einen angenehm unaufgeregten Überblick zur Vermarktung von Bildrechten durch Agenturen und die marktgesteuerte Selektion und Reproduktion bestimmter, meist symbolisch aufgeladener Bilder der Wissenschaft. Auf Monika Dommanns exzellente und materialreiche Rekonstruktion der Debatten um die Verrechtlichung von Fotografie und Film im Urheber- und Persönlichkeitsrecht wird unten noch einzugehen sein.

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Martina Heßler leitet die Fallstudien mit einem systematischen Überblick auf Forschungen zur ›Piktorialisierung der Wissenschaften‹ ein. Sie unterscheidet dabei neun Aspekte, die man für ein angemessenes Verständnis von Wissenschaftsbildern berücksichtigen müsse:

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Dazu gehört erstens die Frage nach der Abgrenzung von Wissenschaftsbildern zu Bildern anderer Genres beispielsweise zur Kunst; zweitens wird die Rolle von Recht und Ökonomie in der Bildkonstitution Aufmerksamkeit erhalten. Drittens wird der Frage nachgegangen werden, inwieweit es aus wissenschaftshistorischer und -theoretischer Perspektive überhaupt sinnvoll ist, von Bildern zu sprechen. Dabei versteht sich die Einleitung als Plädoyer, Wissenschaftsbilder als Bilder zu analysieren und wendet sich daher, viertens, der Frage zu, wie Bilder Sinn erzeugen, um fünftens auf die Bedeutung des Verhältnisses von Ästhetik und Objektivität für das, was wir im Bild sehen einzugehen. Sechstens sollen bildtheoretische Fragen [...] nicht außen vor bleiben; so wird das Wissenschaftsbild als zeichenhaftes Bild beschrieben. Siebtens kann das, was Wissenschaftsbilder zeigen, nicht ohne Blick auf die apparativen Herstellungsprozesse, die sich in das Bild einschreiben, verstanden werden. Zudem bedingen, wie achtens ausgeführt werden soll, die unterschiedlichen Darstellungsweisen bzw. verschiedene ›Bildformate‹ wie Photographie, digitales Bild, Zeichnung oder Diagramm, sowie deren wechselseitige Transformationen das Bilderwissen mit. Schließlich soll, neuntens, der Blick auf Wissenschaftsbilder als ›Bildobjekte‹ gelenkt werden, um damit auf den bildtheoretisch hybriden Status wissenschaftlicher Bilder aufmerksam zu machen. (S. 14)
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Eine Präzisierung der Rede von einer ›visuellen Kultur‹ der Wissenschaften und damit eine Definition des Forschungsfeldes finden wir in Klaus Hentschels Beitrag, der den ersten Fallstudien-Block abschließt. Da Bilder in irgendeiner Form zumindest marginal in jedem Winkel von Wissenschaft und Gesellschaft eine Rolle spielen dürften, überzeugt Hentschels Skepsis gegen eine solche ›inflationäre‹ catch-all-Begrifflichkeit des Visuellen und seine Fixierung eines (freilich sehr) engen Fokus der wissenschaftshistorischen Bildforschung. Neun Kriterien gibt Hentschel an, die eine voll ausgeprägte visuelle Wissenschaftskultur kennzeichnen. Die zentrale Rolle von »Mustererkennung und geschultem Auge« müsse sich schon in der Ausbildung und Biographie der Forscher manifestieren, was zu einer ›ästhetisierten‹, ja ›emotionalisierten‹ Bindung an die repräsentierten Objekte führe sowie zu einem »obsessiven Bemühen« um immer bessere Bildqualitäten und zu einem hohem Stellenwert der Bilder in der Bewertung von Publikationen. Neben einer ausgebauten Infrastruktur von Vervielfältigungstechniken (vom Abzeichner über Fotografen bis zum Scanner) begleite eine solche visuelle Wissenschaftskultur häufig auch ein Interesse an der Sinnesphysiologie des Sehens. (Vgl.: S. 123f)

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Techniken, Traditionen, Ästhetiken
und Politik als Produktionsmittel der Sichtbarmachung

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Der Skopus der Fallstudien

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Ob Hentschels strenge Kriteriologie von allen hier versammelten Fallstudien eingehalten wird, darf man bezweifeln. Die ersten vier Aufsätze widmen sich dem Nexus von Bild und Instrument. Sie zeigen anhand der Technikgeschichte von Mikroskopen vom 17. Jahrhundert über die Elektronenmikroskopie in der DDR bis zum einzelne Atomstrukturen abtastenden und nachträglich per Software sichtbar machenden Rastertunnelmikroskop, wie diese technisch erzeugten Bilder nicht einfach Abbilder bieten, sondern in der Formung ihrer an sich unsichtbaren Gegenstände an ältere, fürs Publikum kommensurable Bildtraditionen anknüpfen.

