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Die Geschichte eines Netzwerkes
von Adel und Klöstern

  • Hans Hummer: Politics and Power in Early Medieval Europe. Alsace and the Frankish Realm, 600-1000. (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought: Fourth Series 65) Cambridge: Cambridge University Press 2006. 318 S. Hardcover. GBP 50,00.
    ISBN: 9780521854412.
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Adel, Kloster und Region

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Hans J. Hummer ist dem an der deutschen Literatur des Frühen Mittelalters Interessierten schon durch seine Stellungnahme zur Widmung des Heliand an Ludovicus piissimus Augustus bekannt (The Identity of Ludouicus piisimus augsuts in the praefatio in librum antiquum lingua Saxonica conscriptum, in: Francia 31,1 (2004), S. 1–14). In seiner hier zu besprechenden Dissertation finden diese Studien ihren Platz im historischen Kontext der karolingischen Herrschaft. Das eigentliche Thema des Buches ist das Elsass und seine politische Verflechtung mit dem merowingischen, karolingischen und ostfränkischen Reich. Es ist der für landeshistorische Studien im Frühen Mittelalter ungünstigen Quellenlage geschuldet, dass es dabei besonders um das Kloster Weißenburg geht, dessen Kopialbuch aus der Mitte des 9. Jahrhunderts die Hauptquelle für die Arbeit bildet, obwohl auch die Klöster Grandval, Murbach, Gregorienthal, Hohenburg oder Honau den ihnen gebührenden Platz eingeräumt bekommen.

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Für eine regionalhistorische Studie angemessen, stellt Hummer zunächst die naturräumliche Beschaffenheit der Region an Rhein und Vogesen vor. Das Fundament seiner Studie bildet dann die Analyse der Verflechtungen zwischen regionalem Adel und den Klöstern der Region: Die auch in den Weißenburger Traditionen reichhaltig belegten Precarien sind nicht als Gnadengaben des Klosters zu verstehen, sondern als Gegenleistungen für die vorherigen Schenkungen. Das Kloster ist also der Ort, an dem sich der Besitz einer Adelsfamilie konzentriert und als Machtbasis der Familie – jenseits aller Erbteilungen – erhalten bleibt. Hummer belegt diese enge Bindung zwischen Adelsfamilien und Klöstern mit verschiedenen Viten, in denen Mitglieder der Stifterfamilie als Äbte der von ihnen gegründeten Klöster auftreten. Unter den merowingischen Königen sind nur wenige Spuren königlicher Einflussnahme in diesem regionalen Machtsystem zu finden.

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Erst die Karolinger greifen in das regionale Herrschaftsgeflecht ein. Sie nutzen mit der Übernahme der Königsgewalt das Instrument der precaria verbo regis, um regionale Verbündete zu unterstützen und sich selber eine regionale Machtbasis zu verschaffen. Insbesondere bedient sich aber Karl der Große des herrscherlichen Auftrags zur Reform des Kirchenlebens und verändert mit dem Kapitular von Herstal von 779 und den brevium exempla die Beziehung der Klöster zum regionalen Adel. Minutiös weist Hummer nach, dass die Klöster seit 780 auf breiter Front von einer entgeltlosen Rückverleihung abrücken und stattdessen auch von den Familien, die schon seit langem ihren Besitz durch Schenkung an das Kloster gesichert hatten, große Teile davon aber abgabenfrei selbst weiter nutzten, einen census verlangen. Das Kapitular von Herstal versteht Hummer deshalb weniger als eine Reformmaßnahme in den Klöstern denn als eine Gelegenheit der Klöster, mit Rückendeckung des Königs ihre Position gegenüber dem Adel zu stärken. Ein in den Weißenburger Traditionen überliefertes Urteil in einem Streit zwischen dem Kloster und Mitgliedern der Familie der Rodoiniden wird für Hummer zum Kronzeugen, dass dieser Wandel beileibe nicht konfliktfrei vonstatten ging, weshalb er das – von ihm neu datierte – Stück mit der Nummer 197 in der Edition von Glöckner und Doll (Traditiones Wizenburgenses: Die Urkunden des Klosters Wiesenburg 661–864, bearb. von Karl Klöckner und Anton Doll, Darmstadt 1979) im Anhang mit Übersetzung abdruckt.

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Althochdeutsche und
altsächsische Literatur

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Während so in den ersten vier Kapiteln die Machtverhältnisse im Elsass und die Klöster, die Adelsfamilien wie die Herrscher als Akteure im Herrschaftsgeflecht das Zentrum der Untersuchung bildeten, verschiebt sich der Focus danach deutlich: Das fünfte Kapitel ist dem Althochdeutschen gewidmet. Hummer wiederholt seine Überzeugung, dass die Widmung in der lateinischen Praefatio zum Heliand auf Ludwig den Frommen gemünzt ist, nimmt das Werk aber aus dem direkten Umfeld des Kaisers, in das es auch nicht so recht passen will. Er sieht in der althochdeutschen und altsächsischen Evangeliendichtung nämlich weniger den kulturellen Einfluss des Hofes denn eine Melange aus regionalem Katecheseauftrag und höfischen Interessen: Das Interesse an der Volkssprache ist von klösterlichen Christianisierungsbemühungen motiviert, die sich der Unterstützung durch die Interessen der fränkischen Könige zu eigen machen.

