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Warum Unternehmen philosophieren und Manager nicht einfach arbeiten

  • Marc Schlette: Figuren des Erfolges. Zur politischen Kritik von Unternehmens- und Managementphilosophie. Würzburg: Königshausen & Neumann 2005. 404 S. Geheftet. EUR (D) 49,80.
    ISBN: 3-8260-3167-9.
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Themenhorizont

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Die Studie untersucht Managementlehren und Unternehmensphilosophien und ihre impliziten Konzepte von ›Gemeinschaft‹, ›Führen‹ und ›Ethik‹. Die Analyse erfolgt aus politikwissenschaftlicher Perspektive, wobei Argumentationsmuster herauspräpariert und auf den Prüfstand gestellt werden, die zum weithin akzeptierten Arsenal von Wirtschaft, Politik und Medien gehören. Neben inhärenten Widersprüchen und Reduktionismus weist der Autor diesen Konzepten auch problematische Prämissen und Intentionen nach. So zeichnet er schließlich die Kontur einer Ideologie 1 – eben der Figuren des Erfolgs –, deren politische Relevanz darin liegt, dass sie die politischen Dimensionen unternehmerischen Handelns zum Verschwinden bringen will. Durch Mystifikation des materiellen Erfolgs und durch den Versuch, Personengruppen innerhalb und außerhalb des Unternehmens unter ein gemeinsames Interesse zu subsumieren, sollen Interessensgegensätze verschleiert und Widerstände unterlaufen werden.

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Methode und Material

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Wissenschaftliche Managementliteratur steht nicht im Fokus der Arbeit, denn sie argumentiert in der Regel rein zweckrational mit Wirtschaftlichkeit, ein Ansatz, der sich kaum zur Motivation von Mitarbeitern nutzen lässt und auch nicht genutzt wird. Doch kaum ein größeres Unternehmen verzichtet heute auf »philosophische« 2 Selbstinterpretation, pseudo-anthropologische Leistungsbegründungen oder Verhaltenskodices für seine Mitarbeiter. Wegen der daraus resultierenden Menge an Textmaterial ließ sich ein streng repräsentativer Ansatz nicht durchführen. Die Studie berücksichtigt Unternehmensdarstellungen von hundert großen und bekannten Unternehmen verschiedenster Branchen wie IKEA, Deutsche Bank, Unilever, The Body Shop, Lufthansa, Merz Pharma, Hamburg Mannheimer, Real, Daimler Chrysler und viele andere.

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Aus der reichen Menge an Managementlehren wählt Schlette solche, die als prototypisch und einflussreich gelten können. Besonderes Augenmerk legt er dabei auf Abhandlungen oder Konzepte, die zur Legitimation von Gemeinschaft und Führung mit religiösen, spirituellen oder manipulativen Ansätzen operieren. Originäres Material aus dem Unternehmens- oder Beratermilieu kontextualisiert Schlette mit »Klassikern« der Ratgeberliteratur amerikanischer Provenienz wie Dale Carnegies: Sorge Dich nicht, lebe! sowie Texten des ›positive thinking‹ oder pseudo-wissenschaftlichen, mentalen Programmiermethoden aus dem aktuellen Seminar- und Trainingsmarkt wie »Neurolinguistisches Programmieren« (NLP).

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Der Ansatz ist auch deswegen pragmatisch begründet, da große und bekannte Unternehmen der Anfrage des Autors nach Unternehmensdarstellungen nicht nur am zuverlässigsten nachkamen, sondern auch die am besten ausformulierten Texte lieferten. Schlette vermutet bei großen Unternehmen außerdem eine größere Streubreite der Inhalte nach innen; in der Regel sind sie mit Kommunikationsabteilungen ausgestattet, die Botschaften gezielt in der Mitarbeiterschaft ›implementieren‹ sollen. Die Erhebung von Unternehmensdarstellungen fand im Januar / Februar 2002 statt (S. 30). Die Vergleichbarkeit der Texte erreicht Schlette über formale Übereinstimmung: Das Vorhandensein einer »Leitidee«, von Unternehmenszielen, Handlungsgrundsätzen und Grundsätzen zur Führung und Zusammenarbeit im Unternehmen bildeten die kriteriale Voraussetzung für die Untersuchung.

