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Gegenstände und Argumentationsebenen der Untersuchung
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Rennies Studie ist eine ideengeschichtliche Untersuchung des »Augenblicks« als »poetisches Motiv« auf der einen und als »theoretisches Konstrukt« auf der anderen Seite (S. 9). Die mit ihm verbundenen Zeitspekulationen und ihre poetologischen Implikationen werden als Abwehrstrategien gegen die moderne beziehungsweise neuzeitliche Dezentralisierung des Subjekts gedeutet. Nimmt die Darstellung ihre gedankliche Bewegung an ihren Protagonisten Goethe, Leopardi und Nietzsche in chronologischer Folge vor, so ist die Perspektive jedoch durch Nietzsches Zweite Unzeitgemäße Betrachtung vorgegeben. In ihr fungieren Goethe und Leopardi als Repräsentanten zweier verschiedener Deutungen von geschichtlicher, Welt- und Lebenszeit. Erste Züge des Gedankens einer »ewigen Wiederkehr des Gleichen« zeichnen sich, wie Rennie nachweist, als Nietzsches Konsequenz der Auseinandersetzung mit ihnen bereits in der frühen Schrift ab (S. 9).
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Es gibt jedoch noch einen vierten wichtigen Mitspieler in Rennies Abgrenzung der Positionen. Folie für seine Analysen ist Pascals berühmte Wette angesichts der Ungewissheit darüber, ob das menschliche Leben zum einen keinerlei Bedeutung über die Dauer seines irdischen Daseins hinaus besitze oder aber seine unendlich größere Bedeutung in einem Fortleben nach dem Tode erhalte. Angesichts des Gewinnversprechens wäre es nach Pascal auch im ersten Falle sinnvoll, bei der Gestaltung des eigenen Lebens auf die zweite Möglichkeit zu setzen, da man nur gewinnen, aber nichts verlieren könne.
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Das Motiv der »Wette« (»wager«), der »Spekulation«, verleiht dem Titel von Rennies Studie und ihrer These ihre eigentümliche Doppeldeutigkeit: Zum einen ist der Augenblick für die untersuchten Zeitkonstruktionen und ihre Frage nach der Bedeutung oder Bedeutungslosigkeit der gelebten Wirklichkeit Gegenstand einer metaphysischen Spekulation – im Sinne einer Börsenspekulation –, zum anderen wird der gelebte Augenblick als Moment einer innerweltlichen Erfüllung zunehmend sowohl in seiner Funktion als »säkulare Theodizee« als auch zeichentheoretisch in seiner ästhetischen oder begrifflichen Thematisierung problematisch.
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Gerade das Hohe Lied auf die Präsenz des erfüllten Augenblicks löst die vermeintliche Stabilität des reflektierten äußeren Gegenstandes auf, indem dieser dem Reflektierenden immer nur als ›Symbol‹, als selbst schon reflektierter Gegenstand gegenübersteht, dem reflektierenden, begründenden Denken immer nur in einer Reflexionsform, aber nie unmittelbar zugänglich ist.
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Als beiher spielendes modernes Dilemma führt Rennie – unter Einarbeitung eines früheren Aufsatzes – zudem Mallarmés Würfelwurf und die Frage ein, ob die vorgestellten Augenblickskonzepte dem Gespenst des Determinismus entgehen und nicht die von ihnen heroisch postulierte Vorstellung der menschlichen Freiheit als Voraussetzung für eine säkulare Erfüllung unterminieren.
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Die Entwürfe erscheinen als unterschiedliche Abwehrstrategien, denen die Spuren der latenten kulturellen Traumatisierung durch die neue, von der europäischen Neuzeit eröffnete und von der Aufklärung propagierte Weltsicht eingeschrieben sind.
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Indem Rennies Studie die intertextuellen Bezüge nicht nur verschiedener sich aneinander abarbeitender Welt- und Zeitentwürfe expliziert, sondern auch die wachsende Problematisierung der ihnen entsprechenden Poetologien nachweist, die ihre Metanarrationen bestimmt, fädelt sie sich nicht nur in die aktuellen Diskussionen über Zeit und Wirklichkeit als Gegenstand von Philosophie und Dichtung, sondern auch in die jüngeren Diskurse zu den ästhetikgeschichtlichen und zeichentheoretischen Aporien der Moderne ein.
