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Die höchsten Weihen oder: Dauerhafter Glanz für den Dichterlorbeer

  • John L. Flood: Poets Laureate in the Holy Roman Empire. A Bio-bibliographical Handbook. 4 Bände. Berlin, New York: Walter de Gruyter 2006. CCLXXIV, 2529 S. 46 Abb. EUR (D) 448,00.
    ISBN: 978-3-11-018100-5.
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Angesichts dieses in jeder Hinsicht voluminösen Werks (4 Bände!) stellt sich zuerst unwillkürlich die Frage: Wozu ein Kompendium über ›Poetae laureati‹?

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Flood selbst beginnt sein ›Opus magnum‹ im Vorwort bescheiden so: »The laureation of poets is undoubtedly less a piece of literary history than a somewhat curious aspect of cultural history«, auch wenn »the practice may be traced back to antiquity and survives even to our own day« (S. v). Flood betont auch immer wieder, das Werk sei nur ein Ausgangspunkt für weitere Forschungen.

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Doch schlägt man das Inhaltsverzeichnis im ersten Band auf, gerät man ins Staunen und bekommt schon hier einen Eindruck von der Akribie und der Mühe des Verfassers – und in welchem Maße es ihm gelungen ist, den Stoff anschaulich und möglichst benutzerfreundlich darzustellen: Da in diesem Inhaltsverzeichnis nicht nur darauf hingewiesen wird, auf welchen Seiten sich welche Kapitel des Werkes finden lassen, sondern auch alle mit dem Dichterlorbeer dekorierten Persönlichkeiten mit Geburts- und Sterbejahr alphabetisch aufgeführt werden, erhält der Leser bereits hier eine sehr anschauliche Übersicht.

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Eine »Introduction« –
und viel mehr als das

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Besonders hervorzuheben ist die Einleitung, denn dem Autor ist es gelungen, auf über 200 Seiten fundiert – doch gleichzeitig (ganz im Sinne der Dichtungstradition) »angenehm und nützlich« zu lesen – nicht nur über die Geschichte der Dichterkrönungen zu informieren, sondern eine Kultur- und Literaturgeschichte in nuce zu schreiben: Der Leser erfährt zuerst Daten und Fakten zu Geschichte und ›Einrichtung‹ des Heiligen Römischen Reiches, die als Hintergrundwissen unerlässlich sind. Dem schließt sich die Schilderung der Ursprünge in der griechischen und römischen Antike an sowie eine Diskussion über mögliche Vorstufen der Dichterkrönung im mittelalterlichen Europa.

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Die folgenden Kapitel widmen sich den ersten – bereits vom Humanismus geprägten – Dichterkrönungen im eigentlichen Sinne: zuerst in Italien, und hier speziell die Verleihung des Lorbeers an Petrarca zu Ostern 1341 in Rom, die Maßstäbe setzte: »[...] he came to be regarded as the very model of the Poet Laureate« (S. lxvii). Die Poeten empfingen die Auszeichnung durch den Kaiser, den Papst oder andere Herrscher. Der erste »German-born Latin poet«, der den Lorbeer erhielt, war Conrad Celtis, der 1487 von Kaiser Friedrich III. gekrönt wurde (dazu ausführlich S. lxxxiv ff.). Im Zusammenhang mit der Anordnung von dessen Nachfolger, Maximilian I., Celtis dürfe selbst in seiner Funktion als Poetik- und Rhetorikprofessor am neu gegründeten ›Collegium poetarum et mathematicorum‹ an der Universität Wien entsprechende Kandidaten zum Dichter krönen (ein ›privilegium creandi poetas‹, das Celtis in seinem Testament der Universität Wien vererbte), werden die ›Insignia‹ dieser neuen ›Poetae laureati‹ vorgestellt (S. xcviii f.). Zu betonen ist, dass auch in dieser Frühzeit ein Anwärter auf die höchsten Weihen nur über entsprechende Kontakte zu seiner Würde gelangte (S. ciii). Sehr aufschlussreich sind die Listen der ›Poetae laureati‹, die von den verschiedenen Kaisern in höchst unterschiedlicher Zahl gekrönt wurden.

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Es gab aber vom sechzehnten Jahrhundert an noch eine andere Möglichkeit, zum Dichterlorbeer zu gelangen – durch die ›Comites Palatini‹ oder (Hof-)Pfalzgrafen, wie im Folgenden (S. cxxi ff.) ausführlich und mit entsprechenden Listen erläutert wird. Ebenso intensiv widmet sich Flood den Dichterkrönungen an den beziehungsweise durch die Universitäten (S. cxxxvi ff.) und steuert darüber hinaus einiges Wissenswerte zur damaligen Universitätslandschaft bei.