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Darüber hinaus versteht Schlette seine Studie als kritischen Beitrag zur politischen Dominanz eines Ökonomismus in ökonomiefremden Bereichen; er erklärt, Ansätzen, die Management und Führung zur »intuitiven, spirituellen, magischen, charismatischen oder religiösen Angelegenheit erklären wollen« (S. 22), skeptisch gegenüberzustehen. Die Idee der »Vergemeinschaftung« (das Unternehmen als Einheit aller) lehnt er rundweg ab. Stattdessen verweist er auf Machtasymmetrie und Interessensgegensätze in Unternehmen. Daraus folgt für ihn, die »Chance auf eine kritisch-reflexive Auseinandersetzung mit den eigenen Arbeitsbedingungen« und das Recht auf »das Verfolgen eigener Interessen« als kriterial für eine humane Arbeitswelt anzusehen. (S. 23)

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Gang der Untersuchung

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In seiner Beschreibung des Problemzusammenhangs (S. 31) konfrontiert Schlette Aspekte der heutigen Arbeitswelt und ihrer gesellschaftlichen und politischen Bedingungen mit der Rolle und Aufgabe von Unternehmens- und Managementphilosophien. Daraus entwickelt er ein Arsenal an kritischen Fragen für die Textanalyse: Findet eine Mystifizierung des ökonomischen Erfolgs statt? Was ermöglicht, ihn unbegrenzt, auch unabhängig von ökonomischer Vernunft propagieren zu können? Kommen Instrumente zur Identifikation der Mitarbeiter mit den Unternehmenszielen zum Tragen, wie »Events«, Kommunikationsregeln, Beurteilungspraktiken, die eine ›Vergemeinschaftung‹ zum Ziel haben? Wird gleichzeitig die (scheinbar entgegengesetzte) Illusion beschworen, jeder einzelne könne den Unternehmenserfolg beeinflussen, um lohnunabhängig zur optimalen Leistungsgabe zu motivieren? Werden reale Macht- und Kommunikationsverhältnisse verschleiert zugunsten des Teamgedankens und des ›Sprechens auf gleicher Augenhöhe‹?

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Darüber hinaus sieht der Autor eine wichtige politische Implikation von Unternehmensphilosophien darin, dass sie tendenziell den institutionalisierten, demokratischen Entscheidungsprozess diskreditieren:

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Den die Wirtschaftstätigkeit regulierenden Institutionen und Akteuren sowie den politischen Entscheidungs- und Reformprozeduren, deren inkrementalistischer Charakter als typisch für moderne Demokratie bezeichnet werden kann, wird mittels der unternehmerischen Vision eines Self-made Mythos, der Verordnung von Optimismus, der Vorstellung wirtschaftlichen Wettbewerbs als eines existentiellen Kampfes und der Konstruktion einer unternehmensinternen Gemeinschaft der Sieger und Erfolgreichen implizit ein diffuses Politik- und Gemeinschaftskonzept entgegensetzt, welches die mühsamen Prozeduren der demokratischen Entscheidungsfindung in letzter Konsequenz als nicht sachgemäß erscheinen lässt. Diese (Gegen-) Geschichten über die Wirklichkeit sind einfach strukturiert, mitunter »Binsenweisheiten«, und sollen den Unternehmensmitgliedern Orientierung bieten, insbesondere durch Abgrenzung vom verregelten Apparat, der unternehmerische Initiative behindert. (S. 37 f.)
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Im Zuge der Begriffsklärung von Unternehmens- beziehungsweise Managementphilosophie (S. 54 ff.) erörtert Schlette die Debatte um den Begriff ›Unternehmenskultur‹ mitsamt den daraus resultierenden Konzepten einer ›Corporate Identity‹ und fasst sie als Kerndebatte um eine Einheitsidee in Unternehmen auf.

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Zu den sechs ausgewählten Managementkonzepten, die Schlette nun analysiert, gehört die kanonische Arbeit für den Unternehmenskulturansatz von Peters / Waterman 3 (S. 140 ff.). Die Autoren erklärten in den 80er Jahren die scheinbare Überlegenheit der japanischen Konkurrenz aus der »einzigartige[n] Firmenkultur« der Japaner und »ihre[r] Vorliebe für Zusammenkünfte und Firmenlieder« 4 (S. 140). Schlette arbeitet die Prämissen und Folgen dieses »Kultur«-Verständnisses für Mitarbeiter und Unternehmensführung heraus und benennt Gemeinplätze, die bis heute in Unternehmen gelten 5 wie Vorstellungen von der Notwendigkeit der Sinnvermittlung, von Motivation 6 und von »transformierender Führung« 7 , die das Unternehmen schließlich zu einem Organismus umfunktioniert (S. 146 f.).

