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Napoleon versucht Akka zu erobern
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Napoleon hat das erste Drama Klopstocks geschätzt. Darauf lässt wenigstens die »Anekdote […] zur Ehre Bonaparte’s und Klopstocks« schließen,
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die 1802 in der Berlinischen Monatsschrift von Samuel Heinrich Catel berichtet wird, der sie wiederum von dem Comte de Lavalette gehört haben will. Dieser hatte Napoleon 1799 während des Ägyptenfeldzuges Klopstocks Der Tod Adams (1757) mit beträchtlichem Effekt vorgelesen:
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Würde wohl die ausgelassenste Einbildungskraft je Folgendes haben zusammen bringen können: Bonaparte, Klopstock, und Akra in Syrien! der Sänger des Messias und Adams, in der Nachbarschaft des Jordans und Euphrats, von dem Sieger Aegyptens gepriesen! Und doch ist es buchstäblich wahr, daß während der Belagerung von St Jean d’Acre, als Bonaparte auf das Geschütz wartete, welches Sir Sidney Smith inzwischen aufgefangen hatte, Dr. Lavalette ihm, zur Zerstreuung, Klopstocks »Tod Adams«, von der Frau von Genlis übersetzt, vorlas; und bei der Stelle, wo Kain seinem Vater flucht, von Bonaparte durch den Ausruf unterbrochen ward: Cela est grand! Cela est sublime! Cela est du dernier tragique! Die Stelle ward zwei- dreimal gelesen, und immer aufs neue bewundert.
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Dass gerade die Kains-Szene den Ausruf Bonapartes »Das ist groß! Das ist erhaben! Das ist im Äußersten tragisch!« hervorruft, mag daran liegen, dass sein Rezeptionshorizont bereits von einem ›romantischen‹ Erhabenen geprägt ist; möglicherweise ist es auch der textuellen Eigenheit geschuldet, dass die Kains-Szene als einzige Episode des »Trauerspiels«
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ansatzweise von einem dramatischen Konfliktmodell Gebrauch macht – was bereits Moses Mendelssohn in seiner weitgehend negativen Rezension von Der Tod Adams positiv hervorgehoben hatte.
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Zu dem Zeitpunkt, an dem der Comte de Lavalette für den frustrierten Befehlshaber der militärischen Expedition das in Prosa gefasste erste Drama Klopstocks deklamierte, war Der Tod Adams bereits ins Französische, Englische, Italienische und Dänische übersetzt worden
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und lag in einer versifizierten Übertragung von Gleim vor.
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Die Napoleon-Anekdote ist deshalb auch geeignet, den literaturhistorischen Sachverhalt zu unterstreichen, dass Der Tod Adams auch außerhalb des deutschen Sprachraums das erfolgreichste der drei biblischen Dramen Klopstocks war. Obwohl die beiden biblischen Königsdramen Salomo (1764) und David (1772) in mehren Hinsichten eher den zeitgenössischen Gattungserwartungen an »Trauerspiele« entsprachen, wirkten sie nicht annähernd so nachhaltig wie Klopstocks erstes Stück.
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Klopstocks Biblische Dramen
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Der fünfte Band der Hamburger Ausgabe der Werke Klopstocks stellt die erste historisch-kritische Edition der Fassungen der drei biblischen Dramen Klopstocks dar. Die hervorragende, von Monika Lemmel besorgte Edition bewegt sich durchweg auf dem hohen Niveau der heutigen editionsphilologischen Standards. Der Band stellt einen verlässlichen Text der biblischen Dramen zur Verfügung und bietet einen umfassenden und übersichtlichen Apparat mit Dokumenten zu ihrer Entstehungs-, Druck- und Wirkungsgeschichte. Die vorzügliche editionsphilologische Erschließung und Präsentation der biblischen Dramatik,
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die bemerkenswerte Gründlichkeit des Bandes, die sich auch in der präzisen Auskunft über die editorischen Prinzipien Ausdruck verschafft, lässt für die noch ausstehenden Bände der Werkabteilung der Hamburger Klopstock-Ausgabe (darunter so zentrale Werke wie die Oden und die Geistlichen Lieder) das Beste hoffen.
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Es stellt zudem einen großen Gewinn dar, dass der von Lemmel herausgegebene Band die unmittelbare Rezeption und kritische Diskussion der Dramen in einem umfangreichen Abschnitt mit Rezeptionszeugnissen detailliert darstellt. Die Lektüre dieser Dokumente verdeutlicht, wie stark sich weite Strecken der aktuelleren Diskussion zu Klopstocks Dramen (soweit sie überhaupt stattfindet) bereits in der zeitgenössischen kritischen Auseinandersetzung abgebildet finden. So sind die meisten Einwände, die noch heute gegen die biblischen Dramen Klopstocks erhoben werden, in Moses Mendelssohns Rezension in der Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste vorgeprägt.
