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Geschlecht, Arbeit und die Auswirkungen
des globalen Kapitalismus

  • Waltraud Ernst (Hg.): Leben und Wirtschaften. Geschlechterkonstruktionen durch Arbeit. (Focus Gender 3) Münster: LIT 2005. 276 S. EUR (D) 19,90.
    ISBN: 3-8258-8706-5.
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Der von Waltraud Ernst, der Geschäftsführerin des Zentrums für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterstudien in Hildesheim, herausgegebene Sammelband Leben und Wirtschaften – Geschlechterkonstruktionen durch Arbeit lässt sich als ein erweiterter Band zur Tagung »Selbstkonstituierung im Wohlfahrtsstaat: Zwischen feministischen Utopien und neoliberaler Individualisierung« verstehen, die im April 2005 in Hildesheim statt fand. 1 Allerdings machen die Tagungsbeiträge, sieben von insgesamt siebzehn Texten, weniger als die Hälfte der Aufsätze aus. Dieser Sachverhalt mag miterklären, warum im Gesamteindruck ein inhaltlich äußerst heterogener Sammelband entstanden ist. Die Zusammensetzung der Autorinnen (ergänzt von einem Co-Autor) ist dagegen äußerst homogen: Bis auf fünf Ausnahmen sind oder waren alle Mitarbeiterinnen oder Gastwissenschaftlerinnen an einer der beiden Hochschulen in Hildesheim.

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Das wichtige Vorhaben, einen interdisziplinären Blick auf die Geschlechterverhältnisse der Arbeit zu werfen, findet in diesem Sammelband bedauerlicherweise seine Grenzen in einer mangelnden Kohärenz. Die erfreulich vielfältige Berücksichtigung soziologischer, politologischer, juristischer, wirtschaftswissenschaftlicher und pädagogischer Zugänge sowie die Einbeziehung historischer Perspektiven – trotz einer eindeutigen Schwerpunktsetzung auf Analysen der Gegenwart – hätte den Weg für weitere Forschungen weisen können. Dafür wäre aber eine stärkere Konzentration auf das selbst gewählte Thema »Geschlechterkonstruktionen durch Arbeit« von Nöten gewesen, die einige Aufsätze jedoch vermissen lassen. Weiterhin trifft die berechtigte Kritik, die in einem Beitrag an Teilen der Geschlechterforschung geübt wird, leider auch auf einen Großteil dieses Sammelbandes selbst zu: »Dabei wird ›gender‹ bzw. ›Geschlecht‹ zu weiten Teilen gleichgesetzt mit ›Frauen‹« (S. 30).

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Arbeit jenseits der Erwerbstätigkeit

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Durchaus nachvollziehbar ist die Entscheidung vieler Autorinnen, die Unterscheidung zwischen Hausarbeit und Erwerbsarbeit ins Zentrum ihrer Untersuchungen zu stellen. Diese Trennlinie lässt sich mit einigem Recht als ein zentrales Moment der Geschlechterkonstruktionen vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart verstehen. Allein sieben Beiträge wurden von der Herausgeberin dem Themenfeld »Haushaltsarbeit und Betreuungsverhältnisse« zugeordnet, dem zweiten von drei thematischen Blöcken des Bandes. Bereits im ersten Block zur »gesellschaftlichen Bewertung von Arbeit« kommt dieser grundlegenden Unterscheidung zudem großes Gewicht in einzelnen Beiträgen zu. Der dritte und abschließende Block »Bildung als individuelle Strategie und kollektive Zusammenschlüsse« vereinigt dann fünf Aufsätze, die inhaltlich wenig miteinander verbindet: Der Bogen reicht von einer soziologischen Beschreibung der Situation südosteuropäischer Akademikerinnen, über Konzepte zur Qualifizierung von Akademikerinnen in Deutschland zur Unternehmensnachfolge und einer historischen Abhandlung über die Berufsverbände der Sozialarbeiterinnen bis zur Vorstellung der Erfolgsgeschichte der Netzwerkgründung von Unternehmerinnen in Berlin.