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Mit dem Begriff Organismus sind bestimmte Implikationen gesetzt: Wer die Welt organisch deutet, deutet sie als analogischen Zusammenhang eines sinnhaft waltenden Prinzips. Das führt zwangsläufig zu mindestens quasi-religiösen Vorstellungen höherer Ordnung. Entsprechend bedarf der Organismus Unternehmen einer ausgezeichneten, höheren Führung. Die Arbeiten Rudolf Manns 8 und Gerd Gerkens 9 geben in diesem Zusammenhang ein recht bizarres Beispiel für esoterisch-spirituelle Ausdeutungen der Exzellenz von Führungspersonen. 10 Um Ansätze systematischer und steuerbarer Homogenität in Unternehmen geht es sowohl in Jesper Kundes Konzept einer »Corporate Religion« 11 als auch in Matthias zur Bonsens ganzheitlichem Ansatz zur »transformierenden Führung«. 12 Abschließend behandelt Schlette in Fredmund Maliks systemtheoretisch orientierter Managementphilosophie 13 zwar exemplarisch einen dezidierten Gegner antirationaler und pseudo-religiöser Ansätze, der aber lediglich in anderer Hinsicht einen überdehnten und weltumspannenden Managementbegriff verficht: Für Malik ist gutes Management die Lösung aller politischen Probleme.

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Mit der Idee vom Unternehmen als Gemeinschaft beschäftigt sich das folgende Kapitel noch einmal gesondert (S. 166 ff.). Ihre Genese wird skizziert, verschiedene Strategien der ›Vergemeinschaftung‹ identifiziert, benachbarte Themen und standardisierte Argumente benannt. Inhaltliche Verdachtsmomente hierfür hatte bereits die vorangegangene Untersuchung der Managementkonzepte geliefert. Auch die Untersuchung ausgewählter Unternehmensdarstellungen, die nun folgt, stimmt unter anderem darin überein, den Sinn der Arbeit im Unternehmen zu überhöhen und Einheitlichkeit und Geschlossenheit angesichts einer angeblich permanent feindlichen Umwelt zu beschwören.

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Schlette führt den unterstellten Bedarf nach und die Produktion von Sinnüberschuss in Unternehmen nicht zuletzt auf Glücks- und Erfolgsmythen amerikanischer Provenienz zurück. Die Personalabteilungen deutscher Unternehmen kooperieren auf Basis von solchen Erfolgsmythen mit dem Seminarmarkt. Dieser suggeriert die Machbarkeit von Erfolg, während die Personalabteilungen den Firmenerfolg als Lebenssinn propagieren. Dieser Ansatz kann letztlich auf eine pseudoreligiöse Atmosphäre des Auserwähltseins gar nicht verzichten (S. 277).

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So setzt Schlette noch einmal dazu an, die ausgebreiteten Fakten unter einem neuen Aspekt zu ordnen, indem er Spuren des Religiösen in Managementphilosophien und Ökonomie zusammenträgt: Die geforderte »Spiritualität« von Managern, der zielgerichtete Einsatz von Symbolpraktiken zur Vergemeinschaftung, die Idee wirtschaftlichen Erfolgs als Maßstab für ein geglücktes Leben. Ein neuer, allgemeinerer Aspekt tritt hinzu: Die absolute Geltung von Marktgesetzen und die Vorstellung, der Markt sei selbstregulativ. Schlette diskutiert hier aktuelle Positionen, die dieser Auffassung kritisch gegenüber stehen (S. 300 ff.).

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Das letzte Kapitel (S. 308 ff.) stellt die Frage nach dem tatsächlichen Stellenwert von Ethik in Unternehmen und Wirtschaft. Die Frage konfrontiert Ansätze der Wirtschaftsethikdebatte mit den vorher untersuchten Konzepten zu Management- und Unternehmensphilosophien. Dabei stellt Schlette heraus, dass Managementkonzepte ethisches Verhalten in der Regel schlicht feudalistisch an die Exzellenz der Führungsfigur binden; diese formulieren schon deswegen keinen normativen Maßstab für ethisches Verhalten, da sie nur selbst wissen und entscheiden, ob sie ihn einhalten. So stellt sich die politische Frage nach dem Ort der Verankerung für ethische Normen. Kann dieser Ort in der Wirtschaft selbst liegen? Liegt er noch in der Politik? Den eher abschlägigen Antworten des Autors hierauf ist außer Argumenten aus wirtschaftlichem Eigeninteresse nicht viel entgegenzuhalten.

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Würdigung

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Schlettes Studie befasst sich mit einem wichtigen Thema. Sie ist souverän im Umgang mit dem Material, differenziert in der Betrachtung und stringent in der Anwendung auf die formulierte These hin. Letzteres konnte beim vorliegenden Material, das Transparenz gerade vermeidet, nur mit einem hohen Maß an Sprachbewusstsein und begrifflicher Differenziertheit bewerkstelligt werden. Schlettes Studie bleibt unbeeindruckt vom suggestiven Drift der Argumente und beleuchtet die Konzepte hinter den verwendeten Metaphern. So zeigen sich inhaltliche Wechselreitereien und Widersprüche, die aber letztlich im überzogenen Geltungsanspruch übereinstimmen.

