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Birne und Deutscher Michel

Ein Band zu europäischen Karikaturen im Vor- und Nachmärz

  • Hubertus Fischer / Florian Vaßen (Hg.): Europäische Karikaturen im Vor- und Nachmärz. (Forum Vormärz Forschung. Jahrbuch 2005, 11) Biefeled: Aisthesis 2006. 359 S. mehrere Abb. Paperback. EUR (D) 45,00.
    ISBN: 978-3-89528-566-0.
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Diesen unprätentiösen Titel trägt ein Sammelband, der in einigen Teilen den Charakter einer Enzyklopädie hat, in anderen Beiträgen wiederum sehr detaillierte Einzelstudien bietet und damit eindrucksvoll die europäische Dimension der politischen Karikatur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sichtbar macht.

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Enzyklopädischer Überblick und Detailstudien

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Die Einleitung der Herausgeber ruft grundsätzliche Aspekte in Erinnerung: Innerhalb der intermedialen Kunstformen kommt dem Verbund von Bild und Text besonderer Rang zu; die Auseinandersetzung um hohe versus niedere Kunst begleitet die Karikatur stets wie auch ihr Platzvorteil als symbolische Aggression, wenn es um die politisch-publizistische Auseinandersetzung geht.

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Der erste Beitrag – über Le Charivari, Punch und Kladderadatsch – kommt von Ursula E. Koch (München) und damit von einer der besten Kennerinnen der europäischen und insbesondere der deutsch-französischen Karikaturengeschichte. Sie stellt in einer faktengesättigten Tour d’horizon die »Prototypen« (S. 18) der humoristisch-satirischen Gattung des aktuellen Witzblattes vor. Le Charivari (erschienen von 1832 bis 1926) hat einen berühmten Vorgänger, La Caricature (erschienen 1830 bis 1835), deren »politische Individual-, Typen-, Tier- oder Sachkarikatur« (S. 22) dem Herausgeber Charles Philippon (1800-1862) sechzehn Prozesse einbrachte. In jeder Hinsicht ermöglichte die Julirevolution den Erfolg des Blattes, wurde es doch erst durch die Aufhebung der Vorzensur möglich. Es lebte von dem Erfolg der Spottbilder auf Louis Philippe, den Bürgerkönig, dessen Metamorphose in eine Birne zuerst in La Caricature (am 26. 01. 1832) und am 17. 01. 1834 (nochmals am 16. 04. 1835 auf Wunsch vieler Abonnenten) in Le Charivari (S. 26). Sorgfältig verfolgt Koch die Zusammensetzung der Leserschichten (zehn Prozent stammten aus dem Adel) und die Verbreitung über Buchhandel, Abonnenten (zwischen 1838 und 1841 schwankte die Zahl von 2300 bis 3000) und Auslagen (allein in Paris in 131 Cafés und 51 Lesekabinetten, vgl. S. 27). Robert Macaire wurde in den 120 Bildfolgen von Honoré Daumier zu einer Figur, in der sich die satirische Kritik an der Epoche bündelte. – Unter dem Titel Punch, or the London Charivari erschien am 17. Juli 1841 erstmals ein Wochenblatt, das durchaus in der Tradition der Bildsatire von James Gillray (1757-1815), Thomas Rowlandson (1756-1827) und George Cruikshank (1792-1878) stand. Jedoch bildete es gegenüber diesen Zeichnern der antinapoleonischen Satire ein Novum, wurde doch immerhin die soziale Frage intensiver als in französischen oder deutschen Blättern diskutiert (S. 39). Von allen Blättern, die im Band vorgestellt werden, bestand Punch am längsten, von 1841 bis 1992 und noch einmal von 1996 bis 2002. Das Jahr 1848 sieht Koch als »Geburtsjahr der politischen Presse Berlins« (S. 46). Die Beiträge von Horst Heidermann über die kurze Periode der Zensuraufhebung in Preußen (die sog. ›kleine Bilderfreiheit‹ 1842/43) und von Roland Berbig über Ernst Keils Leuchtthurm relativieren diese Zäsur. Sie stimmt jedoch insofern, als 1848 dasjenige Blatt entstand, das mit am längsten bestand (bis 1944): Kladderadatsch, gegründet von dem Verleger Albert Hofmann (1818-1880) und einigen ›Quereinsteigern‹: den Theaterautoren Julius Schweitzer und David Kalisch (1820-1872), dem ehemaligen Theologen Ernst Dohm (1819-1883) und dem Philosophen Rudolf Löwenstein (1819-1891), dazu dem Karikaturisten Wilhelm Scholz (1824-1893). Eine »breite Palette« satirischer Textsorten wie Dialoge, Predigten, Fabeln, Trinklieder, Sprichwörter sicherte dem Blatt seine Vielfalt (S. 58).

