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Ein Gegenstand, zwei Perspektiven

  • Aleida Assmann: Einführung in die Kulturwissenschaft. Grundbegriffe, Themen, Fragestellungen. (Grundlagen der Anglistik und Amerikanistik (GrAA) 27) Berlin: Erich Schmidt 2006. 248 S. Kartoniert. EUR (D) 19,95.
    ISBN: 3-503-07977-7.
  • Peter Burke: Was ist Kulturgeschichte? Aus dem Englischen von Michael Bischoff. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2005. 204 S. Gebunden. EUR (D) 19,80.
    ISBN: 978-3-518-58442-2.
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Zuviel des Guten?

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Gibt es ein Zuviel an Literatur zu einem bestimmten Thema? Lässt sich eine Forschungsrichtung auch dadurch diskreditieren, dass sie sich durch ein Übermaß an Publikationen auszeichnet? All denjenigen, die kulturwissenschaftlichen Fragestellungen skeptisch gegenüberstehen, können solche Fragen wohl nur ein begeistertes Ja entlocken, denn zweifelsfrei wird nicht nur die wissenschaftliche, sondern auch die breite Öffentlichkeit mit einer großen Zahl an Büchern zu kulturwissenschaftlichen Themen bedient (traktiert?, überschwemmt?). Dass wir es mit einem kulturwissenschaftlichen Boom zu tun haben, steht außer Frage, empirisch dingfest machen lässt er sich vor allem an der Vielzahl von Veröffentlichungen zu diesem Themenbereich, die offensichtlich auch mit einer gewissen Nachfrage korrespondiert, andernfalls würden marktwirtschaftlich orientierte Verlage nicht permanent neue Bücher hierzu herausbringen.

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Aber braucht man all diese Bücher? Oder noch schlimmer: Muss man sie gar alle lesen? Um hinsichtlich der letzteren Frage für ein wenig Erleichterung zu sorgen, gibt es Rezensionen. Mit Blick auf die erste Frage soll ein vergleichender Blick auf zwei jüngere Veröffentlichungen zu allgemeinen kulturwissenschaftlichen beziehungsweise kulturhistorischen Themenstellungen Aufklärung bringen. Natürlich muss man nicht alles gelesen haben (abgesehen davon, dass man gar nicht alles lesend zur Kenntnis nehmen kann), jedoch gilt es gerade in der sich inhaltlich immer noch konstituierenden kulturwissenschaftlichen Landschaft auf stärkere Profilierung zu setzen – eine Profilierung, die in manchen Veröffentlichungen nicht nur zu kurz kommt, sondern überhaupt nicht angestrebt wird.

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Burkes Buch zur Frage Was ist Kulturgeschichte? mit Aleida Assmanns Einführung in die Kulturwissenschaft in Beziehung zu setzen, birgt natürlich einige Schwierigkeiten, weil beide streng genommen nicht den identischen Gegenstand behandeln und sich auch nicht an dasselbe Publikum richten. Doch lassen sich auch genügend Gemeinsamkeiten finden, denn schließlich beziehen sich beide – in einem Fall aus geschichts-, im anderen Fall aus literaturwissenschaftlicher Sicht – auf die interdisziplinär angelegte Debatte um Kulturbegriff und Kulturwissenschaften. Sodann sprechen beide Bücher eher Neulinge auf diesem Terrain an, Assmann vor allem Studierende, Burke aufgrund des prominenten Verlags sicherlich auch ein breiter gefächertes Publikum. Bei Burke ist die zentrale Frage bereits im Buchtitel angezeigt und auch Assmann will sich vor allem dem Problem widmen: Was ist (aus Sicht der Anglistik und Amerikanistik) Kulturwissenschaft?

