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Ausgangslage
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Boccaccios Viten-Reihe De mulieribus claris, die mit Eva beginnt und mit seiner Zeitgenossin Johanna von Sizilien endet, stand bereits mehrfach im Mittelpunkt der Forschung.
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Das gerne als ›Frauenbuch‹ bezeichnete Werk beschreibt in 104 biographischen Abschnitten 106 Frauengestalten und versteht sich ausdrücklich als Ergänzung zu den Biographien berühmter Männer. Es konzentriert sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – auf die Darstellung von heidnischen Gestalten, wie antiken Göttinnen und mythologischen Figuren. Im späten Mittelalter zählte es zu den am weitest verbreiteten Schriften des Autors: De mulieribus claris ist in über 80 Handschriften, zum Teil mit umfangreichen Illustrationszyklen überliefert, wurde zweimal ins Italienische, einmal jeweils ins Toskanische und Französische übersetzt und erfuhr insbesondere am französischen Hof große Wertschätzung.
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In Deutschland dagegen entstand eine Übertragung in die Volkssprache erst nach der 1473 bei Johann Zainer in Ulm publizierten Erstausgabe:
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Die von Heinrich Steinhöwel vorgenommene Übersetzung erschien unter dem Titel Von den synnrychen erlùchten wyben 1474 ebenfalls bei Zainer in Ulm.
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Sie enthielt mit Ausnahme von fünf Holzschnitten
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erneut die gleichen Illustrationen, die der Drucker bereits ein Jahr zuvor seiner lateinischen Auflage beigegeben hatte. Heinrich Steinhöwels Übersetzung orientierte sich jedoch offenbar nicht unmittelbar an diesem von ihm wohl mitfinanzierten Druck.
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Zainer veröffentlichte ferner kurze Zeit später unter dem Titel Kurczsinn von etlichen frowen eine Ausgabe, welche nur die Holzschnitte und die dazugehörigen Beischriften des Registers umfasste und von der sich nur ein Exemplar erhalten hat
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. Weitere Auflagen anderer Drucker, die sich im 15. Jahrhundert noch eng an die Illustrationen von Zainers Druck anlehnten, folgten
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, und auch von der handschriftlichen Überlieferung wurde Steinhöwels Übersetzung noch einmal rezipiert.
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Forschungssituation und Fragestellungen
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Auch Kristina Domanskis kunsthistorische Doktorarbeit Lesarten des Ruhms beschäftigt sich mit De mulieribus claris. In der Konzentration auf die Zainerschen Drucke steht die Arbeit in der Folge einer weiteren Dissertation: Bereits 1997/1999 beleuchtete Gabriele Katz am Beispiel der volkssprachlichen Ausgaben von De mulieribus claris und vom Aesopus den historischen Hintergrund des Themas ›Frau‹ und seine Bildwürdigkeit im deutschen Frühhumanismus.
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Wie Katz fokussiert auch Domanski ihre Fragestellung auf das Verhältnis der Illustrationen zum Text. Im Unterschied zur lange geltenden kunsthistorischen Forschung, die sich lediglich für den Künstler der Holzschnitte interessierte, bleiben Fragen der Stilkritik, der Künstlerzuschreibung oder nach möglichen Vorlagen der Holzschnitte dabei ausdrücklich ausgeklammert. Ausgehend von der These, dass Text und Holzschnitte eine bewusst geschaffene, konzeptionelle Einheit bilden, wird die Frage nach dem Bedeutungsgehalt der Holzschnitte gestellt, die in ikonographischer Hinsicht erheblich von den Vorgaben der Handschriftenillustrationen abweichen.
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Im Mittelpunkt des Interesses steht vor allem die Frage, inwiefern das Werk durch die Holzschnitte einer spezifischen Interpretation unterzogen wird.