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Gibt Koch den enzyklopädischen Überblick, so gehen die Beiträge von Joachim Möller (Berlin) und Annette Clamor (Osnabrück) in die Tiefe bestimmter Publikationsformen und einzelner ikonographischer bzw. thematischer Details. Joachim Möller verfolgt eine englische Besonderheit im Bereich der Karikatur: The Comic History of England (1847/48) erschien in monatlichen Lieferungen und erreichte 20 Einzelbände. Sie kam von zwei wohlversierten Blattmachern, Gilbert Abbott à Beckett (1811-1856) und John Leech, der auch für Punch zeichnete. Ohne den Hintergrund einer langen englischen Tradition, diffizile Probleme allgemeinverständlich zu machen, ist dieses humoristische Periodikum nicht zu verstehen. Die Darstellung verband Text und Bild sehr eng, indem der Stahlstich exakt dem zugrundeliegenden Text gegenüber positioniert war. Die Abfolge ranghoher Personen und bedeutender Ereignisse wird herabgestuft durch witzige konkrete Details, die aber deplatziert erscheinen; historische Abläufe werden »ins Anekdotenhafte« (S. 71) transponiert; historische Protagonisten werden verzeichnet und auf Zerrbilder reduziert. Die Comic History wirft die Frage auf nach dem Unterschied von Karikatur (verdichtet zum Spottbild) und Illustration (spiegelt den Textcharakter):

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Die Illustration transportiert eine Textpassage in das andere Medium, indem Details der Handlung spielerisch verdinglicht werden. Sie erschließt sich nicht auf einen Blick, sondern fordert Zuwendung gegenüber dem Detail, fordert Sichtung der angebotenen Informationsfülle mit anschließender Integration der Teile zu einem Ganzen. (S. 75)
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Annette Clamor richtet ihren Blick auf die satirischen Darstellungen der bürgerlichen Alltagswelt. Sie richtet den Fokus in einer meta-ästhetischen Perspektive auf die Teilhabe, die Bürger – häufig als Spießbürger und Dilettanten denunziert – an der Kunst beanspruchen, sowie auf das Leiden der Künstler an der Moderne. Zum »Inbegriff des Pariser Kleinbürgertums« (S. 83) avanciert M.Joseph Prudhomme, erfunden um 1830 von Henri Monnier (1805-1877, dazu auch S. 20): Er wird als Banause in zahlreichen Atelierbildern verspottet, so in Daumiers Lithographien Die schönen Tage des Lebens (1845) oder in Skizzen einer Ausstellung (1864). Die literarische und musikalische Betätigung des Dilettanten avanciert auf diesem Weg zu einem festen Bestandteil der Sozialsatire (S. 88)

