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»Can I play too or is it just for the boys?«

Das hybride Genre des erotischen Thrillers

  • Linda Ruth Williams: The Erotic Thriller in Contemporary Cinema. Edinburgh/UK: Edinburgh University Press 2005. xiv, 466 S. 16 s/w Abb. Gebunden. GBP 60,00.
    ISBN: 0-7486-1148-7.
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Linda R. Williams kartiert mit ihrer Studie The Erotic Thriller in Contemporary Cinema ein Gebiet, dem von Seiten der Filmforschung lange Zeit kaum Beachtung geschenkt wurde. Zum einen findet Erotik als Thema bzw. als Filmgenre erst in den letzten Jahren zunehmend Aufmerksamkeit, 1 wobei in diesem Zusammenhang der pornographische Film meistens nicht berücksichtigt wird. 2 Der Thriller wurde zum anderen schon seit jeher eher stiefkindlich behandelt oder gar nicht erst als eigenständiges Genre akzeptiert. 3 Der »erotische Thriller« ist somit ein hybrides (Sub-)Genre, das nicht nur entlang der Genre-Grenzen wandelt, sondern zudem ständig unter Verdacht steht, nicht mehr als eine lose Ansammlung von »Schmuddelfilmen« zu sein.

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Dieser abwertenden Haltung gegenüber steht eine Tendenz zur immer expliziteren Darstellung von Sexszenen, die seit den 1990er Jahren im europäischen (Autoren-)Kino zu verzeichnen ist und langsam auch das US-amerikanische Kino erreicht (vgl. die Filme Romance, F 1999; Baise-moi, F 2000; Intimacy, F/GB/D/E 2001 oder Shortbus, USA 2006). Zu diesen Filmen wurden in der Öffentlichkeit teilweise hitzige Debatten geführt, in manchen Ländern wurden sie ganz verboten oder nur zur Vorführung in Kinos freigegeben, die normalerweise pornographische Filme zeigen. Die Formen der Darstellung von Sexualität im Kino sind also offensichtlich im Umbruch. Insofern bildet der erotische Thriller als Vorläufer und Fortführung dieser Tendenz ein interessantes Beobachtungsfeld für die Genretheorie des post-postmodernen Films: Denn das spielerische crossover der Genres im postmodernen Kino scheint nach und nach in die Etablierung von neuen, eigenständigen cross-Genres mit charakteristischen Motiven und Regel-Katalogen zu münden.

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Linda R. Williams nimmt die Hybridität des erotischen Thrillers als Ausgangspunkt ihrer Studie: »Some erotic thrillers are primarily thrillers, some erotic thrillers are primarily sex films.« (S. IX f.) Die jeweilige Schwerpunktsetzung der einzelnen Filme lässt sich oftmals schon im Blick auf die Vertriebsstruktur erahnen: Die Genre-Vertreter aus dem Bereich der Hollywood-Blockbuster sind zumeist mehr Thriller als Sexfilm, die zweite große Gruppe der »Direct-to-Video«-Produktionen sind laut Williams »part-porn, part-film noir, all ›B‹-movie, a hybrid form dripping with the symptoms of our anxieties and pleasures« (S. 249). Der entscheidende Unterschied dieser beiden Pole des erotischen Thrillers sind ihre Produktions- und Rezeptionsbedingungen: Während die Hollywood-Filme unter großem finanziellen und zeitlichen Aufwand für das Kino gemacht sind, zeichnen sich die »Direct-to-Video«-Filme (DTV) durch ihr geringes Budget und die ausschließliche Verwertung als Leih- oder Kaufvideos aus.

