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Archäologie der Blasphemie

Zur verdienstvollen Edition des Liebeskonzils
von Oskar Panizza

  • Oskar Panizza: Das Liebeskonzil. Eine Himmels-Tragödie in 5 Aufzügen. Hg. u. mit einem Kommentar v. Peter D.G. Brown. Eine Faksimile-Ausgabe der Handschrift, eine Trankription derselben, des Weiteren die Erstausgabe des »Liebeskonzils« als Faksimile sowie »Meine Verteidigung in Sachen 'Das Liebeskonzil'« und Materialien aus der 2. u. 3. Ausgabe. München: belleville 2005. 192 S. Gebunden. EUR (D) 98,00.
    ISBN: 978-3-936298-16-1.
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Oskar Panizza gehört zu den tragischen Figuren der Literatur der Moderne – er gehört zu ihren Mitbegründern und scheiterte an ihr als einer ihrer radikalsten Vertreter. Er war kein Unbekannter, als er im Frühjahr 1893 mit der Niederschrift seiner »Himmels-Tragödie« Das Liebeskonzil begann. Bereits mehrere Rezensionen und Aufsätze in den Zeitschriften und Anthologien der Münchner Moderne hatte er bis dato veröffentlicht. Als am 5. September 1891 552 Exemplare der Anthologie Modernes Leben. Ein Sammelbuch der Münchner Modernen erschienen, befand sich darunter auch sein Beitrag Verbrechen in Tavistock-Square, ein Text von fünf Absätzen, der wegen unsittlicher Passagen eine zwischenzeitliche Konfiskation zufolge hatte, welche aber bald wieder aufgehoben werden musste. 1 Doch eine gotteslästerliche Provokation wie im Schauspiel, nämlich dass Gott Luzifer mit der Konzeption einer fürchterlichen Gottesstrafe beauftragt habe und dass jener die Syphilis erfand, war bis dato unerhört. Dass Panizzas Literatur den Staat treffen sollte und dass er es als schick empfand, den Zensoren Vollbeschäftigung zu garantieren, war eine ausgemachte Sache der Bohème in Schwabing nach dem Motto: Wer keine Schwierigkeiten mit der Justiz hatte, konnte kein Dichter sein. Es war ein offenes Geheimnis, dass Panizza seinen Durchbruch mit einem Literaturskandal vorbereitete. Otto Julius Bierbaum hatte dies bereits 1893 angekündigt: »Ich halte es für zweifellos, daß er bald zu den besprochensten modernen Autoren in Deutschland gehören wird, – freilich auch zu den berüchtigsten. Denn: Er ermangelte des Feigenblattes, das wir haben sollen. Und: Er nimmt sich auch vors Maul kein Blatt. Und: Er hat ein böses Maul.« 2

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Die Causa Panizza

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Noch bevor Panizza das Schauspiel Das Liebeskonzil. Eine Himmels-Tragödie veröffentlichte, war er bereits mit seinen Pamphleten Die unbefleckte Empfängnis der Päpste (1893) und Der teutsche Michel und der römische Papst (1894) ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten. Doch mit dem Schauspiel provozierte der 40jährige dann einen Verstoß gegen den Gotteslästerungsparagraphen §166. Das Stück war zugleich Ausdruck eines egozentrischen Schriftstellers, der um jeden Preis den ästhetischen Streit suchte und Isar-Athen zu verabschieden suchte. Am 8. Januar 1895 begann die Münchner Staatsanwaltschaft die Voruntersuchung. Vier Tage später fand ein Verhör statt, bei dem sich Panizza zur Autorschaft bekennen sollte. Die Anklage sollte auf Verstoß gegen §166 des RStGb lauten, auf »Vergehen wider die Religion verübt durch Presse«. 3 Es schien ausgemacht, dass es sich um ein antikatholisches, die religiösen Gefühle der Leser verletzendes literarisches Pamphlet handele, in dem die Mutter Gottes als schamloses Frauenzimmer dargestellt würde. In der zwölfseitigen Anklageschrift wurde der Verhöhnung des Marienkultus knapp die Hälfte gewidmet. Des Weiteren wurden die Darstellung der Trinität, die Dialoge über das Abendmahl, die Erlösungsfähigkeit der Seele und der Pakt zwischen Himmel und Hölle kritisiert. 4

