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Von Salpeter, Brandsätzen und Geschützen

Ein neu entdeckter Text zur mittelalterlichen Kriegskunst

  • Hans Blosen / Rikke Agnete Olsen (Hg.): Johannes Bengedans’ bøssemester- og krigsbog om. Krigskunst og Kanoner. Aarhus: Universitetsforlag Aarhus 2006. 2 Bde: 287 + 149 S. Leinen. EUR (D) 66,95.
    ISBN: 978 87 7934 162 3.
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Das ausgehende 14. Jahrhundert und die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts sind gekennzeichnet durch einen tief greifenden und raschen Wandel in der Kriegführung. Die langjährigen militärischen Auseinandersetzungen wie der Hundertjährige Krieg, die Türkenkriege oder auch die Hussitenkriege haben gewaltige Veränderungen in der Kriegsstrategie und in der Kriegstechnik hervorgebracht. Das Scheitern der Ritterheere und die immer größer werdende Bedeutung der Fußtruppen, die mit ihren Distanzwaffen, den Hellebarden, Langbogen und schließlich den Feuerwaffen, eine neue Art der Kriegsführung brachten, markieren ganz entscheidend diesen Umbruch. Berühmte Beispiele für diesen Wandel sind Schlachten wie etwa die von Sempach (1386), Nikopolis (1396) und Azincourt (1415). Ohne diese epochalen Veränderungen wäre das Aufkommen der kriegstechnischen Literatur am Ende des 14. Jahrhunderts undenkbar. Am Beginn dieser neu aufkommenden Fachliteratur steht Konrad Kyesers Bellifortis, das erste illustrierte Buch über die Kriegstechnik. Seine Entstehung und Funktion waren, wie Udo Friedrich aufzeigen konnte, eng mit dem gescheiterten Kreuzzug gegen die Türken bei Nikopolis verbunden, an dem Kyeser selbst teilnahm. 1

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Die Gattung der deutschsprachigen Büchsenmeister- und Kriegsbücher hat erst vor wenigen Jahren Rainer Lenk in seiner Würzburger Habilitationsschrift grundlegend dargestellt und in seinem Katalogteil über 200 Handschriften beschrieben. 2 Aus Zeit- und Kostengründen musste er sich jedoch auf die Handschriften in den Bibliotheken des deutschen Sprachraums beschränken.

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Das Büchsenmeister- und Kriegsbuch des
Johannes Bengedans – Ein Neufund

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Eine dänische Arbeitsgruppe, bestehend aus den beiden Philologen Hans Blosen und Bendt Falkesgaard Pedersen, dem Chemiker Frede Storbog und den Historikern Aage Andersen und Rikke Agnete Olsen, hat nun einen neuen Text vorgestellt, der in der Darstellung von Leng aus den oben angeführten Gründen nicht berücksichtigt werden konnte. Das Werk ist demnach nur in einer einzigen Handschrift überliefert, die heute in der Arnamagnæanischen Sammlung der Universität Kopenhagen unter der Signatur AM 374 fol. aufbewahrt wird. Der Autor dieses illustrierten Büchsenmeister- und Kriegsbuches ist Johannes Bengedans, der dieses in der Mitte des 15. Jahrhunderts eigenhändig niederschrieb. In der Forschung war bislang nur seine Existenz, nicht jedoch sein Inhalt bekannt. In der hier anzuzeigenden Publikation wird in einem aufwendig gestalteten Faksimile- und Kommentarband das Werk unter dem Titel Kriegskunst und Kanonen erstmals herausgegeben und analysiert.

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Im Mittelpunkt des ersten Bandes steht das mehrfarbige Faksimile (S. 25–184) der einzigen erhaltenen Handschrift des Werkes. Vorangestellt sind nach dem Vorwort (S. 6 f.) ein Abschnitt über den Autor und sein Werk (S. 8–18) und eine Übersicht der einzelnen Kapitelüberschriften mit Übersetzung (S. 19–22). Dabei werden grundsätzlich alle von den Herausgebern stammenden Kommentare bzw. Übersetzungen zweisprachig, d.h. in Dänisch und Deutsch, geboten. Der zweite Band, der Kommentarband, bietet die Transkription des Textes (S. 6–59), Bengedans erhaltene drei Originalbriefe ebenfalls im Faksimile und Übersetzung (S. 60–83), die Beschreibung der Trägerhandschrift (S. 84–101), ein Abschnitt über die Sprache des Werks (S. 102–112) sowie verschiedene Register zur Chemie, zu Gewichten und Maße und zur Kriegstechnik (S. 113–140). Eine Literaturliste und eine Zusammenfassung auf Englisch runden diese vorbildliche Monographie ab, die überdies durch ihre vorzügliche Ausstattung und nicht zuletzt (wohl dank der Zuschüsse verschiedener dänischer Kulturstiftungen) durch ihren äußerst niedrigen Preis hervorsticht.