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Goethe und Leopardi aus der Sicht Nietzsches
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1. Goethes Faust
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Goethes Faust weckt Rennies Interesse insbesondere deshalb, weil in Fausts letzten Worten (Vs. 11574–11586) der »höchste Augenblick« zum einen als Epiphanie, zum andern aber auch als hypothetisches Konstrukt, als inhaltliche Leerstelle, erscheint (S. 58–60, 98, 119). Mit dieser Lesart schließt sich der Autor tendenziell der Deutung jenes Augenblicks durch Mephistopheles an (Vs. 11589). Gleichwohl thematisiert der Augenblick im Faust für Rennie den Entwurf der Semantik einer »säkularen Theodizee« (S. 17). Goethes Konzept des »höchsten« Augenblicks im Faust sei nicht nur ein »Substitut für die religiöse Epiphanie«, sondern stehe »in diametralem Gegensatz« zu ihr (S. 18). Argumentative Grundlage für diese Lektüre ist der im Anschluss an die Forschung breit diskutierte intertextuelle Bezug der Wette aus dem »Prolog im Himmel« zu der im biblischen Buch Hiob. Ihr »nihilistischer Impuls« (S. 23), so Rennie, macht die Tragödie zu einem genuinen Zeugnis der modernen Auflösung traditioneller Gewissheiten.
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Die Studie pointiert die Entleerung der Zeit für Faust und parallelisiert diese moderne Sicht insbesondere zur Papiergeldszene und ihrem neuzeitlichen Ideal des universalen Tausches (S. 106–114). Die Einlösung des spekulativen Wertes ist offen. Dem trägt die Offenheit der Paktformel Rechnung. In seiner letzten Vision kann Faust, gemäß seiner nihilistischen »spekulativen« Manie und nun sogar noch durch die Sorge geblendet, den Augenblick nur hypothetisch, antizipatorisch fassen. Für das »öffentliche Geheimnis« seiner ganz anders beschaffenen, konkreten, unmittelbaren Umwelt hat er kein Auge mehr. Die Paktformel entspricht auf diese Weise seinem eigentümlichen Naturell, da es die Kontemplation, das Innewerden des schönen Augenblicks für ihn von Beginn an nicht gibt. Ob in Faust aber die ganze oder nur eine gefährliche oder die eigentümliche Tendenz der Moderne charakterisiert wird, ist das proton pseudos jeder Deutung der Tragödie.
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Rennies Buch tendiert dazu, Faust als Reflektorfigur für Goethes eigene Position, nicht aber als Goethes dichterische Verkörperung einer spezifischen, nämlich – wie der Dichter sie kritisch bezeichnete – »veloziferischen« modernen Umgehensweise mit der Zeit zu deuten.
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Zweifellos ist diese Identifikation und die Auffassung von Faust als Personifikation des modernen Menschen schlechthin in der Forschung nicht erst seit den »titanistischen« Deutungen des 19. Jahrhunderts weit verbreitet, doch nur eine mögliche Lesart. Entsprechend vernachlässigt die Studie Goethes weitere, recht andersartige Versuche, eine säkulare Epiphanie in seiner Metamorphosenlehre mit Naturprozessen zu verknüpfen und in die zu seiner Zeit noch gängige Auswickelungstheorie einzubetten.
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Im Zusammenhang mit der Spiraltendenz der Metamorphose wäre übrigens gerade im Kontext von Rennies Argumentation ihr zyklischer Entwurf von Zeit – und dessen Aporien – thematisierbar, dessen rhythmische Folge von Systole und Diastole als Gegenentwurf eines amorphen, linearen Zeitbegriffes gelesen werden kann.