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Sehr wichtig ist das Kapitel über »The Legal Status and Social Standing of Poets Laureate«: Hier erhält der Leser in gedrängter Form eine Zusammenfassung dessen, was in den vorausgehenden Kapiteln in Bezug auf die Person des ›Poeta laureatus‹ jeweils kurz umrissen worden war: So, dass die Dichterkrönung der Verleihung eines akademischen Magister- oder Doktortitels entsprach »and entitled the bearer to teach at any university« (S. clix), der Kandidat sich zuerst einem Examen unterziehen musste, der Ablauf der Zeremonie das Schwören eines Eides, dann die Verleihung von Ring und Lorbeerkranz beinhaltete, dass ein bestimmtes Mindestalter vorgesehen war. In diesem Zusammenhang erörtert Flood auch die durchaus nicht eindeutige Terminologie zur Bezeichnung von gekrönten Dichtern.

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Doch warum erstrebt ein Dichter den Lorbeerkranz? Im Vordergrund stand die damit verbundene Anerkennung und das Bekanntwerden in der Öffentlichkeit, die Förderung durch Mäzene und nicht zuletzt die Möglichkeit einer Anstellung (S. clxx ff.). Festzuhalten bleibt jedoch die (erstaunliche?) Tatsache, dass, wie Flood bemerkt, »laureation implied little about the poet´s work and its artistic quality« (S. clxxiv). Dazu kommt, dass die Verleihung eines solchen Titels im wahrsten Sinne des Wortes ihren Preis hatte und die ›Comites Palatini‹ dadurch oft eine ergiebige Einnahmequelle besaßen (S. clxxiv ff.). Und wenn ein Dichter erst einmal den Lorbeerkranz errungen hatte, verlieh er nicht selten seinem Stolz darüber durch entsprechendes Auftreten Ausdruck – so soll sogar ein Simon Dach nicht ohne diese ehrenvolle Haupteszierde aus dem Haus gegangen sein (S. clxxviii).

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Unabdingbar für Literaturwissenschaftler ist der Abschnitt »The Role of Poetry and the Duties of the Poet« (S. clxxxii ff.) mit der darin dargestellten Bandbreite an poetischen Betätigungsfeldern, die von dem Dichter, der für ›public relations‹ am Fürstenhof zuständig ist, bis zu den Verfassern von Casualcarmina reicht – und wieder ist die Fülle an weiterführenden Hinweisen zu bewundern, die der Autor scheinbar beiläufig liefert (in diesem Abschnitt zum Beispiel eine umfangreiche Liste zeitgenössischer Poetiken). Ein Beispiel für den Stellenwert von Floods ›Opus magnum‹ ist jedoch vor allem die Einführung zum Thema ›Gelegenheitsdichtung‹, die, wie andere Zusatzinformationen in diesen Kapiteln, weit über das hinausgeht, was der Leser von sich aus erwartet.

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Nach Kapiteln zur »Proliferation of Poets in the Seventeenth Century« und »Poetry in German« (unter anderem zu Opitz und den ›Poetae laureati‹ in den Sprachgesellschaften) ist ein Abschnitt besonders hervorzuheben: »The Laureation of Women«, der sich nicht ›nur‹ mit Dichterinnen, sondern auch allgemein mit der Diskussion um ›gelehrte Frauen‹ befasst. Auf diese ›hochgelahrten‹, in ihrer Detailfülle überbordenden Ausführungen zu den höchsten Weihen des Musenzöglings folgt schließlich ein eigenes Kapitel zur Kritik an unfähigen, dennoch gekrönten Poetastern und am Dichterlorbeer-Verleihungswesen, gewürzt mit bissigen Zitaten, die aus so unterschiedlichen Werken wie den Epistolae obscurorum virorum (1515) bis zu der Satire Reime dich, oder ich fresse dich (1673) und einer Hochschulschrift aus dem 18. Jahrhundert stammen.

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Die Einleitung endet mit »The Eighteenth Century and the End of the Holy Roman Empire«, »The Laureation of Poets in England and elsewhere« (zu beachten: Seit der Zeit von John Dryden wird in England bis auf den heutigen Tag ein ›Poeta laureatus‹ ernannt, der Mitglied des Königlichen Haushalts ist...) und »Late echoes« in der Gegenwart. Nur am Rande sei erwähnt, dass Flood in diesen ganzen Kapiteln Gedichte, Urkunden und weitere Zeit-Zeugen oft in voller Länge für sich sprechen lässt und benutzerfreundlich umfangreichere lateinische Zitate ins Englische übertragen hat.