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Zum Autor

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Auf den Autor Johannes Bengedans hat zum ersten Mal 1969 der Medizinhistoriker Christian Probst hingewiesen, als er im Rahmen seiner von dem Göttinger Historiker Hermann Heimpel angeregten Dissertation Der Deutsche Orden und sein Medizinalwesen in Preußen die damals in Göttingen aufbewahrten Akten des Deutschen Ordens erforschte. 3 Dabei hatte er u.a. auch einen Brief von Bengedans entdeckt, den dieser eigenhändig um 1451 an den Hochmeister des Deutschen Ordens Ludwig von Erlichshausen geschrieben hatte, um sich als Büchsenmeister zu empfehlen. In diesem Schreiben umriss Bengedans seine kriegstechnischen Fertigkeiten und verwies auf ein von ihm selbst gedichtetes und aufgezeichnetes Werk über die Kriegskunst, das er dem Hochmeister bereits früher einmal gezeigt habe. Im Verfasserlexikon, dem grundlegenden Nachschlagewerk der deutschen Texte des Mittelalters, hat Probst seine Beobachtungen zusammengefasst und darauf hingewiesen, dass sich von diesem Text eine Handschrift in der Kopenhagener Universitätsbibliothek befindet. Eine Signatur der Handschrift konnte er allerdings nicht angeben und auch keine Hinweise auf das Werk selbst. 4

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Galt Bengedans bei Probst noch aufgrund der vermeintlichen Schreibsprache des Briefes als »Preuße aus einem der niederdeutschen Teile des Ordenslandes« 5 , so ist jetzt seine Herkunft durch seine Selbstnennung zu Beginn der Handschrift »Johannes bengedans van greuensten in hessen lant / der hot diß buch ghescriben mit syner hant« (1r) eindeutig geklärt. Darüber hinaus gelang es den Herausgebern durch den Schriftvergleich zwischen der Handschrift und den drei erhaltenen Briefen der Nachweis, dass der Kopenhagener Kodex von Bengedans eigener Hand geschrieben wurde. Demnach kommt Bengedans aus dem zwischen Kassel und Hofgeismar gelegenem Grebenstein. Sprachlich stammt er daher aus dem Grenzgebiet zwischen Hochdeutsch und Niederdeutsch. Aus dieser geographischen Lage seiner Heimat und möglicherweise durch seinen Aufenthalt im preußischen Ordensland erklärt sich, dass

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die Handschrift des Kriegsbuchs in verwirrender Weise zwischen Hochdeutsch und Niederdeutsch wechselt und zwar derart, daß neben hauptsächlich hochdeutschen Passagen hauptsächlich niederdeutsche und hochdeutsch / niederdeutsch gemischte stehen (II, S. 109).
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Die Quellen zu Bengedans Biographie sind spärlich. Auswerten ließen sich nur sein eigenhändig geschriebenes Büchsenmeisterbuch, drei ebenfalls von ihm selbst geschriebene Briefe aus der Zeit um 1451 an den Hochmeister des Deutschen Ordens Ludwig von Erlichshausen sowie ein Bericht über Verhandlungen, die der Deutsche Orden mit Erich von Pommern auf Gotland, dem Refugium des abgesetzten dänischen Königs, über den Kauf der Insel Gotland, führte und bei denen Bengedans als Teilnehmer der Gesandtschaft des Hochmeisters Konrad von Erlichshausen teilnahm.

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Neu hinzukommt jetzt ein Brief des Hochmeisters Konrad von Erlichshausen vom 1. Juli 1447 an die Stralsunder Bürger, in dem dieser von den Stralsundern die unverzügliche Freigabe eines von ihnen auf der Fahrt von Gotland nach Preußen gekaperten Danziger Schiffes und insbesondere die Rückgabe einer Kiste mit Geräten des hochmeisterlichen Büchsenmeisters Hans Bengedans, die in diesem Schiff transportiert wurde, fordert. Dieser Brief, der erst 2007 in der Forschung durch Dieter Heckmann im Rahmen seiner Untersuchung zu den Regesten und Texten zur Geschichte Preußens und des Deutschen Ordens bekannt gemacht wurde und der den Herausgebern noch unbekannt war, wirft neues Licht und neue Fragen zur Biographie Bengedans auf. 6 In diesem Brief schreibt der Hochmeister, dass Bengedans in früherer Zeit der Büchsenmeister von König Erich war und »nu unsir buxemeister, diener und hoeffgesinde« ist. 7

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Auf Grund dieser wenigen Hinweise lässt sich seine Biographie, wenn auch nur lückenhaft, rekonstruieren. Johannes Bengedans, in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts geboren, war zunächst Büchsenmeister des dänischen Königs Erich VII. von Pommern. Nach dessen Absetzung 1439 trat er in den Dienst von dessen Nachfolger Christoph III, den »Bayern« (ein Sohn des wittelbachischen Pfalzgrafen Johann I. von Neumarkt und der Katharina von Pommern), der zunächst Reichsverweser und ab 1440 bis zu seinem frühen Tod 1448 König von Dänemark war. Von ihm bezog Bengedans nach seinen eigenen Angaben ein hohes Einkommen und verfügte dabei u.a. über Einkünfte an schwedischen Erzvorkommen und Anteile an einer Silbermine. Spätestens 1447 hatte er jedoch erneut seinen Dienstherren gewechselt und war nun Büchsenmeister beim Deutschen Orden unter dessen Hochmeister Konrad von Erlichshausen. Aus dem Jahr 1451 stammen die schon genannten drei von ihm selbst geschriebenen Briefe an den Hochmeister Ludwig von Erlichshausen, die ihn krank und um Lohn bittend zeigen. Spätere Lebenszeugnisse gibt es nicht mehr.