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Rennies Betonung, dass die Aporien des Augenblicks in Goethes Faust die problematischen Seiten einer »Theologie der Immanenz« (S. 37) thematisieren, ist nichtsdestoweniger für beide Lektüren des Faust relevant, denn der Analyse der Bedeutung des Augenblicks für die Figur Faust als Problematisierung moderner Apperzeptionsweisen und damit einhergehende Destabilisierung semantischer Systeme tut dies keinen Abbruch. Insbesondere Rennies schöne Herausarbeitung von Fausts Fähigkeit zu vergessen als Voraussetzung für die Auflösung des Augenblicks als Träger fixierbarer Bedeutungen (S. 66) markiert die Ambivalenz der säkularen Epiphanie und der Auflösung des narrativ fruchtbaren symbolischen Augenblicks zur Allegorie im Sinne Benjamins (S. 85–91). Fausts Spiel mit dem Zufall – sowohl im Pakt als auch, wie Rennie betont, in der Magie
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– zeigt ein Pathos des Experiments, das vom Text durch das Motiv der Blindheit in Frage gestellt wird. Am Ende des Faust steht nach Rennie – unter Bezug auf Friedrich Kittler und Norman Bryson – konsequent die Diskreditierung des subjektiven Willens als Garant der Augenblicks-Epiphanie, ebenso aber die Frage nach einer reinen Objektivität, die nicht fixiert werden kann (S. 119–120). Das Potential in Goethes Naturkonzeption und deren Zeichenverständnis
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ließe aber auch eine Sicht auf den Schluss des Dramas als Kritik an der Hypertrophie des aufkommenden Subjektbegriffes zu.
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2. Leopardi
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Leopardis Werke sind für Rennie gegenüber Goethes Position eines Übergangs explizit Manifestationen der historischen Krise. Sie realisieren die Bedeutung der Vorgänge der Französischen Revolution und vergegenwärtigen die Konsequenzen, die die kopernikanische Wende für das Selbstverständnis des Menschen als Subjekt nach sich zieht. An verschiedenen Texten, gruppiert um den Zibaldone als gedankliches Zentrum, analysiert Rennie Schwerpunkte und Züge dieser Krise, so etwa im Copernicus-Dialog, der die Ortlosigkeit des dezentrierten kopernikanischen Subjekts vorführt.
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Als Konsequenz seiner Überlegungen stellt Leopardi für das Zeitalter nach dem »Tod Gottes« die Möglichkeit großer historischer Ereignisse und großer Persönlichkeiten – ob Dichter, Wissenschaftler oder Politiker – zunehmend in Frage. Ebenso zweifelhaft wird für ihn die Möglichkeit, Historiographie oder Dichtung als teleologisches Erzählen von Geschichten zu betreiben, wie es vom Modell des Epos vorgegeben war (S. 165–179). Entsprechend sieht sich Leopardi mit dem Problem der Vollendung seiner Schriften in einer Radikalität konfrontiert, die Goethe nicht kennt. Die ästhetische Kategorie des Erhabenen verliert bei ihm die traditionellen Implikationen einer Theodizee und ist Leopardis Bemerkungen über die Bedeutungslosigkeit der Menschheit in einem unendlichen Universum zugeordnet (S. 144–145). Die Welt wird zu Dreck (»fango«; Nietzsche übersetzt: »Koth«), und die vorherrschende Empfindung ist die Langeweile (»noia«).
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Entsprechend werden bei Leopardi der aufklärerische Gedanke des Fortschritts der menschlichen Vernunft und des menschlichen Wissens ebenso wie der einer Perfektibilität der Gesellschaft abgelehnt (S. 134).
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Leopardis weitere radikale Konsequenz aus diesen Überlegungen ist seine These einer fundamentalen Unmöglichkeit von Veränderung überhaupt, da alles in einem endlosen zyklischen Prozess münde (S. 180). Das Pathos der Erneuerung, der Begründung eines neuen Zeitalters in der Geschichte, sei es durch die Französische Revolution, sei es durch die Entdeckungen neuer Kontinente, erscheint aus dieser Perspektive als leere Rhetorik. Typologisch verweist die Wahrnehmung und Reflexion jedes dieser Ereignisse in Leopardis Denken, wie Rennie herausarbeitet, bereits auf Vorgänger (S. 181–185). Dem Apperzeptions-Modus, dass es ›nichts Neues unter der Sonne‹ gebe, entspricht ein »anti-narrativer Impuls«, die Wiederholung als Grundfigur einer prinzipiellen Invariabilität der Dinge (S. 188). Der metonymische Reflex fortzuschreiten ist unmittelbar von einer Blockade begleitet, die dem Bewusstsein einer Sinnlosigkeit dieses Tuns entspricht. Rennie erläutert diese Poetologie unter Bezugnahme auf Leopardis Reflexion der »Diskrepanz zwischen endlichem Genuss und unendlichem Begehren« (S. 198) und setzt sie zeichentheoretisch zu Lacans Re-Interpretation von de Saussure in Beziehung (S. 199–201). Das Scheitern des Schreibens und der Tod sind die Fluchtpunkte dieser pessimistischen Reflexionsbewegung. Den Bruch Leopardis mit Pascal ab 1825 macht Rennie an der Infragestellung bereits der hypothetischen Voraussetzung von Pascals Wette fest: die lediglich behauptete und in ihrer Bedeutung völlig ungewisse Größe eines Jenseits ist nur noch ein Nichts gegenüber der Realität (S. 142–149, 210, 263–264) und damit kein Gegenstand einer sinnvollen Spekulation. Bei Leopardi ist die Bedeutung des Augenblicks als mögliches Spekulationsobjekt einer religiösen wie säkularen Theodizee durch den Zirkel des ewig Gleichen destabilisiert.
