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Authentizität nach Adorno?

  • Susanne Knaller / Harro Müller (Hg.): Authentizität. Diskussion eines ästhetischen Begriffs. München: Wilhelm Fink 2006. 332 S. 13 s/w Abb. Kartoniert. EUR (D) 39,90.
    ISBN: 3-7705-4227-4.
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Spätestens seit Adorno sind Versuche unternommen worden, den Begriff der Authentizität als normativen oder deskriptiven Leitbegriff einer großräumig verstandenen Moderne stark zu machen. Es war die Polyvalenz des Begriffs, die solche Begehrlichkeiten weckte. Wahlweise konnte Authentizität echt, ursprünglich, unmittelbar, wirklich, lebendig, legitimiert und sicher auch anderes bedeuten. Dank solcher Bedeutungsvielfalt wanderte der Begriff in die Ästhetik, in die Mentalitätsgeschichte und in die politische Theoriebildung des Kommunitarismus ein. Der Begriff der Authentizität stellte – insofern partizipierte er immer an dem Phänomen, das er beschreiben wollte – den Griff aufs Ganze in Aussicht. Gerade deshalb aber, so scheint es, liegt bis heute kein auch nur einigermaßen klar umrissenes Konzept von Authentizität vor. Zusätzlich erschwert wird die Beschreibung dessen, was der Begriff bezeichnen soll, dadurch, dass sich das ›Authentische‹ der Sache nach gegen seine diskursive und mediale Verarbeitung zu sperren scheint, die ihrerseits unter Inauthentizitätsverdacht stehen, so dass es immer nur als Aporie thematisch werden kann.

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Der von Susanne Knaller und Harro Müller unternommene Versuch, das Konzept der Authentizität in einem Sammelband zu umstellen, trägt diesen Schwierigkeiten insofern Rechnung, als sie Authentizität schon als »Krisenbegriff« (S. 10) einführen: »Der Authentizitätsbegriff ermöglicht also, unvergleichliche Vergleichbarkeit unvergleichlich darzustellen, indem er die paradoxe Struktur invisibilisiert und häufig genug Argumentationsstopverfahren bereitstellt.« (S. 11) Die Auseinandersetzung mit Authentizität als »ästhetischem Begriff« wird großzügig gehandhabt, insofern unter Ästhetik gleichermaßen Kunstästhetik und der Gebrauch ästhetischer Strategien zu außerkünstlerischen Zwecken verstanden wird, wie etwa Volker Wortmanns Beitrag über den politischen Gebrauch photographischer Authentizitätsanmutungen (es geht um die Rechtfertigung des Irak-Kriegs und die retrospektiven Authentizitätsunterstellungen der Luftaufnahmen von Auschwitz) zeigt. Darüber hinaus verweigert sich der Band einer genaueren Begriffsbestimmung –»[z]u groß und zu different sind die konstellativen Felder, in die der Begriff der Authentizität jeweils eingetragen wird« (S. 14) – und hält sich für die Synonyme »Unmittelbarkeit, Unverfälschtheit, Unverstelltheit, Wahrhaftigkeit« (S. 17) offen.

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Konkretisierungen werden lediglich historisch vorgenommen. Knaller möchte den Begriff für die Ästhetik des 20. Jahrhunderts reservieren. Alles andere, so meint sie, seien retrospektive Projektionen aktueller Begriffskonzepte. Die Gründe dieser Beschränkung versucht der Beitrag Harro Müllers an der wohl einzigen Ästhetik zu benennen, die diesen Begriff systematisch einschlägig gebraucht – derjenigen Adornos. Er rekapituliert die paradoxe Struktur des authentischen Kunstwerks bei Adorno, das die Verblendungen seiner Zeit in sich aufnimmt, um durch sie hindurch Authentizität zu wahren. Hinter Müllers etwas unspezifischem Resümee, dass man Adornos Ästhetik als »eine begrifflich reichhaltige und kognitiv spannende Theorie des authentischen Kunstwerks« (S. 65) lesen könne, verbirgt sich letztlich ein Plädoyer dafür, einzelne Beobachtungen Adornos weiterzudenken, auf den metaphysischen Überbau dieser Beobachtungen des weiteren aber zu verzichten. Und damit bezeichnet Müller die Demarkationslinie, die explizit oder implizit fast alle Beiträge des Bandes durchzieht. Adornos Begriff des Authentischen stellt eine Schwundform und einen Endpunkt idealistischer, letztlich metaphysischer Ästhetik vor und bringt eine historische Denkfigur zum Abschluss. Das Authentische ist das äußerste Paradox, in das sich die Utopie zusammengezogen hat.

