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Sophie Mereau als Übersetzerin

  • Britta Hannemann: Weltliteratur für Bürgertöchter. Die Übersetzerin Sophie Mereau-Brentano. (Ergebnisse der Frauen- und Geschlechterforschung an der Freien Universität Berlin, Neue Folge 7) Göttingen: Wallstein 2005. 312 S. Broschiert. EUR (D) 26,00.
    ISBN: 3-89244-896-5.
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Sophie Mereau-Brentano (1770–1806) zählt zu den bekannteren Schriftstellerinnen der Goethezeit. Ihre Leistungen als Übersetzerin untersucht nun erstmals umfassend die an der Universität Göttingen vorgelegte Dissertation von Britta Hannemann, die eine Reihe von Präzisierungen und Korrekturen am derzeitigen Forschungsstand vornehmen kann.

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Als Autodidaktin hat sich Sophie Mereau nicht ausdrücklich zu den Grundsätzen ihrer Übersetzerpraxis geäußert. Sie geht »sehr flexibel« vor: »Nebeneinander stehen Wort-für-Wort-Übersetzungen und Übersetzungen mit extremen Freiheiten.« (S. 283) Auf Kommentierungen hat Sophie Mereau weitgehend verzichtet, obwohl sie »mit ihren Übersetzungen das Ziel verfolgt [hat], junge Leserinnen zu bilden, ihnen ›Weltliteratur‹ zugänglich zu machen, sie für andere Kulturkreise zu interessieren und zu begeistern.« (S. 21) Als eine der ersten Berufsschriftstellerinnen waren für Sophie Mereau Übersetzungen und die Herausgabe von Texten auch in finanzieller Hinsicht wichtig. Außerdem, und darauf weißt Hannemann kurz hin, gehörte in der Romantik »die Übersetzung zu den anerkannten literarischen Gattungen« (S. 30). Die richtige Form der Übersetzung war damals (wie heute) umstritten. Oft suchte man nach einem Ausgleich zwischen einbürgernder und verfremdender Übersetzung (vgl. S. 28 ff.: »Theoretische Positionen in Deutschland um 1800«). In Britta Hannemanns Studie vorgestellt werden Sophie Mereaus Übersetzungen aus dem Französischen, dem Englischen und dem Italienischen.

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Übersetzungen aus
dem Französischen

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Sie bilden den quantitativ größten Teil der Arbeiten Sophie Mereaus (vgl. S. 39). Ihre Tätigkeit als Übersetzerin begann mit einer Aufforderung Schillers am 16. Januar 1792, Mme. de Staëls Mémoires ins Deutsche zu übertragen. Dieses Projekt wurde zwar begonnen – Schiller riet der Freundin, »sich mehr an den Sinn als an den genauen Wortlaut zu halten« (vgl. S. 43) –, ein fertiger Text konnte jedoch nicht gefunden werden. Erst 1797 publizierte Sophie Mereau in der Zeitschrift Erholungen eine kleine Auswahl der Briefe der Ninon de Lenclos (vgl. S. 51 ff.). Im Vergleich zum französischen Original wirkt ihre Übersetzung »stärker emotional aufgeladen und vielleicht auch ethisierend« (S. 57). Bei dem Ninon-Aufsatz, den Sophie Mereau in ihrer Sammlung Kalathiskos 1802 publizierte und dem »eine Schlüsselfunktion bei der Bestimmung der emanzipatorischen Absichten Sophie Mereaus« (S. 58) zugesprochen wird, handelt es sich nicht um ein eigenständiges Werk der Autorin, sondern – so konnte Hannemann nachweisen – um eine Übersetzung und Bearbeitung der Mémoires sur la vie de Ninon de Lenclos von Antoine Brêt (vgl. S. 59). »Die fehlende Originalität schmälert indes nicht das Verdienst Sophie Mereaus, Mittlerin zu sein.« (S. 67) Auch bei einer weiteren, 1805 im Journal für deutsche Frauen von deutschen Frauen erschienenen Publikation zu Ninon de Lenclos schließt Hannemann Sophie Mereau als Verfasserin / Übersetzerin aus (vgl. S. 78). Außerdem kann auch die Szenenfolge Gustav und Valerie (1805), eine Dramatisierung eines französischen Romans von Barbara Juliane von Krüdener, nicht Sophie Mereau zugeschrieben werden (vgl. S. 148). Diese Forschungsergebnisse sind so wichtig wie ernüchternd.

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Für Auswahl und Bearbeitung der Lettres persanes, die 1801 und 1802 in Kalathiskos erschienen, stellt Hannemann folgendes heraus:

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Sophie Mereau bietet Ansätze zu einer Reduktion des komplexen Romans, der in seinen zentralen Partien einen religions- und gesellschaftlichen Vergleich aufweist, zu einer nicht einmal emanzipierten Liebesgeschichte. Sie [...] verzichtet völlig auf Briefe mit gesellschafts- und staatspolitischem Inhalt (S. 94 f.).
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Außerdem bemängelt Hannemann »eine unzureichende Informierung des Lesepublikums« und fragt, »ob die Wahl der ›Lettres persanes‹ nicht als Fehlgriff anzusehen ist« (S. 101). Texttreue allein macht offensichtlich keine gute Übersetzung. Man kann sich auch für den »falschen Publikationsort« entscheiden (S. 102).