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Die gesellschaftliche Bewertung von Arbeit

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Auch schwankt das Niveau der Beiträge stark. Herausgegriffen werden im Folgenden einige Beiträge, deren Diskussion durchaus geeignet wäre, die Forschung zum Thema »Geschlechterkonstruktionen durch Arbeit« voranzutreiben. Leider gilt dies nicht für alle Texte des Sammelbandes. Im ersten Beitrag des Themenblocks zur gesellschaftlichen Bewertung von Arbeit stellen sich die Soziologinnen Margit Eichler und Ann Matthews aus Toronto der Frage »Was ist Arbeit?«. Ausgangspunkt ist eine Kritik an der vorherrschenden soziologischen Definition von Arbeit, die zwar unbezahlte Hausarbeit »formell als Arbeit« anerkenne, in der eigentlichen Forschung aber nicht weiter berücksichtige (S. 17). Dieser berechtigten Kritik folgt eine wenig überzeugende Erarbeitung einer neuen Definition. Auf der empirischen Basis einer Fragebogenauswertung und der mit dem Fragebogen verbundenen Diskussion mit elf Fokusgruppen (darunter zwei männlichen Gruppen) sollte herausgefunden werden, welche Konzeptionen von Arbeit (in erster Linie) bei Frauen existieren.

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Etwas verstörend ist, dass einigen Probandinnen quasi ein ›falsches Bewusstsein‹ vorgeworfen wird, sofern sie ihre eigene Hausarbeit nicht als Arbeit begriffen: Hier liege ein »präfeministische[s] und unsoziologische[s] Verständnis von Hausarbeit« vor (S. 21 f.). Aus den empirisch gewonnenen Definitionen privilegieren dann Eichler und Matthews eine Bestimmung von »Arbeit als Energieaufwand« (S. 27). Auf diese Weise sei es möglich, »alle Arbeit als gleichgewichtig für das Verständnis eines gesellschaftlichen Funktionszusammenhanges« zu betrachten. Zu berücksichtigen sei lediglich, »dass verschiedene Gruppen von Menschen über unterschiedliche Energiemengen verfügen« (S. 31). Das unpräzise Kriterium der ›Energiemenge‹ ist nicht frei von esoterischen Zügen; überhaupt geraten bei dieser Definition von Arbeit die konkreten historischen Produktionsbedingungen völlig aus dem Blick.

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Geschlechterverhältnisse
in der neoliberalen Arbeitswelt

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Der überzeugende Beitrag der Hildesheimer Juristin Kirsten Scheiwe über die Kontinuität des ›Ernährermodells‹ im deutschen Sozialversicherungsrecht wurde bereits in ausführlicherer Form in der Kritischen Justiz veröffentlicht. Trotz sozialpolitischer Modernisierungen überwögen in der Bundesrepublik letztlich die Beharrungskräfte zugunsten des traditionellen Modells: Letztlich sei die Norm der »Brotverdiener-Hausfrauen-Ehe« nur einer Modifikation unterzogen worden und trete jetzt in der modernisierten Form eines »›Hauptverdiener-Zuverdiener-Modell[s]‹« auf (S. 43). Diese Entwicklung sei von den Hartz-Gesetzen noch verstärkt worden. Änderungen im Sinne des skandinavischen Modells einer gleichberechtigten Erwerbstätigkeit beider Partner seien durchaus möglich und etwa durch eine »längst überfällige Reform des Steuerrechts und des ›Ehegattensplittings‹« zu erreichen (S. 50).