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Die Frage, die sich also unabhängig davon stellt, ob man Adornos Position für sinnvoll hält oder nicht, ist, ob man die Schwelle Adorno überschreiten und dabei gleichwohl am Begriff der Authentizität festhalten kann. Im Folgenden sollen die Beiträge des Bandes also auch nur hinsichtlich dessen besprochen werden, was sie zur Erneuerung der Authentizität als ästhetischen Konzepts und analytischen Begriffs beitragen.

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Der Ungehorsam der Beiträger

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Einige der Beiträger wenigstens melden Zweifel an der Aktualität der Authentizität an. Jochen Mecke arbeitet eine entscheidende Paradoxie des Authentizitätspostulats heraus: Moderne Kunst soll authentisch sein. Authentizität zeichnet sich aber dadurch aus, intentional nicht verfügbar zu sein: »Gewollte Tränen sind ebenso wenig echt, wie gewollte Authentizität.« (S. 99) Und aus dieser Paradoxie kann Mecke herleiten, warum moderne Kunst wie der Surrealismus den nicht-intentionalen, unbewussten Ursprung ihrer Werke favorisiert und simuliert. Seine Diagnose einer Krise der Authentizität in der nouvelle vague und im nouveau roman schlägt in ein Plädoyer für eine ›kalkulierte Inauthentizität‹ um: »Damit wird jedoch nicht eine bestimmte Form des Authentischen durch eine neue abgelöst, sondern vielmehr die Kategorie der Authentizität selbst ein für allemal verabschiedet.« (S. 114) Hier wird beim Überschreiten der Schwelle Adorno also der Begriff der Authentizität aufgegeben.

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Freilich versucht sich Barbara Kuhn gleich im folgenden Aufsatz an einem ganz ähnlichen Materialbestand – Robbes-Grillets Autobiographik – und kommt hier nach anfänglicher Abweisung eines platten Authentizitätsverständnisses einer »extratextuell überprüfbaren Wahrheit oder Wahrhaftigkeit« (S. 121) frei nach Adorno zum Befund einer höheren Authentizität: »Vielleicht wäre authentisch erst die Autobiographie, die der Idee von Authentizität, des so und nicht anders Seins, sich entledigt hätte.« (S. 145) Der Kunstgriff, der Kuhn dieses Ende der Authentizität dialektisch reinterpretieren lässt, macht sich ein Übersetzungsproblem zu Nutze. Heideggers Eigentlichkeit wurde ins Französische mit authenticité übersetzt. Kuhn reimportiert Heideggers Eigentlichkeit nun als Authentizität ins Deutsche. Da jenes ›Vorlaufen zum Tode‹, in dem die Eigentlichkeit des Daseins gründen soll, eine Möglichkeitsform erschließt, muss sich von Heidegger aus die Authentizität der Autobiographie auch nicht mehr an ihrer Faktizität messen lassen, sondern wird selbst zur Möglichkeitsform im Vorgriff auf den Tod.

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Die Lektüre Robbes-Grillets mit Heidegger überzeugt. Fraglich ist aber, ob man den Unterschied zwischen Authentizität und Eigentlichkeit, wie er im Deutschen besteht, nicht hätte beibehalten sollen, weil Authentizität eben eine ursprungsbezogene Kategorie ist und Heideggers Eigentlichkeit in bewusster Absetzung davon eine zukunfts- und möglichkeitsbezogene. Die Dialektik der Authentizität wäre dann einfach ein Problem der Heideggerübersetzung. Das mag wie Haarspalterei klingen. Sieht man aber darauf, dass etwa Karl Mannheim ganz bewusst den Begriff der Echtheit gegen den der Authentizität absetzt, weil er ohne emphatische Ursprungskonzeptionen auskommt, dann wird klar, dass sich hinter solchen begrifflichen Differenzen, wenigstens in der deutschen Debatte, sachliche Unterschiede verbergen.