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Das Büchsenmeisterbuch

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Das Büchsenmeister- und Kriegsbuch besteht aus zwei ursprünglich selbständigen Teilen: einem Textteil (Bl. 1v-45v), der durchgehend gereimt ist und rund 40 technische Einzelillustrationen aufweist, sowie einem Illustrationsteil (Bl. 46r-79v), der in der Regel ganzseitige Abbildungen enthält, die mit kurzen Erläuterungen in Prosa versehen sind. Beide Teile sind nach dem Urteil der Herausgeber unfertig; so fehlt beispielsweise im Textteil ein Abschluss und im Illustrationsteil wurden die letzten Konturzeichnungen weder nicht ausgemalt noch beschriftet. Außerdem sind sie nicht aufeinander bezogen. Insgesamt fehlt ebenso eine durchgehende Schlussredaktion des Buches. Das gemeinsame Band ist lediglich, dass beide Teile einschließlich der Kapitelüberschriften von Bengedans geschrieben wurden. Der Textteil gliedert sich in einen Prolog und in 41 Kapitel. Der Text behandelt zunächst die Herstellung und Reinigung von Salpeter, Schwefel und Holzkohle, den drei Grundbestandteilen des Schwarzpulvers sowie ausführlich die Herstellung und Aufbewahrung des Pulvers. Ferner beschäftigt er sich mit den größeren Feuerwaffen, den Kanonen und Geschützen, und den verschiedenen Brand- und Sprengsätzen, die mit ihnen abgeschossen werden. Unter anderem erfährt man, wie man einen Brandsatz durch eine »Katze« und eine fahrbare Maschine schießen, ein Geschütz laden, oder einen Nachtpfeil machen soll. Schließlich wird der Leser mit einem Brandsatz vertraut gemacht, den man in ein Schiff schleudern kann. Insgesamt, so das Resümee der Herausgeber, handelt es sich bei Bengedans’ Werk »um eine vorzügliche Einführung in die nützliche Kunst der Artilleristen, um ein praktisches Handbuch für den Lehrling oder für den Fachgenossen« (Bd. 1, S. 17).

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Bei den zahlreichen Aspekten, die in dieser Monographie behandelt werden, hätte ich mir gewünscht, die Herausgeber wären auch auf die literarischen Vorlagen des Textes und auf die Tradition der Illustrationen eingegangen. Letzteres wurde gleichsam nur im Vorbeigehen angesprochen und es wurde darauf hingewiesen, dass Bengedans Kyesers Bellifortis »nachahmt und Illustrationen daraus benutzt« (Bd. 1, S. 17). Diese Arbeit kann aber jetzt leicht in einer künftigen Untersuchung nachgereicht werden. Es bleibt der Dank an die Herausgeber, die mit dieser Ausgabe Großes geleistet und den Grund für die künftige Erforschung von Bengedans’ Werk gelegt haben.

 
 

Anmerkungen

Udo Friedrich: Konrad Kyeser: Bellifortis. In: Konrad Kyeser: Bellifortis – Feuerwerkbuch. Farbmikrofiche-Edition der Bilderhandschrift 2°Cod. Ms. philos. 64 und 64a Cim. Einführung und Beschreibung der kriegstechnischen Bilderhandschrift von Udo Friedrich. Anmerkungen zum lateinischen Text, Transkription und Übersetzung der Vorrede von Fidel Rädle. München 1995 (Codices figurati – Libri picturati 3). S. 7.   zurück
Rainer Leng: Ars belli. Deutsche taktische und kriegstechnische Bilderhandschriften und Traktate im 15. und 16. Jahrhundert. 2 Bde. (Imagines Medii Aevi 12). Wiesbaden 2002.   zurück
Christian Probst: Der Deutsche Orden und sein Medizinalwesen in Preußen. Hospital, Firmarie und Arzt bis 1525 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Deutschen Ordens 29). Bad Godesberg 1969.   zurück
Christian Probst: Beugedantz (Bengedans), Johannes. In: Verfasserlexikon. Bd. 1 (1978), Sp. 838 f.   zurück
Ebd., Sp. 839.   zurück
Vgl. Dieter Heckmann: Das virtuelle Preußische Urkundenbuch. Regesten und Texte zur Geschichte Preußens und des Deutschen Ordens. Werder: Berlin 2007. PrUB, DH 340 (1447 Juli 1. Marienburg); zit. nach der virtuellen Edition: URL: http://www.rrz.uni-hamburg.de/Landesforschung/pub/dh/dh340.htm (8.4.2008).   zurück