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An der Schnittstelle von Kunst- und Wissenschaftsgeschichte argumentieren die Studien von Steffen Bogen zur Verbindung ›graphischer Sprachen der Technik‹ mit der neuzeitlichen Perspektivkunst in Maschinenzeichnungen etwa Leonardo da Vincis sowie Pablo Schneiders Planungsgeschichte des Schlosshofprojekts, eines Parterre d’eau in Versailles, dessen wissenschaftsgeschichtliche Stilisierung der Elementenlehre zur absolutistischen Polit-Ikonographie schließlich als obsolet verworfen wurde. Einen Installationskünstler als Biotec-Bastler lobpreist Sabine Flach. Eduardo Kac schuf mit seiner ›Transgenic Art‹ durch Internet oder Ausstellungsbesucher beeinflussbare Bio-Skulpturen mit fluoroszierenden Bakterienkulturen, die nicht nur moderne Bio- und Computertechniken verwenden, sondern für Flach auch aufklärend wirken, da sie performative Visualisierungs-Manipulationen der Wissenschaften ausstellen.

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Politisch-ideologische Implikate von Bildproduktionen fokussieren die Studien von Ute Holl zur Neuropathologie als Inszenierung in Film- und Foto-Selbstinszenierungen von Camille Negro und Jean-Martin Charcot – in den Bilddokumenten wird die Manipulationsmacht der Nervenärzte über ihre Patientinnen gegen den Willen ihrer medizinischen Helden doch sichtbar. Christine Hanke rekonstruiert die Visualisierungen in der physischen Anthropologie um 1900, die neben Tabellen und (normierenden) Kurvengraphiken auch besonders manipulative plastische Rekonstruktionen von Köpfen zur Bestimmung rassischer Unterschiede einsetzte.

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Sybilla Nikolows anregender Essay reflektiert die Konstruktion ›imaginärer Gemeinschaften‹ durch bildliche Inszenierungen statistischer Daten, die in Ausstellungen und Museen zu Volksgesundheit und demographischer Entwicklung in der Weimarer Republik ebenso populär wie umstritten waren. Heike Webers kleine Geschichte der Werbebilder von Frauen als Techniknutzerinnen klärt uns darüber auf, dass Frauen als Haushaltshauptkonsumentinnen adressiert werden – freilich sollten sie (zumindest vor Lara Croft und dem Cyberfeminismus der 90er Jahre) zuallererst das geringe Gewicht tragbarer Radios oder die Simplizität ihrer Bedienung illustrieren.

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Michael Hagner verdeutlicht sein Plädoyer gegen das physiognomische Bild-Denken in der Hirnforschung im vorliegenden Band durch kybernetische Modelle des Denkens, wie sie seit den 40er Jahren als eine bilderskeptische Denkschule entwickelt wurden. Diese argumentieren mit abstrakten Funktions-Diagrammen in bewusster, auch politisch motivierter Abwendung von vermeintlich realistischen physiognomischen Hirnvermessungen und ihren Bildgebungen. Mit Hagners Kontextualisierung kybernetischer Modelle in der Geschichte der Neurowissenschaften erhält auch wissenschaftliche Bildabstinenz ihren notwendigen Platz bei der Erforschung wissenschaftlicher Visualisierungspraktiken: Das Dementi, die Skepsis und die Negation gehören in den Diskurs oder Viskurs piktorialer Wissenschaften.

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Dieter Mersch bezweifelt in seinen philosophischen Grundlagen-Reflexionen über »Naturwissenschaftliches Wissen und bildliche Logik« mit Wittgenstein, dass Bilder selbst Dargestelltes negieren oder bezweifeln können: »Kein Bild argumentiert konjunktivisch, allenfalls faktisch, wie sich kein Zeigen zugleich unter Vorbehalt stellen kann. D.h. auch: visuelle Medien gestatten keine Relativierung, sie sind ohne Vorläufigkeit.« 5 Für Mersch macht diese ›affirmative Kraft‹ der Bilder, die unhintergehbar die Existenz des Gezeigten behaupten, die Verwendung von Bildern in der (nach Popper) konjunktivisch vorläufigen Wissenschaft grundsätzlich problematisch, und für die Techniken digitaler Sichtbarmachung des an sich Unsichtbaren gelte dies a fortiori.