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Der deutsche Frühhumanismus
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Domanskis Arbeit ist in fünf Kapitel unterteilt. Das erste stellt das lateinische Original Giovanni Boccaccios vor (S. 13–45). Auf die durchaus kontroverse Beurteilung von Werk und Autor in der Forschung geht die Autorin dabei summarisch ein (S. 16–23). Ausgehend von der Überlieferung des Werks in Handschriften und Drucken beleuchtet sie im Folgenden vor allem Motive, Intentionen und Erkenntnisinteresse des deutschen Frühhumanismus am Thema der berühmten Frauen (S. 26–45). Anhand von Exkursen zu Niclas von Wyle und Albrecht von Eyb stellt sie heraus, dass den weiblichen Tugendidealen dabei durchaus unterschiedliche Schwerpunkte innewohnten, die von Gelehrsamkeit und Bildung (Wyle) bis zu sittsamem Verhalten und ehelicher Loyalität (Eyb) reichen konnten.
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Modernisierungstendenzen
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Heinrich Steinhöwels Übersetzung von De mulieribus claris und seiner Rolle bei der Finanzierung und Ausstattung der beiden Zainerschen Drucke ist der zweite große Abschnitt der Dissertation gewidmet (S. 46–84).
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Besondere Aufmerksamkeit widerfährt dabei der Zierleiste zum Kapitel der Eva, mit der die Folge der 79 Holzschnitte anfängt (S. 58–61). Mit der Darstellung des Sündenfalls und der sieben Todsünden hat sie keinerlei Vorbild in den Miniaturen der Handschriften. Sie belege deutlich, dass für die Zainerschen Drucke völlig eigenständige Bilderfindungen geschaffen wurden. Das Bildthema stelle darüber hinaus das überwiegend von Heidinnen handelnde Werk in den Rahmen des christlichen Heilsgeschehens und schaffe eine Verbindung zu theologischen und moralisch-didaktischen Schriften. Diese Tendenz zur Christianisierung und Moralisierung spiegele sich in Steinhöwels Textredaktion der 1474 gedruckten Übersetzung: Diese werde nicht nur durch die Ergänzungen von Bekanntem an die Erwartungen und Kenntnisse eines nordalpinen bzw. mitteleuropäischen Publikums angepasst; durch die Vereinfachungen der Erzählstrukturen, die Streichung abweichender Versionen und der rigorose Verzicht auf die Schilderung von ambivalenten Verhaltensmustern und Charaktereigenschaften der Protagonistinnen werde auch gezielt in den Text eingegriffen mit dem Ziel, die geschilderten Viten moralisch eindeutig zu gestalten. (vgl. S. 62–84)
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Liebe, Ehe, Tod
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Der nun folgende kunsthistorische Hauptteil spürt der Frage nach, ob und inwiefern sich diese Tendenz auch in den restlichen Illustrationen verfolgen lässt. In zwei Kapiteln wird dabei der Fokus auf den Themenkreis ›Liebe und Ehe‹ sowie den des Todes gerichtet (Kapitel III, S. 85–131 und IV, S. 132–204). Dabei trete augenfällig zu Tage, dass gerade Liebesszenen in der Regel auf stereotype Bildformeln zugriffen, die zudem häufig durch das Zufügen konträrer Motive negativ konnotiert seien. Der Themenkreis ›Liebe und Ehe‹ lasse sich so regelrecht auf die Formel »Unkeuschheit versus Ehe« reduzieren. Im Unterschied dazu besäßen die Illustrationen, welche dem Thema ›Tod‹ gewidmet sind, eine sehr viel größere Variationsbreite. Die Todesszenen, denen die Protagonistinnen als Zeugin oder als Trauernde beiwohnten, zeigten häufig gewaltsame, qualvolle und überraschende Todesarten. Der Tod werde in der Regel als Martyrium oder als gerechte Strafe dargestellt. Gleichzeitig werde auf jegliche Ambivalenz – wie sie Boccaccio seinen Heldinnen noch zugestand – verzichtet. Die Funktion der Figuren werde stark reduziert: entweder auf ein ideales Vorbild oder auf ein abschreckendes Beispiel. Boccaccios Ideal der ›virago‹, der kämpfenden heroischen Jungfrau, werde zudem vom Bildzyklus der beiden Auflagen Zainers nahezu verschwiegen.