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Bio-bibliographies
of the Poets Laureate

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Nach dieser Monographie über Dichterkrönung werden hier und in den anderen drei Bänden in alphabetischer Reihenfolge die Poeten aufgeführt, »more than thirteen hundred poets who bore, or are said to have borne, the title Poeta Laureatus Caesareus (or Poeta Laureatus, Poeta Coronatus, abbreviated as P.L.C., P.L. or P.C.) by imperial authority in the Holy Roman Empire and associated domains« (S. xli), wie in den Erläuterungen im ersten Band zu lesen ist. Zweck des Handbuchs soll es ja sein, »to serve as a finding list« (S. 3). Wichtig ist dabei: »This book helps to throw light on the extensive networks of contacts many of these poets maintained with their contemporaries« (S. 7).

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Die Artikel zu den einzelnen ›Poetae laureati‹ sind alle nach demselben Schema aufgebaut: Nach der Nennung von Namen, Geburts- und Sterbedatum in der Kapitelüberschrift folgen stichwortartig »Date of laureation«, »Place of laureation« und »Performed by / on behalf of« (also die Nennung desjenigen, von dem der Neugekrönte seine Würde empfangen hat). Dem schließt sich ein sehr informativer Lebensabriss an, der alles enthält, was über die Vita des Poeten zu ermitteln war. Für weitere Forschungen von Bedeutung ist, dass Flood hier nicht nur auf (zum Teil weit entlegene) Quellen eingeht, sondern auch strittige oder unklare Punkte im Lebenslauf anhand der vorhandenen Literatur diskutiert. Im Schema folgen Hinweise auf Porträts des Dichters, dann werden in alphabetischer Reihenfolge dessen Werke genannt (mit Angabe von besitzenden Bibliotheken, teils mit Signatur), anschließend (chronologisch) etwaige Editionen, »Reference works« (also zum Beispiel ADB oder Jöcher), dann (ebenfalls chronologisch) »Secondary literature« (bis einschließlich 2006).

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Appendices und Indices
– gewichtige Kapitel für sich

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Drei Appendices schließen sich an: Appendix A listet – wieder in alphabetischer Ordnung – die »Papal Poets Laureate« auf. Appendix B »lists the names of men – some real, others fictitious, some merely bibliographical ghosts [!] – who have sometimes been held to be (imperial) poets laureate but who were certainly not holders of the title« (S. 2346). Appendix C nennt die »Poets Laureate in England«.

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Dann folgen weitere äußerst nützliche Listen: Zuerst eine »Chronological List of Laureations«, beginnend mit dem 24. Mai 1355 und der Ehrung in Pisa für Zanobi da Strada, endend 1804 mit der Ehrung für K. Reinhard in Minden; nach jedem Namen wird auf die entsprechende Seitenzahl im Handbuch verwiesen. Eine alphabetische Liste der »Places at which Laureations were Performed« schließt sich an, ferner werden ebenfalls alphabetisch »Persons and Authorities Conferring the Title of Poeta laureatus« aufgeführt. Das sehr informative nächste Kapitel liefert in Stichworten »Biographical notes on the Counts Palatine and other Dignitaries conferring the title of Poeta Laureatus on behalf of the Emperors«. Auflistungen von »Dates of the Holy Roman Emperors and other Potentates« sowie »Foundation dates of Universities in the Holy Roman Empire« runden diese Sachinformationen ab und helfen dem Leser bei der Einordnung des einzelnen Poeten genauso wie als immens nützliches Nachschlagewerk im Kleinen.

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Bibliography and
Abbreviations

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Was sich unter dieser sachlichen Überschrift verbirgt, ist nichts weniger als ein umfassendes Kompendium – nicht nur in Zusammenhang mit ›Bio-Bibliographie‹ im weitesten Sinne – seien dies Monographien, Nachschlagewerke, Zeitschriften, ... Und es sei allen als unentbehrliches Hilfsmittel ans Herz gelegt, die sich in irgendeiner Form mit der (Kultur-)Geschichte dieser Epoche(n) befassen (übrigens sind auch Neuerscheinungen bis einschließlich 2006 berücksichtigt). Als sei dies alles nicht genug, schließt der vierte Band mit einem »General Index« und mit »Addenda«.

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Resümee

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Auch wenn der Autor bescheiden die Worte des Ausonius zitiert: »Alius alio plus invenire potest; nemo omnia« (S. xlv), so hat er mit diesem Werk ein akribisch recherchiertes, dabei zumal in der Einleitung faszinierend zu lesendes Find- und Fundbuch geschaffen, das Maßstäbe setzt; ein unerlässliches Quellen-Buch für viele verschiedene Fachrichtungen, das in keiner Bibliothek fehlen sollte – und das, (in Abwandlung eines wohl allseits bekannten Zitates...) nachdem sich der Vorhang geschlossen hat, wohl keine »Fragen offen« lässt.