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Klopstocks Drama, so Mendelssohn, sei weder ein »heroisches« noch ein »bürgerliches« Trauerspiel; wenn es sich überhaupt um ein »Trauerspiel« handle, dann am ehesten um ein »Schäfertrauerspiel«. Eigentlich sei die von Klopstock vorgenommene Gattungszuweisung aber verfehlt: Der Tod Adams sei ein »Gespräch«, gehöre deshalb als »drammatische[s] Werk[ ]« nur einer »niedern Gattung« an (S. 320). Die Charaktere seien psychologisch nicht komplex, sondern »von der äußersten Einförmigkeit« (S. 322). Das Drama sei äußerst handlungsarm, da sich der Stoff auf »Adam stirbt, und alle seine Angehörigen sind äußerst darüber betrübt« beschränke (S. 321); das wenige, was sich an episodischer Handlung wahrnehmen lasse, sei nur sehr lose oder gar nicht miteinander verbunden, erfülle deshalb weder (werkpoetologisch) für das Gesamtdrama (S. 324) noch (wirkungspoetologisch) im Hinblick auf eine Bühnenaufführung seine Funktion (S. 323). Diese Kritik, die nicht unwidersprochen geblieben ist,
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wird von Johann Gottfried Herder in seiner Rezension des David in der Allgemeinen deutschen Bibliothek präzise pointiert,
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wenn er für die drei biblischen Dramen zusammenfasst, dass es sich um keine »Trauerspiele«, streng genommen nicht einmal um »theatralische[ ] Stück[e]« handle (S. 372).
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Diese Position nimmt auch noch Gerhard Kaiser in seiner Maßstäbe setzenden Klopstock-Monographie ein, wenn er hervorhebt, dass Klopstocks drei Bibeldramen keine »dramatische[n] Handlungen und Charaktere« zu bieten haben
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und dass sie alle »ohne thematische Einbuße als große Monologe der Helden« denkbar wären.
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Die merkwürdige Orts-, Zeit-, und Handlungslosigkeit der biblischen Dramen Klopstocks, die ihnen eigene Abwesenheit von Konfliktmodellen des heroischen oder bürgerlichen Trauerspiels, die Konzentration auf die Erfassung eines einzigen subtilen Seelenvorgangs, mögen andeuten, wie sehr Klopstocks Bibeldramen von den etablierten Exempeln und Normen des Trauerspiels um 1750 abweichen.
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Literaturhistorisch gesehen, stellt sich hier die interessante Frage, wie es zu dieser »Anomalie« kommen konnte – zu einer Anomalie zudem, die Klopstock selbst als eine solche erkennt, wenn er im Vorbericht zu Der Tod Adams darauf hinweist, dass das Drama »niemals wird aufgeführt werden können« (S. 5), dass es »nicht aufs Theater gehöret« (S. 6), dass er es aber »auch nicht zu diesem Endzweck gemacht« habe (S. 5). Weshalb hat sich Klopstock dann dieser Form bedient? Obwohl die detaillierte Rekonstruktion der Motivationszusammenhänge Klopstocks nicht Teil einer historisch-kritischen Ausgabe seiner Dramen sein kann, hätte sich sicherlich der eine oder andere Benutzer gewünscht, dass sich von den diesbezüglichen Kenntnissen, die auf Herausgeberseite während der Erstellung der Ausgabe akkumuliert worden sein müssen, etwas größere Mengen im Kommentar der Ausgabe wieder finden.
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Ein Beispiel: In seinem Vorbericht zu Der Tod Adams, in dem Klopstock sich mit der Frage auseinandersetzt, ob eine Dramatisierung von biblischen Stoffen legitim sei,
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erwähnt er zwei französische Dramen: Corneilles Polyeucte Martyr (1634) und Racines Athalie (1691).
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Wie sich seinem »Arbeitstagebuch« entnehmen lässt, hat sich Klopstock während der Niederschrift seines ersten Dramas mit der Athalie von Racine befasst.
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Leider bleibt aber die Frage ungeklärt, welcher Rezeptionshorizont und Motivationshintergrund für Klopstocks Umgang mit der späten Racine-Tragödie maßgeblich war. Hier wären möglicherweise Hinweise zur eigentümlichen, auch von Boileaus Vorgaben abhängenden deutschen Rezeption von Racines Athalie
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ebenso hilfreich gewesen wie philologische Fingerzeige zum konkreten Rezeptionsweg Klopstocks: Immerhin werden die im Vorbericht genannten Tragödien von Corneille und Racine in genau dieser Zusammenstellung auch in Breitingers Critischer Dichtkunst erwähnt
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– und dort bezeichnenderweise in einem Dubos-Zitat, das um die Möglichkeit einer Verbindung von Wunderbarem und Religion kreist.
