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Überfluss und zeremonielle Ordnung

Von der Vertextung des höfischen Festes
in der Frühen Neuzeit

  • Thomas Rahn: Festbeschreibung. Funktion und Topik einer Textsorte am Beispiel der Beschreibung höfischer Hochzeiten (1568-1794). (Frühe Neuzeit 108) Tübingen: Max Niemeyer 2006. VII, 310 S. 25 s/w Abb. Gebunden. EUR (D) 78,00.
    ISBN: 3-484-36608-7.
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Mehr als 25 Jahre nach den ersten Versuchen, die Festbeschreibung als Gattung zu bestimmen, 1 liegt nun zum ersten Mal eine Monographie zum Thema vor. Rahns dicht verfasste Studie 2 setzt hierzu primär nicht formale oder semantische, sondern funktionale Kriterien an. Erkenntnis leitend ist für ihn die Frage danach, »[…] wie die Methode des Zeremoniells die Datenauswahl und -ordnung von Text und Bild bestimmt« (S. 6), und unter dieser Perspektive sollen Normen und Verfahren der Zeremoniellberichterstattung untersucht werden.

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Inhaltsüberblick

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Nach einem Forschungsüberblick (S. 1–5) und nach der Formulierung der Fragestellung (S. 6) erläutert der Autor zunächst knapp sein Vorhaben (S. 6 f.): Aus der Analyse der spezifischen Ästhetik des Zeremoniells soll eine funktionale Bestimmung der Festbeschreibung entwickelt werden, sodass sie als Textfamilie im Sinne eines rezeptionsästhetisch begründeten Gattungskonzepts fassbar werden kann. Rahn geht dabei von der Annahme aus, dass diese Gattung während der Frühen Neuzeit aufgrund ihrer einheitsstiftenden intentionalen Ausrichtung und topischen Gestaltung konstant bleibe, weshalb auch »keine besondere Binnenepochalisierung« notwendig sei (S. 7). Folgerichtig legt er »keine Geschichte der Gattung« vor, sondern markiert lediglich mit Festbeschreibungen aus den Jahren 1568 und 1794 »die historischen Außengrenzen« seines Textkorpus (ebd.).

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Im ersten Kapitel (S. 9–28) wird erläutert, wie im Rahmen der deutschen Zeremoniellwissenschaft des 18. Jahrhunderts die Wirkung zeremonieller Inszenierungen erkenntnis- und affekttheoretisch als »Verwunderungsästhetik« konzipiert wird, die sich auf zwei »psychologische Wirkungstheoreme« stützt: auf das der Prachtentfaltung als Rhetorik äußerlicher Macht der Majestas zum einen, auf das einer dadurch ausgelösten Überraschung des Rezipienten zum andern (S. 14–23). Rahn stellt diese Theorie des Zeremoniells in einen Zusammenhang mit dem »Diskurs des Erhabenen« und fragt auch nach dessen Anteil an der »Schwächung des Zeremoniells« gegen Ende des 18. Jahrhunderts (S. 23–27). Eine Antwort darauf wird jedoch zurückgestellt, um zunächst anhand der Festbeschreibungen selbst eine zeremonielle Wirkungsästhetik zu rekonstruieren (Kap. II, S. 29–42). Rahn beschäftigt sich hier vor allem mit Johann von Bessers Beschreibung der preußischen Königskrönung von 1701, weil in ihr »Grund und Verfahrensmomente der zeremoniellen Inszenierung« reflexiv würden (S. 32). An weiteren Festbeschreibungen werden »stereotype Formulierungen« der Verwunderung hervorgehoben (S. 35–38) und rhetorische Strategien der »Prachtbeschwörung und Prachtbilanzierung« beschrieben (S. 39). Die ästhetische Intensität des Festes derart zu reproduzieren, stellt für Rahn eine gattungskonstitutive Funktion der Festbeschreibung dar, welche jedoch zugleich durch Verfahren der »sinnliche[n] Reduktion statt Evozierung« (S. 41) konterkariert werde. Diese Verfahren, so Rahns zentrale These, folgten aus der Aufgabe der Festbeschreibung, die in der Performanz stets gefährdeten Zeichensysteme des Zeremoniells nachträglich zu sichern.