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Die Hartz-Gesetze stehen im Zentrum der Untersuchung der Esslinger Sozialpolitikforscherin Marion Möhle. Möhle geht der Frage nach, welche weiblichen Subjektkonstituierungen im Zuge der Hartz-Reformen hervorgebracht werden und kommt zu dem Schluss, der wichtigste Typus sei »die allzeit arbeitswillige Frau« oder die »Unternehmerin ihrer selbst« (S. 70). Der Befund ist durchaus überzeugend, allerdings bleibt unklar, warum einerseits den Hartz-Gesetzen eine derartig wichtige Rolle zugesprochen und andererseits die These nur für Frauen formuliert wird. Die Soziologen Voss und Pongratz haben bereits vor zehn Jahren konstatiert, dass im gegenwärtigen Kapitalismus der »Arbeitskraftunternehmer« die »neue Grundform der Ware Arbeitskraft« darstelle. 2 Möhles Ansatz, die Subjektkonstituierung geschlechterdifferent zu untersuchen, ist es zu wünschen, aufgegriffen und konsequent im Sinne einer relationalen Geschlechterforschung umgesetzt zu werden.

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Doing Gender in der Hausarbeit

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Der zweite thematische Komplex des Bandes beschäftigt sich mit Haushaltsarbeit. Die Soziologin Claudia Gather stellt zunächst Unterschiede in der partnerschaftlichen Aufteilung der Hausarbeit zwischen Ost- und Westdeutschland dar. Im Westen griffen »immer noch traditionelle Verhaltensmuster, während die Hausarbeit in Ostdeutschland vor der Vereinigung stärker zwischen Männern und Frauen verteilt« gewesen sei (S. 95). So wichtig es ist, diese Befunde festzuhalten, so muss Gathers Interpretation der Statistik doch in Frage gestellt werden: Zu sehr wird die vermeintliche Geschlechtergerechtigkeit in der DDR idealisiert, ohne auf kritische Forschungen zu dieser Frage einzugehen. 3 Die Zahlen ließen sich auch anders deuten: Zwar war die Hausarbeit in der DDR stärker zwischen den Geschlechtern aufgeteilt als in der Bundesrepublik, dennoch blieb die Hauptlast weiterhin deutlich bei den Frauen, obwohl Frauen fast genauso häufig wie Männer einer Erwerbstätigkeit nachgingen.

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Gathers zweites Interesse gilt der »sozialen Ungleichheit zwischen Frauen« (S. 94). Gather hält soziale Unterschiede zwischen Frauen für »bemerkenswert« (S. 94) und sucht deshalb Erklärungen für den Sachverhalt, dass westdeutsche Mittelschichtsfrauen ihre Haushaltsarbeit »Frauen aus der Unterschicht, Frauen aus dem Süden und aus Osteuropa« erledigen lassen (S. 100). Offensichtlich ist Gather davon irritiert, soziale Unterschiede jenseits der Geschlechterdifferenz konstatieren zu müssen und stellt deshalb unverständlich vorsichtig fest: »Es gibt einige Anhaltspunkte dafür, dass die Frauen, die sich Haushaltsarbeit finanziell leisten können, privilegiert sind, und dass die Frauen, die diese Arbeit gegen Entgelt verrichten, benachteiligt sind« (S. 105). Die Analysekategorie Klasse bemüht Gather nicht zur Erklärung dieser Befunde. Die nahe liegende Erklärung, dass gut verdienende und viel beschäftigte Paare der Mittelschicht aus pragmatisch-ökonomischen Motiven billige Haushaltshilfen beschäftigen, führt Gather nicht an. Vielmehr legt sie eine recht verwinkelte – und in der Konsequenz perfide – Begründung dafür dar, dass privilegierte Frauen ihre »Schwestern« (S. 98) aus der Unterschicht für sich arbeiten lassen:

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Da das Projekt der Gleichverteilung von Hausarbeit zwischen weiblichen und männlichen Partnern so langsam voranging und so wenig erfolgreich war und überdies in vielen Partnerschaften zu Streitigkeiten führte, rechnen viele Frauen nicht mehr mit der Unterstützung ihres Partners, sondern stellten andere Frauen ein, um selbst mehr Zeit für ihre Erwerbsarbeit zu haben. (S. 104)
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Überzeugender setzt sich die Frankfurter Sozialpädagogin Helma Lutz ebenfalls mit dem Verhältnis zwischen »Geschlecht, Migration und Qualifikation« auseinander (S. 110–123). Lutz verbindet die spezifische Fragestellung mit methodischer Reflektion; so benennt sie als Desiderat der Gender Studies »eine integrative Theorie, die sowohl Geschlecht und Klasse, dazu aber auch Ethnizität, Nationalität, Alter und Sexualität identifizieren kann und als gleichwertige Faktoren« aufnehme (S. 114). Hausarbeit verdiene das besondere Interesse der Forschung, da es sich um eine »Kernaktivität des ›Doing Gender‹« handele. Das Phänomen, dass zunehmende Teile der Haushaltsarbeit in Deutschland von Migrantinnen erledigt werden, bedeute für die oft gut ausgebildeten Migrantinnen eine berufliche Dequalifizierung, »während sie gleichzeitig den deutschen ArbeitgeberInnen die Kontinuierung oder den Ausbau ihrer Qualifikation« ermöglichten (S. 120).

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Neoliberalismus vs. Feminismus?

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Ebenfalls sehr überzeugend ist Antke Engels Beitrag über »Subjektkonstituierung unter neoliberalen Vorzeichen« (S. 136–152), der allerdings bereits in ähnlicher Form in Das Argument publiziert wurde. Auf hohem theoretischem Niveau analysiert Engel visuelle Repräsentationen von Hausarbeit, die nicht einem »heterosexuellen Modell« entsprechen (S. 136). Während die meisten Beiträge des Sammelbandes eine Dichotomie zwischen feministischen Zielen und neoliberaler Wirklichkeit aufmachen, stellt sich Engel dem Problem der unauflöslichen Verflochtenheit: Sie interessiert sich für die »Überlappungen, die sich daraus ergeben, dass neoliberale Diskurse sich queere und feministische Elemente aneignen«. Andererseits seien »aber queer/feministische Diskurse auch nicht frei […] von einer hegemonialen neoliberalen Ideologie« (S. 140).

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Während im gleichen Band Karin Schönpflug behauptet, die gegenwärtigen neoliberalen Reformen würden alle benachteiligen, »die nicht dem Idealbild des Homo Oeconomicus« entsprächen, der seinerseits »männlich, weiß, im erwerbsfähigen Alter und […] Hauptverdiener einer Kleinfamilie« sei (S. 80), argumentiert Antke Engel kritischer. Ihre überzeugende Schlussfolgerung lautet, »dass integriert werden kann, wer sich den Kriterien individualisierter Leistung und Verantwortung unter der Überschrift einer globalisierten kapitalistischen Marktwirtschaft verschreibt« (S.  137). Es existiere kein Gegensatz zwischen queerer Identitätspolitik und dem Neoliberalismus. Vielmehr trieben neoliberale Diskurse die »Normalisierung non-konformer Geschlechter und Sexualitäten« voran (S. 136). 4

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Die neuen Verdammten dieser Erde?

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Der dritte und abschließende Themenkomplex des Bandes erweckt den Eindruck, ein Sammelsurium für Beiträge zu sein, die sich nicht den ersten beiden Blöcken zuordnen ließen. Allerdings schließt der erste Aufsatz, in dem sich die Belgrader Soziologin Marina Blagojevic mit der Situation von Akademikerinnen in den post-sozialistischen Staaten Europas beschäftigt, sehr gut an die Beiträge von Gather und Lutz an. Blagojevic bringt eine vergleichende Perspektive in den Band ein; sie trifft die wichtige Feststellung, »dass sich im Zuge der spezifischen Entwicklung ehemals kommunistischer Länder auch besondere Geschlechterregime entwickelt haben, die sich in mancher Hinsicht gegenläufig zur Lage in den europäischen ›Kernländern‹« verhielten (S. 203). Allerdings verringerten sich diese Unterschiede unter den Verhältnissen der Globalisierung. Die im internationalen Vergleich große Zahl von Akademikerinnen in Osteuropa müsse in Relation zum gesellschaftlichen und ökonomischen Status universitärer Arbeitsverhältnisse gesehen werden.