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Darüber hinaus schließt die Diskussion mit dem Grafen von Bernstorff, in der Klopstock am 28. Dezember 1755 apologetisch auf die Athalie von Racine zu sprechen kommt,
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an die Deklamation des Anfangs des 10. Gesangs des Messias an – dabei handelt es sich um genau den Gesang, an dessen Ende sowohl das Gebet Adams am Kreuz stattfindet
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als auch der Messias, kurz nachdem er von dem Todesengel besucht wurde, schließlich stirbt.
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Ein Benutzer der Ausgabe, der sich für die intertextuellen Bezüge innerhalb des Klopstockschen Œuvres interessiert, wäre sicherlich für die Aufschlüsselung der Bezüge zwischen dem Tod Adams und dem Messias dankbar gewesen – sowohl was Bezüge zwischen der Figur des Adam im Drama und im Epos angeht, als auch hinsichtlich der typologischen beziehungsweise präfigurativen Bezüge zwischen Adam und Jesus Christus (beide werden kurz vor ihrem Tod von dem Todesengel besucht und lassen sich hinsichtlich ihrer Erschütterung angesichts des nahenden Todes möglicherweise sinnvoll aufeinander beziehen).
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Diese Hinweise, die allesamt die kontrovers diskutierte Frage nach der angemessenen Einrichtung eines erklärenden Kommentars in einer Historisch-kritischen Ausgabe betreffen, sollen keineswegs als grundsätzliche Einwände gegen die außerordentlich hilfreiche und ausgezeichnet handhabbare Edition der Bibeldramen verstanden werden. Sie werden an dieser Stelle nur deshalb formuliert, weil die vergleichsweise gering beforschten
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und heute nicht einmal mehr in universitären Seminaren gelesenen Bibeldramen sicherlich von einem umfassenderen Kommentarteil profitiert hätten,
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der dann auch Raum für Hinweise auf die klopstocktypischen formalen Eigenschaften der Bibeldramen geboten hätte.
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Denn die formalen Eigenschaften vor allem des ersten Dramas sind es, die literaturhistorisch (zum Teil untergründig) Wirkung entfaltet haben – dies hat unter anderem Ingrid Strohschneider-Kohrs anhand ihrer Analysen des »innerpsychisch-monologischen« Formrepertoires in Der Tod Adams, seiner ansatzweise monodramatischen Gattungstypik und seines innovativen Prosastils, plausibel gemacht.
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Klopstock versucht die Tragödie zu erobern
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In Klopstocks biblischen Dramen wird »der besondere Mensch zum Menschen schlechthin, der in seiner Kreatürlichkeit für alle seine Brüder steht.«
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Der poetische Universalismus Klopstocks, der sich in seinem Vorbericht zu Der Tod Adams Geltung verschafft, speist sich aus dem religiös abgesicherten Universalismus des Dramengegenstands. Nirgendwo findet sich dieses Vertrauen in die Überlegenheit des christlichen Stoffes pointierter ausgedrückt als in der »Vorrede« zum Druck seiner Dramen in der Göschen-Werkausgabe: »Amicus Homerus, amicus Maro, magis amica carminis veritas.«
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Die Dignität des Gegenstandes machte es notwendig, ihn in Form einer der höchsten Gattung zu bearbeiten.
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Nach der erfolgreichen ›Eroberung‹ der höchsten Gattung mit dem Messias habe sich der immer agonal denkende Klopstock,
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so die Vermutung eines anonymen Rezensenten des Salomo im Jahre 1764, deshalb in seiner Ruhmesgewissheit an einer ›Eroberung‹ der zweithöchsten Gattung, der Tragödie versucht:
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Ihnen, H. Klopstock! ist es gegangen wie den Helden, die nach Eroberung dürsten. Immer geitzig nach Lorbeern und neuen Eroberungen führen diese ihre Heere von einem Lande zu andern. Sie sind glücklich ein Reich ein zu nehmen, worauf sie einige Ansprüche machen können. Die Vorstellung ist süß: Könntest du deine Herrschaft doch weiter ausdehnen, könntest du doch noch in irgend einem andern Reich, worauf du kein Recht hast, deinen Thron aufschlagen. Gewünscht! gethan! Sie ziehen aus zum Erobern und werden – geschlagen. Eben dies Schicksal haben Sie gehabt. Die Epopee ist ihr Feld, hier wachsen ihre Lorbeern, hier mögen Sie herrschen; aber das Trauerspiel ist gar nicht ihre Sache.
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Das Trauerspiel, in seinen um 1750 etablierten Darstellungsformen und Wirkungsfunktionen, war Klopstocks Sache nicht. Hätte Napoleon 1799 während seiner Belagerung von Akka nur die tadellose Edition der Biblischen Dramen zur Hand gehabt; er hätte in der darin verzeichneten Rezeptionsgeschichte, die immer auch eine Geschichte der gewonnenen und verlorenen »Lorbeern« ist,
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bereits ein literarisches Beispiel dafür gefunden, welche Folgen die Überdehnung der eigenen Herrschaftsansprüche gelegentlich nach sich ziehen kann.
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