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Im dritten Kapitel (S. 43–58) sucht der Autor in Paratexten, die den Terminus der Beschreibung enthalten, eine implizite zeitgenössische Gattungstheorie auf. Er erkennt hier eine Äquivalenz zwischen dem Zeremoniell und dessen descriptio hinsichtlich des gemeinsamen Ziels, »Glaubwürdigkeit und
affektive[ ] Wirkung« herzustellen (S. 44). Dieser funktionalen Affinität von ›Beschreibung‹ und Zeremoniell korrespondiere eine »verfahrenstechnische Affinität«, denn das raumdefinierende Verfahren des Zeremoniells stimme mit dem bildevozierenden der descriptio zusammen (ebd.). Darüber hinaus trete in den Paratexten neben der memorialen eine panegyrische Beschreibungsintention hervor, welche im Text selbst nur bedingt eingelöst werde. Dies offenbare einen »poetologischen Grundwiderspruch der Gattung«, der »durch die Gegensätzlichkeit von zeremoniellem Rhetorisierungsdruck und zeremoniellem Faktendruck« entstehe (S. 49) und zu Beginn des 17. Jahrhunderts zur Durchsetzung der nüchtern-sachlichen Prosarelation gegenüber der poetischen Beschreibung geführt habe.

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Rahn zufolge ist die Festbeschreibung in doppelter Hinsicht durch eine Ableitung ihrer Strukturen aus dem Zeremoniell geprägt (Kap. IV, S. 59–94). Zum einen handle es sich bei der »Festbeschreibungstopik« um eine »zeremonielle Topik, d.h. die Datenauswahl konzentriert sich auf Fakten, die zeremoniell signifikant sind«, zum andern erfolge die Ordnung der Daten nach »Prinzipien, welche die Ordnungsverfahren des Zeremoniells reproduzieren« (S. 59). Dies wird durch die Analyse zweier relationsartiger Festbeschreibungen des Hochabsolutismus untermauert, insbesondere mit Blick auf die quantitative Gewichtung der Zeremoniellsegmente und auf eine durch die zeremonielle Ordnung geprägte reduktive Wahrnehmungseinstellung des Autors, die sich in seinem Text manifestiere. Des weiteren wird die Festbeschreibung als korrigierender, vor allem auf die wertungsfreie Vermittlung zeremonieller Daten zielender Nachtrag zum Fest beschrieben, der zugleich eine den ordnungsgemäßen Ablauf des Festes bestätigende »Zeugenschaftsebene« konstituiere (S. 66). Dementsprechend komme den in die Festbeschreibung integrierten oder ihr als Appendix angegliederten zeremoniellpragmatischen Textsorten der »Beweischarakter von Zitaten« mit objektivierender und präzisierender Funktion zu (S. 73). Im Vergleich von Festbuch und Neuer Zeitung könne das Festbuch durch die aufgenommenen Textsorten als »Ausbauform« der Neuen Zeitung gelten, weil beide »Distributionstypen der Festbeschreibung« in Topik und Stillage nahezu übereinstimmten (ebd.). Dennoch ermöglichten erst die in den Festbüchern typographisch herausgestellten Namenslisten, Marginalienketten und Tafelordnungsschemata eine »Präparierung und ›Sichtbarmachung‹ der Namen« und damit eine Abbildung der Rangverhältnisse (S. 80). Diese typographische Topik wird um eine »Topik der Illustrationen« erweitert (S. 84–93), die vor allem aus visuellen ›Listen‹ und Bildern besteht und die – trotz ihrer imaginativen Wirkung – analog zur »Topik der Beschreibung« durch die Reduktion der Komplexität von Bilddaten objektivierend wirke.

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Im fünften Kapitel (S. 95–116) zeigt Rahn, dass im Vergleich zur nüchtern-faktenorientierten Topik der Prosarelation die poetische Festbeschreibung eine wirkungsästhetische Marginalisierung der Zeremonielldaten durch »Bilderfindungen« bewirke. Auf diese Weise entfalte sich eine »sekundäre Konkurrenzmnemonik« (S. 115), die ab dem Beginn des 17. Jahrhunderts allmählich von einer »Monokultur ›prosaischer‹ Festbeschreibungen« abgelöst werde (S. 96). Das sechste Kapitel (S. 117–154) enthält dann Analysen dreier für die Phase der Gattungsstabilisierung repräsentativer Beschreibungen der Münchener Fürstenhochzeit von 1568 (Wagner, Wirrich, Troiano). Ihrer Anlage nach unterschiedlich sei ihnen jedoch ein utopisches Motiv gemeinsam, das ein »intentionales Einheitsmoment der Gattung« bilde: der »Entwurf des Festes als ordnungsutopische[r] oder als paradiesische[r] Zeitraum« (S. 117).

