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Carl Schmitt als Zensor

  • Carl Schmitt: Die Militärzeit 1915 bis 1919. Tagebuch Februar bis Dezember 1915. Aufsätze und Materialien. Hg. von Ernst Hüsmert und Gerd Giesler. Berlin: Akademie 2005. X, 587 S. 10 s/w Abb. Gebunden. EUR (D) 49,80.
    ISBN: 3-05-004079-3.
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Der hier vorgestellte Band stellt das etablierte Bild von Carl Schmitt gründlich auf den Kopf. Der spätere »Meisterdenker« der »Konservativen Revolution« und Kronjurist des »Dritten Reiches« verabscheut darin »wahnsinnig vor Wut« den »menschenunwürdigen und bestialischen Zwang« des preußischen Militarismus. Keine Spur Etatismus, politischer Katholizismus, Antisemitismus – die geronnenen Interpretationen greifen nicht, viele Fragen sind neu zu stellen.

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Der vorzüglich edierte Band ist jedoch auch zensurgeschichtlich von großem Interesse. Er enthält neben den Tagebüchern und Aufsätzen (u.a. Recht und Macht von 1917 und Die Fackelkraus aus Franz Bleis Bestiarium Literaricum) eine umfangreiche Sammlung faksimilierter Dokumente, die Carl Schmitts Tätigkeit als kleiner Zensor im stellvertretenden Generalkommando des I. bayerischen Armee-Korps zeigen. »Aufgrund der charakteristischen Handschrift Carl Schmitts« war es »zweifelsfrei möglich, seine handschriftlichen Entwürfe für Erlasse, Briefe etc. zu identifizieren« (S.184), die dann später vom Kriegsminister und verantwortlichen Offizieren abgezeichnet wurden. Auch ohne diese Zuschreibung der Autorschaft Schmitts wären die Dokumente für Buchwissenschaftler, Zensurforscher usw. interessant, weil die zentrale Überlieferung, der analoge preußische Bestand zur Buchzensur im Ersten Weltkrieg weitgehend vernichtet ist und das Thema daher nur indirekt über die bislang sonst unpublizierte Überlieferung der sächsischen (im Staatsarchiv Dresden) und bayerischen stellvertretenden Generalkommandos quellenmäßig zu erschließen ist.

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Die insgesamt 43 publizierten Dokumente enthalten u.a. einen unbekannten Brief Thomas Manns, der sich über die Beschlagnahme eines Buches mit dem Titel J’accuse beschwert und – ein hochaktuelles Thema – das Verbot des Berichtes zur Lage des armenischen Volkes in der Türkei von Johannes Lepsius. Sie geben Aufschluss über die »unterschiedliche Handhabung der Zensur bei Verboten von Literatur in Sachsen und Bayern« und über das »Einschmuggeln deutschfeindlicher Propaganda durch Tarnung als Reclam-Broschüren«. Ein Spezialgebiet Carl Schmitts waren Pazifisten wie F.W. Foerster und Ludwig Quidde.

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Als kleiner Gefreiter im Referat P 6 zuständig für die Überwachung von Einfuhr und Ausfuhr sowie für die Beschlagnahme aller möglichen Druckschriften, sympathisierte Carl Schmitt mit vielen verbotenen Texten und Pamphleten, ja verdiente sich ein Zubrot, indem er die in Bayern aussortierten ausländischen Texte (»Las wieder französische Zeitungen, habe eine sonderbare Freude, wenn der Feind siegt...«) heimlich in Hamburg publizierte. Die Feldausgabe der Alraune von Hans Heinz Ewers, Le feu von Barbusse, Erich Mühsam und Karl Liebknecht gerieten Schmitt ins Fadenkreuz, pikanterweise auch sein späterer Freund Karl Muth. Er bezeichnet die Observierung selbst als eine »elende Schleicherei« und »Schweinerei«, die ihm jedoch zugleich willkommene Abwechslung in einer »stumpfsinnigen Tretmühle« bot:

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Oft erschrecke ich, wenn ich daran denke, wie ich inzwischen arbeite. Was ich mir oft heimlich wünschte, spionieren, überwachen, heimliche Macht, alles habe ich. Es ist zum Bangewerden.
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Zensoren verfassen selten Tagebücher. Die Ehrlichkeit, mit der ein innerlich zerrissener Carl Schmitt in dem Tagebuch seine Zensurarbeit reflektiert, verleiht dem Band einen irritierenden Reiz.

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Zu »heller Wut« empört ihn die »Art und Weise, wie die Feldpostbriefe behandelt werden«, eine »grauenhafte Vergewaltigung«. »Eigentlich müsste ich mich schämen«, schreibt er, als er das Verbot des pazifistischen Forum durchsetzt, mit dessen Herausgeber Wilhelm Herzog er inhaltlich durchaus sympathisiert. Aber, ein tiefer Blick in das Herz des Zensors:

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Ich habe dadurch, dass ich seine Korrespondenz überwache, doch eine gewisse Stellung bekommen. Endlich.