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Ausführlich diskutiert Hannemann im weiteren Sophie Mereaus straffende, die Titelheldin stärker profilierende Übersetzung der Prinzessin von Cleves, die im Romanen=Kalender für das Jahr 1799 erschien. »Sophie Mereaus ›Der Prinz von Condé‹ stellt nach ›Die Prinzessin von Cleves‹ einen weiteren Versuch dar, Geschichte mit Blick auf die Vorlieben einer besonderen Leserschaft, auf das für sie Interessante und das für sie Fassliche zu präsentieren.« (S. 145) Die Bearbeitungstendenzen Sophie Mereaus untersucht Hannemann schließlich noch in einem weiteren Fall, dem Cid von Pierre Corneille. Hier machen ihre weitreichenden Veränderungen »aus dem Versuch einer bearbeitenden Übersetzung ein neues Stück« (S. 174), dessen Aufführung Goethe und Schiller ablehnten.

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Übersetzungen aus
dem Englischen

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»Sophie Mereau hat sich bei der Bearbeitung der englischen Vorlagen weitgehend als Herausgeberin, Lektorin, aber in Ansätzen auch als ›Literaturmanagerin‹ betätigt. [...] Sie ist bestrebt, damit ihr deutschsprachiges, überwiegend weibliches Lesepublikum an die Literatur einer Nachbarkultur heranzuführen.« (S. 228) Die Sophie Mereau zugeschriebenen Übersetzungen aus dem Englischen sind in vielen Fällen – dies hat Dagmar von Gersdorff bereits 1984 nachgewiesen (vgl. S. 221) – von ihrer Schwester Henriette Schubart (1769–1832) verfasst worden, so etwa die Romane Margarethenhöle oder die Nonnenerzählung (1803) und Sapho und Phaon (1806). Weniger klar ist die Verfasserschaft bei der Erzählung Der Mann von vier Weibern, der 1805 in Sophie Mereaus Bunter Reihe kleiner Schriften erschien (vgl. S. 210 ff.). »So harmonisch die Schwestern bei der Übersetzung der englischen Texte im Praktischen gearbeitet haben, so stark differieren doch ihre Übersetzungsgrundsätze: Während Sophie Mereau zur umgestaltenden freien Nachdichtung tendiert, besteht Henriette Schubart eher auf philologisch genauen Übersetzungen, die zwar einige Kürzungen aufweisen, doch weder den Grundtext noch die Generalaussage modifizieren dürfen.« (S. 227) Deshalb gilt ihr auch die Sympathie Hannemanns.

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Übersetzungen aus
dem Italienischen

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»Bei Sophie Mereaus Übertragungen aus dem Italienischen handelt es sich ausschließlich um Texte von Boccaccio.« (S. 229) Hannemann weist auf die besonderen Schwierigkeiten der Decamerone-Übersetzung hin (vgl. S. 231 ff.) und konstatiert, Sophie Mereau habe Boccaccios Texte »mit viel Sinn für die grammatischen und stilistischen Besonderheiten« (S. 236) übersetzt. Ihre ungedruckte Gerbino-Übersetzung ist durch »Emotionalisierung« (S. 252) und durch einen »Wechsel von der allwissenden Erzählperspektive in die personale« (S. 253) gekennzeichnet. Besonders gut gelungen ist Sophie Mereaus 1984 neu aufgelegte Übersetzung von Fiammetta (1806), bei der Auswahl dieses Romans folgte sie offenbar »emanzipatorischen Interessen« (S. 278).

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Resümee

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Britta Hannemanns materialreiche Arbeit basiert auf gründlichen und aufwendigen Recherchen. Weitere Untersuchungen, etwa zu Sophie Mereaus ›Modernisierungen‹ altdeutscher Texte oder auch zu »Texten aus dem spanischen Zusammenhang« (S. 281) sind angekündigt; Publikationsorgane werden allerdings noch nicht genannt. Hannemanns Untersuchungsergebnisse zur Übersetzungspraxis Sophie Mereau-Brentanos liefern für die Würdigung dieser Autorin wichtige neue Einsichten, die nicht zuletzt im Hinblick auf ihr publizistisches Bildungskonzept, das sich an junge Frauen richtete, fruchtbar gemacht werden können. Es zählt zu den unbestreitbaren Verdiensten der literaturwissenschaftlichen Frauenforschung, den ›historizistischen Kanon‹ (Renate von Heydebrand) auszuarbeiten und ihm durch Einzelstudien ein differenziertes Gesicht zu geben.