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Im siebten Kapitel (S. 155–183) beschreibt Rahn schließlich, wie die absolutistische Zeremoniellästhetik im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts eine »Revision« durch die aufgeklärt-bürgerliche Ästhetik im Erhabenheitsdiskurs erfährt. In Novalis’ Fragmentsammlung Glauben und Liebe (1798) werde die Möglichkeit einer Utopisierung der staatlichen Repräsentation zur »Vergegenwärtigung eines zukünftigen moralischen Gesellschaftsgefüges« denkbar (S. 157): Das Zeremoniell fungiere für den moralisch vorbildlichen Monarchen als »›Erziehungsmittel‹ [des Bürgers] in der Sphäre des Moralischen« (S. 161). Inwiefern ein solches »Assimilierungszeremoniell« als Verfahren der Annäherung von König und Volk bereits avant la lettre in der Topik der Festbeschreibung impliziert sein könnte, versucht Rahn anhand der Dokumentation der Doppelhochzeit am Berliner Hof 1793 zu zeigen: Die Berliner Festbeschreibung weise eine »Topik der Familiarisierung und Intimisierung zwischen Monarchenfamilie und Volk« auf, und ihre Datenauswahl und ‑ordnung konzentriere sich auf die Darstellung der »emotionalen Kommunikation« der Zeremoniellprotagonisten (S. 164). Die Gefühlsäußerungen des Volkes machten das dynastische Ereignis der Hochzeit zum freudvollen Volksfest; seine Beschreibung solle als »Indikator des zivilisationsgeschichtlichen Standes der Gesellschaft« gelten und darüber hinaus eine Reduktion des Zeremoniells in Abwendung von seinen absolutistischen Formen propagieren (S. 176). Etwas abrupt schließt dieses Kapitel mit der Überlegung ab, ob das Zeremoniell – trotz seiner kommunikativen Öffnung – ebenso wie seine Beschreibung nicht besser als »›Herablassungszeremoniell‹ im Zeichen des patriarchalischen Herrschaftsmodells« zu verstehen sei (S. 182).

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Eine Fortsetzung des Zeremoniells
mit anderen Mitteln?

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Auf der Basis eines umfangreichen Korpus von Beschreibungen höfischer Hochzeiten – 215 Titel vom Beginn des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, die im Anhang detailliert verzeichnet sind (S. 188–256) 3 – gelingt es dem Autor zu zeigen, dass medial und rhetorisch durchaus heterogene Texte zum casus Hochzeit aufgrund analoger Funktionen doch eine gemeinsame Textfamilie bilden, und insofern erweist sich der Versuch einer funktionalen Gattungsbestimmung als fruchtbar. Dabei setzt Rahn voraus, dass es dem Zeremoniell zukommt, »Textmodell der Festbeschreibung« (S. 6) zu sein.