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Im Spiegel ihrer Selbstdeutungen erscheinen Unternehmen als natürliche Personen mit einem Recht auf eigene Identität. Aber sie leben nicht in einer politisch-sozialen Ordnung, sondern scheinen quasi-naturhaften Gesetzmäßigkeiten ausgesetzt. Denn als Organismus ist das Unternehmen permanent gefährdet und nur überlebensfähig, wenn alle seine Mitglieder widerspruchslos in eine Richtung wirken. Die Wahl der Richtung obliegt dem exzellenten Manager mit Zugang zu spirituellen Einsichten über die höhere Ordnung. Er vermag dem Organismus die richtige Richtung zu weisen. So beruht Management letztlich auf Faszination, Unternehmenskultur praktiziert Ideologie, Kommunikation organisiert Sinnausschüttung top down und Personalentwicklung produziert und bindet den Lebenssinn der einzelnen Vielen.

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Schlettes Analyse macht transparent, in welcher Welt sich Unternehmen heute situieren und mit welchem Arsenal an Argumenten sie den ganzen Menschen beanspruchen.

 
 

Anmerkungen

Schlette fasst seinen Ideologiebegriff analog zu Oswald Neuberger: Führen und geführt werden. Stuttgart: Enke 1994: »[...] eine zusammenhängende gedankliche Konstruktion, die als eine umfassende Rechtfertigung der bestehenden Wirklichkeit angeboten wird; weil aber weder die erkenntnisleitenden Interessen, noch relativierende Einschränkungen offen gelegt werden [...], ist sie eine einseitige Parteinahme, die aber eben diese Einseitigkeit verleugnet und sich den Schein gesicherter verständiger Begründung gibt. Ideologien beschreiben nicht, was ist, sondern rechtfertigen, warum es so ist (bzw. sein muß oder sein soll)« Zitiert nach Schlette, S. 24.   zurück
Mit »Philosophie« bezeichnen Unternehmen nicht begrifflich-logische Anstrengungen, die Welt zu denken, sondern sie nutzen den Begriff im trivialisierten Sinn als Sinnzuweisung für die eigene Existenz. Darin, dass Unternehmen überhaupt begonnen haben »philosophisch« zu argumentieren, erkennt Schlette bereits ein erstes Indiz für mystifizierende Absichten (S. 17).   zurück
Thomas Peters / Robert H. Waterman: Auf der Suche nach Spitzenleistungen. Was man von den bestgeführten US-Unternehmen lernen kann. Landsberg am Lech: Verlag Moderne Industrie 1989.   zurück
Vgl. Thomas Peters / Robert H. Waterman (Anm. 3), zitiert nach Schlette, S. 140.   zurück
Z. B. hat die generelle Ablehnung von Abstraktion und Analyse in der Wirtschaftswelt bis heute Bestand: Schlette zitiert dazu aus ebd. S. 71 f.: »Der rein analytische Ansatz, sich selbst überlassen, führt zu einer abstrakten Philosophie ohne Herzen.« – »Enge rationale Sicht heißt oft, negativ sein.« Schlette fasst zusammen, dass hier »Problembewusstsein« und »Analysehaltung« dem »wirtschaftlichen Erfolg letztlich im Wege stehen«, weil sie angeblich zu »einer Paralyse der Beteiligten« führen (S. 143). Er widmet dem Thema an anderer Stelle gesondert Aufmerksamkeit (S. 119 ff.).   zurück
Einen Neuansatz zum Thema Motivation verspricht der Berater Reinhard K. Sprenger dem Management in: Mythos Motivation. Wege aus einer Sackgasse. Frankfurt/M., New York: Campus 2002.   zurück
Vgl. Thomas Peters / Robert H. Waterman (Anm. 3), zitiert nach Schlette, S. 146.   zurück
Rudolf Mann: Die neue Führung. Vom Kampf um Anerkennung zum authentischen Sein. Düsseldorf, München: Korter 1996.   zurück
Gerd Gerken: Der neue Manager. München: Droemer, Knaur 1995.   zurück
10 
Dem Ansatz Manns, der Management tendenziell als kosmologische Heilung versteht, bescheinigt Schlette zu Recht einen Rückfall vor die Zeit der Aufklärung (S. 96).   zurück
11 
Jesper Kunde: Corporate Religion. Bindung schaffen durch starke Marken. Wiebaden: Gabler 2000.   zurück
12 
Matthias zur Bonsen: Führen mit Visionen. Der Weg zum ganzheitlichen Management. Niedernhausen: Falken 2000.   zurück
13 
Fredmund Malik: Systemisches Management, Evolution, Selbstorganisation. Grundprobleme, Funktionsmechanismen und Lösungsansätze für komplexe Systeme. Bern, Stuttgart, Wien: Haupt 1993.   zurück