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Am 30 April 1895 erhob die Staatsanwaltschaft den Vorwurf, dass Panizza schuldig sei, »dadurch, daß er öffentlich in beschimpfenden Äußerungen Gott lästerte, christlichen Kirchen, insbesondere der katholischen Kirche, beschimpft zu haben.« 5 Mag ein solcher Prozess zunächst wenig überraschend scheinen, so war es doch bemerkenswert, dass sich in München kein Kläger fand, so dass der Staatsanwalt Freiherr von Sartor im Leipziger Polizeipräsidium dringend um die Benennung eines Polizeibeamten bat, der als Zeuge auftreten könne. Der staatliche Druck war außerdem so groß, dass es Panizza schwerfiel, einen Verteidiger zu finden. Die beiden von Panizza beauftragten renommierten Rechtsanwälte Bernstein und Loewenfeld gaben ihr Mandat noch vor Prozessbeginn zurück, da sie sich weigerten, Panizza zu verteidigen. Erst vier Tage vor Beginn der Verhandlungen übernahm der wenig erfahrene und sehr vorsichtig vorgehende Kugelmann die Verteidigung und beschränkte sich auf formale Aspekte, während Panizza selbst das Wort ergriff. 6 Dass er von einem Schwurgericht zu einem Jahr Einzelhaft verurteilt werden sollte, war ein hoher Preis für den Plan, sich an die Spitze einer ästhetischen Avantgarde, der Münchner Moderne, zu katapultieren.

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Der Prozess und die Folgen für Oskar Panizza sind in der Forschung mittlerweile, vor allem dank der Studien von Peter D.G. Brown und Michael Bauer bekannt. Der Skandal gewann das meiste Interesse, und der Text geriet zunehmend in den Hintergrund. Es ist das Verdienst des kleinen Münchener belleville-Verlages eine Edition vorzulegen, in der erstmals eine Faksimile-Ausgabe der Handschrift mitsamt einer Transkription von Peter D.G. Brown (State University of New York in New Paltz), einem ausgewiesenen Kenner des Werkes von Oskar Panizza, 7 zu lesen ist. Vervollständigt wird die Ausgabe durch ein Faksimile der Erstausgabe, zusätzliche Materialien aus der zweiten und dritten Ausgabe sowie den Abdruck der Verteidigungsschrift Meine Verteidigung in Sachen »Das Liebeskonzil«.

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Zur Edition

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Bei der Handschrift handelt es sich um die einzig überlieferte zum Liebeskonzil. Das Manuskript befand sich von 1967 bis 2002 im Besitz eines Pariser Sammlers. Anschließend gelangte es über das Hamburger Auktionshaus Hauswedell & Nolte an einen Besitzer in den USA. Über die Provenienzgeschichte ist weiter nichts bekannt, an der Authentizität bestehen aus Herausgebersicht keine Zweifel. Zur Beschreibung der Handschrift: »Das Format der Seiten ist etwa 21,5 x 34 cm. Der Text wurde zumeist mit schwarzer Tinte aufgetragen, einige der zahlreichen Anmerkungen, Streichungen und Zusätze auch in Blei-, bzw. Blaustift.« (S. 8) Die Manuskriptbeschreibung ist knapp und präzise. Die Transkription ist detailgenau, bis hin zum Zeilen- und Seitenumbruch sowie mit allen Unterstreichungen, originalgetreu dem Faksimile jeweils gegenübergestellt.

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Da das Manuskript »bereits zu Anfang zahlreiche Streichungen und Zusätze aufweist« (S. 9), vermutet Peter D.G. Brown, dass es sich um die Erst- und Letztfassung zugleich handele. Dies scheint mir nicht ganz so klar zu sein: Die Korrekturen, Durchstreichungen und Zusätze sind überschaubar, und es gibt kaum Interlinearkorrekturen. Größere Eingriffe gibt es nur wenige, wie etwa auf Seite 33. Die Entscheidung des Herausgebers, die »Diskrepanzen zwischen der Handschrift und der Erstausgabe« nicht aufzulisten, da sie den »Rahmen dieser Ausgabe sprengen« würden (S. 9), befremdet daher etwas, da eine solche Aufgabe durchaus zur Editionsarbeit gerechnet werden darf. Zwei gute Argumente können indes für die Entscheidung des Herausgebers angeführt werden.