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Auch Jürgen Fohrmanns Beitrag über Authentizität ist v.a. ein Beitrag über das Scheitern dieser Kategorie. Er fasst den Begriff vornehmlich als solchen der Zeugenschaft und der bezeugten Täterschaft, kommt in seinem Beitrag über den Eichmann-Film von Sivan und Brauman zu dem Ergebnis, dass die Unterscheidung authentisch / nicht-authentisch an der Person Eichmann versagt.

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Solche Schwierigkeiten umgeht Sándor Radnóti, indem er aus der vorgegebenen historischen Zentrierung des Bandes ausbricht. Er interpretiert die Originalitätsdebatte, wie sie Winckelmanns Kunstgeschichtsschreibung führt, als Beitrag zum Konzept der Authentizität. Und da Radnóti Authentizität wesentlich von der Bedeutung ›Ursprünglichkeit‹ aus denkt, kann er im Gegensatz zu manchem anderen Beitrag auch begründen, warum das Problem der Authentizität überhaupt entsteht, und zwar nicht erst im 20., sondern bereits im 18. Jahrhundert: »Hervorzuheben ist, daß Originalität deswegen zum konstitutiven Begriff der Moderne wird, weil in ihr der Bezug zum Ursprung gerade nicht mehr als gegeben und selbstverständlich vorausgesetzt wird.« (S. 218)

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Ähnlich argumentiert Huyssen: Authentizität sei »Kompensation für den Verlust an metaphysischen und religiösen Gewißheiten, die auch der klassischen Moderne nicht fremd waren. Kompensation auch für den Verlust an Hoffnung auf eine Versöhnung des Allgemeinen mit dem Besonderen und Verlust der Möglichkeit eines archimedischen Standpunktes, der durch Berufung aufs Individuell-Authentische wettgemacht werden soll« (S. 234). Und auch Huyssens Beitrag – einer der lesenswertesten dieses Bandes – setzt jenseits der von den Herausgebern gezogenen historischen Grenze an. Für Huyssen konzentriert sich der Authentizitätsbedarf in der Ästhetik der Ruine, vornehmlich derjenigen Piranesis. Er begreift sie als Signum eines Selbstzweifels, der der Aufklärung von Anfang an eingezeichnet ist. Sie reflektiert den Verlust des Ganzen und des Ursprungs und hält in ihrer Negativität doch die Verbindung zu beidem. Auch hier bildet Adorno eher den Abschluss einer historischen Denkbewegung als den Punkt, von dem aus sich weiterdenken ließe. Die Ruine – im Jahrhundert des Leichtbaus und der plötzlichen kriegerischen Zerstörung ohnehin kein zentrales ästhetisches Konzept mehr – wird hier noch als immaterielle metaphorische Spur konserviert: »Für Adorno etwa sind gerade die Kunstwerke die ›authentischsten Werke‹ der Moderne […], die objektiv und formal vom Ruinösen der Gegenwart durchdrungen sind.« (S. 234)

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Neben diesen Absagen an die aktuelle Leistungsfähigkeit des Begriffs gibt es andere Versuche, das Konzept der Authentizität über die Schwelle Adorno zu retten: Der apodiktische Nominalstil des Kunsthistorikers Hans Ulrich Reck erleichtert die Lektüre seines historisch aufs Ganze gehenden Beitrags nicht unbedingt: »Ohne Umweg über den rezeptiven Aufbau derjenigen Signifikanten, die seit den Dramatisierungsformen der theatralischen Mimesis in der griechischen Antike Signifikate von Medienkultur gewesen sind, ist eine zeitgenössische Ästhetik weder zu konzipieren, noch für den Bereich der Kunst gehaltvoll zu machen.« (S. 280) Sofern der Leser aber recht versteht, plädiert Reck dafür, an die vakant gewordene Stelle des Autors / Urhebers, der bislang das Maß der Authentizität war, den Rezipienten zu setzen und spricht deshalb von ›rezeptiver Authentizität‹ (S. 259).

