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Gute Bekannte: Hofmannsthal und Strauss

  • Juan Fernando Villafuerte: Dichtung für die Singbühne. Der Librettist Hugo von Hofmannsthal. Bad Honnef: K. H. Bock 2005. 269 S. Kartoniert. EUR (D) 24,90.
    ISBN: 3-87066-939-X.
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Die Zusammenarbeit zwischen Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss kann man nicht gerade zu den unbekannten Größen der neueren Literaturwissenschaft rechnen. Es gehört daher ein vielleicht ja erfrischender Mut zur Unbefangenheit, diesem Thema ohne nähere Spezifizierung eine Monographie (zugleich Diss. Universität Bonn 2004) zu widmen. Überdies, wenn hier der Dichter einführend auf zwei Seiten vorgestellt oder die hybride Kunstform der Oper im Schnelldurchgang historisch referiert wird. Sicherlich lassen sich auf diese Weise auch akademische Verdienste erwerben – aber ob die Arbeit der größeren Aufmerksamkeit zu empfehlen sei, steht zunächst dahin.

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Die Autorintention als problematischer Ausgangspunkt

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Zumindest ungeschickt ist es, dass hier ein Abschnitt über den Opernlibrettisten Hofmannsthal an den Anfang gestellt wird (S. 9–18), wobei werkhistorische und poetologische Zusammenhänge mit Exkursen zu R. Strauss vermischt werden. Auch der Forschungsstand (S. 18–23) wird sehr ungleichgewichtig reflektiert, die Arbeiten von Joanna Bottenberg 1 und Françoise Salvan-Renucci 2 werden kaum gestreift. Als These, die die hier vorgelegte Untersuchung begründen soll, gilt, dass diejenigen »Texte in den Mittelpunkt gestellt« werden, »die Hofmannsthal Strauss vorgelegt hat, und nicht die Partiturtexte. Dies soll verhindern, daß Veränderungen im Partiturtext, die auf technische Bedingungen der musikalischen Komposition zurückgehen, als Teil der Autorintention interpretiert werden« (S. 23). Diese gläubig akzeptierte Instanz der Autorintention soll denn auch nach dem Ausmaß ihrer Verwirklichung in den Texten den Gegenstand der Analyse bilden (S. 24). Dazu werden die Opern in drei Gruppen gegliedert.

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Adaptionen von Schauspieltexten:
Elektra und Alkestis

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Elektra und Alkestis haben für den Verfasser ihre Gemeinsamkeit darin, dass es sich bei den Libretti jeweils um Adaptionen von Schauspieltexten für das Musiktheater handelt; gerade weil sie nicht von Anfang an auf Vertonung angelegt waren, lassen sich aus den Adaptionen Rückschlüsse auf Hofmannsthals Librettokonzept ziehen. Weder der Inhalt des Elektra-Stoffes noch auch die Reproduktion der Selbstzeugnisse des Dichters (in der Kritischen Ausgabe versammelt) erlauben einen wirklich selbständigen oder gar neuen Blick. »Die Palastmägde erläutern zu Beginn, daß Elektra ihre Existenz aus Pflichtbewußtsein gegenüber dem ermordeten Vater ganz der Pflege der Erinnerung an den Mord widmet« (S. 30) – einer von leider vielen unlektorierten Sätzen, in seinem Inhalt nicht ganz falsch, aber auch nicht notwendig. Die ängstliche Nacherzählung des Inhalts, das magere Ergebnis, dass sich hier Treue und Verwandlung gegenüberstünden – ja, das war schon anderweitig zu lesen. Dass dann den Kürzungen für das Libretto »wesentliche Teile der Charakterisierung der Hauptfiguren zum Opfer« fallen (S. 42), ist alles andere als überraschend – und um so eher wäre zu fragen, wie Libretto und Musik diese Verluste wieder auszugleichen versuchen. Richtig ist, dass Elektra im Libretto etwas menschlichere Züge gewinnt (durch die ergänzte Stelle) in der Erkennungsszene mit Orest, und dass dieser ebenfalls eine größere Bedeutung erhält (S. 47). Freilich wäre hier auch über den veränderten Schluss der Oper etwas zu sagen – gerade wenn es darum gehen sollte, die Opernkonzeption Hofmannsthals zu beleuchten. Und das dreimal zitierte Zeugnis, Hofmannsthals Brief an Kessler, Strauss habe über »ein in sich completes Stück […] eine – entbehrliche – Symphonie« geschüttet »wie Sauce über dem Braten«, kann keineswegs als endgültiges Urteil gelten: Es steckt darin auch ein Stück Unmusikalität des Librettisten, der ja doch schon sein Schauspiel auch auf musikalische Akzente hin angelegt hatte, bevor der Komponist auf der Bildfläche erschien. Der Tanz der Elektra wäre hier zu würdigen als Kulmination einer Sprachkritik des Textes, die dann die Oper weiterführen konnte, auch auf die Gefahr hin, dass Hofmannsthal nicht ganz ihr glücklichster Hörer gewesen sein sollte. Auch seinem ›eigenen‹ Dramentext stand er in späteren Jahren sehr kritisch gegenüber.