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Der historische Blick

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Ich sollte an dieser Stelle nicht verhehlen, dass ich qua akademischer Sozialisation Historiker bin. Ein solches Bekenntnis scheint vor allem deswegen angebracht, weil ich die Antworten, die Aleida Assmann auf die gestellte Frage gibt, wesentlich überzeugender finde als diejenigen Peter Burkes. Burke geht dabei in seiner konzentrierten Untersuchung – wie es sich für einen Historiker gehört – historisch vor, das heißt er spannt einen Bogen von der vorletzten Blüte der Kulturgeschichte in den Jahrzehnten um 1900, die sich mit Namen wie Jacob Burckhardt oder Johan Huizinga verbindet, bis zur jüngsten und immer noch andauernden Diskussion um eine »Neue Kulturgeschichte«. Zwischen diesen beiden Eckpunkten breitet Burke eine Vielzahl an Themen, Namen und Forschungsrichtungen aus, die es der Leserschaft durchaus ermöglicht, einen Eindruck von der internationalen Diskussion zur Kulturgeschichte der vergangenen Jahrzehnte zu gewinnen. Burke handhabt seinen Gegenstand also ohne Zweifel mit der ihm eigenen Souveränität und stellt die zahlreichen wie auch nicht gerade anspruchslosen Forschungsprobleme transparent dar.

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Eine unübersehbare Schwierigkeit ergibt sich jedoch, sobald man sich in Burkes Darstellung auf die Suche nach der Antwort auf die Frage »Was ist Kulturgeschichte?« begibt. Denn angesichts all der zahlreichen Themen, Bücher und Autoren, die der Leserschaft zum Teil in nur wenigen Zeilen präsentiert werden, verschwimmt der eigentliche Gegenstand zunehmend. Wenn Burke daher eingangs seines Buchs betont, dass die Frage nach dem Kern der Kulturgeschichte immer noch einer Beantwortung harrt, so wäre die Hoffnung trügerisch, er würde eine entsprechende Bestimmung wagen. Außer der eher vagen Aussage, dass sich die Kulturgeschichte mit der Dimension des Symbolischen in Verbindung bringen lasse, wird Burke kaum einmal konkret. Er beschränkt sich stattdessen darauf, die Varianten erprobter kulturhistorischer Ansätze darzustellen, ohne selbst eindeutig Position zu beziehen. Es wird nicht recht deutlich, ob dieses Vorgehen der eigenen Bescheidenheit geschuldet ist oder dem Versuch, möglichen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Auf jeden Fall findet die Frage nach dem, was Kulturgeschichte (und mithin Kultur in ihrer historischen Dimension) ist oder sein kann, keine befriedigende Antwort, so dass das Buch nach der Lektüre einen etwas unbefriedigenden Eindruck hinterlässt. Dabei scheint es doch gerade mit einem historisch geschulten Auge kaum Zufall zu sein, dass die jüngere Debatte um Kulturwissenschaften und Kulturgeschichte mit dem Fall des eisernen Vorhangs, dem Auftauchen neuer Nationalismen, aktuellen religiös fundierten Konflikten sowie den Diskussionen um die Globalisierung zusammenfällt.

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Peter Burke führt uns also, wie er dies bereits in vorhergehenden Büchern getan hat, durch seine umfangreiche historische Bibliothek, präsentiert uns in kurzen Abschnitten und in einem referierenden Stil, der weitgehend auf eine kritische Kommentierung oder gar eine Generierung neuer Sichtweisen verzichtet, durch die ausufernde Forschungslandschaft. Dabei werden Themenbereiche wie die Volkskultur, die Historische Anthropologie, der Konstruktivismus, die Mikrohistorie, der Postkolonialismus sowie die Körper- und Geschlechtergeschichte angeschnitten – aber kaum einmal wirklich diskutiert.

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Der literaturwissenschaftliche Blick

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Gänzlich anders sieht hier das Vorgehen von Aleida Assmann aus. Sie setzt sich in ihrem Buch explizit von enzyklopädisch oder handbuchartig organisierten Einführungen ab und möchte demgegenüber Grundthemen identifizieren, in denen sich kulturwissenschaftliche Fragestellungen verdichten, und diese mit literaturwissenschaftlichen Beispielen illustrieren. Und dieses Vorhaben gelingt ihr vorzüglich. Sicherlich werden hier nicht die Kulturwissenschaften in allen Einzelheiten dargestellt und sicherlich könnte man das eine oder andere Thema benennen, das sich ergänzen ließe. Doch eine entsprechende Erwartung ginge auch an dem Vorhaben des Buchs sowie vor allem an seinem entscheidenden Vorteil vorbei, nämlich einen soliden Eindruck davon zu ermitteln, was Kulturwissenschaften wollen, wie sie arbeiten und welchen Erkenntnisgewinn sie gewähren.

