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Die Germanistik erforscht den Buchmarkt

  • Erhard Schütz (Hg.): Das BuchMarktBuch. Der Literaturbetrieb in Grundbegriffen. (rowohlts enzyklopädie 55672) Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2005. 432 S. Paperback. EUR (D) 14,90.
    ISBN: 3-499-55672-3.
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Innovativer Ansatz

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Die Germanistik will praktisch werden – die Germanisten fangen an, jenseits des Lehrerberufs Bezüge zu möglichen Berufswirklichkeiten ihrer Absolventen herzustellen und finden diese im Verlagswesen und im Kulturmanagement. Vor diesem Hintergrund ist das in der Reihe »Rohwohlts Enzyklopädie« erschienene BuchMarktBuch zu betrachten. Die Herausgeber lehren Neuere deutsche Literatur an der Humboldt-Universität oder Kulturjournalismus in Hildesheim oder sind in einem Verlag tätig. Ähnlich profiliert ist der Hintergrund der zahlreichen Autoren. Ihr Anliegen ist, die historischen, praktischen und kulturanalytischen Perspektiven auf die Verbindung von Literatur und Markt in einem Nachschlagewerk zugänglich zu machen. Sie erklären im Vorwort berechtigterweise, dass nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung dabei nur ein Konglomerat herauskommen kann – freilich ist ein Konglomerat von sehr unterschiedlichen, vor allem aber unverbundenen und nur allzu oft ungenügenden Perspektiven entstanden. Dies mindert den Wert des begrüßenswerten Ansatzes.

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Unverbundene Perspektiven

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Unverbundene Perspektiven – das muss wohl so sein, denn bisher gibt es keine allgemein anerkannte Theorie des Literaturbetriebs. Im Vorwort und in mehreren Artikeln wird auf Pierre Bourdieus Ansatz des literarischen Felds mit symbolischem und ökonomischem Kapital Bezug genommen – akademisch interessant, aber für Anwendungen im Literaturbetrieb wären ein Bezug zur Theorie der sozialen Milieus und Aussagen über empirisch ermittelte Medien-, Lese- und Literaturaffinitäten sozialer Milieus und über darauf fußende Mediennutzer-Typologien ergiebiger. Auf diese Theorien kommt das Buch nur en passant und sehr verschwommen im Artikel Erlebnisgesellschaft zu sprechen, und hier mit Bezug zu Gerhard Schulzes Ansatz, der akademisch diskutiert wurde, für die Konsumforschung und Marketingplanung praktisch keine Folgen hatte und anders als die Sinus-Ansätze nicht laufend mit empirischen Daten aktualisiert wird. Damit verschenkt das Buch einen zentralen Zugang zu Marketing-Perspektiven, wie sie heute in vielen Verlagen vorherrschen.

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Auswahl der Artikel

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Die Auswahl der Artikel deckt das Thema weitgehend ab. Da gibt es Artikel über Mission Statement und Modernes Antiquariat, über Poetry Clips und Portfolio-Analyse, Autor und Verramschung, über Künstlersozialversicherung und Paratexte. Aber da fehlen auch Beiträge über die Verkehrsordnung des Buchhandels (sie wird im Artikel Buchhandel erwähnt, aber nicht inhaltlich erläutert und fehlt im Register) oder über den PEN (der im Beitrag über Autorenverbände nur erwähnt wird, im Register kein Hinweis auf die in dem Beitrag genannten Verbände), überraschenderweise fehlt ein Beitrag über Literatur- bzw. Autorenausstellungen. Eigenartig auch, dass der für die Aufgaben des Verlags zentrale Begriff der Ausstattung keinen eigenen Artikel bekommen hat – auch im Register fehlt er. Erwähnt wird der Begriff – was ganz und gar berechtigt ist – im Rahmen der Beiträge über Herstellung (ausgezeichneter Beitrag) und Ausgabe. Allerdings wird er hier inhaltlich anders gefasst als dort.

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Die Inkonsistenz lässt sich ausgehend vom exzellenten Beitrag Preispolitik veranschaulichen. Ein Artikel zu diesem Thema fordert, wenn man sich im Rahmen eines Marketing-Ansatzes bewegen will, wie es viele Artikel mehr oder minder konsequent tun, auch einen Artikel Produktpolitik – den gibt es aber nicht. Das Thema wird – klug, reich an Aspekten und Anekdoten – im Rahmen der Beiträge über Marketing und Lektorat angesprochen (teilweise mit anderer Terminologie – Produktmarketing). Der Beitrag Produkt dagegen zeigt beeindruckend aktuelle Trends verlegerischer Produktpolitik auf, ohne sich mit den eigentlich doch verwandten Artikeln zu vernetzen. Ein vergleichbares Paar bilden die Termini Hardcover und der fehlende Terminus Softcover.

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Das Buch bietet deshalb nicht nur unverbundene, sondern vor allem ungenügende Perspektiven. Das erstaunt um so mehr, als man von den Artikeln der Praktiker eigentlich etwas anderes erwarten sollte. So referiert der Artikel Werbung knapp Lehrbuchwissen über Bestimmung der Zielgruppen, Festlegung der Werbebotschaft und des Budgets sowie Wahl der Maßnahmen, und garniert diese dürftigen Ausführungen mit Anekdoten jüngerer, origineller Werbekampagnen. Auf demselben Raum hätte man nützlichere und konzisere Information unterbringen können, beispielsweise eine Matrix, die Zielgruppen, Botschaften (z.B. Preiswerbung, Leistungswerbung, Imagewerbung) und Werbestile zuordnet.