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Die Alkestis aus der Frühzeit Hofmannsthals ist indes mit Elektra wenig vergleichbar, so wenig wie ihre Adaptionen für das Musiktheater von Egon Wellesz und Richard Strauss. In der »Einrichtung für Musik«, die der Komponist wohl im Einvernehmen mit dem Dichter vorgenommen hat, griff dieser kaum direkt ein, so dass in diesem Fall wenige Rückschlüsse auf die Hofmannsthalsche Opernkonzeption möglich sind. Die hier angestellten Vergleiche zwischen Euripides, der Bearbeitung von 1894 und dem Libretto bewegen sich zwar in weniger erschlossenem Gelände als im Fall der Elektra, bleiben aber gleichwohl innerhalb der von Klaus Bohnenkamp in der Kritischen Ausgabe von 1997 gesteckten Grenzen.

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»Komödien für die Singbühne«:
Der Rosenkavalier und Arabella

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Die Kombination von Rosenkavalier und Arabella als den beiden »Komödien für die Singbühne« (S. 82) ist da überzeugender. Freilich bewegt sich auch hier die Führung durch die Texte auf zumindest vielfach bekannten Bahnen, wenn die zitierte Forschung zum Rosenkavalier sich weitgehend auf die 1960er und 70er Jahre beschränkt, die Marschallin als überlegene Hauptfigur herausgestellt (S. 92) oder auch die Austauschbarkeit der Figuren bedacht wird: »Octavian ist ein potentieller Ochs mit der Raffiniertheit der Marschallin, möglicherweise auch eine junge, männliche Variante der Marschallin?« (S. 104). Hier orientiert sich Juan Fernando Villafuerte sehr am »Ungeschriebenen Nachwort« des Dichters zu seiner Oper, um aus der von vornherein als solcher geplanten »Komödie für Musik« so etwas wie eine »musikalische Intentionalität« (S. 110) zu rekonstruieren. Das führt zu seiner immerhin recht mutigen, gleichwohl anfechtbaren These:

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Hofmannsthal will mit dem Rosenkavalier seine Auffassung von der Oper in die Tat umsetzen. Er will eine weitere dramatische Form schaffen, in der der Text im Vordergrund steht und in der die Musik es ermöglicht, eine (potentiell) durch schauspielerische Interpretation verursachte Verfälschung des Textes zu vermeiden. (S. 114)
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Die Musik als Verhinderungsinstrument, um falsche schauspielerische Interpretationen überflüssig zu machen? Das erscheint in der Tat eine von vornherein brüchige Basis für eine Zusammenarbeit von Dichter und Komponist, die sich doch über zwei Jahrzehnte gehalten hat. Villafuerte steht auf dem Standpunkt, Hofmannsthal habe seine Vorstellung von der Oper in diesem Werk noch nicht ganz verwirklicht sehen können (S. 120); die Bezeichnung »Komödie für Musik« nimmt er dabei sehr ernst und charakterisiert sie durch den Verzicht auf die »›dialektische Ebene‹ und die sprachliche Charakterisierung der Figuren« (S. 123).