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So geißelt Grandeville die Fabrikation von Romanen, die dem Bedürfnis nach Unterhaltung genügen, nach der man »zu seinen Geschäften zurück« gehen könne (Gustave Flaubert, Zit. S. 97). Das moderne Fass der Danaiden als Quelle nicht endender Produktion etwa von Alexandre Dumas d. Ä. bildet hierfür ein neues stehendes Bildmotiv (S. 93-95). Die zentrale Form geselliger Unterhaltung stellte hingegen »das liebe Klavierspiel« (Heinrich Heine am 20. März 1843, Zit. S. 109) dar, das von Honoré Daumier ebenfalls in Karikaturen verspottet wurde (Croquis musicaux 1852). Ausgangspunkt der Kritik sind die Diskrepanz zwischen dem gesellschaftlichen Anspruch und dem offensichtlichen Nicht-Können, das Bedürfnis nach Repräsentation sowie ein Publikum, das aus Parvenues und Emporkömmlingen besteht (S. 101). Die Karikaturen, so Clamors Fazit, nehmen die Kunsttrends und Facetten des 19. Jahrhunderts in den Blick und bilden damit die industriellen Neuerungen ab, die nach dem Ende des Ancien Régime die Gesellschaft umwälzen, insbesondere spiegeln sie die Klagen um die Verbürgerlichung der Kunst und deren Verflachung zu Modeerscheinung und Massenproduktion.

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Eine satirische Überschau über die Gesellschaft bietet Martina Lauster (Exeter), in deren Beitrag die Leser viel über Technik und sozialen Kontext der Karikatur erfahren. Vormärz-Zeitschriften wie der Leipziger Charivari (1842-1852), die Düsseldorfer Monatshefte (1847-1862) und die Leuchtkugeln (1847-1851) und die langlebigen Fliegenden Blätter (1844-1928) geben Sittenbilder und stellen damit eine soziale Enzyklopädie dar, die es jedoch in einer institutionalisierten Form in Deutschland nicht gab. Wohl entstanden solche Sammlungen im Ausland: Les Francais peints par eux-memes (422 Folgen, 1839-1842) und Heads of the People, or Portraits of the English (1838-1842), aber in Deutschland sind dagegen lediglich regionale Sammelwerke nachzuweisen, etwa Wien und die Wiener in Bildern aus dem Leben (zwischen 1842 und 1844). Lauster sucht in den satirischen Periodika den idealen Staatsbürger, den staatsbürgerlichen Typus, den sie in den Blättern aus den regionalen Zentren Hamburg, Bremen, Frankfurt, Königsberg, Leipzig eher findet als in gesamtdeutschen Darstellungen. Weder der Frankfurter Borjer noch Adolf Glassbrenners Berliner Eckensteher Nante (S. 208) waren konsensfähig für ganz Deutschland. Sie wurden regionale Klischees, kleinbürgerliche Untertanen, die sich nicht zum idealen Staatsbürger eigneten.

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Soziale Institutionen der Karikatur