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Williams kommt das Verdienst zu, diese beiden Bereiche genretheoretisch auf eine gemeinsame Basis zu stellen und die vielseitigen Wechselbeziehungen zwischen ihnen offen zu legen. Denn es ist keineswegs – wie man annehmen könnte – der Fall, dass sich die DTVs jeglichem künstlerischen Anspruch entziehen würden. So antwortet der Regisseur Gregory Dark in einem der Interviews, die die theoretischen Ausführungen des Buches sehr gut ergänzen: »I graduated in art, and I was trying to do conceptual art, and I figured a medium that I could use where people would leave me alone was pornography.« (S. 277) Das Medium DVD eröffnet den Filmemachern aufgrund der geringeren Kosten eine viel größere Bandbreite an Experimentiermöglichkeiten als das Blockbuster-Kino. Auch dem Vorurteil, DTVs würden ausschließlich von Männern rezipiert, begegnet Williams in einem Kapitel, in dem sie aufzeigt, dass sich Produktions- und Vermarktungsstrategien von DTVs teilweise speziell an das weibliche Publikum richten.

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Filmgeschichtlich verortet Williams den erotischen Thriller in der Hollywood-Tradition des film noir, die in den letzten Jahrzehnten im neo-noir ihre Weiterführung findet. Eine der Schlüsselfiguren ist hier freilich Brian de Palma, der seine Kino-Obsessionen schon seit seinem Frühwerk als Hommage an den film noir und an den »Master of Suspense«, Alfred Hitchcock, verstanden hat. In Femme Fatale (2002) zeigt sich beispielsweise deutlich die Wandlung der Frauenfigur, die zu einer »most aggresssive, amoral incarnation« (S. 97) der klassischen femme fatale des film noir gerät. Neben solchen Radikalisierungen von noir-Elementen finden sich auch deren Variationen, so treten inzwischen immer mehr hommes fatales auf.

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Williams kontextualisiert diese Entwicklungen im detaillierten analytischen Blick auf weitere Schlüsselfilme des neo-noir wie Basic Instinct, Body of Evidence, oder Body Heat. Sie berücksichtigt aber auch die Œuvres einzelner key-players des erotischen Thrillers wie den Drehbuchautor Joe Eszterhas, den Regisseur Paul Verhoeven und den Schauspieler Michael Douglas. Dies spannt zwar einerseits den Untersuchungshorizont noch weiter auf, es unterstreicht aber andererseits die nach allen Seiten offene Herangehensweise der Autorin. Neben den vorliegenden kultur- und filmwissenschaftlichen Theorien greift sie immer wieder auch auf Texte der film-communities im Internet wie z.B. der Internet Movie Database (imdb.com) zurück, was ihr Interesse am tatsächlichen Rezipienten und dessen Seherlebnissen unterstreicht.

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Fazit

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Linda R. Williams legt mit The Erotic Thriller in Contemporary Cinema eine überzeugende und tragfähige Basis zur weiteren filmwissenschaftlichen Forschung im Bereich des erotischen Thrillers. Ihre mehrperspektivische Zugangsweise zu dem vielschichtigen und komplexen Themenfeld berücksichtigt textanalytische, genre- und rezeptionstheoretische Erkenntnisse ebenso wie Aspekte der psychoanalytischen und feministischen Filmtheorie. Gleichzeitig lenkt Williams den Blick auf ökonomische Verwertungsfragen, die in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle spielen. Die große Bandbreite der behandelten Aspekte versucht den zahlreichen Einflussfaktoren auf die Genreentwicklung gerecht zu werden. Dies geht zwar stellenweise etwas auf Kosten der Stringenz, wirkt aber nie eklektizistisch, da die Autorin von Anfang an ihre Prämissen darlegt.

 
 

Anmerkungen

Vgl. u.a. Cinema Nr. 51. Thema: Erotik. Filmjahrbuch. Marburg: Schüren 2006; Jahraus, Oliver / Neuhaus, Stefan (Hrsg.): Der erotische Film. Zur medialen Codierung von Ästhetik, Sexualität und Gewalt. Würzburg: Königshausen & Neumann 2003; Keesey, Douglas / Duncan, Paul (Hrsg.): Erotic Cinema. Köln: Taschen 2005; Martig, Charles / Karrer, Leo (Hrsg.): Eros und Religion. Erkenntnisse aus dem Reich der Sinne. Marburg: Schüren 2007.   zurück
Seeßlen, Georg: Der pornographische Film. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. 2. Aufl. Frankfurt / M.: Ullstein 1994.   zurück
Rubin, Martin: Thrillers. Cambridge: Cambridge University Press 1999.   zurück