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Vor diesem Hintergrund greift Assmann in sieben Kapiteln jeweils zentrale Begriffe auf, mit denen sich die Kulturwissenschaften in Verbindung bringen lassen: Zeichen, Medien, Körper, Zeit, Raum, Gedächtnis und Identität. Dabei gelingt es ihr nicht nur, in konzentrierter und transparenter Weise die jeweiligen theoretischen Gehalte dieser Begrifflichkeiten zu erläutern, sondern sie auch noch durch Beispiele aus der englischen und amerikanischen Literatur so zu illustrieren, dass keineswegs nur Studierende der Anglistik oder Amerikanistik davon einen Gewinn haben, sondern auch darüber hinaus für kulturwissenschaftlich Interessierte erhellend sein können.

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Im Vergleich zu Burke fällt demnach vor allem der Verzicht, die Forschungsdiskussion in aller Ausführlichkeit darstellen zu wollen, positiv auf. Assmann folgt hier also eher dem Prinzip des Weniger-ist-mehr, wenn man auch wahrlich nicht behaupten kann, dass sie sich mit den genannten Großkategorien wenig vorgenommen hätte. Auf diesem Weg gelingt es ihr nicht nur, das wissenschaftliche Leistungspotential der Kulturwissenschaften zu verdeutlichen, sondern auch eine Antwort auf die Frage zu liefern, die Burke lieber unentschieden ließ. In einem eigenen Abschnitt zu diversen Kulturbegriffen stellt sie nicht nur unterschiedliche Ansätze in diesem Bereich dar, sondern ordnet darüber hinaus die Entwicklung der Kulturwissenschaften auch in ihren historischen Kontext ein. Sie sieht in deren Formierung vor allem eine Antwort auf den »tiefgreifenden Wandel der Gesellschaft und unserer Welt(un)ordnung.« (S. 14) Darüber hinaus bekennt sie sich in überzeugender Weise zu einem weiten Kulturbegriff, der sowohl Chance als auch Problem der Kulturwissenschaften darstellt, denn schließlich sei Kultur ist, was von Menschen gemacht sei. Zentral für die Kulturwissenschaften sei daher die Perspektive, die sie auf dieses »Alles« richteten: »Sie interessieren sich dafür, wie das vom Menschen Gemachte, die Kultur, gemacht ist, d.h. unter welchen Voraussetzungen, mit welchen Verfahren, Funktionen und Konsequenzen.« (S. 15)

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Nachdem mit den angloamerikanischen Cultural Studies und den im deutschsprachigen Kontext entstandenen Kulturwissenschaften zwei Wege präsentiert werden, die zur neuen kulturalistischen Perspektive geführt haben, entfaltet Assmann die erwähnten zentralen Begrifflichkeiten. Hierauf nochmals in extenso eingehen zu wollen, erscheint an dieser Stelle müßig. Als ärgerliches Manko von Assmanns Einführung ist lediglich anzuführen, dass das Buch unsinnigerweise mit drei Bibliographien aufwartet (zitierte Literatur und davon getrennt eine Auswahlbibliographie am Ende des jeweiligen Kapitels sowie am Ende des Buchs eine Gesamtbibliographie), die nicht nur zu unnötigem Blättern zwingen, sondern auch noch unvollständig sind, da sich einige Verweise in der Vielzahl der Bibliographien nicht auffinden lassen. Doch abgesehen von diesem zu verschmerzenden Detail muss man in der direkten Gegenüberstellung der beiden Bücher zu dem eindeutigen Ergebnis kommen, dass nicht nur einzig die Einführung Aleida Assmanns die Erwartungen erfüllt, sondern mit diesem Buch auch ein Beispiel für gelungene kulturwissenschaftliche Arbeit par excellence vorliegt.