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Überzeugend hält Blagojevic fest, dass der berufliche Erfolg von Frauen an der Universität letztlich in erster Line als Indikator dafür dienen kann, »wie dieser Beruf am Markt bewertet wird«; daraus leitet sie die These ab, die »Proletarisierung der akademischen Berufe« sei »eng mit ihrer Feminisierung verbunden und umgekehrt« (S. 210). Problematisch erscheint aber die Versämtlichung 5 dieses Befundes auch auf »Akademikerinnen und gut ausgebildete Frauen der Kernländer«: Auch diese Frauen würden schließlich, nur »weil sie Frauen sind, zur Semi-Peripherie ihrer eigenen Herkunftsländer werden« (S. 214). Der Rezensent verweist hier auf die Position der in der Frage des Verhältnisses von Arbeit und Geschlecht äußerst profilierten – aber in diesem Sammelband nicht rezipierten – Soziologin Brigitte Aulenbacher, die »Kapitalverwertung« sei »der Kategorie Geschlecht wie im Übrigen auch anderen sozialen Kategorien gegenüber in gewisser Weise gleichgültig« 6 .

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Die letzten Beiträge des Bandes weisen dann kaum mehr einen klaren Bezug zum Thema »Geschlechterkonstruktionen durch Arbeit« auf. So gibt etwa die Hildesheimer Sozialpädagogin Christa Paulini eine solide Schilderung der historischen Entwicklung der Berufsverbände der Sozialarbeiterinnen in Deutschland. Der abschließende Text der Politologin Claudia Neusüß über die Berliner Frauengenossenschaft »WeiberWirtschaft« bietet interessante Einblicke, hat jedoch keinen wissenschaftlichen Anspruch, sondern stellt vielmehr einen Praxisbericht einer Mitgründerin der Genossenschaft dar.

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Fazit

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Der Sammelband leidet unter den eingangs skizzierten Mangel an Kohärenz und zudem unter starken Schwankungen im Niveau der einzelnen Beiträge. Dabei soll nicht in Abrede gestellt werden, dass einzelne Beiträge vollends zu überzeugen wissen; allerdings wurden gerade zwei der besten Texte (Scheiwe, Engel) bereits an anderer Stelle publiziert. Eine strengere Auswahl der Beiträge hätte dem Band sicherlich gut getan. Darüber hinaus wäre es erwägenswert gewesen, für die wirklich überzeugenden Texte eine andere Publikationsform, etwa ein Themenheft einer Zeitschrift, zu suchen.

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Bemerkenswert sind weiterhin zwei Phänomene, die den Band – wenn auch nicht jeden einzelnen Beitrag – durchziehen. Zum einen spielen soziale Unterschiede jenseits der Geschlechterdifferenz kaum eine Rolle. Die in den 1990er Jahren in den Gender und Cultural Studies vehement eingeforderte Trias Class, Race & Gender wird hier zumeist auf Gender reduziert, der Kategorie Klasse – offensichtlich der neue Nebenwiderspruch – wird in fast allen Beiträgen vollständig vernachlässigt.