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Die Beiträge von Margaret A. Rose (Cambridge) und Jürgen Döring (Hamburg) ergänzen einander, denn beide suchen Karikaturen an ihrem sozialen Ort auf. Die Künstlervereine, mit denen sich Döring beschäftigt, sind nicht identisch mit den Kunstvereinen, sondern entstehen nach 1815 nach dem Vorbild der Nazarener (Lukasbund 1809 in Wien). Im Berliner Künstlerverein war Gottfried von Schadow 1814 führend, er hatte ihn gegründet als eine Stätte des Zusammenkommens, auch einer Kontakt- und Auftragsbörse in den schwierigen Jahren der napoleonischen Besetzung (S. 142). 1817 erhielt der Verein Satzungen, 1830 wurde eine Armenkasse eingerichtet. Am 6. April 1828 begingen die Mitglieder den 300. Todestag Dürers mit einem großen Fest (Mendelssohn hatte eine Kantate komponiert) und eröffneten damit eine Reihe von Festen, in denen sich bürgerliches Selbstbewusstsein zeigte: »Die Privatisierung des öffentlichen Lebens fand eine charakteristische Form im entstehenden bürgerlichen Vereinswesen« (S. 141). 1824 folgte der Berliner Architecten-Verein (S. 145) sowie der Verein jüngerer Berliner Künstler, dem Adolph Menzel, Ludwig Burger (1825-1884) und Theodor Hosemann angehörten (S. 148). Dieser war entstanden, nachdem der Verein von 1814 mehrmals jüngere Künstler abgewiesen hatte. Döring vergleicht die Einladungs-, Fest- und Mitgliederkarten auf ihre meist architektonische Grundstruktur und die Elemente (Allegorien der Künste, Porträtköpfe) hin und untersucht bei dieser Gelegenheit auch die Programme der jeweiligen Feiern. So erhält der Leser einen Überblick über die Funktionen und Wirkungsmöglichkeiten der Vereine und des von ihnen mitgestalteten öffentlichen Lebens. 1851 erhielt Burger (Menzel hatte die Geschichte Friedrichs d. Gr. illustriert [1840-42], entfernte sich aber von der Gebrauchsgraphik) den Auftrag, zur Ehrenfeier für den Bildhauer Georg Daniel Rauch einzuladen. Anlässlich der Enthüllung von dessen Denkmal Friedrichs des Großen entwarf Burger eine Radierung, eine bewegte vierteilige Komposition anekdotischer und humoristischer Szenen (S. 150).

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Wilhelm von Scholz, der für den gerade gegründeten Kladderadatsch zeichnete, entwarf im Revolutionsjahr 1848 eine Tischkarte mit verdeckten politischen Anspielungen: Der nackte Michel wartet auf neue preußische Kleider! (S. 151). In München gab es Künstlervereine seit den 1820er Jahren; sie waren berühmt für Faschings- und Maskenfeste, für die Moritz von Schwind und Wilhelm Busch (der dem Verein Jung-München angehörte) die Karten zeichneten. 1848 wurde in Düsseldorf der Verein Malkasten gegründet, dessen im Namen suggerierten Nebeneinander der Farben das »Miteinander der verschiedenen Meinungen der Mitglieder spiegelt (S. 156). Er trat hervor durch Jubiläumsfeste für Goethe (1849), Schiller (1859), Uhland (1862) und Shakespeare (1864). Berühmt wurden die Theateraufführungen zur Karnevalszeit (häufig Parodien, u.a. 1855 auf Tannhäuser), die jeweils von einem Mitglied geschrieben und veranstaltet wurden und zu denen mit anspruchsvoll komponierten Blättern eingeladen wurde. Karikatur hat in diesen Vereinen den Rang einer Atelierkarikatur wie im 17./18. Jahrhundert, als sie als ein Scherz unter Freunden entstand. Ihre aggressive und politische Tendenz erhielt sie erst im 18. Jahrhundert.

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Margaret A. Rose beschäftigt sich am Beispiel der Bekämpfung des Zopfes mit bildlichen Ellipsen im Umkreis des Düsseldorfer Künstlervereins Malkasten, also mit verknappten Bildanspielungen in Gemälden und Karikaturen,. Eine Reihe weiterer »privater künstlerischer Witze« (S. 129) bietet Rose aus den Düsseldorfer Monatsheften der Jahre 1847 bis 1849 und verfolgt dabei ein so kleines Detail wie das Betrachten durch die hohle Hand – als Attitüde kennerhaften genauen Sehens, das aber am Wesentlichen vorbei geht – über Karikaturen von Gottfried Schadow, Alexandre Gabriel-Decamps (in Le Charivari) und Heinrich Ritter. So wie Parodie und Intertextualität ein eingeweihtes Publikum voraussetzen, so tut dies auch die »Interbildlichkeit«, bei der Bilder Verstecktes enthalten:

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Wegen des Gebrauchs der Ellipse sowie der Übertreibung schafft die Karikatur im allgemeinen (und nicht nur wegen der öffentlichen Zensur) ein Publikum von Eingeweihten, das mit der ganzen Person oder Situation bekannt sein muss (wie eine Parodie ein Publikum schafft, welches das ganze parodierte Buch kennt oder kennenlernen muss), um alle Aspekte der Karikatur zu verstehen und zu genießen. (S. 117)
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»Prämoderner« Scherz in Buchform

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Rose spricht von »in-jokes« (S. 132): Anspielungen, die nur Insider verstehen. Einem solchen Scherz in Buchform, einer wahren Trouvaille der satirischen Text-Bild-Verklammerung, widmet sich Karl Riha (Siegen). Es ist der 1846 erschienene Roman Tutu, Phantastische Episoden und poetische Exkursionen von Alexander Graf von Ungern-Sternberg (1806-1868). Der Verfasser erzählt darin nicht nur, sondern illustriert auch und löst im elften Kapitel »Caricaturen aus der Gesellschaft« die Narration in eine Bildergeschichte nach dem Vorbild Rodolphe Töpffers auf (S. 248). Die Handlung beginnt mit einem »Schreiben eines Romantikers an den Freiherrn Berzelius«, in dem der Roman als Fund in einem »Manuscriptenconvolut« (S. 248) erklärte wird. Der Student Don Zerburo reist mit dem Engel Tutu in Ort- und Zeitsprüngen, damit ein Panorama der Epoche erlebend. In einer gräflichen Gesellschaft wird dem Studenten eine Mappe mit Zeichnungen über die seltsamen Reiseschicksale des Prinzen »Johann ohne Land« gezeigt. Diese so plausibel eingeleitete Episode wird zur Parodie auf Hermann von Pückler-Muskau (1785-1871), auch auf Georg Herwegh (1817-1875) und Bettine von Arnim (1785-1859), die in der Schlussvignette als Kind im Laufstall gezeigt wird. Nicht allein durch diese Anspielungen ist der Roman genuin in der Sozialgeschichte des Vormärz verankert, er enthält auch weitere »Aktualitäts-Implikate« wie die allegorische Fabel um die Sonne und die Rebellion der Jahreszeiten: Deren heftiger Streit in einen »vereinigten Landtag aller Jahreszeiten«, der aber zu nichts führt, zielt auf die Vormärz-Frage nach dem Rang von Institutionen. Alexander von Ungern-Sternberg war ein Doppeltalent als Autor und Zeichner nach dem Vorbild E.T.A. Hoffmanns und brachte als sehr produktiver Unterhaltungsschriftsteller nahezu jedes Jahr ein Buch auf den Markt, womit er auch den Trends folgte. Tutu sieht Riha jedoch als Ausnahme, als ein bemerkenswertes Fundstück der »Prämoderne«:

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Ein Paradigma wie Ungern-Sternbergs ›Tutu‹-Roman erregt deshalb die Aufmerksamkeit heutiger Leser, weil er Trends antizipiert, die sich erst in der Folgezeitvoll entwickeln und in der ganzen Bandbreite ihrer Möglichkeiten entfalten sollten. (S. 252)
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Preußen in der Karikatur

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So wie für Frankreich Louis Philippe als ›Birne‹ (dazu S. 26, S. 115) eine zentrale Rolle spielte, so kam im Vormärz in Deutschland Preußen, insbesondere seinem Monarchen Friedrich Wilhelm IV. und seiner reaktionären Politik ein besonderer Rang in der satirischen Presse zu.

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»Der König war in England gewesen«, hatte Robert Prutz 1850 in seinem Rückblick auf das Jahrzehnt geschrieben und erklärte, die Freiheit und die Qualität der Karikatur in England hätten Friedrich Wilhelm IV. bewogen, das Druckverbot aufzuheben, sofern es sich nicht um »unsittliche, schlüpfrige und sonst anstößige Bilder« handelte (S. 197). Am 28. Mai 1842 erließ Friedrich Wilhelm IV. ein Ministerialreskript, das die Vorzensur bei Bildern aufhob (S. 98-201 die Quellen und der Wortlaut der Verfügungen); allerdings wurde diese Präventivzensur am 1. Februar 1843 wieder eingeführt (und bestand dann weiter bis zum 3. März 1848). Der Beitrag von Horst Heidermann (Bonn) über die »kleine Bilderfreiheit« 1842/43 ist sowohl in den politischen wie auch in den pressegeschichtlichen Details immens materialreich.