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Erstens begründet Brown die Entscheidung damit, dass die Textunterschiede zwischen Handschrift und Erstausgabe »relativ unwichtig [seien] und daher rühren, dass der Drucker versucht hat, den Text zu glätten, Panizzas unorthodoxe Rechtschreibung zu korrigieren oder dessen offenbar inkonsequente Interpunktionen zu systematisieren.« (S. 9) Zu diesen Inkonsequenzen gehört auch, dass Panizza das Wort ›Liebeskonzil‹ sowohl mit »z« als auch mit »c« schrieb. Zweitens reiht sich die Edition offensichtlich in jene Editionsprojekte ein, die wie bei Stroemfeld / Roter Stern die wesentliche Aufgabe darin sehen, Textfassungen zur Verfügung zu stellen und dem Literaturwissenschaftler die Auswertung zu überlassen. Das heißt konkret: Aufgabe ist zunächst die Bereitstellung des Textes durch eine Faksimilierung der Handschrift in Originalgröße mit dem Ziel der konservatorischen Speicherung des Manuskriptes, was in diesem Falle, da sich das Manuskript im Privatbesitz befindet, außerordentlich nützlich ist. Des Weiteren gewährleistet die Transkription eine integrale Textdarstellung mit allen Streichungen und Ergänzungen. Browns Entscheidung, auf einen Apparat zu verzichten, ist demnach nachvollziehbar, dennoch sei angemerkt, dass die Edition dadurch noch weiter gewonnen hätte. Denn die Hinweise und einzelnen Erläuterungen, die der Herausgeber exemplarisch gibt, zeigen durchaus, wie nützlich solche Ausführungen sind. So gebraucht Panizza vier Mal im Manuskript den Begriff des Virus, wenn er von der Syphilis spricht, und beweist dadurch, wie genau er die Anfänge der Virologie im Jahre 1892 verfolgt hat und dass er durchaus mit medizinischen Studien vertraut war. Der Begriff des Virus ist in der Erstausgabe dann ersetzt worden durch ein Etwas, ein Gift und ein Ding (vgl. S. 10). Auch hätten die Glättungen des Druckers zumindest ausführlicher beschrieben werden können.

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Konsequent ist es, dass in der Edition auf eine Deutung verzichtet wird; hingegen bleibt es auch etwas bedauerlich, dass diese Edition dem Leser bestimmte Informationen schuldig bleibt, die man sich hätte wünschen dürfen. So gibt es weder Informationen über das Verlag-Magazin Jakob Schabelitz (nicht Johann wie versehentlich auf S. 211) und dessen Programm, in dem immerhin Bücher von Franz Blei, Hermann Bahr, Arno Holz, Carl Stegmann, August Bebel oder Karl Henckell und Bertha von Suttner erschienen und in dem sozialistische Publikationen ebenso häufig waren wie kirchen- und religionskritische. 8 Auch wurden lateinische Zitate, sofern sie nicht selbst von Panizza in der Manuskriptfassung übersetzt wurden, nicht vom Herausgeber übersetzt. Das von Panizza verwendete Zeichen R4 auf Seite 2 wirft einige Rätsel auf. Doch sind solche Kleinigkeiten zu vernachlässigen. Dass indes Sach- und Worterläuterungen gänzlich fehlen, scheint mir doch ein kleiner Makel zu sein. So gibt Panizza etwa selbst in einer Fußnote an, dass »Ollendorf« eine bekannte Schulgrammatik sei, doch wird ein genauer bibliographischer Nachweis nicht vom Herausgeber ergänzt, auch nicht zu den anderen vom Autor genutzten Quellen. Auch wünscht sich mancher Leser womöglich Erläuterungen zu ungewöhnlichen Wörtern wie »mädchenhaft-gilfenden Ton« (S. 4) und »engoudirt« (S. 6), französischen Lehnwörtern wie »Drogue« (S. 17 = Treibanker) oder zu Sacherläuterungen wie »Lupanar« (= Bordell in Pompeji) und »Facchino« (S. 9 = eine der ›sprechenden Statuen‹) sowie zu historischen Personen oder mythologischen Figuren. Es handelt sich bei diesen Anmerkungen nicht zwingend um ein Desiderat, da vieles davon leicht recherchierbar ist, aber es wäre zumindest eine wünschenswerte Serviceleistung gewesen, insbesondere da die vorliegende Edition zukünftig als maßgebliche gelten darf. Und die wohl als Vorbild geltenden Editionen von Stroemfeld / Roter Stern verzichten ja bekanntermaßen in den Beiheften auch nicht auf eine Dokumentation der Entstehungsgeschichte und einen Stellenkommentar, der im Fall des Liebeskonzils durchaus ausgesprochen spannend wäre.