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Das ironische Bewusstsein Leopardis zeigt sich temporal und poetologisch an der Figur der Verdoppelung sowie strukturell an der Reflexion der absoluten Differenz zwischen der Welt und ihrem Abbild (»double«). Das Genie zeigt sich für ihn in dessen Vermögen, dieser Logik der Verdoppelung Rechnung zu tragen. Rennie arbeitet besonders an diesem Gedanken die innere Spannung und Ambivalenz dieses Denken heraus. Zum einen entwickelt Leopardi die durch die zeitgenössische Chemie inspirierte Vorstellung eines an Kombinationsmöglichkeiten reichen Zeichenreservoirs, durch das die synthetische Kraft der »Dichtung« den Determinationen einer analytischen, mathematisch-wissenschaftlichen Praxis der Bezeichnung entgehen kann und unvorhersehbare, neue Möglichkeiten eröffnet. Zum anderen kollidiert dieser Gedanke jedoch mit Leopardis Einsicht in die Instabilität auch dieser sich permanent erneuernden Ordnungen und seinem Grundgedanken der Unmöglichkeit eines grundsätzlichen Wandels (S. 14, 249–255). Der Augenblick dieser »Spekulation« – im Sinne von Spiegelung und Wette –, der »colpo d’occhio« mit seiner traditionellen Verräumlichungsmetaphorik, ist für Leopardi zwar zum einen notwendiger metaphysischer Trost, besitzt jedoch immer den Charakter einer ästhetischen Illusion (S. 254).
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Rennies Analysen nehmen nur marginal biographische, technik-, sozial- oder nationalgeschichtliche Kontextualisierungen vor. Sie bleiben fast ganz der rekonstruierten Argumentation der Texte verpflichtet, die sie allerdings nicht in ihren Widersprüchlichkeiten, sondern im Zeichen der vorgestellten These lesen. Dabei verweist Rennie auf Leopardis Auseinandersetzung mit der Frage nach der Möglichkeit einer zyklischen Kulturgeschichtsschreibung (Gründung, Aufstieg und Niedergang) vor dem Hintergrund einer Dezentrierung des Subjekts und der damit einher gehenden Desavouierung des Fortschrittsgedankens (S. 180) sowie auf die Vorausdeutung seiner Texte auf Positionen postmoderner Apokalyptiker (S. 158–160).
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3. Nietzsche
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Nietzsches Rückgriff auf die beiden Denker teilt, so weist Rennie nach, deren Überzeugung, dass souveräne Subjektivität und der Wert eines immanenten Augenblicks absoluter Präsenz einander bedingen. Ausführlich weist das Buch dabei auf Nietzsche als einen der ersten Rezipienten Leopardis in Deutschland hin (S. 271–277), zeigt aber auch den Wandel der Wertschätzung, den der Italiener bei seinem deutschen Leser durchläuft: vom »moderne[n] Ideal eines Philologen«, das den deutschen Kollegen vorgehalten wird,
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über die zunächst positiv zu Buche schlagende geistige Verwandtschaft Leopardis und Schopenhauers
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bis zu Notizen von 1888, in denen Nietzsche beide endgültig als Vertreter eines ›romantischen‹ Pessimismus der »Schwäche« und der »Ermüdung« seinem eigenen »klassischen Pessimismus« gegenüberstellt.