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Zum anderen fällt auf, dass idealistischen und intentionalen Erklärungen gegenüber strukturellen und materialistischen Analysen wesentlich mehr Gewicht zukommt. Sehr deutlich wird dies bei Blagojevics Rückgriff auf vermeintliche anthropologische Konstanten: »Die Abneigung von Frauen, sich in der institutionalisierten Politik zu engagieren, scheint – soweit ich sehen kann – überhistorisch und transkulturell zu sein, obgleich es von Land zu Land starke Unterschiede gibt« (S. 205). Hier werden sexistische Strukturen als weibliche Eigenschaften interpretiert; eine Kritik an konkreten gesellschaftlichen Barrieren, die aufgebaut werden, um Frauen aus dem politischen Machtbereich fernzuhalten, unterbleibt. Es ist zu hoffen, dass ein solches Vorgehen keine allgemeine Tendenz in den Gender Studies spiegelt; die besseren Beiträge des Bandes beweisen durchaus, dass eine kritische feministische Erforschung von Arbeitsverhältnissen große Chancen bietet.

 
 

Anmerkungen

Der Sammelband ist auf 2005 datiert, war aber faktisch erst zur Mitte des Jahres 2007 zu erhalten.   zurück
Vgl. Günter G. Voss / Hans J. Pongratz: Der Arbeitskraftunternehmer: Eine neue Grundform der ›Ware Arbeitskraft‹. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 50, 1 (1998), S. 131–158.   zurück
So hält Leonore Ansorg fest, dass die »Wirtschafts- und auch Frauenpolitik der SED […] nicht auf die Überwindung traditioneller geschlechtsspezifischer Strukturen gerichtet« gewesen und »die alte geschlechtsspezifische Arbeitsteilung« innerhalb der Betriebe in der DDR reproduziert worden sei, vgl. Leonore Ansorg: Der Fortschritt kommt aufs Land. Weibliche Erwerbsarbeit in der Prignitz. In: Gunilla-Friederike Budde (Hg.): Frauen arbeiten. Weibliche Erwerbsarbeit in Ost- und Westdeutschland nach 1945. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1997, S. 78–99, hier S. 94.

Auch Petra Clemens hält in ihrer Studie über eine Forster Textilfabrik fest, dass trotz Erhöhung der Zahl erwerbstätiger Frauen in der DDR »die eigentliche Rangfolge der Geschlechter […] nicht verändert« worden sei, vgl. Petra Clemens: Die aus der Tuchbude. Alltag und Lebensgeschichten Forster Textilarbeiterinnen. Münster u. a.: Waxmann 1998, S.  109.

Auch Schüle betont den »patriarchalen Zug der DDR-Gesellschaft«, vgl. Annegret Schüle: »Die Spinne«. Die Erfahrungsgeschichte weiblicher Industriearbeit im VEB Leipziger Baumwollspinnerei. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2001, S. 339.

Zachmann weist daraufhin, dass Frauen in der DDR zwar vermehrt »Eintritt in bislang männlich definierte Arbeitsbereiche« gefunden hätten, sie aber weiterhin »vor allem als un- und angelernte Arbeitskräfte beschäftigt worden« seien. Der Status des Facharbeiters sei Männern vorbehalten geblieben, vgl. Karin Zachmann: Mobilisierung der Frauen. Technik, Geschlecht und Kalter Krieg in der DDR. (Geschichte und Geschlechter, Bd. 44) Frankfurt, New York: Campus 2004, S. 264.   zurück
Ein ähnlich kongruentes Verhältnis zwischen Multikulturalismus und globalem Kapitalismus steht im Mittelpunkt von Žižeks »Plädoyer für die Intoleranz«, vgl. Slavoj Žižek: Ein Plädoyer für die Intoleranz. Wien: Passagen 1998.   zurück
Die Soziologin Angelika Wetterer sieht in einer »Versämtlichung«, also in der Reproduktion der Vorstellung »alle Frauen sind …«, eine der »Hauptgefahren«, die es in den Gender Studies zu vermeiden gelte, vgl. Angelika Wetterer: Arbeitsteilung und Geschlechterkonstruktionen. »Gender at Work« in theoretischer und historischer Perspektive. Konstanz: UVK 2002, S. 39.   zurück
Brigitte Aulenbacher: Rationalisierung und Geschlecht in soziologischen Gegenwartsanalysen. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2005, S. 160 f.   zurück