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Bild und Recht

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Die historischen Debatten
um Urheberrechte und Persönlichkeitsrechte

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Christine Karallus Beitrag über die Verwendung der Fotografie in der Kriminalistik zur Spurensicherung am Tatort hat wenig Überraschendes zu bieten. Hingegen ist Monika Dommanns Aufsatz »Der Apparat und das Individuum: Die Verrechtlichung technischer Bilder (1860–1920)« der für intermedial interessierte Literaturwissenschaftler vielleicht interessanteste. Dommann entfaltet mit großer Umsicht und präziser Materialkenntnis die deutschen, französischen und amerikanischen Gesetzgebungs-Debatten und Schritte, mittels derer Fotografien, Filme und (am Rande) Röntgenbilder in die seit 1790 anhand des ›literarisch geistigen Eigenthums‹ entwickelte Urheberrechtsgesetzgebung integriert wurden.

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Dabei zeichnet sie souverän die im Recht auszusteuernden divergierenden Interessen von Bildherstellern, Abgebildeten (also den Portraitierten) und Bildverwendern (zunehmend Massenmedien) sowie der Öffentlichkeit nach. Die maschinengestützte Aufnahmetechnik der neuen Bildmedien bringt die idealistisch fundierte Regulierung geistig-artistischen Eigentums in Verlegenheit:

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Um die Eigentumsrechte auch für die technischen Bilder zu begründen, müssen sie deshalb zum Kunstwerk erklärt werden, was nur zum Preis einer Negation des Apparats möglich ist. Anders als in den Naturwissenschaften, wo das apparative Moment im Zusammenhang mit dem Diskurs der ›mechanischen Objektivität‹ stark gemacht wird, ist im ästhetisch-rechtlichen Diskurs des Urheberrechts die Betonung des individuellen, subjektiven Charakters durch die Hand eines Künstlerphotographen Devise. (S. 366)
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Eine nochmals andere Gemengelage und rechtliche Formatierung des fotografischen Dispositivs ergibt sich bei den Bestimmungen zum ›Recht am eigenen Bild‹. Hier tritt der aufnehmende Fotograf zurück und das Foto wird mit Rückgriff auf das Konzept eines ›Pencil of Nature‹ als Produkt einer soziotechnischen Verbindung eines portraitierten Individuums und einer chemisch beschichteten Platte definiert, so dass dem Portraitierten die Verfügungsrechte über das Bild zustehen.

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Die Rechts- und Besitzansprüche der Beteiligten werden, wie Dommann ebenfalls skizzenhaft rekonstruiert, beim Kollektivwerk des Films noch verwickelter, was nicht zuletzt zur filmästhetisch bedeutsamen Ausrufung einer ›politique des auteurs‹ im Frankreich der 50er Jahre führte. Dommanns bibliographisch reich annotierter und brillant formulierter Aufsatz ist ein Musterbeispiel philosophisch reflektierter komparativer Rechtsgeschichte auf einem für die Geschichte der Künste zentralen Gebiet.

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Von der Kritik am Repräsentationsparadigma
zu einer ›Theorie der Bildakte‹
und zum Ethos der Editionsphilologie

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Im Grunde gelangen alle Fallstudien des Bandes zu ähnlichen Schlüssen in Sachen Bildepistemologie und Bildethik. Umso stärker Bilder Dinge darstellen, die keiner anders wahrnehmbaren Entität entsprechen und deren gegenständliche Grundlage oft nur aus Messdaten und Zahlenkolonnen bestehen, umso wichtiger wird die Offenlegung der Bildproduktionsschritte für den Betrachter.

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Aus einer Kritik an naivem Repräsentationsglauben resultiert so eine Ethik: Statt maximaler Wirkungsabsicht (etwa durch Hervorhebungen erwünschter Formen, Abschattung störender Daten, oder durch suggestive Farbgebungen, etwa gefährliches Rot für bedrohliche Viren) sollten begleitende Kommentare die technischen Schritte und ästhetischen Entscheidungen der Bildproduktion erhellen.