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Diffuse und präzise informierende Artikel

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Höchst diffuse Beiträge stehen neben präzise informierenden Artikeln. Einige Beispiele mögen dies illustrieren. Über Kult findet der Leser einen wortreichen, aber nichts sagenden Essay, in dem die entscheidende Aussage fehlt: Vom Terminus Kult – so wie er hier gemeint ist, der angesprochene Bezug zu heidnischen Kulten ist irreführend – führt kein Weg zu einer empirischen Operationalisierung. Dagegen erhellt der Artikel Kulturbetrieb den mehrdeutigen Terminus und wartet mit erläuternden Zahlen – wenn auch wenigen – auf. Beispiele für gelungene Beiträge sind die Artikel Buch (wohl der beste Beitrag: präzise, erschöpfend im Rahmen des Umfangs), Buchdruck, Buchgemeinschaft, Buchhandel, Buchhandlung, Buchmesse, Literaturhaus – sie informieren konzise und klar. Bei Buchpreisbindung wiederum fehlen zwei entscheidende Aussagen, nämlich erstens welche Produkte genau (die Formulierung Bücher ist unzureichend, weil eben nicht alle in Deutschland vertriebenen Bücher preisgebunden sind) durch das Preisbindungsgesetz preisgebunden werden und zweitens, dass es nicht nur nicht verboten (wie es im Artikel heißt), sondern verpflichtend vorgeschrieben ist, für den Letztverkäufer (und nicht den Zwischenhändler, wie der Artikel falsch formuliert) einen Endverkaufspreis festzusetzen.

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Gute Ansätze nicht immer durchgehalten

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Als charakteristisch für derlei sich durch eine stattliche Anzahl von Artikeln hindurch ziehende Unschärfen, kleinere Ungenauigkeiten und Nachlässigkeiten mag der Artikel Subskription stehen: Er nennt grundlegend den Sachverhalt (Eingehen der Kaufverpflichtung in der Regel vor Erscheinen), erwähnt dann aber eine untypische Marginalie (Eckhard Henscheids Die Vollidioten mit dem Subskriptionsaufruf in Pardon), lässt andererseits präzise Aussagen einfach weg (Wie lange nach Erscheinen darf der Subskriptionspreis noch gelten? Um wie viel darf der tatsächliche Subskriptionspreis höher ausfallen als der angekündigte, wenn dieser mit einem ca. versehen war?). Der Beitrag Titel gibt eine schöne Definition (»Name eines Erzeugnisses aus geistiger und schöpferischer Arbeit«), informiert richtig und präzise über Titelschutz und Bedeutung für das Marketing mit anschaulichen Beispielen, verwendet dann aber den Terminus abweichend von der gerade gegebenen Definition in der Bedeutung von Ausgabe bzw. Werk – das führt zu sprachlichen Unglücken: »Erscheint ein Titel [gemeint ist: Werk] in einer neuen Verwertungsform, [...], erhält er [...] keinen neuen Titel [im Sinn von: Namen]« (S.349).

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Verwandte Begriffe sind in einigen Fällen von verschiedenen Autoren verfasst, so dass es teils zu überflüssigen thematischen Überschneidungen – was kein gravierender Mangel wäre –, teils zu Konflikten zwischen Definitionen und damit zu Begriffsverwirrungen kommt (z.B. AuflageAusgabe).

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Ein Artikel ganz ohne Aussagekraft ist Kundenbindung: Hier wird lediglich gesagt, dass sie immer wichtiger wird – was das eigentlich ist, wird tautologisch erklärt (»Kunden an das Unternehmen zu binden« S.189). Dann werden allerlei Werbemaßnahmen aufgezählt, das Spezifische bei ihrem Einsatz mit dem Ziel der Kundenbindung wird ebenso wenig klar wie die Messung der erreichten Kundenbindung, so dass der Leser ratlos bleibt. Das nützliche Instrument der Fokusgruppe wird hier erwähnt, allerdings verschwommen beschrieben und vor allem: Das Beispiel passt gar nicht, weil es bei der erwähnten Fokusgruppe nicht um Kundenbindung, sondern um Produkt- und Covergestaltung geht. Ebenfalls nichts sagend ist der Beitrag Unterhaltungsliteratur, ein wortreicher Essay, dem es nicht gelingt, Breschen in – wenn man es denn schon bemüht – Bourdieus literarisches Feld zu schlagen.

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Spannungsbogen zwischen kommentar- und
handlungswissenschaftlichem Ansatz

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Insgesamt ist der Spannungsbogen zwischen einem geistes- (kommentar-) wissenschaftlichen Ansatz, der kulturelle Phänomene deutet und einordnet, und einem handlungswissenschaftlichen Ansatz, der Methoden zur Optimierung von Praxis entwickelt, nicht gelungen ausbalanciert. Das kann exemplarisch am Beitrag Lesung illustriert werden: Er entfaltet einerseits ein kulturwissenschaftliches Forschungsprogramm, wie es auf dem Hintergrund des Paradigmenwechsels zur Performanz mustergültig beschrieben werden kann, gibt andererseits keinerlei Hinweise auf Marketing und Organisation von Lesungen.

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Irgendwo kann man in diesem Taschenbuch lesen, dass sich das Lektorat zunehmend auf die Prüfung formaler Voraussetzungen zur Publikation reduziert, ohne noch Texte zu redigieren, was problematisch sei. Das scheint eine Selbstbeschreibung zu sein, die allerdings der Marke (ziemlich unpräziser Beitrag, in dem Hinweise auf das Markenrecht wesentlich zu kurz kommen) Rowohlts Enzyklopädie nicht entspricht. Eine zweite Auflage sollte gründlich renoviert werden.