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Entsprechende Kürzungen und Anmerkungen des deutschen Textes belegten, dass das Thema der ›virago‹ absichtlich und systematisch aus dem Bilderkreis ausgeblendet werde. Darin unterschieden sich die in Deutschland publizierten Ausgaben ganz entschieden vom Original. Mütterliche Liebe und eheliche Treue der Protagonistinnen seien diejenigen Ideale, die Illustrationen und Text der deutschsprachigen Ausgabe propagierten. Selbst Autorinnen und Künstlerinnen würden im Unterschied z. B. zu Nicolas von Wyle nicht als Vorbilder dargestellt. (vgl. S. 233–241) Überhaupt würden in den Holzschnitten sehr viel häufiger »Verirrungen auf dem Weg zum Heil« (S. 274) als positive Exempla gezeigt.
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Die Rolle Steinhöwels
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Die übereinstimmenden Kürzungen in Text und Bild wertet Domanski als Indiz dafür, dass der Übersetzer Heinrich Steinhöwel auch an der Entstehung der Holzschnitte maßgeblich beteiligt war. (vgl. S. 241–270) Die »konzeptuelle Schlüssigkeit der Holzschnitte in Verbindung mit dem deutschen Text« lasse den Schluss zu, »dass von vornherein eine deutsche Ausgabe geplant war und der Zyklus im Hinblick darauf angefertigt« (S. 272) worden sei. Die Holzschnitte seien eindeutig in Kenntnis der Übersetzung oder auf dezidierte Anweisung des Übersetzers – also Steinhöwels – hin entstanden. Sie bieten – wie Domanski schlüssig nachweisen kann – eine sehr spezifische Interpretation des Werkes und zwar sowohl in der lateinischen als auch in der deutschsprachigen Ausgabe. Je nachdem, wie sich der Rezipient dem Werk nähere, gelange er zu ganz unterschiedlichen Bildern der Heldinnen. Dem Leser des lateinischen Textes stellten sie sich völlig anders dar, als dem Betrachter jenes Berliner Exemplars von De mulieribus claris, welches nur die Illustrationen und die Erläuterungen des Inhaltsverzeichnisses enthält.
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Fazit
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Als Resümee der Untersuchung lässt sich festhalten, dass sich das ideale Frauenbild Steinhöwels nicht nur – wie zu erwarten ist – von demjenigen des französischen Hofes, sondern auch von demjenigen Boccaccios maßgeblich unterscheidet. Es ist sicherlich anzunehmen, dass hierfür unterschiedliche Rezipientenkreise verantwortlich zu machen sind. Der gut illustrierte Band enthält eine umfassende, schlüssig vorgetragene Studie. Jedoch bleiben einige Fragen wie etwa diejenige nach der Vorlage der Steinhöwelschen Übersetzung ausgeklammert. Auch auf die handschriftliche Rezeption der beiden Drucke, die vielleicht weiteren Aufschluss über das Interesse des deutschen Frühhumanismus am Thema ›Frau‹ geben könnte, wird nicht eingegangen. Der Forschung werden durch die vorgelegte Untersuchung sicherlich zahlreiche weitere Anregungen geboten. Insbesondere ist die Problematik der Sprache im Verhältnis der Text-Bild-Relation neu zu beleuchten. Denn in wieweit war ein lateinkundiger Leser des 15. Jahrhunderts in der Lage, die Rezeption der Bilder in der lateinischen Ausgabe, die ihm ja andere Informationen vermitteln als der Text, auszublenden? Würde er nicht über die Diskrepanz zwischen Bildern und Text geradezu stolpern? Eine grundlegende Frage ist deshalb, ob bei einem solchen Ergebnis nicht überhaupt die konzeptuelle Einheit von Text und Bild, in der Domanski die Prämisse ihrer Arbeit sieht, zumindest im Hinblick auf die lateinische Ausgabe überdacht werden muss.
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