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Die Vorbereitung dieser Abwertung findet Rennie bereits in der Zweiten Unzeitgemäßen Betrachtung, weist jedoch die lange darüber hinaus anhaltende Abhängigkeit der gedanklichen Entwürfe Nietzsches von Denkmustern Leopardis nach. Hierzu zählt insbesondere Nietzsches Auseinandersetzung mit der hypertrophen Historisierungstendenz und dem Fortschrittsbegriff im Denken des 19. Jahrhunderts, die für den Deutschen mit den geschichtsphilosophischen Strömungen im Gefolge Hegels und der Evolutionstheorie Darwins verbunden sind (S. 300).
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Repräsentiert Goethes Denken für Nietzsche noch den Versuch einer Rettung des Subjekts vor dem Chaos, die Position einer lebensbewahrenden Ästhetisierung der Wahrnehmung durch die Form, so erscheint ihm Leopardis Haltung der Hoffnungslosigkeit und des Skeptizismus (S. 288, 307–308) als heroische Preisgabe jener Bastion. Nietzsches Goethe-Bild ist für diese antithetische Gegenüberstellung hochgradig stilisiert und stützt sich als Quelle maßgeblich auf Eckermanns Gespräche, so Rennie im Anschluss an die Forschungen Ernst Bertrams und Eckhard Heftrichs (S. 290–291, 306–308).
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Der Augenblick als ›Ort‹ einer übergeschichtlichen Objektivität darf entsprechend Nietzsches philosophischem Programm nicht auf ein übergeordnetes Telos hin ausgerichtet sein – dann kehrte in ihm ›verkappt‹ jene Theologie wieder, die die Entwertung der Gegenwart betreibe
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–, sondern ist im Anschluss an Goethe als Moment einer symbolischen Offenbarung entworfen.
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Die Bedeutung des für Nietzsches Zweite Unzeitgemäße Betrachtung zentralen Gedankens geschichtlicher »Symbole« besteht nach Rennie in der Sonderstellung der hier gemeinten Persönlichkeiten, die sich einer metonymisch fortschreitenden und teleologisch gerichteten Geschichtsauffassung widersetzt (S. 301). Nietzsches Versuch, die Gefahren der Kontingenz sowie der geschichtlichen und metaphysischen Inkohärenz zu überwinden, führt zur Forderung, die eigene Existenz, gemäß einer formalen ästhetischen Notwendigkeit, zum »Ursprung« des eigenen Selbst und allen Seins, zu einem »umfassenden« Symbol zu steigern, als das das individuelle Dasein gerechtfertigt ist (S. 322, 335).
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Das Subjekt, dem sich diese »übergeschichtliche« Vision offenbart, rückt damit in eine souveräne, gottgleiche Position ein.
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Komplementär hierzu nennt Nietzsche als Gedankenexperiment für die Möglichkeit eines »überhistorischen Standpunkts« erstmals den Gedanken einer »ewigen Wiederkehr«. Zwar lehnt er ihn hier noch mit dem Argument, dass »die Welt in jedem einzelnen Augenblicke fertig ist und ihr Ende erreicht«, sowie mit dem Verweis auf dessen Unerträglichkeit ab,
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das Problem aber bleibt bestehen, wie der exponierte Augenblick als Offenbarung eines historischen »Symbols« in der Zeit zu denken ist, ohne in die Entwertungsbewegung eines teleologischen Denkens zu geraten. Was in der Unzeitgemäßen Betrachtung noch nicht gelöst ist, wird von der Fröhlichen Wissenschaft gerade durch die Radikalisierung des Gedankens der »ewigen Wiederkehr« als »größtes Schwergewicht« in den Blick gefasst: Nun kehrt in ihm nämlich nicht nur alles wieder, sondern zudem »Alles in der selben Reihe und Folge«; erst durch diese Zuspitzung erhält jede einzelne Handlung für den Handelnden ihre unendliche Bedeutung, ihr Schwergewicht.