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Im Falle der Arabella trägt eine ausführliche Nachzeichnung der Personencharakteristik und eine enge Anlehnung an die Forschung zu dem Ergebnis bei, dass sich in Mandryka die »Verwandlung vom Märchenprinz zu einem von der Realität geprüften Mann« vollziehe, »der seine Grenzen erkennen muß« (S. 137). Die These, dass die Komödie eine in die Vergangenheit projizierte Utopie europäischer Versöhnung unternehme, bedürfte doch wohl – wie andernorts geschehen – einer gründlicheren Vorbereitung. 3 Immerhin ist Arabella auch einmal Gelegenheit für den Verfasser, sich mit einem der von Hofmannsthal und Strauss diskutierten Hintergründe zu befassen, nämlich der Orientierung an Richard Wagner, hier besonders an den Meistersingern. Aber es sind solche Perspektiven, die in einer Arbeit über Hofmannsthals Opern sehr viel konsequenter und systematisch ausgewertet werden müssten, um das Buch in seinem Anspruch zu stabilisieren. Aber auch dort, wo es um die »Zusammenarbeit am Text von Arabella« gehen soll (S. 141 ff.), zieht sich der Verfasser fast ausschließlich hinter die Wiedergabe des Briefwechsels zurück – eine selbständige Auswertung wird immer nur ansatzweise geleistet. Warum greift er die (auf S. 145) zitierte Bezugnahme Hofmannsthals auf die »Operette« nicht auf, zumal der Dichter darunter etwas ganz anderes versteht als wir heute, nämlich die Opern von Auber, Boildieu und Donizetti, die an anderer Stelle des Briefwechsels als »Spielopern« charakterisiert werden? Zu diesen Rahmen und Kontexten, in die Hofmannsthal seine Arbeit stellt, wäre etwas im Einzelnen zu sagen.

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Ariadne auf Naxos, Die Frau ohne Schatten
und Die ägyptische Helena als die »eigentlichen«
Opernlibretti Hofmannsthals

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Es ist durchaus reizvoll, nur drei »eigentliche« Opernlibretti Hofmannsthals zu behaupten, die durch ihre mythische Substanz verknüpft wären und gegen Adaptionen (Elektra) und Komödien abgesetzt werden können: Ariadne auf Naxos, Die Frau ohne Schatten und Die ägyptische Helena. Aber gerade wenn eine solche Triade gesehen wird, bedürfte sie einer stringenten Begründung, die man vergeblich sucht. Stattdessen kommt, viel zu wenig neu, wieder ausführlich die Entstehungsgeschichte zu Wort, sodann die Rolle der »Verwandlung« in der Ariadne – im einzelnen nicht falsch, aber ganz fraglos im Einvernehmen mit vielen schon vorliegenden Diskussionen. Das Allomatische und die Präexistenz, das sind Kategorien, die die Forschung seit langem (nicht mehr) bewegen. Interessant wird die These, wonach im Unterschied zum Rosenkavalier in der Ariadne die Sprache nicht mehr zentrales Instrument, das alles verbindende Element, sei (S. 177) – und doch wird man überlegen müssen, ob das nicht, vor der Oper, auch schon für die Schauspielfassung der Elektra gilt? Statt umständlicher Zitate aus dem Strauss-Briefwechsel wünschte man sich die mutigere Entfaltung einer Beobachtung wie derjenigen, dass Hofmannsthal durch Verslänge (Harlekinlied, Zerbinettta-Monolog) »deutliche Formen wie Rezitative, Arien und Ensembles erkenntlich macht« und dadurch den musikalischen Stil beeinflussen kann. Und für die enorme Bedeutung, die hier der Ariadne als idealem Libretto (S. 190) zugesprochen wird, ist es fast etwas mager, wie knapp hier die unterschiedlichen Fassungen des Vorspiels behandelt werden.