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Gemeint ist ein Rezipient, der die Position des distanzierten Beobachters aufgegeben hat und in den Prozess der Werkkonstitution einbezogen ist. Es gibt zwei Möglichkeiten, das als authentisch aufzufassen. Entweder im Sinne der Unmittelbarkeit der Kunsterfahrung oder als Entlarvung des In-Authentischen, dem das Werk als »stilisierte Nicht-Authentizität« (S. 281) immer noch einen gewissen Vorschub leistet. Unklar bleibt in Recks Beitrag, wie die Unmittelbarkeit und die reflexive Distanz der Entlarvung in ein und demselben Authentizitätskonzept vereint werden sollen. Beide scheinen ganz unterschiedliche ästhetische Konzepte zu sein. Und rücksichtlich der Geste der Entlarvung wäre zu fragen, ob sie sich nicht längst aufgerieben hat, weil letztlich nicht mehr angegeben werden kann, auf welchen positiven Begriff von Authentizität sich diese Entlarvung eigentlich beruft. Auch Reck kann das nicht.

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Rosalind Krauss versucht, dieses Authentische neuerer bildender Kunst zu benennen. Ihr Beitrag ist eine polemisch geführte Auseinandersetzung mit der Authentizitätsleugnung der Postmoderne, deren politische Pointe die bloße Affirmation unter dem Mantel der Ironie und deren ästhetische die Propagierung des Kitsches unter dem Mantel des Zitats sei. Ihr Gegenentwurf, der sich an Künstlern wie James Coleman und William Kentridge abarbeitet, begreift Authentizität als Reflexion auf den Anfang eines Mediums und die »utopischen Versprechungen« (S. 285), die diesen Anfängen eingeschrieben waren. Und dies, so argumentiert sie mit Benjamin, werde genau in den Momenten möglich, in denen ein Medium durch das Aufkommen eines neuen in Frage gestellt wird.

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Ausdrücklich verteidigt Krauss hier die Fortsetzung der Moderne gegen die Postmoderne und an diesem Punkt scheinen die metaphysischen Potentiale des Authentischen, scheint die Utopie wieder auf. Fortsetzung der Moderne wäre also Fortsetzung Adornos samt Metaphysik. Und auch Reinhold Martins Beitrag über die Konkurrenz von Postmoderne und Moderne in der Architektur seit den 70ern kehrt sentimentalisch zu diesem Begriff der Authentizität zurück: »Sie [die Authentizität] würde vielmehr in ihrer äußerst realen Eignung liegen, die Phantasie anzuregen, etwas anderes zu erfinden, etwas, das Modernisten einst Utopie genannt haben, etwas, das für unsere müden, postmodernen Augen wieder neu sein könnte.« (S. 310)

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Das Ende der Authentizität

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Es fällt also auf, dass sehr viele der Beiträge aus dem von Knaller und Müller abgesteckten Rahmen des Authentischen ausbrechen. Entweder verschieben sie ihren historischen Schwerpunkt und widersprechen so der These, dass Authentizität ein Konzept sei, dessen Validität sich ausschließlich an der Kunst des 20. Jahrhunderts erweisen könne. Gerade für die Kunst, die unter Titeln wie Pop oder Postmoderne firmiert, scheint das nur auf waghalsigen Umwegen zu gelten. Oder sie widersprechen der These, dass sich am Konzept der Authentizität unter Verzicht der ihm eigenen metaphysischen Implikationen festhalten ließe. Das ist sicher zum Teil die Gefahr, der sich jeder Sammelband aussetzt. Zum Teil liegt es aber auch daran, dass Möglichkeiten einer präziseren Begriffsbestimmung ungenutzt blieben. Ein wesentliches Problem besteht darin, dass die Bedeutungskomponenten ›echt‹, ›ursprünglich‹ und ›beglaubigt‹ einfach als gleichwertige Synonyme aufgefasst worden sind und somit als austauschbar behandelt werden. Vielmehr scheint es aber so zu sein, dass erst das Verhältnis der drei Bedeutungen zueinander das Konzept der Authentizität Kontur gewinnen lassen.