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Die Karikaturisten nutzen die unverhoffte Freiheit und griffen viele Themen auf, so auch den Dombau, für dessen Fortsetzung der König am 4. September 1842 in einer Versammlung von 33 deutschen Souveränen den Grundstein legte. Dazu erschien das Blatt Die deutsche Einheit von Wilhelm Hermes, auf dem sich Wilhelm IV. und Metternich zuprosten, während eine Landkarte zu sehen ist, die Deutschland in eine nördliche und südliche Einflussregion teilt. Die Polizei verbot wegen dieser Anspielungen auf die Ambitionen Preußens und Österreichs das Blatt im Aushang (S. 206). In der Innenpolitik wurden immer wieder die Angelegenheiten der Provinz Ostpreußen aufgenommen. Der 1842 ernannte Oberpräsident Karl Wilhelm von Bötticher sah sich einer entschlossenen Gruppe von Patrioten gegenüber. Sie alle will Bötticher in der anonymen Lithographie Der Königsberger Böttcher – in Anspielung auf seinen Namen – gewaltsam in ein Fass zwingen, freilich erfolglos (dazu S. 212, auch S. 171 f.).

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Im Zuge der konservativen Innenpolitik wurden religionskritische und liberale Hochschullehrer suspendiert oder versetzt. Zu ihnen gehörten Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der wegen seiner Unpolitischen Lieder als Ordinarius der Breslauer Universität am 1. Januar 1843 suspendiert wurde. Bruno Bauer, der bereits von Berlin nach Bonn versetzt worden war, musste nach seiner Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker auf seine Lehrbefugnis verzichten. Auf einer Karikatur von August Schulz (Personalwechsel auf dem Katheder, Breslau 1842) werden beide von der Polizei abgeführt, während ein Schaf mit Kreuz auf dem Fell das Pult betritt. darüber sitzt ein Eichhörnchen, mit dem stets – auch auf der Böttcher-Lithographie – auf den Kultusminister Eichhorn angespielt wird. Die Offiziere als »fashionable Eisesser« bei Kranzler unter den Linden zu verspotten gehörte zu den Versuchen vorsichtiger Kritik an der Armee. Dagegen fehlten wirtschaftliche und soziale Fragen (S. 223-225), und dies spiegelt die Gruppe der Produzenten und Rezipienten der Karikatur. »Die Zurückhaltung gegenüber der sozialen Frage entsprach dem vorwiegend bürgerlichen Horizont von Produzenten und Rezipienten« (S. 223). – Ein großes Risiko gingen die Verleger dennoch ein. Zu ihnen gehören Johann Albert Schepeler, Wilhelm Hermes und der Verlag Eduard Meyer, in den im Februar 1843 Albert Hofmann als Teilhaber eintrat, ehe er 1848 in seinem eigenen Verlag den Kladderadatsch herausgab. Ebenfalls in Berlin betrieb Julius Springer ab 1842 seinen Verlag, in dem er, der mit Herwegh befreundet war, zahlreiche politische Schriften verlegte und dafür mehrfach verhaftet wurde. Von 1867 bis 1873 stand er dem Börsenverein des deutschen Buchhandels vor (S. 230). Oft blieben die Zeichner anonym, Heidermann listet sie mit Hinweisen zur oft schwer zu vervollständigenden Vita auf (S. 231 ff.). Ihre Honorare waren von der Größe und dem künstlerischen Rang des Zeichners abhängig und sind nur in sporadischen Auskünften zu belegen. Die Preise lagen für kleine Lithographien (zwischen 26 mal 19 cm) bei zweieinhalb, für größere schwarz-weiß-Lithographien bei fünf Silbergroschen; war das Blatt koloriert, kostete es zehn Silbergroschen; jedoch gewährten die Buchhandlungen Rabatte bei Festbestellung oder Barzahlung (S. 235). Verkauft wurden die Blätter über Verlage und Kolporteure, deren Vertrieb grundsätzlich positiv beurteilt wurde, weil die Reisenden die Hälfte des Umsatzes einbrachten (S. 234).