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Aus Sicht der Literaturwissenschaft empfehlen sich zwei altehrwürdige Methoden, welche die Desiderate einer Bildlogik jenseits des Repräsentationsparadigmas und einer Transparenz-Ethik der Bildverwendung voranbringen könnten. Während alle Beiträge (berechtigte) Kritik an der Idee üben, dass Wissenschafts-Bilder unmittelbare Repräsentationen liefern, fällt nur selten das Stichwort ›Rhetorik‹. Und während unvermeidlicherweise gelegentlich die ›Performativität‹ der Bilder (statt ihrer bloßen Abbildhaftigkeit) erwähnt wird, fehlt es dem Band wie der gesamten Bildforschung, soweit ich sehe, an einer ausgearbeiteten Bildakt-Theorie, die analog zu Austins detaillierter Aufschlüsselung diverser Sprachakte in How to do things with words eine Übersicht möglicher Modalitäten, illokutiuonärer und perlokutionärer Akte der Bildverwendung liefert. 6

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Die Kritik am Paradigma von Mimesis, Abbild, Repräsentation sollte nicht das End-Ergebnis von Untersuchungen zur (Bild-) Kommunikation sein, vielmehr ihr Ausgangspunkt. Die alte Rhetorik und die jüngere Sprechakttheorie bieten detaillierte Kategorienraster zu den vielfältigen Funktionen und Aktivitäten, die mittels Sprachen praktiziert werden. Inwieweit Bilder alleine, also ohne verbalsprachliche Rahmung, befehlen, bitten, wünschen, versprechen, fragen können (und wie die vielen weiteren Modalitäten von Sätzen oder Bildeinsätzen alle lauten mögen), das bleibt an Beispielen zu diskutieren.

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Die gewünschte Ethik einer Offenlegung der Bildproduktionsverfahren wiederum könnte sich wohl an den Regeln kritischer Editionsphilologie orientieren. Die Auswahl, Zusammenfügung, Lückenfüllung und deren Offenlegung bei der Herstellung von Texten aus Überlieferungsstufen wären dann der Leitfaden für Verfahrensregeln der Bild-Produktions-Kommentierung, wie sie in wissenschaftlichen Publikationen übrigens durchaus schon praktiziert wird, kaum jedoch bei der Verbreitung von Bildern der Wissenschaft in Zeitungen oder populäreren Zeitschriften.

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Explizit bieten die im besprochenen Band versammelten Fallstudien vielfältige technische, ästhetische, politische und sprachliche Rahmungen der Verwendung wissenschaftlicher Bilder und implizit auch Ansätze zur Analyse von Bildakten in den Wissenschaften. Wünschenswert bleibt eine explizite, theoretische wie empirisch beispielhafte Ausarbeitung einer allgemeinen Bildrhetorik respektive einer Theorie und Geschichte der Bildakte. Wie dabei Bilder und ihre sprachlichen Kontexte interagieren, das müsste auch Literaturwissenschaftler interessieren.



Anmerkungen

Seit 2003 verfügt diese Forschungsstrategie über ein eigenes Periodikum, das Kunsthistorische Jahrbuch für Bildkritik.   zurück
Zentrale Publikationen zur Funktion der Bilder in der Wissenschaftsgeschichte sind: Heintz, Bettina / Huber, Jörg (Hgg.): Mit dem Auge denken. Strategien der Sichtbarmachung in wissenschaftlichen und virtuellen Welten. Wien, New York 2001. Jones, Caroline / Galison, Peter (Hgg.): Picturing Science, Producing Art. New York, London 1998.   zurück
Getrübt werden die Überblicks- und Orientierungsqualitäten des Bandes, die ihn zum Grundlagenwerk machen könnten, leider durch fehlende Sach- und Namensregister sowie Überblickbibliographie und die unterschlagenen biobibliographischen Informationen zu den Verfassern.    zurück
Karin Knorr-Cetina: ›Viskurse‹ der Physik. Wie visuelle Darstellungen ein Wissenschaftsgebiet ordnen, in: Jörg Huber und Martin Heller (Hgg.): Konstruktionen Sichtbarkeiten, Wien und New York 1999, S.245–263.    zurück
Dieter Mersch, in: Konstruierte Sichtbarkeiten, S. 413.   zurück
Diese Forderung nach Ausarbeitung einer Theorie der Bildakte à la Austin und ihr bisheriges Fehlen in der Forschung artikuliert auch Oliver R. Scholz: Bild, Darstellung, Zeichen. Philosophische Theorien bildlicher Darstellung, Seminar Klostermann. 2. Vollständig überarbeitete Auflage. Frankfurt 2004, besonders, S. 154ff.   zurück