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Es hieße dann: Authentizität ist ein bestimmter Fall von Echtheit, dessen Nachweis durch die Ermittlung eines Ursprungs erbracht wird. Da der Ursprung nie am Phänomen selbst evident wird, springt immer eine Instanz ein, die den Zusammenhang mit dem Ursprung herstellt, d.h. etwas beglaubigt. Daraus resultiert die historische und semantische Nähe zwischen Authentizität und Autorität. Deutlicher wäre dann geworden, dass es im Fall von Authentizität immer um ein emphatisches Problem von Ursprünglichkeit geht. Emphatisch aber stellt sich das Problem hinsichtlich der beiläufig angesprochenen Autobiographik eines Moritz oder eines Rousseau, weil die Verfügung über den eigenen Ursprung hier noch in Konkurrenz zum göttlich verfügten Ursprung auftritt. Emphatisch stellt es sich auch in der Frage kultureller Ursprünglichkeit, wie sie Herder formuliert. Hier lägen auch die Verbindungen zu älteren Begriffskonzepten der Authentizität, die sich vor 1800 ja zunächst auf Fragen des authentischen göttlichen Textes und seiner authentischen Auslegung bezogen.

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Dieses metaphysische Ursprungsproblem transportiert das moderne Individuum im Authentizitätsanspruch und in den von diesem Mangel motivierten ästhetischen und politischen Ursprungsfiktionen, gerade weil es sich im bloß individuellen Ursprung nicht justieren kann. Adorno versuchte das Authentische zu retten, indem er die in solchen Ursprungsfiktionen konservierte Utopie von einer falschen Ursprünglichkeit befreit. Die Virulenz der Ursprungssehnsucht blieb gleichwohl immer Teil des Problems, wenngleich als – etwa in der Auseinandersetzung mit Strawinsky – abzuwehrende Gefahr.

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Die notwendige Verknüpfung des Authentizitätsphänomens mit der Dimension eines wie auch immer gearteten Ursprünglichen ließe sich etwa im Gegensatz zu dem Phänomen konturieren, das Karl Mannheim in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts als »Echtheit« 1 beschreibt. Echtheit bezeichnet hier eine intellektuelle Reaktion auf die Erfahrung der gescheiterten Utopien, die sich nun sukzessive als Ideologien entlarven lassen. Dieser Verlust der Utopie als ›ideeller‹ Zugriff auf die historische Wirklichkeit scheint unmittelbar mit dem Verlust von Geschichte einherzugehen: Der Mensch verliere »mit dem Aufgehen der verschiedenen Gestalten der Utopie den Willen zur Geschichte und damit den Blick in die Geschichte« 2 . Ohne Geschichte keine Authentizität, sondern nur noch Echtheit. Zu diesem vor achtzig Jahren diagnostizierten Ende der Authentizität verhält sich der Band in keiner Weise.

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Authentizitätssymptome

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Ein Wort noch zu dem Beitrag von Spivak: Spivak operiert in dem Bereich, der durch das Problem der Ursprünglichkeit heute abgesteckt wird, d.h. in dem der kulturellen Identität. Nicht zufällig wandert ja gerade auf Grund des Begriffsmerkmals ›ursprünglich‹ Authentizität in die kommunitaristische Theoriebildung ein. Der Beitrag der Globalisierungskritikerin Spivak verdient nicht nur deshalb eigens erwähnt zu werden, weil er das Terrain des Ästhetischen verlässt. Im Gegensatz zu allen anderen Beiträgen ist der ihre weniger eine Analyse als ein Symptom des Authentizitätsbedarfs: Er geht aufs Ganze – »Globalisierungssozialismus« (S. 79) – er legitimiert sich durch das Wissen ›ursprünglicher Kulturen‹ – »Ich habe diese Lektion […] von den Australischen Warlpiri […] gelernt« (S. 75) – und er vertraut auf die Aura esoterischer Theoriejargons – »Um klarzustellen: Wenn wir ›planet-think‹, ›planet-feel‹, kann unser ›Anderes‹ – alles im unendlichen Universum – nicht das selbstkonsolidierende Andere sein« (S. 74). Das sind im Sinne Knallers in der Tat »Argumentationsstopverfahren«. Auch die Übersetzung Spivaks aus dem Englischen hätte besser redigiert werden können. Einige Konstruktionen sind grammatisch falsch. Da dieser Mangel nur diesen Beitrag betrifft, fragt man sich freilich, ob das an der Übersetzung liegt oder an Spivaks unvermittelbarer Authentizität.

 
 

Anmerkungen

Karl Mannheim: Ideologie und Utopie. Frankfurt/M. 1969, S. 222   zurück
Ebd., S. 225   zurück