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Einer der aktivsten Publizisten in den Umbruchsjahren war Ernst Keil (1816-1878). Er, dem sein roter Bart das Epitheton ›Barbarossa von Leipzig‹ (S. 278) eintrug, war gab das Blatt Der Leuchtturm (erschien 1846 bis 1849) mit dem satirischen Beiblatt Deutsche Reichs-Bremse heraus (Roland Berbig). Das Beiblatt, das seinen Namen von der Titelzeichnung eines Insekts bezog, das in eine auseinanderstiebende Menschengruppe sticht, blieb den Zeitgenossen fast noch mehr im Gedächtnis als der Leuchtthurm. Eine bildhafte Sprache, eine sorgfältige rhetorische Durcharbeitung der Texte trugen dazu bei (S. 283). Bissig verfolgte das Blatt die regierenden Monarchen und den reaktionären Ministerpräsidenten, Otto Theodor von Manteuffel, dessen Name dreist in eine diabolische Figuren übersetzt wurde (S. 286).Es bestanden keine starren Rubriken, wenngleich »Spiegelbilder aus Preußen« oder »Aus Wien« und »Offene Briefe« regelmäßig eingerückt wurden. Eine ständige Reibefläche fand Keil in der Person Friedrich Wilhelms IV. und seinen gebrochenen Versprechen, die er ihm in einem »Offenen Brief« 1849 vorhielt. Unerbittlich wurde auch die österreichische Politik unter die Lupe genommen, war doch Robert Blum, der am 9. November 1848 standrechtlich erschossen worden war, Mitarbeiter Keils gewesen (S. 272). Keil hielt die Postulate und Folgen der Revolution in Erinnerung, brachte etwa einen Beitrag über Exilanten (Deutsches Flüchtlingsleben in London, S. 274), zog aber eine Grenze gegenüber »Marx und Consorten« (S. 274). Dieser Zug ist der gesamten vormärzlichen Kariktatur eigen, die der Band anschaulich und umfassend präsentiert:

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Wie lebhaft auch die demokratische Stimmung war, die ›Leuchtthurm‹ und ›Reichs-Bremse‹ erzeugten, der nachmärzlichen Neukonstituierung der kommunistischen Bewegung außerhalb Deutschlands (innerhalb war sie kein Thema) verweigerte man die Gefolgschaft. (S. 275)
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Fazit

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Der Band, der nach dem Schwerpunkt weitere Kurzbeiträge und Rezensionen zu Themen und Persönlichkeiten des Vormärz enthält, bietet einen enorm informativen Überblick. Den Beginn der satirischen Bilderkunst markieren die Karikaturen gegen Napoleon. Einige Elemente wurden von Anfang der 40er Jahre bis 1848 tradiert und erwiesen sich als zähe Überlebenskünstler, so das Mundschloss für die unterdrückte Rede- und Pressefreiheit (S. 228) und die Figur des Michel. Ihm gab Richard Seel (1819-1875) seine dauerhafte Erscheinung (dazu S. 207, S. 229). Das Ende kommt in der Gartenlaube, die Ernst Keil 1853 gründete. Für frischen Wind sollten erst um 1900 die großformatigen, mehrfarbigen Blätter sorgen, die in München erschienen: Jugend und Simplicissimus.