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Hummer unterscheidet des Weiteren zwischen der Entstehung der Werke und ihrer Verbreitung: Entstanden sind sie im Umfeld von Fulda, die Überlieferung von Kopien nimmt in der Zeit nach 850 deutlich zu, und sie hat ihren Schwerpunkt im Umfeld von Mainz. Das alles verweist auf Hrabanus Maurus als Initiator. Ludwig der Deutsche wird damit zu einem Förderer auch von volkssprachlicher Literatur, die schon vor seinem Regierungsantritt entstanden ist.

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Hummers Anliegen ist jedoch zu zeigen, wie wenig diese Aktivitäten sich auf den König beschränkten: Auch die Einleitung von Otfrids Evangelienbuch enthält eine direkte Widmung an den König. Die Biographie des Autors, die Entstehung des Werkes und die übrige Einleitung legen es aber nahe, dass Otfrid sehr viel mehr von einer sich übersprachlich verstehenden Reichsaristokratie zu seiner Dichtung angeregt wurde. Otfrids althochdeutsche Werke sieht Hummer deshalb als politisches Statement für die fränkische Reichseinheit.

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Es stützt Hummers Analyse der Machtverhältnisse in der Region, wenn er auch in der Frage der Motivation zu volkssprachlichem Literaturschaffen insbesondere auf den Abt Grimald von Weißenburg abhebt: Das Leben der Mönche ist geprägt von der engen Bindung an einen Patron, vermittelt durch die Person des Abtes, der im Falle Grimalds eine bekanntermaßen wichtige politische Figur war und das Kloster zu einem Transmissionsriemen zwischen Herrscher und Region machte.

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Von den karolingischen Erbstreitigkeiten
zum neuen Adel

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Das Elsass ist mit seiner Mittellage ein Problemfall während der Erbstreitigkeit unter den Söhnen Ludwigs des Frommen und ihren Nachkommen. Es wechselt den Herrscher zwischen Lothar, Karl dem Kahlen, Ludwig dem Deutschen, wird geteilt und wiedervereinigt. Hummer verlässt in den letzten Kapiteln für lange Strecken die elsässische Perspektive, um schließlich wieder auf Grimald und das Kloster Weißenburg zurückzukommen, das für Hummer das entscheidende Machtzentrum in der Region ist. Nur wer das Kloster auf seiner Seite hat, kann auch das Elsass beherrschen.

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Auch die Analyse der Anlage des Weißenburger Kopialbuches stellt die Beziehung zwischen Zentralherrschaft, Kloster und den Mächtigen der Region her: Die Einträge des Buches weisen starke Spuren einer Ordnung nach Adelsfamilien auf. Hummer interpretiert das Kopialbuch deshalb als Absicherung regionaler Bindungen in einer Zeit, in der die Zentralherrschaft die Region zu teilen drohte. Er ermittelt einen inneren Zirkel, bestehend aus dem Chorepiscopus Lantfrit, dem Vogt Gebolt, Abt Adalhelm und seinem Bruder Milo und wohl auch Otfrid, die als Vertreter des regionalen Adels die Geschicke des Klosters bestimmten.

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Auch am Ende der karolingischen Herrschaft bleiben Adel und Kloster eng mit einander verwoben. Aber die Gewichte verschieben sich: Hummer führt mehrere Belege dafür an, dass der elsässische Adel sich als dominus monasterii versteht oder dass er das Kloster zu seinem Sitz macht, so dass es zu vererblichem Familienbesitz wurde. Diese Verbindung zerbricht mit der Kloster- und Kirchenreform seit dem 10. Jahrhundert. Der Prozess fand im Elsass, das der königlichen Herrschaft direkt unterworfen war, eine eigene Form. Das Beispiel der Vita des Deicolus, des legendären Gründers des Klosters Lure, mag zunächst verwundern, da das Kloster in Burgund liegt. Es ist jedoch bis ins hohe Mittelalter eng mit den Etichonen und ihren Nachkommen verbunden. Diese Beziehung wird erst durch Otto den Großen gestört, der die Kontrolle über das Kloster in der Mitte des 10. Jahrhunderts übernimmt. Neben dem Rekurs auf die königliche Herrschaft hat das Kloster jedoch auch die päpstliche Autorität und die Autorität eines – in diesem Fall wohl erfundenen – Gründers in Anschlag gebracht. Am Ende von Hummers Buch steht damit die Herausbildung des neuen Feudaladels, der seine Bindungen an die Klöstergründungen verliert und dessen nunmehr weltliche Machtbasis in der Namensgebung nach der Stammburg sinnfällig wird.

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Fazit

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Hummers Geschichte des Elsass als Geschichte eines Netzwerkes von Adel und Klöstern überzeugt, solange man sich nicht in den am Rande des Spekulativen bleibenden Verbindungslinien verheddert. Das gut mit Karten, Stammbäumen und einem Register ausgestattete Buch selbst tut das nicht und liefert damit eine mögliche und nicht unwahrscheinliche Sicht auf die Geschichte eines königsnahen Landstrichs zwischen west- und ostfränkischem Reich. Otfrids Evangelienbuch hat darin auch seinen Platz gefunden als Werk eines Mitglieds der lokalen Führungsschicht, und damit eines Mannes, der in enger Beziehung zum Reichsadel den katechetischen Impetus der karolingischen Herrscher aufnimmt.