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Die Frau ohne Schatten, Hofmannsthals ehrgeizigstes, aber nicht erfolgreichstes Opernprojekt, lässt sich vermutlich kaum auf der Basis der Selbstkommentare des Dichters – aus Briefen und dem Ad me ipsum – plausibilisieren. Auch ausufernd Inhaltliches wäre eher entbehrlich: Die Amme »fragt die Kaiserin, ob sie auf den Schatten verzichte. Aber trotz ihrer Furcht bleibt die Kaiserin bei ihrer Entscheidung. Die Amme gibt nicht auf« (S. 202). Gerade hier, wo Hofmannsthals Ambition am ehesten durch neue Gesichtspunkte gestützt, relativiert oder revidiert werden könnte, bleibt die Untersuchung wenig aussagekräftig.

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Auch Die ägyptische Helena muss mit ein paar Konturen auskommen, etwa der Versöhnung von Orient und Okzident in Helena und Menelaos. Es überwiegt das Referat des Inhalts, nur ganz eilig wird dann, durchaus nachvollziehbar, die dramaturgische Schwäche des Librettos angesprochen (S. 241 f.) und schließlich die skeptische Rezeption im Überblick dargelegt.

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Fazit

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Das Schlusswort ist eine ausgewogene, in Stärken und Schwächen charakteristische Zusammenfassung dieser viel zu umfangreichen Arbeit. Sie hat ihre Verdienste in der Gruppierung der Opern und in einzelnen, allerdings meist zu wenig profilierten Thesen. Der Arbeit ist auch zu bescheinigen, dass sie in allen Partien auf der Basis der Kritischen Hofmannsthal-Ausgabe arbeitet und damit soliden Boden nutzt, dass sie zumindest immer wieder auch neuere Literatur zitiert und dabei italienische, französische und englische Forscher wahrnimmt. Ein gravierender Fortschritt über den Stand der Forschung hinaus ist indes nur in Einzelheiten einmal zu erkennen. Dabei ist auch nicht deutlich, unter welchen Bedingungen die Arbeit geschrieben wurde – ob ihr etwa die Möglichkeiten eines gut ausgestatteten Institutes überhaupt zur Verfügung standen.

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Davon abgesehen ist es aber bedauerlich, dass das Thema so frontal angepackt wurde – ständig stehen nur die Libretti, nur der Briefwechsel vor Augen. Als ob nicht Hofmannsthals intensive Bemühung um die Kunstform Oper in vielen Texten als Auseinandersetzung mit Mozart (sein Name fällt im ganzen Buch nicht!) in erster Linie, aber auch mit Wagner geführt worden wäre, als ob er sich nicht ernsthaft um die Spieloper, um die Operette, den späten Verdi gekümmert hätte. Und neben Mozart: Hier wäre Goethes lebenslange Beschäftigung mit der Oper als unverzichtbarer Hintergrund von Hofmannsthals Opernidee zu berücksichtigen. So bietet die Arbeit zwar wenig im schlechten Sinne Falsches, in jedem Fall aber zu wenig Neues.



Anmerkungen

Joanna Bottenberg: Shared Creation: Words and Music in the Hofmannsthal-Strauss Operas. In: German studies in canada, Bd. 6, Frankfurt am Main/Berlin [u. a.] 1996.   zurück
Françoise Salvan-Renucci: »Ein Ganzes von Text und Musik«. Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss, Tutzing 2001.   zurück
Hans-Albrecht Koch: Die österreichische Ballkultur des 19. Jahrhunderts im Werk Hofmannsthals. In: Hofmannsthal-Forschungen 2 (1974), S. 23–38.   zurück