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Ob die Festbeschreibung sich allerdings systematisch zwingend und historisch durchgehend als sekundäre Fort- oder »Umsetzung der medialen Kategorie ›Zeremoniell‹« (ebd.) – also als textuelles Supplement einer performativen, auf ästhetischen Effekt abgestellten Praxis – verstehen lässt, dies hängt von einigen nicht unstrittigen (Vor-)Annahmen ab. Insbesondere wäre zu fragen, inwiefern den Festbeschreibungen des 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine implizite Konzeption von Zeremoniell unterstellt werden darf, die in ihren Grundzügen aus der wirkungsästhetischen Theoretisierung des 18. Jahrhunderts gewonnen wird. Eine solche Annahme erlaubt es zwar beispielsweise, den inserierten und eingearbeiteten heterogenen Textsorten und Namenslisten eine klare repräsentative Funktion zuzuschreiben; 4 sie führt aber auch dazu, dass die historische Prozessualität der kategorialen Ausdifferenzierung des Zeremoniells, der Stabilisierung zeremonieller Zeichensysteme und der damit interdependenten Gattungskonstitution der Festbeschreibung weitgehend vernachlässigt werden muss. Kann man angesichts der radikalen epistemischen Umbrüche in der Frühen Neuzeit tatsächlich ein statisches Funktionsverhältnis zwischen dem Fest und seiner ›Beschreibung‹, zwischen Praxis und Diskurs annehmen? 5 Nur unter dieser Voraussetzung jedenfalls lässt sich aus dem supplementären Charakter der Festbeschreibung ein gattungskonstitutiver »poetologische[r] Grundwiderspruch« (S. 49) zwischen rhetorisch-ästhetischer Überwältigungsstrategie und dem Postulat der bedeutungssichernden Datenvermittlung ableiten. Fraglich scheint mir deshalb, ob die Diversität der Beschreibungen im 16. Jahrhundert, die sich ganz offensichtlich je spezifischen pragmatischen Umständen und unterschiedlichen Intentionen der Autoren verdankt, ohne weiteres als Symptom einer der Gattung von Anfang an inhärenten »›Wettbewerbssituation‹ der Dokumentationsalternativen« (S. 95) zu verstehen ist. Wenn darüber hinaus bereits die frühen Texte nach Maßgabe dieser Polarität einer gattungsgeschichtlichen ›Haupt‑‹ oder ›Nebenlinie‹ zugeordnet werden und der Typus der rhetorisch-poetischen Beschreibung entsprechend als »kurzlebige ›Nebenlinie‹ der Gattung« (S. 93) begriffen wird, dann bedeutet dies jedenfalls eine unnötige teleologische Nivellierung des historischen Prozesses, – auch in Anbetracht dessen, dass je nur Berichte über Hochzeiten, nicht aber eng verwandte Texte zu anderen casus berücksichtigt werden.

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Historisch plausibel sind hingegen Rahns Thesen zur Gattungsentwicklung nach dem Westfälischen Frieden: Mit der Durchsetzung der Prosarelation tritt die Funktion der nachträglichen Sicherung des zeremoniellen Zeichensystems gegenüber der einer Evokation ästhetischer Intensität in den Vordergrund. Bedingt durch den Wandel des Zeremoniellverständnisses und der Festbeschreibungstopik im Zuge der Aufklärung führt dies wiederum zu einem »Neubeginn der Gattung« (S. 163).

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Decorum und Faktentreue

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Unnötig ist die teleologische Nivellierung der Gattungsgeschichte auch deshalb, weil Rahns textnahe und differenzierte Analysen durchaus komplexe Realisierungen im Gattungsspektrum zwischen den beiden gegenläufigen Funktionszuschreibungen sichtbar machen. Mitunter scheint jedoch die Beobachtung entsprechender Spannungen eher den bereits vorausgesetzten »poetologischen Grundwiderspruch« (S. 49) zu bestätigen als an den Texten selbst belegbar zu sein.

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Dies zeigt sich bei Wirrichs Hochzeitsbeschreibung etwa daran, dass Rahn die vom Autor thematisierte Forderung des decorum bzw. der zier als dessen selbstgesetzten Anspruch versteht, den »sinnlichen Überfluß des Festes« im Text durch entsprechende rhetorisch-ästhetische Verfahren zu reproduzieren (S. 140). Dementsprechend wird die Entschuldigung des Autors für seine unzulängliche Auswahl und Anordnung der Informationen über das Fest als Indiz für ein Bewusstsein von der gattungsinhärenten Spannung begriffen, die durch die Reproduktion des »sinnlichen Überflu[sses]« virulent werde. Im Gegensatz dazu sieht Rahn in den von Wagner inserierten Textsorten nicht allein den Faktizitätsanspruch an die Berichterstattung befriedigt, sondern auch die Forderung nach »stilistische[r] Amplifikation« eingelöst (S. 122). Das im Text vorgebrachte Stilideal der Zierlichkeit offenbare hier ein »gattungstypologisches Bewußtsein«, das von der »decorum-Strategie« in der Festbeschreibung Wagners zeuge, Fakten zu amplifizieren, damit sie durch »Überinformation« als Prachtargument fungierten (S. 121 f.). So besteht für Rahn die Zier(lichkeit) bei Wirrich und bei Wagner in äußerlicher Pracht, die von den Berichterstattern zur Vermittlung der Festästhetik rhetorisch unterschiedlich bewältigt wird. Rahn setzt die jeweilige Rhetorisierungsleistung ins Verhältnis zur Faktenvermittlung, um das Gegenläufige beider Verfahren herauszustreichen. Es scheint, dass von vornherein zwei stilistische Ansprüche in der Gattung konkurrieren, unter denen die Festbeschreibung das Zeremoniell zwingend »gegen dessen aporetische Sinnlichkeitsstrategie« (S. 41) vermitteln müsse.