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Damit die »Verwegensten« nicht durch den Gedanken der Bedeutungslosigkeit der Welt und der eigenen Existenz irregeleitet werden, sucht also bereits die Zweite Unzeitgemäße Betrachtung, so Rennie, im Anschluss an Goethe nach einer »Steigerung«, die an herausgehobenen historischen Personen sichtbar wird. Die »Spekulation« Nietzsches enthalte dabei das Risiko der Zerstörung, dem sich jeder aussetzt, der Geschichte zu gestalten versucht. Doch die Stabilität des Augenblicks bei Nietzsche erweise sich als ebenso prekär wie die bei Goethe und Leopardi. Das Gegenmittel gegen die »historische Krankheit«, die Wahrnehmung des symbolisch aufgeladenen, gesteigerten Augenblicks, mündet, wie Rennie an einem Nachlassfragment zeigt, plötzlich in einer entpersonalisierten, Angst besetzten Vorstellung: Hörbar wird das Flüstern einer anonymen Instanz hinter den Erscheinungen, die den Dämon in »Das größte Schwergewicht« vorwegnimmt.
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An dieser Stelle erweist sich die Vorstellungswelt Nietzsches der Leopardis bedeutend näher als der Goethes.
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Nietzsches Gedankenexperiment der Lehre von der »ewigen Wiederkehr«, das das Verhältnis zwischen Notwendigkeit (Theodizee) und Zufall aufzulösen beansprucht, erweist sich nach Rennie selbst als ambivalent, da es die Möglichkeit der Entscheidung, der Selbstermächtigung und damit die Souveränität des Individuums einerseits durch einen neuen Determinismus, andererseits durch die Figur der Verdoppelung, hier der Iteration, aufzuheben und damit die Ambivalenzen bei (Pascal,) Goethe und Leopardi zu reproduzieren droht (S. 329–330). Dabei verweist Rennie darauf, dass die Selbstermächtigung dieses Subjekts bei Nietzsche von Beginn an auch als Traumerzählung begegnet,
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die spätestens seit Jean Pauls Ansprache, aber poetologisch parallel zu den diskutierten Texten in Vischers Traumerzählung und Heines Götterdämmerung den vorgestellten Diskurs begleitet und auf die psychologischen und künstlerischen Thematisierungen des Traumes nach 1909 verweist.
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Fazit und Ausblick
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Rennies Buch entwickelt eine aufschlussreiche Gedankenbewegung, die exemplarisch die Problematik des Zeitverständnisses im Zeichen der Modernität aufzeigt. Die intensive Textarbeit zu einer Reihe von Detailproblemen macht die Studie sowohl für das Thema Zeit als auch für die angesprochenen Autoren zu einer wichtigen Publikation. Das Buch ist gut lesbar geschrieben, weist jedoch durch die verschiedenen gedanklichen Bezüge immer wieder Unterbrechungen von Argumentationssträngen auf, die an anderer Stelle erneut aufgegriffen werden. Dies führt zu Redundanzen, aber auch zum Anspruch an den Leser, sich die verschiedenen Problemstellungen permanent vor Augen zu halten.
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Manche zeitgenössischen Diskurse und Kontexte – wissenschaftshistorische Diskurse zu Universum, Natur und zur Zeit (zum Beispiel Tradition der Alchimie, Newton, Laplace, Zeitmessung), die unterschiedlich politisch und sozialgeschichtlich konnotierten Orte und Ereignisse, die in die polemische Ausrichtung der Texte Goethes, Leopardis und Nietzsches und ihre Entscheidungen hineinspielen – werden nur angedeutet oder bleiben ausgeblendet, während einzelne Argumentationslücken durch Zitate gängiger Autoritäten aus dem weiter gefassten Feld der Diskussion aufgefüllt sind (zum Beispiel Agamben). Die Studie bleibt jedoch fast durchgängig eng auf die ausgewählten Schlüsseltexte und -stellen sowie die vorgegebene Problemstellung ausgerichtet. Dabei zieht sie zur Abrundung der eigenen Argumentation spätere (zum Beispiel Freud) und jüngste Diskurse heran, für die sie sich anschlussfähig macht.
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Diskutierbar ist, ob die Pointierung der bearbeiteten Positionen nicht zur Ausschaltung alternativer Konzepte und Lektüren insbesondere bei Goethe und Leopardi führt, die sich auch in der vereinzelt recht selektiven Wahrnehmung der Forschung zeigt.
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Hier aber sind die Zuspitzungen Rennies nützlich, indem sie den jeweiligen Diskussionen nicht nur neue Impulse geben, sondern anderen Auffassungen als Herausforderungen auf einem hohen Niveau entgegentreten.
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