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Fazit

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Die Edition ist verdienstvoll, weil sie erstmals die Handschrift und die sehr gute Transkription (bis auf einige wenige, wirklich zu vernachlässigende winzige Fehler) zur Auswertung bereitstellt. Die Edition enthält zudem den photographischen Abdruck der Erstausgabe, der Zueignung und des Vorspiels der zweiten, vermehrten Auflage von 1896 sowie das neue Vorwort, drei Seiten im Tiroler Dialekt im vierten Aufzug und ein Anhang mit 35 Seiten Pressestimmen der dritten Auflage von 1897. Der photographische Abdruck ist wie auch die Faksimiles von exzellenter Qualität. Die Edition ist überdies ein schönes Buch. Sie wirft dort Fragen auf, wo der Herausgeber sich nicht entscheiden konnte, einerseits Material ohne weiterführende Anmerkungen zur Verfügung zu stellen, andererseits kurze Einführungstexte, etwa zu den Materialien, zu schreiben, die indes dann so kurz ausfallen, dass sie den Leser zwar orientieren, aber nicht weitgehend informieren. Außerordentlich knapp fallen so die Ausführungen zur Entstehung des Stücks und zu den literarischen Quellen sowie zum Literaturskandal und zu den Prozessen aus (S. 247–250). Verdienstvoll und hilfreich ist die Aufzählung der Inszenierungen des Liebeskonzils auf den Bühnen von 1962 bis 2004. Ebenso sinnvoll ist der komplette Abdruck der Verteidigungsbroschüre, die auch Michael Georg Conrads Gutachten sowie das Urteil und die Begründung des Gerichts enthält. Bei Editionsvorhaben zu Texten, die nicht im Verdacht stehen, häufiger oder von mehreren Editoren kommentiert und herausgegeben zu werden, wären zusätzliche Materialien und auch weiterführende Anmerkungen sowie Sach- und Worterläuterungen und ein Stellenkommentar (gerne auch in einem Beiheft) hilfreich. Doch sind solche Editionen dann meist optisch nicht so schön wie die des belleville-Verlages. Zudem wird das, was mancher womöglich vermissen könnte, demnächst vermutlich nachzulesen sein in der angekündigten, ausführlichen Monographie von Peter D.G. Brown: Oskar Panizza and The Love Council. A History of the Scandalous Play on Stage and in Court, with the Complete Text in English and a Biography of the Author (Jefferson, NC: McFarland 2010, ISBN 978-0-7864-4273-7).

 
 

Anmerkungen

Vgl. Michel Bauer: Oskar Panizza. Ein literarisches Porträt. München: Hanser 1984, S. 129 und 137.   zurück
Otto Julius Bierbaum: Oskar Panizza. In: Die Gesellschaft, August 1893, S. 982.   zurück
Anklageschrift des kgl. Staatsanwalts S. (12). SA München, St.Anw. Nr. 7120. Zitiert nach: Michel Bauer (Anm. 1), S. 16.   zurück
Vgl. Michel Bauer (Anm. 1), S. 152 f.   zurück
Frage an die Geschworenen. Stadtarchiv München. Staatsanwaltschaft 7119. Zitiert nach: Michel Bauer (Anm. 1), S. 153.   zurück
Vgl. Michel Bauer (Anm. 1), S. 155.   zurück
Vgl. Doghouse, Jailhouse, Madhouse: A Study of Oskar Panizza's Life and Literature. Diss. Columbia University 1971; Oskar Panizza's First and Last books: A Study in Late Nineteenth-Century Poetry. In: The Germanic Review XLVIII (1973), S. 269–287; Oskar Panizza: His Life and Works. New York, Bern: Peter Lang Publishing 1983.   zurück
Vgl. dazu Conrad Ulrich: Der Verleger Jakob Lukas Schabelitz 1827–1899. Zürich: Beer 1999.   zurück