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Wenn jedoch von zier die Rede ist, dann lässt sich dies im historischen Kontext kaum auf den Aspekt einer redundanten Ästhetisierung beschränken, die faktenorientierter Sachlichkeit entgegen stünde. Der Hinweis auf das rhetorische decorum bedeutet (auch) hier zunächst nicht eine Lizenz zu poetischer Redundanz (die dem Gebot der Faktentreue widerspräche), sondern in erster Linie eine Norm des angemessenen Verhältnisses zwischen Stil und sozialem Rang. 6 Für Wirrich kann diese Forderung aber gleichermaßen und widerspruchslos durch die ›zierliche‹ Einkleidung des Festgeschehens in Reimpaarverse erfüllt sein wie auch durch ›informative‹ Elemente, etwa die gliedernden Marginalien oder die (von Rahn nicht erwähnten) eingefügten Schemata und Listen. Generell lässt sich jedenfalls für die Festbeschreibungen der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts noch annehmen, dass die Gattungserwartung unter dem Aspekt des decorum eine Vielfalt unterschiedlicher textueller Formen und diskursiver Modi einschließen kann, deren Divergenzen und Konkurrenzen poetologisch kaum relevant werden. 7

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Resümee

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Der Erkenntnisgewinn der Pionierarbeit Rahns liegt vor allem in der durch sorgfältige und detaillierte Interpretationen untermauerten Reflexion des funktionalen Verhältnisses zwischen dem festlichen Zeremoniell und seiner Beschreibung. Die gattungssystematischen Beobachtungen, in welchen Hinsichten das Zeremoniell die Topik der Festbeschreibung bestimmt und auf welche Weise diese die Semantik des Zeremoniells nachträglich absichert, sind wegweisend für das Verständnis der frühneuzeitlichen Festbeschreibung. Sie können darüber hinaus den Ausgangspunkt bilden für weitere Erkundungen zu den Umständen und Prozessen der Gattungsgenese.

 
 

Anmerkungen

Christian Wagenknecht: Die Beschreibung höfischer Feste. Merkmale einer Gattung. In: August Buck / Georg Kaufmann / Blake Lee Spahr / Conrad Wiedemann (Hg.): Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert. Vorträge und Referate gehalten anläßlich des Kongresses des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Renaissanceforschung und des Internationalen Arbeitskreises für Barockliteratur in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel vom 4. bis 8. September 1979. 3 Bde. (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 8–10) Hamburg: Hauswedell 1981, Bd. 2, S. 75–80; Dieter Breuer: Höfische Sprache und Sprachwandel in Festbeschreibungen des Münchner Hofes. In: Ebd., S. 81–88.   zurück
Es handelt sich dabei um die aktualisierte und erweiterte Fassung einer im Jahr 2000 bei Jörg Jochen Berns entstandenen Dissertation. Kapitel I und IV der Studie stimmen zu großen Teilen mit bereits publizierten, im Literaturverzeichnis notierten Aufsätzen Rahns aus den Jahren 1993, 1995 und 2005 überein. Die Darstellung wirkt dadurch zum Teil additiv: Überleitende Erklärungen des argumentativen Zusammenhangs, in dem die in sich sehr dichten und detailreichen Kapitel zu sehen wären, und eventuell auch ein abschließendes Resümee wären hilfreich gewesen.    zurück
Der aus dem Jahre 1860 stammende Druck von Jakob Frischlins Festbeschreibung (Nr. 39) kann inzwischen teilweise durch eine neue Ausgabe ersetzt werden, die das erste Buch und die Holzschnittillustrationen des Werks enthält: Jakob Frischlin: Drey schoene und lustige Buecher von der Hohenzollerischen Hochzeyt. Unter Mitarbeit von Mathias Mutz hg. von Casimir Bumiller. (Bibliotheca suevica 5) Konstanz: Isele 2003.   zurück
Für den Historiker mag es ohne weiteres plausibel sein, dass sich anhand von Furier- und Futterzettel »im Zeichensystem des Zeremoniells der Grad von Magnifizenz bemessen läßt« (S. 79), weil diese Texte das jeweilige Kontingent von Gefolgsleuten zu rekonstruieren erlauben. Dem Literarhistoriker hingegen wird nicht unmittelbar einleuchten, weshalb Magnifizenz gerade durch ein Inserat verwaltungstechnischer Textsorten vermittelt werden sollte – jedenfalls wenn er weder Reflexionen aus Fürstenspiegeln noch die Zeremonielltheorie des 18. Jahrhundert als Kontexte heranzieht. Die von Rahn aus einer 1707 entstandenen Festbeschreibung entnommene Begründung, dass von der Liste des Feuerwerksarsenals auf »›die Magnificenz […] geurtheilet werden [kan]‹« (zit. S. 65), bestätigt zwar grundsätzlich die Funktion eines solchen zeremoniellpragmatischen Textes, aber in der jeweiligen konkreten historischen Situation kann eine solche Liste ganz unterschiedlichen Zwecken dienen: Sie kann nachträglich ›Großmut‹ (magnanimitas) als virtus des rechten Maßes anzeigen; sie kann aber auch als Mittel des Gunsterwerbs intendiert sein. Insofern müssten jeweils nähere ökonomische und soziale Umstände berücksichtigt werden, bevor eine durch Analogieschluss gewonnene generelle Funktionsbestimmung greifen kann.   zurück
Vgl. Miloš Vec: Zeremonialwissenschaft im Fürstenstaat. Studien zur juristischen und politischen Theorie absolutistischer Herrschaftspräsentation. (Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte 106) Frankfurt/M.: Klostermann 1998, S. 299–301 und S. 326 f. Vec datiert die Zeit der Entstehung einer Zeremoniallehre auf die Mitte des 17. Jahrhunderts. Erst die nach dem Westfälischen Frieden aufkommende Zeremonialwissenschaft, die bekanntlich ihren Höhepunkt in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte, zeugt von einer reflexiven Diskursivierung des Zeremoniells. Die in diesem Zusammenhang von Vec behauptete »[f]unktionale Äquivalenz von Ceremoniel und Zeremonialdarstellung« (S. 227) bildet für Rahn den Ausgangspunkt seiner Untersuchung. Während jedoch Vec gegenüber Wagenknecht (Anm. 1) klarstellt, dass Zeremonialbeschreibungen nicht als »›Repräsentation der Repräsentation‹« (S. 230) zu verstehen sind, sondern an sich bereits Repräsentation sind, beruft sich Rahn vorbehaltlos auf Wagenknecht, ohne den Unterschied zwischen beiden Positionen zu markieren. Rahn fasst die Festbeschreibung vom 16. bis zum 18. Jahrhundert als Nachahmung und damit ›sekundär‹ auf und lässt epistemische Umbrüche in der Frühen Neuzeit weitgehend außer Acht. Welche Relevanz zum Beispiel die Krise der Repräsentation im 17. Jahrhundert für die Gestaltung von Zeremoniellen (und damit auch für ihre Beschreibung) haben kann, zeigt Georg Braungart: Der Tod des Körpers des Herrschers: Begräbnisrituale als Zeichenprozesse. In: Erika Fischer-Lichte (Hg.): Theatralität und die Krisen der Repräsentation. (Germanistische Symposien-Berichtsbände 22) Stuttgart: Metzler 2001, S. 28–41.   zurück
Vgl. zur Diskussion um das decorum im Naturrechtsdiskurs Franz Wieacker: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1967, S. 317; vgl. dazu Miloš Vec (Anm. 5), S. 49 ff. und S. 142, der auch die »Akzentverschiebung in der Decorum-Lehre von Sein auf Schein« (S. 150) mit Hinweis auf Volker Sinemus: Poetik und Rhetorik im frühmodernen deutschen Staat. Sozialgeschichtliche Bedingungen des Normenwandels im 17. Jahrhundert. (Palaestra 269) Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1978, S. 116 und S. 163 erläutert.   zurück
Vgl. Stefan Trappen: Gattungspoetik. Studien zur Poetik des 16. bis 19. Jahrhunderts und zur Geschichte der triadischen Gattungslehre. (Beiheifte zum Euphorion 40) Heidelberg: Winter 2001, bes. S. 53–77; vgl. Thorsten Burkard: Rhetorik in der Gattungspoetik der frühen Neuzeit: Die Dreistillehre bei Scaliger und in Jesuitenpoetiken des 17. Jahrhunderts. In: Wolfgang Kofler / Karlheinz Töchterle (Hg.): Pontes III. Die antike Rhetorik in der europäischen Geistesgeschichte. (Comparanda 6) Innsbruck: Studien Verlag 2005, S. 270–280.   zurück